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E-Books im Reese Verlag (Auswahl):

 

Voltaire

 

Die Prinzessin von Babylon

 

Aus dem Französischen von Johannes Schlaf

 

Reese Verlag

 

 

Herausgegeben von Lothar Reese

I

 

Der alte Belus, König von Babylon, hielt sich für den höchsten aller Menschen; denn all seine Höflinge sagten, seine Historiographen bewiesen es ihm. Was dieser Wunderlichkeit zur Entschuldigung gereichen mochte, war der Umstand, daß ja tatsächlich dreißigtausend Jahre vor ihm seine Vorfahren Babylon erbaut hatten und daß es von ihm mit Prachtbauten verschönert worden war. Es ist bekannt, daß sein einige Parasangen von Babylon entfernter Palast und dessen Parkanlagen sich zwischen dem Euphrat und Tigris erstreckten, welche jene bezaubernden Ufer bespülten. Das ungeheuere Bauwerk erhob sich mit seiner dreitausend Schritte langen Front bis zu den Wolken empor. Die Plattform wurde von einer fünfzig Fuß hohen Balustrade aus weißem Marmor umgeben, auf welcher die Riesenstatuen aller Könige und großen Männer des Reiches standen. Sie hatte von einem Ende bis zum anderen zwei aus Backsteinen erbaute Reihen und war zwölf Fuß hoch mit Erdreich bedeckt, die Backsteinreihen aber waren dick mit Blei überzogen. In das Erdreich aber waren Wälder von Oliven-, Orangen-, Zitronenbäumen, Palmen, Gewürznelkenbäumen, Kokos- und Zimmetbäumen gepflanzt worden, die für die Sonnenstrahlen undurchdringliche Alleen bildeten.

Das Euphratwasser wurde in hundert hohlen Pfeilern aufwärtsgepumpt und füllte in diesen Gartenanlagen gewaltige Marmorbecken, um dann in anderen Kanälen gleich wieder abzustürzen und im Park sechstausend Fuß lange Wasserfälle zu bilden und hunderttausend unübersehbar hohe Springbrunnenstrahlen. Die Gärten der Semiramis, die mehrere Jahrhunderte später Asien in Erstaunen versetzten, bedeuteten nur eine schwache Nachahmung dieser alten Wunderwerke; denn zu Semiramis’ Zeiten fingen Männer und Weiber bereits an aus der Art zu schlagen.

Doch das Bewunderungswürdigste, was es in Babylon gab und alles andere in Schatten stellte, war des Königs einzige Tochter, die Formosante hieß. Nach ihren Bildnissen und Statuen meißelte in der Folge der Jahrhunderte später Praxiteles seine Aphrodite, jene, die Venus Kallipygos genannt wird. Aber, o Gott, was für ein Unterschied zwischen dem Urbild und jenen Nachahmungen! So war denn Belus auch stolzer auf seine Tochter als auf sein Königreich. Sie war achtzehn Jahre alt, und es war an der Zeit, daß sie einen ihrer würdigen Gemahl erhielt; doch wo ihn finden? Ein altes Orakel hatte vorgeschrieben, daß Formosante einzig dem angehören dürfe, der den Bogen des Nimrod spannte. Dieser Nimrod, der gewaltigste Jäger vor dem Herrn, hatte einen sieben babylonische Fuß hohen Bogen hinterlassen, dessen Ebenholz härter war als das Eisen des Kaukasus, das in den Hochöfen von Derbent verarbeitet wird; und kein Sterblicher hatte nach Nimrod dies Wunder von Bogen spannen können.

Ferner hieß es, daß der Arm, der diesen Bogen gespannt haben würde, auch den furchtbarsten und gefährlichsten Löwen töten müßte, der je im Zirkus von Babylon losgelassen worden wäre. Und das war noch nicht alles. Der Spanner des Bogens, Obsieger des Löwen, mußte alle seine Nebenbuhler zur Strecke bringen; besonders aber mußte er auch viel Geist haben, der ausgezeichnetste aller Menschen sein und der tugendreichste, zudem im Besitz des seltensten Dinges stehen, das es in der Welt gab.

Drei Könige traten auf, die es wagten, sich Formosante streitig zu machen: der Pharao von Ägypten, der Schah von Indien und der Großkhan der Skythen. Belus setzte den Tag fest und in dem weiten, von den Fluten des Euphrat und des Tigris dort, wo beide sich vereinigten, eingeschlossenen Gebiet, am äußersten Ende des Parkes, auch Ort und Stelle. Rings um den Kampfplatz wurde ein Amphitheater aus Marmor errichtet, das fünfhunderttausend Zuschauer faßte. Dem Amphitheater gegenüber befand sich der Thron des Königs, der, gefolgt vom Hofstaat, mit Formosante erscheinen würde; zur Rechten und zur Linken, zwischen Thron und Amphitheater, befanden sich andere Throne und Sitze für die drei Könige und alle übrigen Herrscher, welche die Neugier auf diese majestätische Veranstaltung herbeiführen würde.

Als erster traf auf dem Apisstier, die Isisklapper in der Hand, gefolgt von zweitausend in Leinwandgewänder, die weißer als Schnee waren, gehüllten Priestern, zweitausend Eunuchen, zweitausend Magiern und zweitausend Kriegern der König von Ägypten ein. Bald darauf kam auch auf einem von zwölf Elefanten gezogenen Wagen der König von Indien. Er hatte ein noch zahlreicheres und glänzenderes Gefolge als der König von Ägypten.

Als letzter erschien der König der Skythen. Er hatte bloß auserlesene, mit Pfeil und Bogen bewaffnete Krieger bei sich. Sein Reittier war ein herrlicher Tiger, den er gezähmt hatte und der so hoch war wie die schönsten persischen Rosse. Die gewaltige, majestätische Gestalt dieses Herrschers stellte seine Nebenbuhler in Schatten; so nervig wie weiß, schienen seine nackten Arme bereits den Bogen des Nimrod zu spannen.

Die drei Fürsten warfen sich zunächst vor Belus und Formosante nieder. Der König von Ägypten bot der Prinzessin die zwei schönsten Nilkrokodile, zwei Nilpferde, zwei Zebras, zwei ägyptische Ratten und zwei Mumien und Bücher des großen Hermes dar, die er für das Seltenste hielt, was es auf Erden gab. - Der König von Indien bot ihr hundert Elefanten zum Geschenk dar, von denen jeder einen Turm aus vergoldetem Holz trug, und legte ihr die von Xaca eigenhändig geschriebenen Veden zu Füßen.

Der König der Skythen, der weder lesen noch schreiben konnte, bot hundert Schlachtrosse, die Decken aus schwarzem Fuchsfell trugen. - Die Prinzessin schlug vor ihren Verehrern die Augen nieder und verneigte sich mit soviel Anmut, wie Bescheidenheit und edlem Anstand.

Belus ließ die Herrscher zu den für sie bereiteten Thronen geleiten. »Warum hab’ ich nicht drei Töchter?« wandte er sich zu ihnen. »Ich würde heute sechs Personen glücklich machen.« Dann ließ er auslosen, wer von ihnen sich als erster an dem Bogen des Nimrod versuchen sollte. Die Namen der drei Bewerber wurden in einen Goldhelm getan. Der des Königs von Ägypten sprang als erster heraus; dann kam der des Königs von Indien zum Vorschein. Den Skythenkönig leidete es, als er den Bogen und seine Nebenbuhler sah, nicht, der dritte zu sein.

Während man die glänzenden Proben vorbereitete, teilten zwanzigtausend Edelknaben und zwanzigtausend junge Mädchen in der besten Ordnung zwischen den Sitzreihen hin an die Zuschauer Erfrischungen aus. Alle Welt hätte zugestehen können, daß die Götter die Könige zu keinem anderen Zweck eingesetzt hätten, als alle Tage, natürlich möglichst abwechslungsreiche, Feste zu geben; daß das Leben zu kurz sei, um es auf eine andere Weise hinzubringen; daß Prozeßstreitigkeiten, Intriguen, der Krieg, die Dispute der Priester, unter denen das menschliche Leben so dahingeht, abgeschmackte und abscheuliche Dinge seien; daß der Mensch einzig zur Freude geboren sei; daß er die Vergnügungen nicht mit so anhaltender Leidenschaftlichkeit lieben würde, wenn er nicht für sie geschaffen wäre; daß es das Wesen der menschlichen Natur sei, sich zu ergötzen, und daß alles übrige Torheit sei. Diese vortreffliche Moral ist ja auch niemals durch etwas anderes Lügen gestraft worden als durch die Tatsachen.

Als man eben daranging, mit den Proben zu beginnen, die das Schicksal Formosantes entscheiden sollten, zeigte sich, auf einem Einhorn, in Begleitung eines in gleicher Weise berittenen Dieners, und auf der Faust einen mächtigen Vogel, an der Schranke ein junger Unbekannter. Die Wächter staunten, als sie in solchem Aufzug ein Antlitz erblickten, das wie das eines Gottes war. Es war, wie man später sagte, wie das Gesicht eines Adonis auf dem Körper eines Herkules: mit Anmut vereinte Majestät. Seine schwarzen Brauen zu langen, blonden Haaren, eine in Babylon unbekannte Mischung von Schönheit, bezauberten die Versammlung; um ihn besser sehen zu können, erhob sich das ganze Amphitheater; sämtliche Frauen des Hofes hefteten erstaunte Blicke auf ihn. Selbst Formosante erhob die sonst stets gesenkten Augen und errötete; die drei Könige aber erblaßten. Indem sie Formosante mit dem Unbekannten verglichen, riefen alle Zuschauer: »In aller Welt gibt’s nur diesen jungen Mann, der so schön ist wie die Prinzessin!«

Von Erstaunen ergriffen, fragten ihn die Wächter, ob er ein König wäre. Der Fremde erwiderte, daß er nicht diese Ehre hätte, daß er aber von sehr weit hergekommen sei, aus Neugier, zu sehen, ob es Könige gäbe, die Formosantes würdig seien. Man führte ihn mit seinem Diener, seinen beiden Einhörnern und seinem Vogel zum ersten Rang des Amphitheaters hin. Mit tiefem Gruß verneigte er sich vor Belus, seiner Tochter, den drei Königen und der ganzen Versammlung, darauf nahm er errötend Platz. Seine beiden Einhörner legten sich ihm zu Füßen, sein Vogel aber setzte sich ihm auf die Schulter, und sein Diener, der einen kleinen Sack trug, ließ sich ihm zur Seite nieder.

Die Proben begannen. Man entnahm seiner goldenen Hülle den Bogen des Nimrod. Von fünfzig Edelknaben gefolgt und unter Vorantritt von zwanzig Trompetern bot der Oberzeremonienmeister ihn dem König von Ägypten dar, der ihn von seinen Priestern segnen ließ und, nachdem er ihn auf das Haupt seines Apisstieres gelegt hatte, nicht zweifelte, daß er diesen ersten Sieg davontragen werde. Er stieg in die Mitte der Arena hinab, versuchte sich, erschöpfte unter Verrenkungen, die das ganze Amphitheater lachen machten, und selbst Formosante ein Lächeln abnötigten, seine Kräfte.

Sein Oberalmosenpfleger trat an ihn heran. »Leisten Ew. Majestät doch«, sagte er, »auf diese nichtige Ehre Verzicht, bei welcher es ja bloß auf Muskeln und Nerven ankommt: in allen übrigen Punkten werden Sie den Sieg davontragen. Den Löwen werden Sie besiegen, da Sie ja das Schwert des Osiris haben. Die Prinzessin von Babylon soll dem Fürsten gehören, der den meisten Geist besitzt, und Sie haben die schwierigsten Rätsel gelöst; sie soll den Tugendhaftesten zum Gemahl erhalten: Sie sind es, da Sie ja von den Priestern Ägyptens erzogen wurden; der Freigebigste soll sie gewinnen: Sie haben ihr die zwei schönsten Krokodile und Ratten, die es jemals im Delta gegeben hat, zum Geschenk gebracht; Sie besitzen außerdem den Apisstier und die Hermesbücher, die die seltensten Dinge der Welt sind. Niemand kann Ihnen Formosante streitig machen.« - »Sie haben recht«, sagte der König von Ägypten und begab sich wieder auf seinen Thron. - Der Bogen wurde dem König von Indien überreicht. Er trug von der Anstrengung Blasen für vierzehn Tage davon und tröstete sich mit der Vermutung, daß es dem König der Skythen um nichts besser glücken werde.

Auch der Skythe ergriff den Bogen. Er zeigte so viel Geschicklichkeit wie Kraft; der Bogen schien unter seinen Händen auch elastisch zu werden; er brachte es dahin, daß er sich ein wenig bog; doch unmöglich ward es ihm, ihn zu spannen. Das Amphitheater, das sich von dem angenehmen Eindruck, den dieser Fürst bot, günstig gestimmt fühlte, bedauerte, daß er so wenig Erfolg hatte und war der Ansicht, daß die schöne Prinzessin nie einen Mann bekommen würde.

Allein da schwang sich der junge Mann mit einem Satz in die Arena und sagte zum König der Skythen gewandt: »Majestät dürfen sich nicht wundern, daß es Ihnen nicht ganz geglückt ist. Diese Ebenholzbogen werden in meiner Heimat angefertigt; sie erfordern bloß einen gewissen Kunstgriff; es ist weit verdienstvoller, daß Sie ihn so weit gebogen haben, als es für mich sein wird, wenn ich ihn jetzt spanne.« Und schon ergriff er auch einen Pfeil, legte ihn auf die Sehne, spannte den Bogen Nimrods und schickte den Pfeil weit über die Umfriedigung hinaus. Millionen Hände klatschten dem Wunder Beifall. Ganz Babylon dröhnte, und alle Frauen sagten: »Was für ein glückliches Zusammentreffen, daß ein so schöner junger Mann zugleich eine solche Kraft hat!«

Er aber zog aus seiner Tasche ein kleines Elfenbeinblatt hervor, auf das er mit einem goldenen Stift etwas schrieb. Dann befestigte er das Elfenbeintäfelchen an dem Bogen und reichte mit einer Anmut, die alle, die zugegen waren, bezauberte, alles der Prinzessin dar. Darauf begab er sich bescheidentlich wieder auf seinen Platz und ließ sich zwischen seinem Vogel und Diener nieder. Ganz Babylon war außer sich vor Überraschung, die drei Könige zeigten sich ganz verwirrt, der Unbekannte jedoch schien von all dem nichts zu bemerken. - Noch erstaunter war Formosante, als sie auf dem an den Bogen gebundenen Elfenbeintäfelchen in bester chaldäischer Sprache folgende zarten Verse las:

 

»Der Bogen Nimrods gilt als Sinnbild des Krieges;

Entzücken aber der des Liebesgottes bringt.

Den führest du. Und du bist’s, durch die der Gott des Sieges

Als Herr sich erst den Erdkreis unterzwingt.

Drei Nebenbuhler, die wir als große Könige kennen,

Sinds, die, dich zu besitzen, heut’ in die Schranken steigen;

Ich weiß nicht, wem von ihnen sich dein Herz wird neigen:

Doch wird das Weltall gegen ihn in Eifersucht entbrennen.«

 

Dies reizende Gedichtchen verdroß die Prinzessin keineswegs. Wohl aber machten einige Herren vom älteren Hofstaat ihre Aussetzungen und erklärten, früher, in der guten alten Zeit, würde man Belus mit der Sonne, Formosante mit dem Mond, ihren Hals mit einem Turm, ihren Busen mit einem Weizenscheffel verglichen haben. Sie behaupteten, daß es dem Fremden an Einbildungskraft fehle, und daß er gegen die Regeln der wahren Poesie verstoße; alle Damen aber fanden die Verse sehr geschmackvoll. Sie konnten sich nicht genug verwundern, daß ein Mann, der so gut einen Bogen spannte, zugleich so viel Geist haben konnte. Die Ehrendame der Prinzessin sagte zu dieser: »Gnädige, wie schade, daß so viele Gaben so ganz fruchtlos sind. Was helfen diesem jungen Manne sein Geist und der Bogen des Belus?« - »Daß man ihn bewundern muß«, entgegnete Formosante. »Ah!« flüsterte die Ehrendame vor sich hin. »Noch so ein Gedichtchen, und es trüge ihm wohl ihre Liebe ein.«

Inzwischen hatte Belus seine Magier befragt und erklärte, daß, da keiner der drei Könige den Bogen des Nimrod habe spannen können, er aber trotzdem seine Tochter vermählen wolle, sie dem angehören solle, dem es gelänge, den großen Löwen zu erlegen, den man außerhalb des Tierzwingers füttere. Der in aller Weisheit seines Landes erzogene König von Ägypten fand, daß es sehr wunderlich wäre, einen König, um ihn zu vermählen, den wilden Tieren auszusetzen. Er gestand zu, daß der Besitz Formosantes des größten Preises wert wäre, behauptete aber, daß, wenn der Löwe ihn erwürgte, er ja die schöne Babylonierin niemals würde heiraten können. Der König von Indien teilte die Empfindungen des Ägypters; beide waren sich darüber einig, daß der König von Babylon sich über sie lustig mache, daß man, um ihn zu strafen, mit Heeresmacht gegen ihn anrücken müsse; daß sie Untertanen genug hätten, die es als eine Ehre ansehen würden, im Dienst ihrer Herren das Leben zu lassen, ohne daß diesen auch nur ein Haar ihres geweihten Hauptes gekrümmt würde; daß es ihnen eine Leichtigkeit sein werde, den König von Babylon zu entthronen, und daß sie dann um die schöne Formosante losen würden.

Die beiden Könige wurden sich darüber schlüssig, und jeder sandte schleunigst in sein Land einen ausdrücklichen Befehl, es solle zur Entführung Formosantes ein Heer von dreihunderttausend Mann zusammengebracht werden.

Mittlerweile stieg, einen Sarraß in der Faust, allein, der König der Skythen in die Arena hinab. Er war nicht gerade sterblich in die Reize Formosantes verliebt; bislang war seine einzige Leidenschaft der Ruhm gewesen, der ihn denn auch nach Babylon geführt hatte. Er wollte zeigen, daß, wenn die Könige von Indien und Ägypten zu vorsichtig waren, sich mit Löwen einzulassen, er seinerseits Mut genug besaß, diesen Kampf nicht zu scheuen, und daß er die Ehre des gekrönten Hauptes aufrecht erhalten werde. Seine seltene Tapferkeit ließ noch nicht mal zu, daß er die Hilfe seines Tigers in Anspruch nahm. Allein, mit seiner leichten Bewaffnung, einen goldverzierten, von drei schneeweißen Roßschweifen überschatteten Stahlhelm auf, schritt er vorwärts.

Es wurde gegen ihn der ungeheuerste Löwe losgelassen, den jemals das Gebirge des Antilibanon hervorgebracht hatte. Seine schrecklichen Tatzen schienen danach angetan, drei Könige auf einmal zu zerfleischen, sein ungeheuerer Rachen, sie zu verschlingen. Das Amphitheater dröhnte von seinem entsetzlichen Gebrüll. In eiligem Lauf stürzten die beiden stolzen Kämpfer aufeinander los. Der tapfere Skythe bohrte seinen Säbel in den Schlund des Löwen; doch die Spitze stieß gegen eine der mächtig dicken, undurchdringlichen Zahnreihen, zerbrach in Stücke, und das von der Wunde gereizte Ungeheuer der Wälder drückte schon dem Herrscher seine blutigen Krallen in die Weichen.

Doch berührt von der Gefahr, in der ein so tapferer Fürst schwebte, warf sich schneller als ein Blitz der junge Unbekannte in die Arena und hieb mit derselben Geschicklichkeit, mit welcher man später bei unseren Karussels jugendliche Reiter Mohrenköpfe oder Ringe herabstechen sah, dem Löwen den Kopf ab.

Darauf zog er eine kleine Schachtel hervor und bot sie dem Skythenkönig dar, wobei er sagte: »Majestät werden in diesem Schächtelchen das in meiner Heimat wachsende richtige Eschenwurz finden. Im Nu werden Ihre ruhmreichen Wunden geheilt sein. Nur der Zufall vereitelte Ihren Sieg über den Löwen; Ihre Tapferkeit ist nur um so bewunderungswürdiger. «

Der mehr der Dankbarkeit als Eifersucht zugängliche Skythenkönig dankte seinem Retter und kehrte, nachdem er ihn herzlich umarmt hatte, in sein Quartier zurück, um seinen Wunden das Eschenwurz aufzulegen. Der Unbekannte aber übergab den Kopf des Löwen seinem Diener. Nachdem dieser ihn in einem der großen Springbrunnen außerhalb des Amphitheaters gewaschen und alles Blut hatte auslaufen lassen, zog er aus seinem kleinen Sack ein Messer hervor, brach die vierzig Zähne des Löwen aus und ersetzte sie durch vierzig Diamanten gleicher Größe.

Sein Herr, der sich mit seiner gewohnten Bescheidenheit zu seinem Sitz zurückbegeben hatte, übergab den Kopf des Löwen seinem Vogel. »Lieber Vogel«, sagte er, »geh und lege dies geringe Zeichen meiner Ehrerbietung Formosante zu Füßen.« In einer seiner Krallen die schreckliche Trophäe, machte sich der Vogel auf, beugte demütig den Hals und bot sie, sich platt vor ihr auf den Boden legend, der Prinzessin dar. Die vierzig Diamanten stachen allen in die Augen. Diese Pracht war im stolzen Babylon noch unbekannt; als der kostbarste Schmuck galten damals noch Smaragd, Topas, Saphir und Pyrop. Belus und sein ganzer Hofstaat waren von Bewunderung hingerissen. Noch mehr aber setzte sie der Vogel, der dies Geschenk darreichte, in Erstaunen. Er zeigte den Wuchs eines Adlers, doch waren seine Augen ebenso sanft wie die des Adlers stolz und drohend sind. Sein Schnabel war rosig und schien irgendwie an den schönen Mund Formosantes zu erinnern. Auf seinem Halse waren alle Farben des Regenbogens beieinander; doch lebhafter, leuchtender. Sein Gefieder glänzte in tausend Schattierungen von Gold. Seine Beine boten sich in einer Mischung von Silber und Purpur; und der Schweif der schönen Vögel, die man später an den Wagen der Juno spannte, stand an Pracht dem seinen nach.

Die Aufmerksamkeit, Neugier, das Erstaunen, Entzücken des ganzen Hofes war zwischen den vierzig Diamanten und dem Vogel geteilt. Er hatte sich zwischen Belus und seiner Tochter Formosante auf die Balustrade geschwungen; die Prinzessin streichelte und küßte ihn, und er schien diese Liebkosungen mit einem respektvollen Vergnügen entgegenzunehmen. Als sie ihm aber Küsse gab, nahm er sie entgegen, indem er sie sogleich mit einem zärtlichen Blick ansah. Auch nahm er Biskuit und Piniennüsse an, die er mit seiner silbernen und purpurfarbenen Klaue ergriff und mit unaussprechlicher Anmut sich in den Schnabel steckte.

Belus, der die Diamanten näher betrachtet hatte, war der Ansicht, daß ein so reiches Geschenk kaum mit einer seiner Provinzen aufzuwiegen war. Er ordnete an, daß für den Unbekannten noch weit prächtigere Geschenke gerüstet wurden, als es die für die Herrscher bestimmten waren. »Dieser junge Mann«, sagte er, »ist ohne Zweifel der Sohn des Königs von China, oder er stammt aus dem Weltteil, der Europa genannt wird, von dem ich habe erzählen hören, oder aus Afrika, das, wie es heißt, dem Königreich Ägypten benachbart ist.«

Er schickte mit einem Gruß sogleich den Oberstallmeister zu dem Unbekannten hin und ließ ihn fragen, ob er ein Herrscher oder der Sohn des Herrschers einer dieser Reiche wäre, und warum er, da er doch in Besitz so erstaunlicher Schätze, bloß mit einem Diener und einem kleinen Sack gekommen sei.

Während der Oberstallmeister aber, um sich seines Auftrages zu entledigen, auf das Amphitheater zuschritt, langte auf einem Einhorn ein anderer Diener an. Dieser wandte sich an den jungen Mann und sagte: »Armar, Ihr Vater, hat das Ende seines Lebens erreicht, und ich komme, Sie davon zu benachrichtigen.« Der Unbekannte hob die Augen gen Himmel, brach in Tränen aus und antwortete nur: »Brechen wir auf.«