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Mehr von Fanny und der Muffinbande gibt es im Internet:

www.muffinbande.blogspot.de

Für Bettina und Horst-Uwe –
mit denen ich meine ganz persönlichen Muffinjahre
verbracht habe.

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Inhalt

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Und nur einen einzigen Tag später …

Marias Wolken-Muffin-Kreation

Fannys Pizza-Muffins

Liebe Muffinfreunde

Danke

Und zu guter Letzt

1. Kapitel

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„Ich hätte nie, nie, nie gedacht, dass die Furchtlosen wegen dieser Sache so dermaßen ausflippen.“ Maria sah ihre Freundin Fanny kopfschüttelnd an, während sie mit Tante Lulu an der Leine die Straße entlangtrabten.

„Na ja, sie denken wohl immer noch, sie träumen. Immerhin hatten sie noch nie einen so üppigen Bandproberaum“, zuckte Fanny grinsend die Schultern.

Maria hielt sich die Seite. „Wenn man natürlich an die Baracken denkt, in denen sie bisher untergebracht waren, ist es vielleicht ein klitzekleines bisschen verständlich“, schnaufte sie.

„Ein bisschen, ja. Aber was die veranstalten, ist schon jenseits von … Mensch, Kralle“, rief Fanny ihrer Schwester, die vor ihnen lief und deren Tempo mal wieder mehr an einen Dauerlauf als einen normalen Spaziergang erinnerte, hinterher, „jetzt warte doch mal.“

Seufzend hielt Kralle an und hüpfte gelangweilt von einem Fuß auf den anderen.

„Tante Lulu fiept auch schon“, warf Fanny Kralle vor, als sie diese endlich erreicht hatte.

„Schon gut. Aber einen Rollstuhl braucht sie wohl nicht, oder?“ Kralle rollte mit den Augen. „Steck sie in die Tasche.“

„Ich soll sie nicht mehr so viel tragen, das weißt du genau. Sie wird sonst zu fett.“ Tante Lulu legte den Kopf schief und guckte Fanny an.

„Naja, dann komm eben“, seufzte sie, hob die Dackeldame hoch und verstaute sie in ihrer großen, sternbedruckten Umhängetasche. Es konnte also weitergehen! Kralle bemühte sich offensichtlich, den beiden Jüngeren nicht wieder auf und davon zu laufen. Am Zebrastreifen hielt sie sogar an, obwohl kein Auto zu sehen war. Allerdings streckte sie erstklässlermäßig ihre Hand aus, bevor sie übermütig auf die Straße hopste.

„Mit der fällst du einfach überall auf“, flüsterte Maria.

„Wir hätten sie ruhig vorgehen lassen können“, antwortete Fanny.

„Und sie den neuen Proberaum der Furchtlosen vor uns bewundern lassen? Niemals“, sagte Maria. „Dann lieber dieses Gehopse hier.“

Die Furchtlosen, das waren Tobi, Niklas und Paul. Allesamt in Marias und Fannys Klasse, allesamt Musiker und allesamt ziemlich albern. Jungs eben! Den Proberaum, zu dem die Mädchen unterwegs waren, hatten sie sich im Treffpunkt der Mühlstädter Jugendlichen, der alten Tankstelle, neu eingerichtet.

„Vor allem bin ich gespannt, was sie mit dieser ‚Riesenüberraschung‘, gemeint haben“, lächelte Fanny und überquerte die Straße.

„Stimmt. Man muss ja mehr als misstrauisch sein, wenn sie sagen, dass es uns besonders gefallen wird“, kicherte Maria.

„Da hast du allerdings recht“, sagte Fanny. „Und Tobis windschiefes Grinsen macht die Sache nicht besser. – Hey, Lulu, lass das.“ Der Dackel boxte sanft mit seiner feuchten Schnauze gegen Fannys Unterarm, als sie plötzlich ein Hupen hörten, das sie erschrocken herumfahren ließ. Kralle! Mitten auf dem Zebrastreifen stand sie. Und winkte den herangefahrenen Autofahrern vornehm zu.

„Komm her!“, schrie Fanny. „Bist du verrückt geworden?“ Aber Kralle beachtete ihre kleine Schwester kein bisschen. Im Gegenteil! Jetzt schlug sie ein Rad. Und noch eines. Auf der Straße! Ein Autofahrer zog die Augenbrauen dicht zusammen und hupte mehrmals.

„Hör auf damit und komm!“, schrie Fanny wieder. „Das ist gefährlich!“

„Und ankommen wollen wir irgendwann auch“, ergänzte Maria.

Zu beiden Seiten des Zebrastreifens bildeten sich Autoschlangen. Da endlich kam Bewegung in Fanny, sie raste zu ihrer Schwester, packte sie am Ärmel und zerrte sie in Richtung Gehweg.

„Eben konnte es euch nicht langsam genug gehen“, schmollte Kralle. Wieder ein Hupen. „Jaja“, rief sie über die Schulter, „noch nie was von Straßenkunst gehört?“ Tante Lulu zog erschrocken den Kopf ein, als der Autofahrer wütend und mit quietschenden Reifen losfuhr.

„Du hast echt ’nen Knall, das ist peinlich“, sagte Fanny, während sie weiter die Straße entlangliefen.

„Nennt mich doch in Zukunft Knalle, statt Kralle“, zuckte Kralle die Schultern.

„Ich werde dich bald nur noch Cindy Doof nennen oder von mir aus auch Hannah Montana. Hauptsache, ich werde nicht mit dir in Verbindung gebracht.“

Maria kicherte. „Oder einfach nur üble Magenkrankheit.“

„Haha“, spielte Kralle die Beleidigte und zog das Tempo mit ihren langen Beinen wieder an. „Jetzt siehst du mal, wie das ist, wenn man sich für die eigene Schwester schämt, geht mir nämlich ständig so“, rief sie über die Schulter und trippelte geschickt um eine weggeworfene Flasche. „Wo ich auch hinkomme, heißt es: ‚Bist du nicht die Schwester dieser, na, wie heißt sie noch gleich, von diesem Mädchen mit der Vogelnestfrisur, das überall nur Chaos anrichtet?ʻ Herausfordernd blitzte sie Fanny an, in deren Bauch es anfing zu brodeln.

„Maria, halt mal die Tasche“, knirschte die angebliche Chaos-Natur und rannte los. So schnell sie konnte, heftete sie sich an Kralles Fersen. Aber klar! Ebenso gut hätte sie versuchen können, einen außer Kontrolle geratenen Gummiball einzufangen. Selbst wenn sie nicht über die Flasche gestolpert und der Länge nach auf die Nase gefallen wäre, hätte sie ihre große Schwester niemals erwischt. Niemals!

„Aua, Mist, verflixter.“ Stöhnend rollte sich Fanny auf den Hintern und hielt sich den Ellenbogen. „Gut, dass wenigstens Tante Lulu nicht mitgestürzt ist.“

„Aber echt. Sonst wär’ sie jetzt Matsch. Zeig mal.“ Matsch. Maria konnte manchmal ganz schön makaber sein. Dabei war sie eigentlich die Hilfsbereitschaft in Person. Schon kniete sie neben Fanny und sah sich die frisch geschlagene Schürfwunde am Ellenbogen genau an. Tante Lulu stupste Fanny zärtlich mit ihrer feuchten Schnauze und fiepte.

„Ach, die Wunde ist halb so schlimm“, Fanny kraulte der Dackeldame über den Kopf. „Aber diese Schwester nervt.“

„Klar nervt die“, sagte Maria trocken, während sie mit Spucke den Schmutz von Fannys Ellenbogen wischte. „Würde sie nicht nerven, wäre sie eine Freundin und keine Schwester.“ Sie sahen sich an – und lachten. Dann streckte Maria Fanny ihre Hand entgegen und zerrte sie hoch. „Und weiter geht‘s“, johlte sie. „Obwohl uns die Nervschwester ja nun ein für alle Mal abgehängt hat.“

„Jetzt kann sie uns wenigstens nicht mehr blamieren.“

„Es sei denn, sie kommt auf die Idee, dich als vermisst zu melden und überall Plakate aufzuhängen mit der Überschrift: Vogelnestfrisur und Chaosnatur. Finderlohn garantiert.“ Kichernd lief Maria die Straße entlang.

„Wenn sie das täte, wäre sie nicht mal mehr meine Schwester“, schnaufte Fanny.

„Sondern?“

„Tatsächlich nichts weiter als eine üble Magenkrankheit, was sonst? Und jetzt komm. Sonst packen die in der Tankstelle zusammen, ehe wir überhaupt angekommen sind.“

* * *

„Fanny, du bist eine Wahnsinnskünstlerin.“ Sie standen im Treppenhaus der alten Tankstelle vor der offenen Tür und blickten ehrfurchtsvoll ins Innere der Wohnung. Nicht nur der Proberaum war neu eingerichtet, auch die übrigen Zimmer hatten die Jugendlichen aufwendig renoviert. Fanny zeichnete für den Flur verantwortlich, den Maria nun mit offenem Mund bestaunte. Die Dackeltasche ließ sie sinken und sofort machte sich Tante Lulu, die Schnauze dicht an den Boden geheftet, auf den Weg in Richtung Küche, ihrem Lieblingsraum!

„Ja, Fannylein“, grölte Kralle beide Daumen in die Höhe gestreckt aus dem größeren der beiden Räume, „ich finde auch, du hast nicht zu viel versprochen. Die rote Wandverzierung da oben ist einfach üppig.“

Verlegen fädelte Fanny eine Haarsträhne um ihren Finger. „Naja, Robert war auch nicht ganz unbeteiligt. Die großen Spiegel rechts und links hat er aufgehängt.“

„Da seid ihr ja endlich.“ Drei Köpfe quetschten sich wie eingeklemmte Melonen durch einen Türspalt auf der linken Seite des Flures. Die Furchtlosen! Fannys Herz machte einen kleinen Sprung, als ihr Blick auf den von Niklas traf. Das war immer so. Und Fanny nervte das ungemein. Niklas nickte ihr anerkennend zu, grinste breit und sagte: „Dein Flur ist echt super. Vor allem die roten Kringelmuster hier sind tiptop.“ Auch drei weitere Mädchen, die gerade in die Tankstelle schlenderten, blieben stehen und klopften Fanny anerkennend auf die Schulter.

„Jaja, schon gut“, antwortete Fanny. „Aber jetzt hört auf. So üppig ist das nun auch wieder nicht. Und ohne Pauls Eltern, die edlen Farb- und Geldspender, wäre es sowieso nichts geworden.“

„Nicht sooo üppig, nö, du hast recht“, grinste Tobi. „Wir haben Niklas nur beauftragt, dich zu loben, damit du jetzt auch unseren Raum hier angemessen bewunderst. Seid ihr bereit, Muffins? Wir haben eure Kralle nämlich bis jetzt schön abgewimmelt.“

„Hätte ich es drauf angelegt, hätte ich euch natürlich überrumpeln können“, ließ Kralle diese Bemerkung nicht auf sich sitzen. „Aber jetzt lasst mal sehen. Los, macht schon!“

Und dann schoben sie die Tür auf. Beinahe feierlich posierten sie rechts und links des Türrahmens. Mit bedächtigen Schritten betraten die Mädchen das neue Heiligtum – und stolperten erschrocken rückwärts, als ihr Blick auf die gegenüberliegende Wand fiel.

„NEIN!“, schrie Fanny.

„Was, was ist das?“, rief Maria fassungslos und sogar Kralle schnappte nach Luft.

„Hahahaha“, kam es von rechts und von links. Sie kugelten sich vor Lachen, die Furchtlosen. Dann stieß Kralle einen furchterregenden Schrei aus und stürzte sich mit Wucht auf den Nächstbesten: Tobi. Auf die Tapete war in Großformat ein Muffin – durchkreuzt von einer großen Piratenflagge – aufgepinselt. Und darüber stand in hässlichen, schwarzen Buchstaben, von denen kleine rote Punkte herabfielen, die wohl so etwas wie Blutstropfen darstellen sollten: Muffinfreie Zone.

„Das werdet ihr büßen“, hörte Fanny ihre Schwester keuchen, während sie auf den schmächtigen Jungen unter ihr eindrosch. Niklas und Paul gaben alles, damit ihr Freund nicht hier und jetzt als Hackbraten enden würde.

„Ihr … ihr Furchtbaren“, fand Fanny endlich ihre Fassung wieder, schnappte sich das nächstliegende Kissen und schlug damit auf die Kämpfenden ein.

„Gefällt‘s dir etwa nicht?“, grinste Niklas, während er unter Fannys Kissenhieben stöhnend die Ellenbogen vors Gesicht hielt. Fanny drosch weiter – bis sie aus den Augenwinkeln wahrnahm, wie Maria verzweifelt mit Spucke an der Piraten-Muffin-Wand herumrubbelte. „Vergiss es, Maria“, stöhnte Fanny und rappelte sich auf. „Das ist keine Straßenkreide, die du mal eben wegmachst. Die haben einfach zu viel Grütze gegessen. Und dabei irgendwie den Verstand verloren.“

„Ich glaube, wir müssen jetzt was unternehmen, Kumpel“, rief Paul lachend, zog Niklas in den Stand und hievte Kralle von Tobi herunter. „Fanny fängt schon an zu heulen.“

Ha, heulen! Sie hatten tatsächlich den Verstand verloren! Mit Schwung warf Fanny ihr Kissen nach Paul, der es geschickt auffing und sich genüsslich an die Wand lehnte. Dieser Schönling! Jetzt schob er Maria mit beiden Händen zur Seite, grinste sein weißestes Lächeln und zupfte an dem Muffin, knibbelte, zog an einer Ecke und Krtsch: mit einem lauten Rascheln fiel die Tapete in sich zusammen. Zahllose Plattencover kamen dahinter zum Vorschein.

„Ihr Mistkerle“, brüllte Kralle.

„Dass wir auch immer wieder auf euch reinfallen“, stammelte Fanny fassungslos. „Los, Lulu, fass die Bösen.“ Lulu blinzelte um die Ecke. Sie war ein hervorragender Wachhund. Aber leider nur, wenn es darum ging, Kuchen und Sahneschnitten zu bewachen. Auf furchtlose Musiker war sie nicht abgerichtet.

„Spaß“, sagte Niklas und stellte sich grinsend neben Fanny, die ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf verpasste. „Das Graffitibild und die Plattencover haben uns als Hintergrundbild dann doch besser gefallen“, sagte er.

Kralle hob drohend die Hand. „Das werdet ihr büßen“, rief sie. „Glaubt mir. Ich, Kralle, die Rächerin aller Muffinfeinde, werde euch …“ Sie hielt inne, als ihr Blick auf Maria fiel. „Maria, alles in Ordnung? Was starrst du denn so?“

Tatsächlich, Maria stand regungslos in der Mitte des Raumes, die Augen seltsam glasig. Wie abwesend drehte sie den Kopf in alle Richtungen. Und seufzte ausgiebig. „Weißt du, was ich gerade gedacht habe?“, säuselte sie verträumt und sog tief die Luft ein.

„Zufällig nicht.“ Kralle sah sie erwartungsvoll an.

„Dass die Tankstelle jetzt erst richtig zu unserer Tankstelle geworden ist?“ Eine ausladende Handbewegung in Richtung der bemalten Wände unterstrich ihre hochtrabenden Worte und hatte zur Folge, dass alle ihrem Blick schweigend folgten. „Wie das hier aussieht, wie es riecht …“ Zärtlich streichelte sie über Tobis Schlagzeug. Da brach Tobi in lautes Gelächter aus: „Hast recht. Es ist geradezu sowas von üppig, dass wir total aufpassen müssen.“

„Aufpassen?“ Marias Traumblick wurde klarer und sie ließ sich auf ein Kissen plumpsen.

„Aufpassen, klar. Sonst landen wir am Ende noch gemeinsam bei Muffins und Limo auf dem Sofa und quatschen über Gott und die Welt. Was echt ’ne Katastrophe wäre.“ Fanny unterdrückte ein Lachen. Tobi war bekannt für seine strikte Muffin-und-Furchtlosen-Trennung. Was wohl damit zusammenhing, dass er Kralle, Fanny und Maria einfach zu gerne reinlegte. Ja. Irgendwie war es mit den Furchtlosen so wie mit der Schule: nervig, aber sie gehörten eben dazu. Und vielleicht wäre es ohne sie, wenn man ganz, ganz ehrlich war, sogar ein wenig langweilig.

„Keine Sorge Tobi, ich könnte so ein Harmoniegedöns auch nicht ertragen“, sagte Kralle in diesem Moment und dehnte ihre Finger, bis sie knackten.

„Wenn ich es mir recht überlege, ist Fannys rotes Flur-Gekritzel auch nicht sooo gelungen, wie sie denkt. Erinnert doch sehr an einen kitschigen Bazar“, meinte Tobi lässig.

„Und von euren hässlichen Gestalten könnt ihr mit eurer bunten Tapetenkunst natürlich auch nicht ablenken“, kicherte Maria, was ihr Kralles bewundernden Blick einbrachte.

„Dafür haben sie ja Pauls Schönheits-Ausstattung“, lachte Fanny und zog Maria schnell auf den Flur hinaus, bevor sich der eitle Paul, der immer und überall eine Sporttasche mit Haarspray und Ersatzkleidung bei sich trug, wehren konnte. Da erklang ein lautes Räuspern im Treppenhaus.

„Hallo Kids, entschuldigt die Verspätung, äh, falls ihr sie überhaupt bemerkt habt.“ Robert Helmstedt. Er wohnte mit seiner Frau Becki eine Etage tiefer. Gemeinsam leiteten sie den Jugendtreff. Noch. Becki erwartete ein Baby und wusste noch nicht, wie es mit dem kleinen Fratz werden würde. Fanny fand die Babysache äußerst spannend. Schließlich war das bei ihren eigenen Eltern schon lange durch. „Kommt ihr kurz nach unten in unsere Wohnung?“, waberte sich Roberts Stimme in ihre Gedanken. „Becki und ich müssen euch etwas sagen. Äh – in unserem Wohnzimmer.“ Alle Kinder waren in den Flur getreten und sahen ihn mit großen Augen an. Im Wohnzimmer? Fannys Herz pochte, denn das hatte es noch nie gegeben. Es war offensichtlich: irgendetwas stimmte nicht. Rasch fädelte sie sich in die Reihe der Jugendlichen ein und ließ sich mit ihnen abwärts gleiten, während sie in ihrem Kopf nach einer möglichen Erklärung für Roberts seltsamen Blick suchte – und keine fand.

„Los, schneller, Wasser marsch nach unten“, dröhnte Tobi hinter ihr und stampfte, laut wie immer, die Treppe hinunter. Das Baby, schoss es Fanny in diesem Augenblick durch den Kopf. Hoffentlich war mit dem Baby alles in Ordnung!

* * *

Sie erfuhren die Katastrophe, als sie auf Helmstedts Sofa saßen. Becki hatte ihnen Tee eingegossen, Kekse auf den Tisch gestellt und sich dann in einen breiten Sessel geschoben. Sie streichelte über ihren runden Bauch. Das Baby war es also nicht!

„Ihr habt die Tankstelle traumhaft schön gestaltet, das wisst ihr. Und wir sind sehr stolz auf euch“, fädelte Becki das Gespräch ein.

„Aber?“ Kralle richtete sich auf und Becki schluckte.

„Machen wir es doch kurz“, seufzte Robert. „Die Kirchengemeinde bezahlt jeden Monat über 200 Euro Miete für die Tankstelle und das ist für eine Wohnung eigentlich gar nicht so viel, aber für eine Kirchengemeinde eben schon und na ja …“ Seine Stimme nahm einen seltsam schnippischen Unterton an. „Jedenfalls war es bisher kein Problem, aber inzwischen …“

„Inzwischen was?“ Beinahe schrill war Fannys Stimme. Schrill – und gleichzeitig leer.

„Das Geld wird knapper und der Kirchengemeinderat hat beschlossen, die Wohnung, also eure Tankstelle, zu kündigen.“

„Nein!“ Marias Nasenspitze war käseweiß. Tobi hielt sich an der Sofalehne fest, als hätte er Angst vornüberzukippen und Fanny spürte einen dicken Kloß im Hals. Allen war die blanke Fassungslosigkeit wie ins Gesicht gekritzelt.

Robert trank seinen Tee mit einem Schluck aus, wischte sich über den Mund und sagte in die Stille hinein: „Der Jugendtreff könne ja auch hier, in unserer Wohnung, stattfinden, sagen sie.“

„Was ja auch stimmt“, ergänzte Becki. „Also, bevor es überhaupt keinen Treff mehr gibt und … ach, jedenfalls dachten wir, wir machen heute mal so eine Art Test hier bei uns unten.“

„Aber das ist doch gar nicht dasselbe“, sagte Maria heiser. „Ich meine, euer Wohnzimmer ist schön, aber …“

„Nein, es ist nicht dasselbe, Maria. Das sehen wir auch so. Aber es geht. Mit einigen Abstrichen, natürlich.“ Becki sah sie tröstend an.

„Und wo sollen wir hier proben?“, fragte Paul. Leise. Fast ängstlich. Als könne er die Antwort bereits von Beckis Stirn ablesen.

„Tja“, stammelte sie auch schon. „Da müssen wir wohl ehrlich sein: Das Proben geht hier unten nicht.“

„Aber der Proberaum ist den Räten natürlich auch nicht besonders wichtig“, sagte Robert. Richtig wütend war er. Und mindestens genauso traurig wie die Kinder.

„Unsere Wohnung ist für das alles einfach zu klein. Und wenn erstmal das Kind da ist, wird es noch enger.“ Liebevoll strich sich Becki über den runden Bauch.

„Und laut genug habt ihrʼs dann auch“, murmelte Niklas geknickt vor sich hin.

„Aber wir haben so viel Arbeit in die Tankstelle gesteckt.“ Verzweifelt rieb sich Fanny das Kinn.

„Tja, es war wohl ein Fehler, dem Pfarrer nichts von der Renovierung zu erzählen“, sagte Robert. „Er konnte nicht wissen, was wir hier alles machen. Da Pauls Eltern die Farbe und alles andere bezahlt haben, mussten wir ja nicht zwingend darüber reden. Ein großer Fehler, wie sich gezeigt hat. Aber wir waren uns der Tankstelle natürlich auch richtig sicher. Keiner konnte ahnen, dass jetzt plötzlich …“

„Und warum so plötzlich?“ Maria richtete sich auf. „Auf einmal ist kein Geld mehr da?“

Becki seufzte. „Die Kirche will in der Stadtmitte ein Seniorenzentrum anmieten, treppenfrei, für die Älteren bestens geeignet. Und diese Idee wird von einer Rätin, die auf die 90 zugeht, ordentlich unterstützt.“

„Also hiermit.“ Robert machte eine Geste, als ob er Kleingeld zwischen den Fingern verreiben würde.

„Das ist bestimmt die Nelkenstiel“, rief Paul und schlug mit der Hand auf die Sofalehne. „Die hat Kohle, die kenn ich.“

„Aber ist dieses Zentrum nicht groß genug für alle? Können wir da nicht mit reingehen?“, fragte Fanny.

„Das wäre mir auch am sinnvollsten erschienen. Man mietet etwas, das für alle passt. Aber das Seniorenzentrum soll täglich geöffnet sein. Mit Cafébetrieb und allem Schnickschnack. Da ist kein Platz für junges Gemüse.“ Niemand lachte über Roberts flapsige Wortwahl.

„Also für mich ist die Sache klar: das können die mit uns nicht machen.“ Kralle sprang von ihrem Platz und blitzte jeden der Reihe nach entschlossen an. „Ich gehe zum Pfarrer und kläre das. Ich meine, hey, wer ist die Zukunft, wenn nicht wir? Also, wer kommt mit? Fanny? Robert?“ Sie zupfte ihre Schwester am Ärmel.

„Becki und ich waren natürlich schon bei ihm“, sagte Robert und deutete Kralle an, sich noch mal hinzusetzen. „Wir haben aber ein Problem: Der Rat ist voll von diesen Senioren.“

„Und die denken alle nur an sich?“ Tobi, der die ganze Zeit ruhig und wie abwesend dagesessen hatte, haute mit der Faust gegen die Wand hinter ihm. Sein Gesicht war von einer dunkelroten Farbschicht überzogen.

„Wir halten von diesem Beschluss genauso wenig wie ihr“, sah Robert ihn ermahnend, aber verständnisvoll an, „wir sehen nur keine Chance.“

„Papperlapapp. Keine Chance gibt es nicht.“ Entschlossen zog sich Kralle die Schuhe von den Füßen, pfefferte sie unter den Tisch und hopste dann, die Arme in die Luft reißend, auf das Sofa. „Deshalb frage ich nochmal: Wer ist dabei, wenn wir den Pfarrer von der Tankstellen-Rettung überzeugen?“

Fanny hob die Hand. Und Maria. Die anderen waren wohl zu beschäftigt damit, Kralle fassungslos und mit offenem Mund anzustarren.

„Das reicht ja“, sagte Tobi. „Die Furchtlosen werden sich dann in diesem Fall zurückhalten.“

„Fürchtet euch wohl, was?“, kicherte Maria. Und konnte wohl von Glück sagen, dass Helmstedts keine Wurfgeschoss-Kissen herumliegen hatten.

„Ihr wehrt euch, das ist gut. Aber seid höflich. Anders erreicht ihr nur das Gegenteil“, sagte Becki nachdenklich.

„Für wie kindisch hältst du uns?“, fragte Kralle beleidigt. „Wir wissen doch, wie man mit erwachsenen, alternden Leuten umgehen muss. Gleich morgen werden wir ein ernstes Wörtchen mit dem Pfarrer reden.“