Dies ist ein Berufsfindungsbuch für

Ewig Suchende

Freiheitsverliebte

Traumtänzerinnen

Talentierte Chaoten

Kreative Mimosen

Verkappte Künstlerinnen

Möchtegern-Weltverbesserer

Vielseitig Begabte

und

Kluge Köpfe

Oder auch: Für unwissentlich Hochbegabte

Einleitung

Die ewig Suchenden

Der gesunde Menschenverstand sagt uns: Je mehr Begabung ein Mensch mitbringt, desto leichter wird es dieser Person fallen, eine tolle Karriere „hinzulegen“ und hochgesteckte berufliche Ziele zu erreichen. Aber stimmt das wirklich? Sind außergewöhnlich begabte Menschen wirklich automatisch erfolgreich und zufrieden?

Meine Arbeit als Coach und Berufungsberaterin hat mich gelehrt, dass oft das Gegenteil der Fall ist. Ich habe das Glück, vielen klugen, kreativen Frauen und Männern zu begegnen. Es sind Menschen, denen es wahrlich nicht an Potenzial mangelt. Aber sie kommen oft mit einem großen Leidensdruck zu mir. Sie sind mit ihrer Arbeit unglücklich und suchen schon lange oder immer wieder neu nach dem für sie passenden Platz im Berufsleben, nach Weiterentwicklung, nach Erfüllung. Sie sehnen sich nach dem wohltuenden Gefühl, endlich „angekommen“ zu sein. Bloß wissen sie oft gar nicht mehr so genau, wo sie eigentlich hinwollen. Oft hadern sie mit sich selbst und fragen sich: Was stimmt nur nicht mit mir, weil ich immer wieder unzufrieden bin? Was fehlt mir bloß?

Meiner Überzeugung nach ist dies die falsche Frage: Es ist weniger ein Mangel als vielmehr ein Überfluss, der diese Suchenden auszeichnet. Sie scheinen zu viel Potenzial, zu viele Interessen und eine zu hohe innere Motivation mitzubringen, um mit einer üblichen Berufslaufbahn glücklich werden zu können.

Was ihnen wiederum tatsächlich häufig fehlt, ist der Glaube an sich selbst und an das eigene Können. Und so drehen sie sich im Kreis und schaffen es nicht, aus vagen Ideen konkrete Ziele und aus Träumen Wirklichkeit werden zu lassen.

Eine Klientin brachte es kurz vor ihrem 44. Geburtstag scherzhaft, aber mit einem Anflug echter Verzweiflung auf den Punkt: „Ist das nicht verrückt? Jetzt bin ich längst erwachsen, aber ich weiß immer noch nicht, was ich mal werden will, wenn ich ‚groß‘ bin.“

Ihr Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich fragte mich: Wonach sehnen sich die „ewig Suchenden“ – und was hindert sie daran, es zu erreichen? Wieso haben sie solche Schwierigkeiten mit dem Ankommen? Meine Intuition sagte mir, dass diese Menschen etwas Wesentliches gemeinsam haben, was sie von der Zielerreichung abhält, und dass diese Gemeinsamkeit mit ihrer außergewöhnlichen Intelligenz und Begabung zusammenhängt. Sollte ich damit richtig liegen, kann die besondere Begabung auch der Schlüssel zur Lösung ihrer Schwierigkeiten sein.

Hochbegabt? Ich doch nicht!

Aus diesen Überlegungen heraus entstand die Idee, ein Berufsfindungsbuch für Hochbegabte zu schreiben, in dem deutlich wird, dass ein hohes Potenzial oft auch ganz besondere Herausforderungen und Stolpersteine mit sich bringen kann. In diesem Buch gehe ich sogar noch einen Schritt weiter und stelle die These auf, dass dieser Zusammenhang zwischen Begabung und bestimmten Stolpersteinen auch umgekehrt gilt: Manchmal sind krumme Wege und eine immer wieder neue Suche nach dem passenden Job geradezu Indizien für eine besondere Begabung oder unentdeckte Hochbegabung! Denn: Für außergewöhnliche Menschen passt eine gewöhnliche Karriere nicht immer.

Aber langsam: Hochbegabung?! Heißt das, Sie dürfen nur weiterlesen, wenn Sie einen getesteten IQ von über 130 haben? Und was heißt überhaupt Hochbegabung? Sind Hochbegabte nicht Freaks mit dicken Brillen, die im Halbschlaf hochkomplexe Formeln aufsagen? Was hat das mit Ihnen zu tun?

Schon an dieser Stelle sei gesagt: Hochbegabung ist mehr als ein hoher IQ! Und nicht jede Hochbegabung oder hohe Teilbegabung z. B. im musikalischen, künstlerisch-kreativen, sozial-emotionalen oder psychologisch-philosophischen Bereich lässt sich überhaupt mit einem IQ-Test messen.

Wenn Sie dem Etikett „Hochbegabung“ skeptisch gegenüberstehen, sind Sie damit nicht allein. Neben den Erfahrungen durch meine Beratungstätigkeit fließen auch die Erkenntnisse aus Interviews in dieses Buch mit ein. Ich habe über 40 Frauen und Männer befragt. Als Interviewpartner ausgewählt habe ich sie, weil sie mir als außergewöhnlich klug und talentiert aufgefallen waren, weil sie mit Leichtigkeit bemerkenswerte Leistungen erbracht haben oder durch Begabtenstipendien gefördert worden sind. Einige von ihnen berichteten, sie hätten in ihrer Schulzeit, während ihres Studiums oder im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung schon einmal einen IQ-Test absolviert, und dabei sei ihnen ein sehr hoher Intelligenzquotient (über 130) bescheinigt worden. Das Thema „Berufsfindung für ewig Suchende“ fanden sie hoch spannend, denn sie alle wollten Träume aufspüren und verwirklichen und selbstbewusster unkonventionelle Wege gehen. Aber Hochbegabung? Die meisten wiesen weit von sich, dass sie hochbegabt sein könnten. Auch das Ergebnis des IQ-Tests entkräfteten sie für sich mit Kommentaren wie: „Ich war doch damals erst 14, das bedeutet heute nichts mehr!“ oder „Der Test war ein besonders leichter Test“. Eine Interviewpartnerin sagte mir:

„Ich habe den Test im Psychologiestudium gemacht. Das Ergebnis lag bei 145, und ich war total überrascht! Es passte nicht zu meinem Gefühl, bisher beruflich überhaupt nicht erfolgreich gewesen zu sein! Ich würde mich deshalb nach wie vor nicht als hochbegabt bezeichnen.“

Fast alle meiner Interviewpartner teilten diese Einschätzung und sagten von sich, sie seien „nicht dumm“, „leicht überdurchschnittlich intelligent“, „vielseitig interessiert“ oder verfügten bestenfalls über eine hohe „emotionale Intelligenz“, keinesfalls aber seien sie hochbegabt.

Es handelt sich hierbei nicht um eine falsche Bescheidenheit. Viele Hochbegabte sind tatsächlich aus tiefstem Herzen davon überzeugt, dass ihr Verstand und ihre Fähigkeiten bestenfalls mittelmäßig ausgeprägt sind. Je intelligenter ein Mensch ist, desto bewusster ist er sich zumeist seiner eigenen Begrenztheit. Hochbegabte sind häufig sehr selbstkritisch und kreiden es sich außerdem an, wenn es ihnen nicht gelingt, mit dem glücklich zu sein, was anderen Menschen zu genügen scheint.

Oft verurteilen sie auch generell jedes Denken in den Kategorien „Intelligenz“ und „Hochbegabung.“ Manchmal deshalb, weil sie davon überzeugt sind, dass alle Menschen begabt sind und es falsch wäre, Qualitätsunterschiede in der Begabung anzunehmen. Manchmal aber auch deshalb, weil sie selbst lange unter Minderwertigkeitskomplexen gelitten haben. So sagte mir eine Klientin: „Ich habe lange auf andere gehört und Schwerpunkte gewählt, die mir nicht liegen. Erst spät habe ich studiert, Vertrauen in meine Fähigkeiten entwickelt und meinen eigenen Weg gefunden.“

Die Skepsis vieler Menschen gegenüber dem Thema Hochbegabung und erst recht gegenüber der vagen Möglichkeit, selbst hochbegabt zu sein, wirft mehrere Fragen auf: Was ist Hochbegabung eigentlich? Welche Vorurteile und Missverständnisse geistern hierzu durch die Köpfe? Und woran lässt sich Hochbegabung – bei Erwachsenen – tatsächlich erkennen? Kapitel 1 liefert Ihnen Antworten auf diese und weitere Fragen.

Dies kann auch dann „Ihr Buch“ sein, wenn Sie nie einen Test gemacht haben und Ihren IQ daher gar nicht kennen oder wenn Ihr Testergebnis Ihnen keine allgemeine Hochbegabung bescheinigt. Wesentlicher für eine gewinnbringende Lektüre ist, dass Sie persönlich sich in der angesprochenen Zielgruppe wiederfinden. Wenn Sie die Erfahrung des „Andersseins“ aufgrund Ihres besonders schnellen und tief greifenden Denkens kennen, wenn Sie sich oft als „übersensibel“ erleben, wenn Sie spüren, dass Sie mehr Freiheit, mehr Kreativität, mehr weitsichtige Lösungen brauchen, als dies in unserem Gesellschaftssystem üblich zu sein scheint, kann dieses Buch Ihnen wertvolle Anregungen geben, um endlich Ihre Berufung zu finden und zu leben.

Eine Hochbegabung lässt sich fast immer an der Lebensgeschichte und in der Persönlichkeit eines Menschen erkennen, denn sie beeinflusst Menschen weit mehr als nur in Bezug auf ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit. In Abschnitt 1.3.2 finden Sie eine Checkliste mit Anzeichen für eine Hochbegabung im Erwachsenenalter. Einige ganz wesentliche Indizien möchte ich schon an dieser Stelle nennen (s. Kasten). Vielleicht finden Sie sich darin wieder? Oder es fallen Ihnen Menschen aus Ihrem Umfeld ein, auf die diese Beschreibungen zutreffen? Dann wissen Sie, für wen dieses Buch gedacht ist!

Woran erkennt man erwachsene Hochbegabte?

1. An ihrem wachen Geist. Im Gespräch fallen sie auf mit ihrem außergewöhnlich wachen Geist und einer wahren Fülle an Gedanken, Ideen und Assoziationen. Ihr Gehirn scheint sich in einem immerwährenden Prozess der intensiven Verarbeitung zu befinden. Oft sind sie sehr vielseitig interessiert. Sie erkennen Zusammenhänge schnell und entwickeln unkonventionelle Lösungen. Man erfährt vielleicht sogar, dass sie früher einmal Klassenbeste waren oder dass ihnen gleich mehrere Fremdsprachen „so zugeflogen“ sind, dass sie schon einmal ein Stipendium erhalten haben oder ihnen die Promotion angeboten worden ist, vielleicht haben sie sich auch autodidaktisch ein virtuoses Klavierspiel angeeignet oder einen Kunst- oder Gedichtwettbewerb gewonnen. Oder sie haben sich an nichts von alledem jemals herangewagt, das Leistungsdenken abgelehnt und sich für ganz andere Dinge im Leben interessiert. Manche, gerade Mädchen und Frauen, haben sich möglicherweise immer nur gewünscht, einfach „normal“ zu sein. Und doch blitzt auch bei ihnen hinter der zur Schau gestellten Durchschnittlichkeit immer wieder ein höchst gescheiter Verstand hervor. Zusammengefasst heißt das: Diese Menschen sind hochintelligent und in einem oder mehreren Bereichen außergewöhnlich begabt. Das würden sie von sich selbst aber meistens so nicht behaupten. Dafür sind sie viel zu perfektionistisch und selbstkritisch.

2. An der Erfahrung der „Nicht-Passung“. Häufig haben Hochbegabte schon in ihrer Kindheit oder Jugend erfahren, dass sie „anders als andere“ sind: dass sie mehr nachdenken, sich für andere Dinge interessieren, mehr wahrnehmen und offenbar auf Erlebtes mit intensiveren Gefühlen reagieren als die große Mehrheit Gleichaltriger. Auch als Erwachsene fühlen Hochbegabte sich mitunter unverstanden – und verstehen sich manchmal selbst nicht. Immer wieder scheinen sie „falsch“ zu sein, irgendwie nicht „reinzupassen“ mit ihren Ideen und komplizierten Fragen, mit ihrer Sensibilität und ihrer manchmal ungewöhnlichen Herangehensweise. Häufig wird in der Literatur zu Hochbegabung deshalb von der Erfahrung der „Nicht-Passung“ gesprochen (z. B. Stapf, 2010; Brackmann, 2012a).

3. An einer Tendenz zur Unangepasstheit. Insbesondere die kreativen und vielseitig interessierten Hochbegabten verspüren oft eine große Sehnsucht nach einem freieren, selbstbestimmteren Leben: Sie haben ihren eigenen Kopf, hinterfragen auch allgemein akzeptierte gesellschaftliche Normen oder sehen nicht ein, warum sie Leistungsanforderungen erfüllen sollen, die sie als unsinnig empfinden. Umso wichtiger sind vielen von ihnen Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Authentizität. Einerseits leiden sie also unter ihrer oben beschriebenen Nicht-Passung, andererseits ist ihnen jegliche Mainstream-Kultur zuwider. Sie mögen keine Oberflächlichkeit, keinen Small Talk, keine aufgesetzten Fassaden, sondern sind direkt und steigen schnell in tiefe Gespräche ein. Ob sie im Büro sitzen oder an der Staffelei stehen: Viele – nicht alle – Hochbegabte sind in ihrem Herzen Künstlerinnen, Idealisten, Philosophinnen, Weltverbesserer, Visionärinnen, Allroundtalente, Querdenkerinnen. Oft sind sie sympathisch und humorvoll, aber nicht selten zugleich unbequem und widersprüchlich.

Schlau, aber nicht clever? Die Zielgruppe dieses Buches

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es steht außer Frage, dass es viele hochbegabte Spezialisten oder Allroundtalente gibt, die ohne Probleme in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik oder Kultur ihre Verwirklichung finden. Sie brauchen weder eine besondere Beratung noch ein Berufsfindungsbuch.

Dieses Buch richtet sich aber an eine zweite Gruppe hochbegabter Menschen, die häufig durch die Raster der zumeist auf IQ-Diagnostik und Leistungsexzellenz abzielenden Hochbegabungsforschung fallen: hochintelligent, aber zu vielseitig interessiert, um sich zu spezialisieren, zu freiheitsliebend und unangepasst, um mit vorgegebenen Strukturen und Leistungsdruck klarzukommen, zu idealistisch, um ihre Werte für Profit zu verraten, zu unkonventionell und ihrer Zeit voraus, um verstanden zu werden, zu sensibel, unsicher und perfektionistisch, um an sich und einen eigenen, vielleicht sehr ungewöhnlichen Weg zu glauben. Was diese zweite Gruppe (oft unwissentlich) hochbegabter Menschen angeht, so ist ihr gemeinsamer Nenner die große Sehnsucht nach freiem, zeitlich oder inhaltlich selbstbestimmtem, ungestörtem Denken und Arbeiten. Das unerschütterliche Selbstvertrauen, um dieser Sehnsucht zu folgen, alle Hindernisse und vermeintlichen Zwänge zu überwinden und einen Berufsweg abseits der gesellschaftlich vorgezeichneten Normen und Wege zu gehen, muss man aber erst einmal in sich tragen! Und so landen viele dann doch in Arbeitssituationen, die ihrer Persönlichkeit zutiefst widersprechen und unter denen sie ernsthaft leiden.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Hochbegabte „von außen betrachtet“ ein glückliches und erfolgreiches Leben führen. Viele von ihnen sind verheiratet und haben Familie, viele haben studiert und sind berufstätig. Die äußere Stabilität, die (nicht immer, aber oft) vorhandene gesellschaftliche Anerkennung sagen jedoch nichts darüber aus, wie ein Mensch sich im Innern fühlt! Man muss nicht psychisch krank oder ein für alle offensichtlicher Außenseiter oder Minderleister sein, um das innere Gefühl des Sich-nicht-verstanden-Fühlens zu kennen und unglücklich hinter der eigenen Lebensvision zurückzubleiben. Was ihre Schulzeit angeht, hat mir interessanterweise die Mehrheit (!) meiner Interviewpartner berichtet, ein- oder mehrmals Klassensprecher oder Schulsprecherin gewesen zu sein. Die Tatsache, dass Mitschüler sie als charismatisch und kompetent erlebten, bedeutete aber nicht, dass sie selbst sich als gefestigt empfanden: „Ich hatte keinen Mangel an Kontakten, war auch gut in der Schule, innen aber immer ‚labil‘, psychisch angreifbar und manipulierbar“, so oder ähnlich fassten viele ihre Situation zusammen.

Dieser Widerspruch von äußerem Anschein und innerem Befinden spiegelt sich auch in der Diskussion rund um Hochbegabung wider: Aktuelle Studien kommen zu dem Schluss, dass die Mehrheit der Hochbegabten psychisch stabil, gesellschaftlich anerkannt und in Schule und Beruf erfolgreich sei. Lediglich rund 15 Prozent könnten als „Underachiever“ oder „Minderleister“ bezeichnet werden, also als Menschen, die deutlich unter ihren Möglichkeiten bleiben. Folglich wird bemängelt, Hochbegabung werde viel zu oft als ein „Problem“ gesehen, in Wahrheit sei sie ein reiner Vorteil (Rost, 2000). Wer wiederum weniger mit standardisierten Fragebögen und der Auswertung von Abschlusszeugnissen arbeitet, sondern ausführliche Fallstudien in seine Forschung mit einbezieht, kommt häufig zu einem anderen Schluss: So beziffert etwa Ellen Winner den Anteil der Underachiever auf ca. 50 Prozent (Winner, 2004), und Jürgen vom Scheidt geht davon aus, dass ungefähr ein Drittel der erwachsenen Hochbegabten zu den Underachievern gezählt werden könne, während ein weiteres Drittel aus „latenten Talenten“ bestehe, die zwar „normale“ Berufsbiografien aufweisen, aber längst nicht umsetzen, wovon sie eigentlich träumen (vom Scheidt, 2004).

Hochbegabung im Erwachsenenalter

Eine Flut immer neuer Ideen, unkonventionelle Lösungen, ein großes Freiheitsbedürfnis, überhöhte Ansprüche an sich selbst und häufige Selbstzweifel, aber auch eine besondere Sensibilität – es gibt viele Gründe, weshalb Begabte auch auf dem Berufsweg ins Straucheln geraten können.

Wenn man sich in Buchhandlungen und Bibliotheken umschaut, wird schnell klar: Es gibt inzwischen verhältnismäßig umfangreiche Forschungs- und Ratgeberliteratur zu kindlicher Hochbegabung. Als aber die heutigen Erwachsenen Kinder waren, war das Thema noch nicht aktuell, sodass die Mehrheit der vor 1980 geborenen Hochbegabten nie als besonders begabt identifiziert worden ist. Geht man davon aus, dass zwei bis drei Prozent der Bevölkerung hochbegabt sind, so trifft dies in einer Stadt von 100.000 Einwohnern auf mindestens 2000 Menschen unterschiedlichen Alters zu. Der Großteil der Erwachsenen unter ihnen ist sich aber der eigenen Hochbegabung selbst nicht bewusst! Viele dieser unwissentlich Hochbegabten hatten nicht das Glück, auf Mentoren zu stoßen, die an sie glaubten und sie bei der Entfaltung ihres Potenzials unterstützten. Und – wenig überraschend – scheinen diese Menschen sich besonders häufig beruflich unglücklich und fehl am Platze zu fühlen. Dies ist jedenfalls meine Erkenntnis aus vielen Gesprächen mit spät erkannten Hochbegabten, insbesondere mit vielen hochbegabten Frauen.

Umso wichtiger sollte es sein, Hochbegabungen im Erwachsenenalter zu entdecken und spät erkannte Hochbegabte zu fördern. Die Begabungsforschung und -förderung vernachlässigt diesen Bereich noch immer viel zu sehr. Meine „Berufungsberatung“ und andere – nur spärlich vorhandene! – Beratungsangebote für erwachsene Hochbegabte füllen hier eine echte Lücke. Die Ausgangssituationen und somit auch die Fragen und Anliegen, mit denen besonders begabte Menschen in meine Beratung kommen, sind dabei ganz unterschiedlich. Das Ziel – oder besser: die Sehnsucht – ist meiner Erfahrung nach jedoch immer, „endlich anzukommen“. Umso spannender ist die Frage, wie dies gelingen kann!

Hochbegabung und Berufsweg

Eine Antwort, die dieses Buch gibt, ist: Indem Sie Ihr Potenzial, Ihre Begabung, vielleicht sogar eine unwissentliche „Hochbegabung“ zunächst einmal erkennen und anerkennen!

Nicht selten ist es gerade die späte Erkenntnis, hochbegabt zu sein, die Erwachsenen den Anstoß gibt und Ermutigung schenkt, um sich von verinnerlichten, aber für die eigene Persönlichkeit unpassenden Erwartungen zu befreien, das eigene Potenzial zu entfalten und auch beruflich neue Wege zu gehen.

In diesem Buch für hochbegabte Erwachsene liegt der Fokus deshalb auf den Auswirkungen besonderer Begabung auf den Berufsweg.

Denn das Interessante ist: Es gibt immer wieder auftauchende, geradezu typische Schwierigkeiten in den Berufs- und Bildungsbiografien (unwissentlich) hochbegabter Menschen. Diese „Stolpersteine für Begabte“ habe ich genauer unter die Lupe genommen und sie zum Thema meiner Vorträge gemacht: Die Resonanz war überwältigend und bewegend. Der Wiedererkennungseffekt bei den Zuhörern und Zuhörerinnen führt oft zu Tränen der Betroffenheit – und der Befreiung.

In den Kapiteln 2 bis 6 folgt deshalb eine Darstellung der typischen Stolpersteine für Begabte, aber auch der Grundsteine, die es Ihnen ermöglichen, (endlich) einen (Berufs-)Weg im Einklang mit sich selbst zu gehen. Jedes dieser Kapitel schließt einen Praxisteil mit Fragen und praktischen Übungen ein, die Ihnen dabei helfen können, aus neuen Erkenntnissen tatsächliche Veränderungen werden zu lassen.

Es gibt – auch und gerade für Hochbegabte – kein Patentrezept, wie sich der jeweils passende Berufsweg finden lässt. Deshalb biete ich Ihnen hier keine akribisch zu befolgende Schritt-für-Schritt-Anleitung zu Ihrem „Traumjob“, sondern möchte Sie dazu anregen, Ihren ganz persönlichen Weg und Ihre ganz eigenen Lösungen zu finden. Der Schlüssel zu mehr Erfüllung und Zufriedenheit im Job sind Sie selbst. Also geht es hier vor allem um einen Prozess der Selbsterkenntnis und der inneren Befreiung. Sie werden mithilfe dieses Buches beginnen, sich selbst in einem anderen, freundlicheren Licht zu sehen und zugleich herausfinden, an welchen Stellen Sie sich selbst im Wege stehen. Anschauliche Beispiele können Sie inspirieren und dazu ermutigen, Ihre persönlichen Stolpersteine hinter sich zu lassen, den Mut für klare Entscheidungen zu finden und entschlossen an der Verwirklichung Ihrer Wünsche zu arbeiten.

Das Ziel ist hierbei nicht, Sie zu Höchstleistungen anzuspornen und auch ja kein Quäntchen Ihres kostbaren Potenzials zu vergeuden. Nicht jedes Potenzial, nicht jede Begabung muss auch gelebt werden. Manchmal kann es für Hochbegabte sogar wichtig sein, sich genau von einer solchen – verinnerlichten oder von außen an sie gerichteten – Erwartungshaltung zu befreien. Wenn aber eine Begabung gelebt werden will und dies über Jahre oder Jahrzehnte nicht darf, kann es zu Störungen kommen. Depressionen, Burnout, wiederholte Beziehungs- und Lebenskrisen stehen, so ist zu vermuten, auch und gerade bei hochbegabten Menschen in engem Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit, die dem eigenen Wesen widerspricht und von der eigentlichen „Berufung“ abhält.

Umgekehrt kann ein Wendepunkt, der dazu führt, dass jemand nach langem Suchen mit einer Tätigkeit glücklich ist, ungeahnt positive Auswirkungen auf die gesamte Lebenszufriedenheit haben.

Ein Erfolg ist Ihr Berufsfindungsprozess dann, wenn Sie spüren, dass Sie Ihren Platz gefunden haben und mit dem, was Sie tun, glücklich sind. Vielleicht steht für Sie ein beruflicher Neuanfang an, vielleicht geht es auch eher um Veränderungen in Ihrem bestehenden Job oder um die Möglichkeit, in Ihrer Freizeit neue Projekte zu entwickeln.

Ich wünsche Ihnen, dass dieses Buch Sie inspiriert und Ihnen die Augen öffnen kann, um den Wert Ihres „Andersseins“ zu erkennen und schätzen zu lernen – und um Ihre Berufung zu leben!

Last not least: Dieses Buch richtet sich selbstverständlich an Frauen und Männer. Wo ich die weibliche Form verwandt habe, dürfen sich auch Männer angesprochen fühlen – und umgekehrt dürfen auch Frauen sich dort wiederfinden, wo ich die männliche Form gewählt habe.

1. Hochbegabung: Mythos und Wirklichkeit

Hochbegabung ist ein komplexes Thema, um das viel gestritten wird. Was genau ist mit Hochbegabung gemeint? Wie entsteht sie und woran zeigt sie sich? Wie wird Hochbegabung speziell in diesem Buch verstanden? Wieso wird sie oft in einem Atemzug mit dem Phänomen der Hochsensibilität genannt? Wie kann eine Hochbegabung festgestellt werden, und welchen Sinn macht es überhaupt, Menschen das Etikett „hochbegabt“ zu verleihen?

Mit Mut zur Lücke möchte ich in diesem Kapitel den Versuch unternehmen, zumindest die wichtigsten Fragen auch für bisher nicht mit dem Thema Vertraute in Grundzügen zu beantworten. Dabei schwingt insbesondere die Frage mit: Welche Bedeutung kann eine erst im Erwachsenenalter entdeckte Hochbegabung für die Entfaltung des eigenen Potenzials und für den weiteren Berufsweg haben? Wenn Sie noch unsicher sind, ob Sie persönlich hochbegabt sind, können Sie anhand der Checkliste in diesem Kapitel mehr Klarheit für sich gewinnen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Mein Anliegen ist keinesfalls, Menschen einzureden, sie seien hochbegabt. Ich halte es für sinnlos, unbedingt als hochbegabt gelten zu wollen: Hochbegabte sind weder bessere noch glücklichere Menschen als „Normalbegabte“.

Für jene Menschen, die in ihrem Denken, ihrer Wahrnehmung und ihrem Empfinden durch eine tatsächlich vorhandene Hochbegabung von der Norm abweichen, ist es aber wiederum oft sehr hilfreich, die eigene Hochbegabung – und sei es erst im Erwachsenenalter – zur Kenntnis zu nehmen. Eine spät erkannte Hochbegabung und auch Hochsensibilität kann für sie der rote Faden sein, der dem Leben rückblickend Plausibilität verleiht und viele bis dahin unerklärlich wirkende Besonderheiten in ein für die Betreffenden neues, positives Licht rückt. Denn wenn schon ein Etikett, dann ist Hochbegabung ja zumindest eine positive Schublade: Ein Potenzial und keine Krankheit oder Störung.

1.1 Was ist Hochbegabung und wie entsteht sie?

1.1.1 Assoziationen und Vorurteile rund um Hochbegabung

Welche Bilder entstehen in Ihrem Kopf, wenn Sie das Wort „Hochbegabung“ hören?

Einerseits ist da vielleicht die Faszination, die Wunderkinder und Genies auf uns ausüben. Man spricht oft mit Bewunderung von herausragenden Persönlichkeiten der Geschichte: Einige der berühmtesten sind z. B. das musikalische Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart, der brillante Forscher Albert Einstein, der geniale Maler Pablo Picasso oder das erstaunliche Allround-Talent Leonardo da Vinci. Sie, wie auch heute lebende berühmte Forscher oder Künstlerinnen, erleben wir als inspirierend. Aber in aller Regel kennen wir sie nicht persönlich, und sie sind für uns wenig greifbar.

Berichte, Kinofilme oder Romane über geniale Autisten oder Menschen mit ganz und gar herausragenden Begabungen führen leicht zu dem Missverständnis, Hochbegabung sei gleichzusetzen mit Genialität. Man denkt vielleicht an Leistungen, die an ein Wunder grenzen: ein fotografisches Gedächtnis, mit dem Menschen sich in Sekundenschnelle ganze Buchkapitel einprägen, Lesenlernen mit zwei Jahren, Universitätsstudium mit acht, Kopfrechnen in schwindelerregender Schnelligkeit und Komplexität … und richtig unheimlich wird es, wenn diese und weitere Begabungen parallel auftreten. Die eigenen Leistungen oder solche der eigenen Kinder, auf die man eigentlich gerade noch stolz war, erscheinen im Licht dieser unglaublichen Glanzleistungen plötzlich stümperhaft. Bei vielen Menschen weckt die Vorstellung von Hochbegabung, also von herausragenden Fähigkeiten und Denkgeschwindigkeiten, bei denen man unter Umständen nicht mithalten kann, ein unangenehmes Gefühl der eigenen geistigen Begrenztheit.

Vielleicht hat diese Verunsicherung gleichermaßen als Trost das Klischee von dünnen, blassen Kindern mit dicken Brillen hervorgebracht, die vor lauter Bücherstudium, „Jugend musiziert“- und „Jugend forscht“-Wettbewerben nie auf Bäume klettern, keine Freunde haben und allgemein ein eigentlich farblos-braves Leben führen. Wenn das Hochbegabung ist, dann ist man doch froh, wenn man selbst und die eigenen Kinder ein bisschen normaler sind!

Und so ist von der Bewunderung, die einem Picasso oder Mozart entgegengebracht wird, bei den alltäglichen Berührungspunkten mit dem Thema Hochbegabung meist nicht mehr viel zu spüren.

Die Förderung von begabten Kindern und Jugendlichen ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Pädagogik gerückt und stößt nicht immer auf Zustimmung: Viele Menschen betrachten Förderprogramme für begabte Schülerinnen und Schüler skeptisch. Stecken dahinter nicht vielleicht ehrgeizige Eltern und Lehrer, die sich mit ihren hochbegabten Sprösslingen oder Lieblingsschülern unbedingt in den Vordergrund spielen möchten? Sollten nicht lieber mehr Energie und pädagogische Kreativität darauf verwendet werden, die weniger Leistungsstarken zu unterstützen? Und wenn die Medien immer mal wieder berichten, dass viele Hochbegabte mit unserem Schulsystem nicht zurechtkommen und zu Klassenclowns oder Schulversagern werden … Wird Hochbegabung da nicht dramatisiert und als Entschuldigung für schlecht erzogene, verwöhnte Kinder und Jugendliche missbraucht?

Während in den USA und allgemein im angelsächsischen Raum weitgehend positiv über „giftedness“ gesprochen wird und es alles andere als eine Schande ist, ein Studium mit Auszeichnung abzuschließen oder ein Stipendium zu ergattern, scheint es uns Deutschen vor dem Hintergrund unserer Geschichte bis heute schwerzufallen, ein entspanntes Verhältnis zum „Elitären“ zu finden. Viele hochbegabte Schüler und Studentinnen verschweigen gegenüber Gleichaltrigen ihre exzellenten Noten, und Promovierte berichten mir öfter, dass es ihnen peinlich ist, mit „Doktor“ angesprochen zu werden. Eine Interviewpartnerin, die in der damaligen DDR aufgewachsen ist, schrieb:

„Weil die DDR ein Arbeiter- und Bauernstaat war, wurden Angehörige der sogenannten ‚Intelligenz‘ (und ihre Kinder) kritisch gesehen, und eigentlich sollten nur Arbeiter- und Bauernkinder gefördert werden (Zugang zum Abitur usw.). Meine Eltern waren Akademiker und gute Schulleistungen fielen mir fast mühelos zu, deshalb fühlte ich mich seltsam ‚anders‘ und hatte ein schlechtes Gewissen denen gegenüber, bei denen das nicht so war.“

Auch in den westlichen Bundesländern kennen viele Hochbegabte die Erfahrung, für gute Leistungen belächelt oder gehänselt zu werden. So berichtete mir eine andere Interviewpartnerin:

„Ich denke unheimlich schnell und kann auch sehr schnell lesen und überhaupt Dinge visuell erfassen. Mein Allgemeinwissen übertraf fast immer das anderer Menschen, mit denen ich zu tun hatte. All das hat mich auch oft einsam gemacht. Man ist nicht sehr beliebt, wenn man immer alles besser kann und weiß, das ist meine Wahrnehmung. Und wenn man einfach anders ist. Darum habe ich mich oft zurückgenommen und versucht, meine Fähigkeiten unter den Teppich zu kehren.“

Bei all diesen Vorbehalten und Klischees gegenüber Hochbegabung und Hochbegabten lohnt es sich, einigen Fragen auf den Grund zu gehen. Heißt Hochbegabung denn überhaupt, wahnwitzige Wunderleistungen zu vollbringen? Ist ein hochbegabtes Kind automatisch ein unsportlicher Außenseitertyp und als Erwachsener dann ein zerstreuter Professor oder ein wunderlicher, linkischer, sozial gestörter Freak – so wie etwa Sheldon Cooper in der beliebten amerikanischen Comedy-Serie The Big Bang Theory?

Die Antwort heißt – wenig überraschend: Nein. Es gibt ganz verschiedene Bereiche, in denen ein Mensch besonders begabt sein kann. Manche sind relativ gut messbar, andere weniger gut bis überhaupt nicht. Die Spannbreite zwischen „deutlich überdurchschnittlich“ und „an ein Wunder grenzend“ ist außerdem groß. In der Sprache der Intelligenzquotienten bedeutet dies, dass zwischen einem IQ von 130 (gilt als hochbegabt) und einem IQ von 160 oder mehr (einer extrem seltenen Höchstbegabung) noch einmal ganze Welten liegen können.

Es sind also längst nicht alle Hochbegabten regelrechte Genies oder wunderliche Freaks. Aber auch die „ganz normal Hochbegabten“ (so nennt Andrea Brackmann sie in ihrem Buch [2012b]) unterscheiden sich in ihrer Begabung deutlich vom überwiegenden Teil ihrer Mitmenschen und bewegen sich mit ihren Interessen und ihrem Verhalten häufig außerhalb des Mainstream.

Sie selbst, liebe Leserin und lieber Leser, können also durchaus hochbegabt sein, ohne nachvollziehen zu können, wie der mehrfache Weltmeister im Kopfrechnen, Gert Mittring, innerhalb von Sekunden die 137. Wurzel aus einer tausendstelligen Zahl ziehen kann. Weder Kindern noch Erwachsenen ist eine Hochbegabung rein äußerlich anzusehen. Und selbstverständlich werden zwei Menschen nicht automatisch auf einer Wellenlänge sein und sich charakterlich ähneln, nur weil sie beide hochbegabt sind. Was Hochbegabte aber teilen, ist die Erfahrung, mit ihrem Denken und Wahrnehmen deutlich abseits der Norm zu liegen. Problematisch wird es, wenn dieses Anderssein dauerhaft als persönliche Unzulänglichkeit interpretiert wird. Genau dies kann jedoch leicht geschehen, wenn Menschen sich ihrer Hochbegabung nicht bewusst sind und sich jahrelang vergeblich bemühen, so zu sein und so zu „funktionieren“ wie die Mehrheit der Menschen um sie herum.

 EXKURS

Begabung ist nicht alles

Nicht nur der Begriff Hochbegabung, auch schon das Wort Begabung löst unterschiedliche Assoziationen und Gefühle aus. „Begabung ist doch nicht alles“, sagen Kritiker der Hochbegabungs-Diskussion und sprechen zum Beispiel vom „Mythos Begabung“ (Stedtnitz, 2008).

Und ihre Kritik ist ja durchaus berechtigt: Es macht uns Menschen aus, dass wir alle, unabhängig von der messbaren Intelligenz, Fähigkeiten mitbringen und diese in unserem Leben unter günstigen Bedingungen ausbauen und weitere Kenntnisse erwerben können. Dieses Wissen und diese Fähigkeiten lassen sich für Tätigkeiten nutzen, die uns liegen und in denen wir produktiv und kreativ sind.

Das Wort „Begabung“ dagegen klingt eher starr: Man hat sie oder hat sie nicht, sie ist einem „gegeben“ oder eben nicht. Auch wenn es sicher zutrifft, dass sich das Potenzial, das Menschen von Geburt an mitbringen, unterscheidet: In Wirklichkeit sind weder Intelligenz noch Begabungen oder Fähigkeiten starr und unbeweglich, sondern in höchstem Maße beeinfluss- und entwickelbar. Viele Faktoren – die eigenen Eltern, die Erfahrungen in der Schule, das Erkennen einer Begabung durch andere Menschen, die vorhandene oder fehlende Ermutigung und individuelle Förderung sowie persönliche Charaktereigenschaften – beeinflussen, wie erfolgreich ein Mensch das eigene Potenzial einsetzen und ausbauen kann. Wir können unser Potenzial entfalten oder es brach liegen lassen. Je früher wir mit der Entfaltung beginnen, desto mehr können sich unsere Fähigkeiten entwickeln und steigern. Aber auch im fortgeschrittenen Erwachsenenalter ist es noch möglich, bis dahin ungenutztes Potenzial zu entfalten und zur Gestaltung eines erfüllenden Lebens einzusetzen. Nutzen wir unser Potenzial wiederum dauerhaft nicht, kann es verkümmern und mehr und mehr in Vergessenheit geraten.

Dies bedeutet: Es macht wenig Sinn, sich mit Selbstgefälligkeit oder Überheblichkeit auf einem hohen IQ oder dem Etikett „Hochbegabung“ auszuruhen. Es geht eben nicht um eine Wertung im Sinne von: begabt = besser, bewundernswerter, bedeutsamer, erfolgreicher.

Und was ist überhaupt Erfolg? Die übliche Annahme, dass ein erfolgreiches Leben mit besonderen Leistungen und beruflichem Erfolg einhergeht, sollte durchaus hinterfragt werden. Viele hochbegabte Klienten berichten mir, dass sie trotz Spitzenleistungen und Karriere eben nicht glücklich sind. Erfolgreich scheint mir eher zu sein, wer sein menschliches Potenzial leben kann. So verstanden kann Erfolg bedeuten, im Einklang mit der eigenen Persönlichkeit und mit eigenen Werten zu leben, sich für seine Ideale zu engagieren und Tätigkeiten – ob bezahlt oder unbezahlt – nachzugehen, die man als erfüllend erlebt. Ebenso können geglückte Beziehungen zu anderen Menschen (Partnerschaft, Familie, Freundschaften) als Erfolg empfunden werden. Auch dabei ist der IQ von eher nachgeordneter Bedeutung.

1.1.2 Wie Hochbegabung in diesem Buch verstanden wird

Der Begriff „Hochbegabung“ ist nicht allgemeingültig definiert. Einige Wissenschaftler verstehen Hochbegabung eher als Potenzial (z. B. durch eine hohe Intelligenz gegeben) und andere Experten gehen nur dann von einer Hochbegabung aus, wenn eine außergewöhnliche sichtbare Leistung erbracht worden ist. Es gibt heute viele unterschiedliche Auffassungen dazu, was Hochbegabung sei – und nicht jede dieser Definitionen stellt die messbare Intelligenz in den Mittelpunkt. So können beispielsweise auch sportliche oder musisch-künstlerische Hochleistungen zur Vermutung einer Hoch- oder Teilbegabung führen, ohne dass deshalb eine außerordentliche Intelligenz beobachtet worden sein muss. Meistens wird Hochbegabung jedoch als ein Phänomen verstanden, das im Kern einer „Hochintelligenz“ entspricht (Fleiß, 2003, S. 47ff).

Am häufigsten wird „Hochbegabung“ gleichgesetzt mit einem durch Tests ermittelten Intelligenzquotienten (IQ) von 130 oder mehr – und da nur zwei bis drei Prozent der Absolventen eines IQ Tests ein solches Ergebnis erreichen, gilt nur ein entsprechend geringer Prozentsatz der Bevölkerung als hochbegabt.

Ganz bewusst habe ich mich von einer ausschließlich auf IQ-Testergebnisse gestützten Definition von Hochbegabung entfernt. Ich vergleiche IQ-Tests gern mit Schulnoten: Mit wenig Aufwand (!) erzielte sehr gute Zeugnisse sind sicher ein Indiz für eine hohe Intelligenz, und so ist auch ein getesteter IQ von 130 oder mehr ein deutliches Zeichen für eine Hochbegabung. Umgekehrt beweisen aber weder schlechte Schulnoten noch ein weniger hohes IQ-Test-Ergebnis eine geringere Intelligenz! Von der Tagesform über Prüfungsangst, Leistungsverweigerung oder Lernschwächen in Teilbereichen gibt es viele Faktoren, die den festgestellten Gesamt-IQ senken können. (Auf die Vor- und Nachteile von IQ-Messungen gehe ich in Abschnitt 1.2.2 noch näher ein.)

Weder am IQ noch an herausragenden Leistungen eines Menschen lässt sich also wirklich zuverlässig ablesen, wie „intelligent“ oder „begabt“ er ist, zumal auch Intelligenz und Begabung sich kaum allgemeingültig definieren lassen. Die Grenzen zwischen sogenannter Normal- und Hoch- oder Höchstbegabung sind fließend, und es wird Menschen in ihrer Komplexität nicht gerecht, sie unterhalb und oberhalb eines willkürlichen Punktes in normalbegabt und hochbegabt zu unterteilen, erst recht nicht, da es doch auch innerhalb der Gruppe der so bezeichneten Hochbegabten noch riesige Intelligenzunterschiede gibt.

Trotz aller berechtigten Kritik an Definitions- und Messversuchen einer Hochbegabung ist für mich nicht zu bestreiten, dass es Menschen gibt, die schon vom Säuglingsalter an einen besonders wachen Geist erkennen lassen und eine besonders rasche Entwicklung durchlaufen – was dafür spricht, dass sie bereits von Anfang an auffällige kognitive Fähigkeiten mitbringen. Es fällt den betreffenden Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen außergewöhnlich leicht, etwas schnell zu verstehen oder zu lernen und eigenständig Schlüsse zu ziehen bzw. sich kreative Lösungen zu überlegen. Dass sie offenbar schneller, tiefer und weiterführender denken als der Großteil der Bevölkerung, wird an vielen kleinen oder großen Auffälligkeiten deutlich. Zumindest bei den ganz offensichtlichen Genies, die zu fast unmöglich erscheinenden geistigen Leistungen fähig sind, ist unübersehbar, dass es so etwas wie „Hochbegabung“ geben muss.

Welches Verständnis von Hochbegabung liegt nun aber diesem Buch zugrunde?

In diesem Buch wird Hochbegabung als ein außergewöhnliches Potenzial verstanden, das sich oft, aber eben nicht immer, in besonderen Leistungen zeigt. Ich schließe mich im Wesentlichen der Hochbegabungs-Definition von Andrea Brackmann an:

„Eine Person gilt dann als intellektuell hochbegabt, wenn sie in einem oder mehreren Bereichen über geistige Fähigkeiten verfügt, die in ihrer Ausprägung extrem weit über dem Durchschnitt ihrer Altersgenossen liegen. Dies können sprachliche, naturwissenschaftliche, technische, musische, aber auch alltagspraktische und soziale Fähigkeiten sein.“

(Brackmann, 2012a, S. 18 f.)

Die außergewöhnlichen Fähigkeiten Hochbegabter können sich in verschiedener Weise zeigen: Hochbegabte verstehen in bestimmten Bereichen besonders schnell, mit besonderer Leichtigkeit oder aber besonderer „Tiefe“, worum es geht, erwerben leicht Wissen oder Fertigkeiten und setzen diese (nicht immer für andere sichtbar!) ein. Darüber hinaus, und das ist mir eine wichtige Ergänzung, haben sie die besondere Fähigkeit, wesentliche Zusammenhänge (oft auch in fachfremden Gebieten) schnell zu analysieren und zu durchschauen, und neigen dazu, auf Basis des Begriffenen weiterzudenken und zu eigenen Lösungen zu gelangen. Etwas geistig zu durchdringen und dann eigenständig weiterzuentwickeln ist wiederum ein Kennzeichen von Kreativität. Insofern verstehe ich Hochbegabung durchaus auch als ein im weitesten Sinne hohes kreatives Potenzial. (Weitere Kriterien, die für eine Hochbegabung sprechen können, finden Sie in der Checkliste in Abschnitt 1.3.2).

Nach meinem Verständnis von Hochbegabung sind sicher etwas mehr als nur die zwei bis drei Prozent der Menschen mit einem IQ über 130 als „hochbegabt“ zu sehen. Wer seinen IQ testen lässt und einige Punkte unter der magischen 130er-Grenze bleibt bzw. mit Teilbegabungen in einigen Bereichen die 130er-Marke überschreitet, weicht sicher trotzdem aufgrund der eigenen Begabung stark vom Durchschnitt und somit von der Norm ab. Manche Autorinnen gehen sogar von bis zu zehn Prozent Hochbegabten in der Bevölkerung aus (z. B. Trappmann-Korr, 2010), was ich wiederum für zu hoch gegriffen halte.

Ohne mich an genauen Prozentzahlen aufzuhalten, kann ich feststellen: Hochbegabung ist natürlicherweise ein Minderheits-Phänomen. Zugleich sprechen wir hier von einer äußerst heterogenen, in ihren Begabungen, ihren Eigenschaften und Lebensentwürfen unendlich vielfältigen Gruppe von Menschen. Das mathematische Superhirn, die begnadete Musikerin, der einfühlsam zwischen den Zeilen lesende Therapeut, die vorausschauende Managerin, der in sich ruhende Asket, die hochgebildete Intellektuelle, der mit seinen Händen geschickte Handwerker, die Künstlerin, der Verwaltungsangestellte, die sechsfache Mutter und Hausfrau, der langzeitarbeitslose Leistungsverweigerer, die mit sich und der Welt Zufriedene und der schwer Depressive: So unterschiedlich können Hochbegabte sein.

Auch meine Interviewpartner unterscheiden sich in ihren Begabungen und ihrer Selbstwahrnehmung. Viele sind sich durchaus über ihre Stärken klar, wie beispielsweise Robert, der in der medizinischen Forschung arbeitet und dabei häufig in Fremdsprachen kommuniziert:

„Ich lerne mit Leichtigkeit, wie Wörter geschrieben werden, im Deutschen genauso wie in Fremdsprachen. Ich benutze keine automatische Rechtschreibkorrektur und mache im Englischen sehr selten Fehler. Ich bin ein gefragter Korrekturleser! Vokabeln musste ich nie lernen. Um mir ein Wort zu merken, reicht es, wenn ich eine Worterklärung in der Fremdsprache lese. Überhaupt musste ich nie ‚pauken‘, sondern das einmal Verstandene war immer gleich gelernt. Ich kann gut logisch und analytisch denken. Deshalb fällt mir der Umgang mit Maschinen und Computern leicht. Ich sehe darin einen Zusammenhang mit meiner Sprachbegabung, in dem Sinne, dass der Umgang mit einer Maschine für mich wie ein Dialog mit dem Erfinder / Programmierer ist.“

Auf die Frage, ob er sich selbst für hochbegabt halte, antwortete Robert: „Ich weiß nicht, was eine Hochbegabung ausmacht und wie sie sich von einer ‚normalen‘ Begabung unterscheidet. Ich halte mich für intelligent und in mancher Hinsicht begabt, aber nicht für hochbegabt.“

Andere Befragte richten ihren Blick insgesamt eher auf das, was sie an sich selbst kritisch sehen. Annemarie, 48 Jahre alt, Psychotherapeutin und Reiseleiterin, hält sich manchmal für dumm:

„Dass mein IQ bei 145 liegt, konnte ich erst gar nicht glauben. Einerseits weiß ich, dass ich intelligent bin. In der Grundschule war ich die Klassenbeste. In den ersten Jahren auf dem Gymnasium hatte ich auch noch super Noten. Aber später lief es dann nicht mehr gut in der Schule. Und im Job habe ich mich dann oft regelrecht dumm gefühlt und lieber nicht den Mund aufgemacht. Ich kann mich nicht gut konzentrieren, bin sehr schnell abgelenkt, kann z. B. kaum ein Buch zu Ende lesen. Wenn mich etwas verunsichert, habe ich manchmal ein richtiges Blackout.“

Die 35-jährige Historikerin Melanie findet es schwer, lang genug bei einer Sache zu bleiben, um persönliche Erfolge damit zu erleben:

„Ich habe nur sehr wenigen erzählt, dass ich mich aktuell für das Thema Hochbegabung interessiere und diese Personen waren sofort fest davon überzeugt, dass dies auf mich zuträfe. Ich selbst hadere noch mit mir, da ich mich für erfolglos halte (denn Erfolg gehört für mich zur Hochbegabung dazu, wenn auch nicht zwingend monetärer oder gesellschaftlicher Erfolg). Bisher hat mich jeder Job und jede Ausbildung irgendwann gelangweilt. Mit Freundschaften und Beziehungen erlebe ich auch nicht viel Kontinuität. Ich glaube, ich bin, war und werde immer ambivalent, schnell begeistert, aber auch schnell gelangweilt sein. Daher verändern sich meine Ziele auch täglich.“

Mit diesem Buch wende ich mich vor allem an die vielseitig Interessierten, Suchenden und Zweifelnden unter den Hochbegabten – weniger an stark fokussierte Experten, die bereits mit Klarheit und Entschiedenheit ihren Weg gehen.

1.1.3 Wie kommt es zu einer Hochbegabung?

Bis heute ist wissenschaftlich nicht geklärt, wie es zu einer Hochbegabung kommt. Lange schon ist allerdings klar, dass sie zwar zum Teil genetisch veranlagt ist, aber auch Umwelteinflüsse eine wesentliche Rolle für die Entwicklung der Intelligenz spielen. Das soziale Umfeld kann einen förderlichen oder hemmenden Einfluss auf Persönlichkeitsmerkmale wie die eigene Motivation und Kreativität ausüben und damit wiederum die Entwicklung der Begabung beeinflussen. Unter günstigen Umständen kann das hohe Potenzial zu Höchstleistungen führen, was aber nicht immer der Fall ist. Es wird davon ausgegangen, dass eine Hochbegabung sich bereits in der Kindheit entwickelt. Grundsätzlich kommt Hochbegabung in allen Kulturen und allen Schichten vor.

Besonders spannend finde ich neuere Überlegungen und Forschungsansätze, die das Zusammenspiel von hoher Intelligenz und außergewöhnlicher Sensibilität bei der Entstehung einer Hochbegabung betrachten. Hochbegabung geht offenbar häufig mit einer gesteigerten Sensibilität bzw. Hochsensibilität einher. Hochsensible Menschen zeichnen sich durch eine besonders ausgeprägte Wahrnehmung von Sinneseindrücken und intensive Verarbeitung des Erlebten aus. Im Zusammenhang mit der noch jungen Forschung zum Phänomen der Hochsensibilität findet sich die Vermutung, dass es sich hierbei um eine hirnphysiologische Veranlagung in Form einer verringerten Filterung von Reizen handeln könnte. (Eine ausführliche Beschreibung von Hochsensibilität finden Sie im Abschnitt 1.4.) Andrea Brackmann bezieht sich in ihren Überlegungen zur Entstehung von Hochbegabung ebenfalls auf Ergebnisse der Hirnforschung, die darauf hinzudeuten scheinen, dass im Prinzip alle Menschen zu Spitzenleistungen fähig seien, dass aber diese Talente von einer gefilterten Art der Informationsverarbeitung überdeckt seien. Es müssten also bestimmte Denkprozesse ausgeschaltet werden, um auf verborgene Talente zugreifen zu können.

„Daraus ergibt sich die ein wenig verrückt klingende Schlussfolgerung, dass das Maß der (Hoch-)Begabung von der Schwäche des eigenen ‚Schutzfilters‘ abhängt. Der Mehrheit gelingt es, sich gegen die Fülle an Geräuschen, Musik, Lärm, Nachrichten und Informationen in der modernen Welt abzuschotten, unterschwellige soziale Signale, Gemütszustände und unangenehme Stimmungen anderer auszublenden und sich von eigenen Gefühlen, Sorgen, Ängsten, inneren Widersprüchen abzulenken.“

(Brackmann, 2012b, S. 157 f.)

Genau dies sei vielen Hochbegabten nicht möglich – was wiederum mit einer besonderen Lebensintensität verbunden sei, die zugleich bereichernd und belastend sein könne.

Der auf die Behandlung hochbegabter Erwachsener spezialisierte Facharzt und Psychotherapeut Dr. Till Mendler geht weniger davon aus, dass ein Schutzfilter vorhandene Talente „überdeckt“, sondern dass das Fehlen eines solchen Filters eher eine Voraussetzung zur Entwicklung außergewöhnlicher Talente bzw. einer intellektuellen Hochbegabung darstellen könnte: Eine gewisse angeborene „Filterschwäche“ oder auch „Reizoffenheit“ (diesen Begriff finde ich noch treffender und vor allem positiver), die zu einer erweiterten Wahrnehmung, also zu einem Mehr an Input führe, könnte bei Kindern mit angeborenem hohem kognitivem Potenzial quasi im Zuge eines Kompensationsversuchs zur Ausprägung einer Hochbegabung beitragen. Damit ist der folgende Kreislauf gemeint: Zunächst nimmt ein Kind im Vergleich zu den meisten Gleichaltrigen durch den verminderten Filter mehr Reize wahr und muss diese besonders intensiv auf sich wirken lassen. Um mit dem überbordenden Input umgehen zu können und nicht mit Stress auf diesen Reizüberfluss zu reagieren, versucht das Gehirn von Anfang an, die vielen gleichzeitigen und intensiven Reize möglichst schnell und effektiv zu verarbeiten. Dies wiederum kann bei einer entsprechenden kognitiven Disposition zu einer Beschleunigung der Reifung und intensiveren Vernetzung des Gehirns führen und die geistige Leistungsfähigkeit weiter erhöhen. Eine erhöhte geistige Aktivität führt dann durch die verarbeitungsbedingte höhere Sensitivierung des Gehirns für die Wahrnehmung von Reizen zu einer weiteren Steigerung des Inputs. Diese höhere Empfindlichkeit schließt auch die Innenwahrnehmung mit ein, was zu einer höheren emotionalen Schwingungsfähigkeit oder aber Erregbarkeit führen kann – womit der Kreislauf neu beginn („Plötzlich begabt“, Vortrag von Dr. Till Mendler auf Einladung der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind, DGhK, am 26.09.2012). Dieses Modell würde auch erklären, wieso Hochbegabung und Hochsensibilität so oft gemeinsam auftreten. Es gibt zwar offenbar mehr hochsensible als hochbegabte Menschen, aber die meisten Hochbegabten scheinen zugleich hochsensibel zu sein.

 BEISPIEL

Kopfrechnen als Kompensation?

„die Welt der Zahlen immer mehr mein Refugium, eine Art Heimat“