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Leo Perutz

Die dritte Kugel

Roman

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

 

Präludium: Der Wein des Doktor Cremonius

Historie vom Grumbach und seinen drei Kugeln

Die Brüder

Die Neue Welt

Gottes Kartaune

Der Nebel

Scharlachne Hosen

Der Reiher Tausendrot

Des Teufels Weizen

Traum von Deutschland

Die Fastnacht

Der Profos

Die Arkebuse

Der Fluch

Der Wildgraf reitet

Der Tribut

Die Totenmesse

Die erste Kugel

Pedro Alvarado

Das Vaterunser

Die Catalina

Der Schwur des Melchior Jäcklein

Die zweite Kugel

Der Cortez flieht

Finale: Die dritte Kugel

Nachwort

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Editorische Notiz

 

 

 

 

 

 

 

 

Präludium

 

Der Wein des Doktor Cremonius

 

 

Mich fröstelt’s, und das Feuer ist am Erlöschen. Der Herbstwind bläht mir den Mantel auf, daß die geflickten Löcher nach allen Seiten starren wie die Teufelsfratzen. Der Regen schlägt einen Trommelwirbel um mich her und dröhnt und prasselt, als wär’ die Welt mit Kalbfell überzogen. Eine Nacht, dazu geschaffen, sich am Lagerfeuer zu erwärmen und im Kreise grauhaariger Kriegsgefährten bestandner Abenteuer zu gedenken. Aber ach, heute steht mir der Sinn wahrlich nicht danach, denn in fünfzehn währenden Stunden bin ich vom Rücken meines lahmen Gauls nicht zur Erd’ gekommen. Den sächsischen Kurfürsten, den großen Papstfeind und Lutheraner, der die Einung der evangelischen Fürsten gegen den Kaiser zustand gebracht und auch die Böhmen zu einem Aufruhr angestiftet hat, den haben wir gefangen und hieher in des Kaisers Feldlager geführt, daß er morgen einen Fußfall tun muß vor dem Carolus Quint und ihn demütig seinen allergnädigsten Kaiser nennen.

Jetzt führen sie seine Kanzler und Ratsherren in Fesseln vorbei. Der alte Mann ist auch dabei, den ich bei Mühlberg mit dem Säbel über den Kopf geschlagen hab’. Er trägt eine blutige Binde um die Stirn, läßt den Kopf hängen, ist fast traurig und verzagt, weiß es wohl, daß er ihn nicht lange mehr zwischen den Schultern wird tragen dürfen. Ja, Brüder, jetzt seid ihr fast verzagt, aber wer hieß euch dem Kaiser aus Ingolstadt solch einen trotzigen Absagebrief schreiben? »Wir geben dem Karl, der sich den fünften römischen Kaiser nennt, kund und zu wissen, daß er pflichtvergessen gegen Gott und an der Nation eidbrüchig gehandelt hat.« Ja, jetzt wird euch der Kaiser schon die rechte Antwort geben. Wer riet euch, ihr armen Schelme, die Finger in solch einen Handel zu stecken? Seht mich an, Brüder! Ich bin auch lutherisch. Reit’ dennoch mit des Kaisers Haufen, schlag’ zu, stech’ und schieß’, wen er mich stechen und schießen heißt, es gilt mir gleich. Treib’ nicht viel Lärmens mit meinem Glauben, halt’ Frieden mit allen schwarzen Kutten, grüß’ eine jede von den spanischen Gecksnasen zuerst, die jetzt allenthalben durchs Lager stolzieren und sich an des Kaisers Seite blähen in ihrer Narrenlivrei. Ihr aber, liebe Brüder, habt alleweil euren Glauben stolz im Mund geführt wie ein Feldgeschrei, dafür tragt ihr jetzt eure Köpfe dem Henker hin!

Sie sind vorüber. Mit Stößen und Schlägen haben sie die Knechte vorbeigetrieben. Es ist Stille wieder ringsum. Ich bin müde, ich wollte, es käme endlich der Schlaf.

Aber ach, mein Schlaf ist, will mir scheinen, auch solch ein stolzer, spanischer Alamode-Geck geworden. Er ist gar hochfahrend, will nicht kommen, wenn ich ihn rufe. So werd’ ich denn die Augen schließen und an vergangene Jahre denken. Die Tage und Stunden meines Lebens send’ ich aus. Wie die Falken sollen sie durch die Zeiten fliegen und mir Menschen bringen, die ich gekannt hab’, Freuden, die ich einst genossen, Schmerzen, die ich gefühlt, Sünden und fromme Taten, die ich begangen hab’. Die will ich aneinander reihen und aus ihnen ein Jahr meines Lebens zusammenfügen. Das will ich mit beiden Händen fassen und hineinblicken wie in einen Spiegel, daß ich mein Antlitz von einst darin finde und das Antlitz andrer Menschen, die ich liebte, oder denen ich gram war. Denn vielen von den Großen dieser Erde bin ich begegnet. Dem Frundsberg und dem klugen Rohan; dem wilden Christian von Dänemark, dem Ferdinand Cortez und dem Niklas Salm. Von denen will ich einen auf ein Weilchen in mein Erinnern zu Gaste laden, daß mir diese endlose Nacht vergehe!

Ach, meine vergangenen Tage und Stunden kommen mit leeren Händen zurück und bringen nicht Gesichter mit sich noch Gestalten. Keiner will kommen von denen, die ich rief, sind alle aus meinem Erinnern geschwunden, haben mir nichts gelassen, als von ihrem Namen einen leeren Klang. Und mein Leben selbst ist blaß geworden, und ich finde mein eignes Bild nicht mehr darin. Jahre sind da, die sind mit einem Male so leer, als hätt’ ich sie nie gelebt, und waren doch angefüllt bis an den Rand mit hundertfältigem Geschehen. Und andre Jahre sind da, in denen ist solch eine Verwirrtheit aller Dinge, daß das Gestern auf das Heute folgt, und Pfingsten liegt vor Ostern, als wäre der goldene Faden zerrissen, an dem die Stunden meines Lebens aneinandergereiht sind. Und wenn meine Gedanken durch mein vergangenes Leben ziehen, so ist es so, als ginge einer durch ein unbewohntes Haus, da sind viele Zimmer leer, andre wieder angefüllt mit törichtem Plunder, wurmstichigem Hausrat und verstaubtem Gerät, das wirr und sinnlos durcheinander steht.

Manchmal steigt ein vergeßner und verlorner Tag in meiner Seele auf. Dann seh’ ich mich plötzlich närrische oder grausame Dinge begehen, ohne Sinn und Zweck, so daß ich mich über mich selbst verwundern, auch lachen oder gar zürnen muß. Jesus, wie kam das nur, daß ich einstmals in einem fernen Land einen edeln König ermordet hab’? Bin ich’s gewesen, der diese Tat verübte? Ich seh’ ihn hoch oben auf einer Stadtmauer stehen, umringt von vielen Geharnischten, und er winkt mir grüßend zu. Ich aber achte dessen nicht, sondern heiße den Melchior Jäcklein, meinen Knecht, auf des Königs Brust zielen, leg’ selbst die Lunte an, der Schuß kracht –, der König stürzt –

Das muß im Zorn geschehen sein. Und dennoch weiß ich nicht, was mir der König zuleide tat, daß ich so grausam wider ihn verfuhr. Ach, unser Fleisch ist immer mit dem Satan.

Dann seh’ ich mich wiederum, wie ich mit dem Schwerte eine hölzerne Tür in Trümmer schlag’ in einer Stadt mit vielen Rosengärten, durch deren Straßen Ruderboote glitten. Aber warum ich dies tat, und was mir den Sinn dermaßen verwirrte, daß ich so zornig auf eine hölzerne Tür einhieb, das weiß ich nicht, doch muß ich lachen über mich, sooft ich daran denke, daß ich in solch einen närrischen Handel geriet. Und ich sehe jene törichte Gebärde heut, so wie man eines Berauschten sinnlose Werke sieht, dessen wunderlich Lachen und Weinen, Fluchen und mit den Händen in der Luft fechten kein Mensch begreift. Und ich schäme mich meines verwirrten Tuns, und oftmals scheint es mir gut, daß mir nur an wenige von meinen Tagen ein Erinnern geblieben ist, von den meisten aber nichts, als ein wüster Lärm im Ohr und eine schwere Müdigkeit in den Gliedern, als wär’ ich auf einem lahmen Gaul holpernd durch mein Leben geritten.

Ist jetzt dennoch einer zu mir zu Gast gekommen? Das Bild des toten Matiscona steigt plötzlich in mir auf, des stolzen Mannes, der das wahre Salz der Philosophorum kannte und mich dereinst das Geheimnis lehren wollte, durch ein ebräisch Sprüchlein alle Krankheiten des Leibes und der Seele zu bannen. Er taucht aus dem Dunkel empor, steht vor mir in venezianischer Tracht und bewegt die Lippen, als wollt’ er mir endlich sein tröstlich Elixier verraten. Aber wehe! Es ist nicht seine Stimme, die ich höre, sondern jenes triefäugigen Kapuziners heiseres Krächzen, der mir vor zehn Tagen in der Herberg’ zu Erfurt meinen Beutel stahl. Verdammt! Jetzt hör’ ich plötzlich den schelmischen Juden lispeln und schnaufen, der mir gestern mein silbernes Gehänge für drei neue Groschen abschwatzen wollt’, – doch er trägt heut das Antlitz eines edeln Herrn, des Richard Norfolk, meines toten Schwähers, den man die »weiße Rose« nannte.

Ja! Sie haben mich dereinst gekannt, die Großen dieser Erde. Ja! Ich war einst einer von ihnen, und die Klugen haben meinen Rat begehrt und die Starken meine Hilfe. Die Feldherrn, die Heiligen und die Denker hab’ ich am Werk gesehen, das Antlitz der Welt zu formen. Aber alles dies ist heut dunkel in mir und verworren, so, als hätte ein Trotzbube einen Traum von adeligem Leben geträumt.

Einstmals in der Neuen Welt ritt ich an himmelhohen Felsen vorbei, auf denen ein längst vergeßnes Volk sein unchristlich Sinnen und Denken in seltsamen Bildern abgemalt hat. Da sah ich Frauen, die sich mit Reihern paarten, zwei Posaunen bedrängten brünstig eine Jungfrau, und ein König erlustigte sich in seinem Bette mit einem St.-Georgen-Drachen. Und niemand lebte, der dieser Bilder geheimen Sinn und Meinung zu deuten verstand, denn ein endloser Regen hatte alle Worte und Zeichen hinweggewaschen, und nur die Bilder sind geblieben, die halberloschen zu tauben Ohren von einer vergeßnen Weisheit sprechen. Und wenn ich mich meines vergangenen Lebens zu entsinnen versuche, so scheint es mir, als stünd’ ich wiederum vor jenem fernen Felsen; denn alles, was ich jemals fühlte und dachte, ist hinweggespült aus meinem Erinnern, und nichts ist mir geblieben, als halberloschene Bilder, die mir kein Mensch zu deuten vermag.

Und dennoch – einer lebt, der könnt’ mir mein Leben deuten. Der Melchior Jäcklein ist’s, mein stummer Knecht, der beugt sich jetzt über mich und deckt mich mit seinem wollenen Mantel zu. Er ist heut wiederum zornig, knirscht mit den Zähnen und hat die Fäuste geballt. Sicherlich hat er wiederum Streit gehabt mit denen Spaniern; die liebt er nicht, sind ihm ihrer zuviel im Lager. In meinem stummen Knecht lebt gar mancherlei Haß, den die Arglist der Welt in ihm entzündet hat. Er entsinnt sich vieler Menschen, die mir oder ihm einst Übles taten, denen grollt er noch heut, und sinnt Tag und Nacht über nichts andres nach, als wie er sich an ihnen rächen könnt’. Ich aber erkenne sie nicht mehr, reit’ an ihnen vorbei und kann mich auf keine Art besinnen, wer sie sind, und was sie mir taten.

Mein stummer Knecht aber hat nichts vergessen, mein ganzes Leben ist in seinem Kopf abgemalt in grauenvoll blutigen Farben, so wie die Bauern die heiligen Märtyrer malen. Und oftmals scheint es mir, als wollt’ er mir ein’ längst vergessene Sach’ in mein Gedächtnis rufen, als wollt’ er mich mahnen an etwas, was ich versäumt; dann seh’ ich ihn rasen und toben und sich in hilflosem Zorn närrisch und verzweifelt gebärden, weil ich es nicht begreif’, was er von mir begehrt; und ich werde traurig, weil ich nichts mehr von all dem weiß und fühle, was seinen Sinn noch immer mit großem Zorn und tiefem Kummer erfüllt.

Welch ein Lärmen und Toben auf einmal, welch toll Gelächter? Wird hier die Fastnacht zelebriert? Die Musketiere sind’s, die bis jetzt auf ihren Mänteln lagen und würfelten; die haben jetzt die Schelmenbeiner beiseite geworfen und umringen den Doktor Cremonius, den Alchimisten des Kaisers.

»Euer Ehrenfest! Euer Hochgelahrt! Herr Spekulierer!« rufen sie durcheinander.

Des Kaisers Goldmacher und Astrolog bleibt stehen, hebt den Kopf wie einer, der aus tiefem Sinnen erwacht ist, und fragt: »Was wollt ihr von mir?«, und der Klang dieser Worte geht mir seltsam zu Herzen, weiß nicht warum. Zwei von des Kaisers Trabanten, die hinter dem Goldmacher einherschritten, treten jetzt rechts und links an seine Seite und lassen kein Aug’ von ihm.

Die Musketiere brüllen und rufen: »Euer Ehrenfest! Habt Ihr nicht Güldenwasser für die schwere Not?«

»He, du! Langer Mantel! Weißt du kein Mittel gegen die Mäler der Pest?«

»Ihr sollt Cardobenedicten-Kraut gebrauchen gegen die Mäler, die die Pest in eurem Antlitz hinterlassen hat«, gibt der Doktor Cremonius zur Antwort. »Wider die schwere Not, da hilft kaiserlich Violenwasser. Und nun lebt wohl und lasset mich meines Weges gehen.«

Einer liegt am Boden und ruft: »Ei, Ihr Meister Kuppler und Ruffian! Waret Ihr es nicht, der in Würzburg einer Jungfrau Sinn dermaßen verwirrte, daß sie keines ehrlichen Gesellen mehr achtete, sondern eines schalkhaften Juden Dirne wurde?«

Und einer, ein junger Gesell mit einem Bart wie ein indianischer Gockel, pflanzt sich vor dem Greise auf und schreit ihn an:

»Potz Blitz! Meister Quacksalber! Wisset Ihr kein Mittel wider die Suppenfresser und hirnschelligen Blackvögel, die dem Kaiser mit ihren Narrenpossen im Ohr liegen und vorgeben, daß sie Gold zu machen verständen, da sie doch selbst um einen schlechten Weißpfennig schweifwedeln und betteln wie die Hündlein um einen Bissen Brots.«

Der alte Mann schüttelt den Kopf und spricht mit leiser Stimme: »Nimm Saft von der Zwiebel, mein Sohn, und tu davon ein weniges in dein Ohr! Das ist gut, die Klugheit wiederzubringen denen, die sie verloren haben.«

Dann geht er weiter, die andern lachen, der junge Kerl aber wird rot im Gesicht und brüllt: »Heda! Halt! Stehngeblieben!«

Der alte Mann bleibt stehen und fragt mit einer Stimme, die müde klingt und dennoch stolz:

»Was wollt ihr von mir?«

Und wiederum machen mich diese Worte traurig. Es ist mir, als hätt’ ich die gleichen Worte einst gehört von einer bangen und traurigen Stimme, die mir ins Herz schnitt, sooft sie zu mir sprach. Weiß nicht mehr, wann und wo.

Der Landsknecht ist wieder ruhig geworden, setzt sich nieder und brummt: »Eure Ratschläg’ sind gut für die Kinder, die in ihr Bett harnen. Macht Euch davon! Über kurzem wird Euch der Kaiser ein hänfenes Halsgeschmeid verehren! Euch seh’ ich noch in der Herberg’ ›Zu den vier Winden‹ den Armensünder-Reigen zappeln.«

Der Alte geht wortlos seines Wegs, jetzt kommt er an mir vorbei, die beiden Trabanten sind immer hinter ihm her. Doch soll er nicht weiter, eh’ ich nicht erfahren, an wen mich seine Stimme und seine Worte gemahnten. »Euer Hochgelahrt! Verweilet ein wenig!«

Der Greis erschrickt, und zum drittenmal hör’ ich die Worte, die mir so weh getan, und es ist mir einen kurzen Augenblick hindurch, als wüßt’ ich, wer diese Worte einst mit so trauriger Stimme zu mir gesprochen. Doch das Erinnern, das mir jäh durchs Herz zuckte, fliegt hinweg wie ein scheuer Vogel, und ich kann es nicht erhaschen noch greifen, starre ihm nach in die leere Nacht.

Da weckt mich des Doktor Cremonius Stimme aus meinem Denken: »Wer seid Ihr, Herr?«

»Von den ungrischen Reitern bin ich ein Rittmeister. Sie heißen mich den Hauptmann Glasäpflein, weil ich ein gläsern Auge hab’.«

»Und was begehret Ihr von mir?«

»Euer Hochgelahrt, kein Tränklein und keine Salbe! Ein andres begehr’ ich von Euch, da Ihr doch in den Scientiis, sonderlich aber in der Necromantia wohl erfahren seid. Ich kannte einen, der lehrte mich, daß die vergangenen Jahre an einem Orte, stagnum oblivionis genannt, umherirren gleich den Wolken im leeren Weltenraum und wiederkommen und verschwinden können auf mancher Menschen Ruf und Befehl. Meister, habt Ihr Gewalt über die vergangenen Zeiten? Könnt Ihr Worte wieder erklingen lassen, die längst verhallt sind, und Menschen vor mein Antlitz gaukeln, die lang’ in ihren Gräbern modern?«

»Bruder! Ihr begehrt fast viel. Solches kann nur Gott und der leidige Teufel!«

»Euer Hochgelahrt! Und dennoch kannte ich einen, der lockte mit Zaubersprüchen und dem Dampf der Bilsenkräuter des mörderischen Neronis Schatten aus seiner Grube und zwang ihn an unsern Tisch zu treten, zu singen und die Laute zu schlagen.«

Der Alchimist neigt sich zu mir, blickt mich lang’ an und flüstert: »Bruder, das kann nur der Graf von Matiscona gewesen sein, dem solches gelang. Ich kenne ihn wohl, hab’ erst vor sieben Wochen einen Boten zu diesem großen Astrologen und Goldmacher gesandt. Ein dunkles und geheimnisschweres Wort begehrte ich von ihm zu erfahren, das ich selbst nicht finden kann, und dessen ich bedarf, um Dinge von großer Importance zu End’ zu bringen. Ein einziges Wort nur, und hängt dennoch eines Menschen Leben daran. Wollte Gott, seine Antwort käme zur rechten Zeit, sonst müßt’ ich großen Trübsals gewärtig sein.«

»Euer Hochgelahrt! Ihr sehet mich sehr erstaunt. Eher findet ein Kindlein, das am Boden rutscht, das Paradeisgärtlein oder das Heilige Land, als daß Eure Botschaft den Grafen von Matiscona erreicht. Erfahret denn von mir, daß der Matiscona tot ist. Ich selbst bin am Freitag vor dem Palmtag in dem ungrischen Schloß Gran an seinem Sterbebett gestanden. Er, der alle Krankheiten und Fieber mit ebräischen Zaubersprüchen zu bannen vermochte, ist einer neuen und niegesehenen Seuche erlegen, die keinen vor ihm befallen hat, und keinen nach ihm. Wahrlich, es ist nicht gut, nach Gottes Heimlichkeiten zu spähen.«

Der alte Mann steht vor mir und preßt sein Haupt in die Hände, und der Wind spielt mit seinem weißen Haar.

Nun richtet er sich auf. Er ist sehr blaß im Antlitz. »Bruder! Ich danke Euch. Nun ist mir froh und leicht zumut. Ohne Euch wär’ ich in Angst und Ungeduld noch viele Tage umhergeirrt, und die Sorge hätt’ mich noch weiter allnächtlich aus dem Schlaf gerissen, als könnte des großen Matiscona Antwort um ein arm gering Stündlein zu spät hieher gelangen. Denn eines Menschen Leben hing an dieser Sach’. Nun aber ist wieder Fröhlichkeit und Ruh’ in mir. Gott dank Euch, Bruder. Sagt mir nochmals, was Ihr begehrt.«

»Ein Jahr meines vergangenen Lebens begehr’ ich, ein Jahr, aus dem mich eine Stimme dreimal anrief in dieser Stunde. Meister! Ich will ein Vaterunser für Eure Seligkeit beten, wenn Ihr mir diese Gnade gewährt.«

Der Alchimist füllt seinen Becher aus einer Flasche, die er im Gürtel trägt. »So mag Gott Euch geben, war Ihr begehrt. Trinkt dies – und vergesset des Vaterunsers nicht.«

Es schmeckt wie schwefelig Feuer, nimmt mir den Atem und zwängt mir das Herz. »Meister, Euer Wein ist nicht Ungrischer, noch Brabanter. Wehe, Euer Wein verbrennt mir das Herz.«

Der alte Mann lächelt und nickt mit dem Kopf. »Et quid volo, nisi ut ardeat? Eben dies will ich, daß es wiederum brenne!«

Ich kann nicht weitertrinken, es brennt mir im Halse wie höllisches Feuer. Ich werfe den Becher zu Boden.

»Bruder! Warum trankt Ihr den Becher nicht leer? Ihr habt fast viel verschüttet!«

»Was lag auf des Bechers Grund?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht eines großen Schmerzes, vielleicht einer Seligkeit Ende. Lebt wohl, Bruder, und vergeßt des Vaterunsers nicht.«

Das Blut schießt mir wild durch die Schläfen, und der Herzschlag dröhnt, wie die Glocken beim Avegebet. Mir ist so weh und so angstvoll ums Herz, wie seit den Tagen der Jugend nicht mehr. »Meister! Die Leute sagen, daß Ihr dem Kaiser das Geheimnis verraten wollt, wie man Zinn und schlechtes Kupfer in eitel Gold verwandelt. Meister, ich bitt’ Euch, tut dies nicht, das Gold darf nicht in des Kaisers Händ’! Völker sah ich sterben und Reiche in Trümmer gehen, des Goldes wegen. Groß’ Unglück bringt Ihr über die Menschen, wenn Ihr nicht schweigt. Um der Liebe Gottes willen, verratet dem Kaiser Euer Geheimnis nicht, sonst geht die Welt in Flammen auf!«

Der alte Mann lächelt, blickt in die Weite, als träume er, und spricht mit leiser Stimme in den Wind hinein: »Et quid volo, nisi ut ardeat?«

Da treten die beiden Trabanten auf ihn zu, und er geht mit ihnen seines Weges weiter und verschwindet im Dunkel der Nacht.

Der Musketier aber ist aufgesprungen und schreit ihm nach:

»Da geht er hin, der Schnarcher und Prahlhans! Potz, wer zum Henker läuft, dem soll man sich nicht in den Weg stellen. Hat sich nicht der Kaiser bei seiner goldenen Kron’ verschworen, daß er ihn an den lichten Galgen bringen wolle, wenn er ihm nicht bis St. Niklausen aus einem Haufen rostiger Hufnägel 30.000 Stück Golddublonen und ungrischer Dukaten macht? Potz Fickerment, da wird’s Schnaufens und Bartstreichens geben, denn dann geht’s um seinen besten Hals!«

»Halt Frieden!« ruft ein andrer neben ihm. »Hast ihm genugsam den armen Judas gesungen.«

»Daß ihn der Hagel erschlag’! Er kann nichts als Gaukelfuhr und Affenstücke, weiß keine ehrliche Kunst. Hat noch niemals einem guten Soldaten das Fell wider Hieb und Stich gefroren gemacht, kann auch nicht Kugeln segnen.«

»Potz! Was soll mir solch eine Schelmenhaut? Ich trag’ allweil und immer ein Offizium St. Virginis bei mir, dazu die ›Sieben Tageszeiten Unsrer Lieben Frauen‹. Das allein ist gut wider Hieb und Stich. Ich fahr’ nicht in des Teufels Karosse.«

Ein eisgrauer Spanier richtet sich auf und schüttelt den Kopf. »Brüder! Stichfest machen und geweihte Kugeln gießen, das ist keine teuflische Kunst, sondern alter Kriegsbrauch von vaters her. Hab’ selber einen gekannt, den Garcia Novarro, der war solch ein frommer Christ, daß wir ihn den Sekretarius des Himmels nannten, und konnte doch Kugeln segnen, als hätt’ er dem Teufel in die Pfanne geguckt.«

»Hab’ ihn auch gekannt. Ist ihm übel gediehen!« ruft einer dazwischen.

»Ja!« sagte der Alte. »Er ist in die ewige Seligkeit durch eine hänfene Schlinge geschlüpft. Weil er an den Knecht des Deutschen seine Arkebuse verspielt hat und sie nicht wiedererlangen konnt’, trotz vielem Supplizieren, darum hat ihn der Cortez in der Luft verarrestieren lassen. Aber bevor sie ihn henkten, hat er dem einäugigen Deutschen seine drei Kugeln vermaledeit und ihnen dermaßen den Kompaß verstellt, daß die erste den heidnischen König auf der Stadtmauer traf und die zweite das unschuldige Mägdlein und die dritte den Deutschen selbst!«

»Nein!« schreit ein andrer. »Nicht den Deutschen! Der Deutsche lebt! Ist aber verflucht und verdammt, weil er vor Christi Bildnis den Hut nicht ziehen wollt’, und kann nicht sterben, sondern fährt mit seinem Knechte in toller Jagd durch die Wälder, und so ihm des Nachts ein Spanier begegnet oder ein Mönch, diesem dreht er das Antlitz zuhinterst!«

»Ei, so mag mich der Teufel lotweis’ holen, wenn nicht der Deutsche samt seinem stummen Knecht in Veracruz begraben liegt.«

»Possen! Er lebt! Ich weiß es besser!«

Ihr wirres Gezänke verhallt mir im Ohr, ich hör’ nicht mehr, was sie noch weiter von dem Deutschen und seinen dreien Kugeln erzählen. Mir ist, als hätt’ ich dereinst dies Märlein gekannt. Dunkel hab’ ich’s im Kopf, weiß nicht woher, las es vielleicht in einem törichten Buche, im »Amadis« oder im »Ritter Löw«. Wie ging es nur? Drei Kugeln – einen edeln König traf die erste, ein unschuldig Kind die zweite –, wie ging es weiter? – Wen die dritte?

Ei, was schert das mich! Der Kopf ist mir schwer geworden von des Alchimisten Schwefelpfuhl. Um meine Stirne liegt es wie ein eiserner Reif. Bleigewichte hängen an meinen Lidern, und dort steht der Schlaf. Er ist ein gar stolzer, spanischer Herr, geht hochfahrend seines Wegs, tut, als kenne er mich nicht. Eine weiße Krause trägt er um den Hals, ein Helmbusch nickt bei jedem Schritt von seinem Haupte, schwarz und weiß, – in seinem Küraß spiegelt sich die Welt. Was trägt er in den Händen – ein blankes Schwert – in Flammenschrift glüht darauf: Rubet ensis sanguine hostium! Nun steht er vor mir, – kalt rinnt mir’s durch die Glieder – er wächst empor – riesenhaft, bis an die Sterne ragt sein Leib – die schwarzen Wolken des Himmels ziehn an seiner Stirn vorbei – das Blut träuft wie Regen aus seiner Faust – ein Berg liegt auf meiner Brust – ich will um Hilfe rufen – das ist der Ferdinand Cortez, Gott sei mir gnädig – er spricht zu mir – ein Donnerschlag dröhnt aus seinem Mund: »Gebt die Arkebuse zurück, Wildgraf am Rhein!«

Wer – wer hat den Namen genannt? Es hat einer gerufen: Wildgraf am Rhein! Der ist längst tot, was hab’ ich mit ihm zu schaffen! Den hat der Kaiser in allen Städten auf Gassen und Plätzen in die offene Acht ausblasen lassen, ich kenn’ ihn nicht – ich bin der Hauptmann Glasäpflein – hab’ keinen andren Namen – jetzt – wieder hat’s einer gerufen: »Wildgraf am Rhein!«

Von den Musketieren ist es einer, der hat den Namen genannt, der längst vergessen und verschollen ist. Ein spanischer Reiter ist’s, ein alter Mann von schlankem Wuchs mit grauen Locken und grauem Bart. Sie lagern alle im Kreise um ihn, er spricht, einer schlägt leise die Trommel, die andern schweigen und horchen.

»Aber daß ihr des Grafen am Rhein vergessen habt, ihr Deutschen: pfui der Schand’! Lobpreiset und admirieret ihr doch jeden Schelm, der es zu Dignitäten bringt, wenn aber einer ohne Stern wider den ganzen Haufen ficht, dessen gedenket ihr nicht. Wahrlich, wer fällt, über den läuft die Welt hin. Wir Spanier sind des Grumbachs Feinde gewesen, haben ihm seine Knechte erschlagen und ihm viel Schaden und Abbruch getan. Und dennoch, wenn ich euch jetzt die Historie vom Grumbach und seinen drei Kugeln erzählen soll, so verstattet zuvor, ihr Herren, daß ich ihm eine Ehre erweise auf kastilianische Art:

Ich grüße dich, Wildgraf am Rhein! Über Meere und Zeiten hinweg grüß’ ich dich, einsamen Mann. Bist du vor dem Zorn des Cortez nicht gewichen, hast unverzagt mit deinen dreien Kugeln der ganzen spanischen Armada einen Trotz geboten. Und da du nun ruhst in fremder Erde, und keiner sich deiner entsinnt im deutschen Land, so will ich es sein, der dich heimbringt aus deinem welschen Grabe in ein deutsches Lied.«

Drei Kugeln – die Arkebuse – die spanische Armada – ja – alles dessen entsinne ich mich plötzlich – Gestalten tauchen empor – braune Männer, die Ruderboote auf den Schultern tragen – ein steinerner Götze starrt mich aus bösen Augen an – Flammenzeichen auf allen Bergen – ich seh’ mich wieder, wie ich die hölzerne Tür in Trümmer schlage – aber ich muß nicht lachen über mich diesmal, sondern mir ist gar traurig ums Herz – ein Nebel ist um mich voll Menschengestalten, die heben die Hände und wollen ans Licht und müssen doch zerrinnen, eh’ ich sie noch erkannt – ein Name klingt mir im Ohr – ja, Dalila hieß sie – und ihre Kinderstimme klagt aus weiter Ferne: – »Was wollt ihr von mir?« –

Genug! Was zögert er? Warum steht er da und blickt den Wolken nach? Es ist hoch an der Zeit – die Sterne stehn am Himmel – bis zur dritten Kugel ist ein weiter Ritt – bald wird es Nacht sein –! Ja, ich bin’s, bin der Grumbach, bin der Wildgraf am Rhein, beginne, Gesell, beginne!

Still! Er spricht weiter. Wie leiser Trommelwirbel klingt es an mein Ohr, es ist, als hielten ein Kalbfell und ein Schlegel nicht weit von mir eine leise Zwiesprach über mein verrauschtes Leben –.

 

 

 

 

 

 

 

 

Historie vom Grumbach und seinen drei Kugeln

 

Die Brüder

 

 

Ich entsinne mich, daß ich den Franz Grumbach, der, ehe er von Reichs wegen exekutiert und seines Landes verlustig wurde, mit seinem ganzen Namen »Wildgraf zu Grumbach und am Rhein« hieß, daß ich den Grumbach also zum ersten Male auf einem Felde südwärts von Gent gesehen habe, nach einem Zweikampf, in dem der junge Herzog von Mendoza seinen Gegner, einen Kastilianischen von Adel, zu Tod’ getroffen hatte. Auf diesem Felde sah ich den Grumbach über seinen Freund gebeugt, unter dessen bleiches und blutbespritztes Antlitz der Wundarzt seinen Arm geschoben hatte. Eine Weile blieb alles ganz still, der Herzog stand an die steinerne Brustwehr gelehnt und schien traurig und voll Reu’, daß er den Kastilianer, der ihm von seiner Knabenzeit her ein Freund und guter Gesell gewesen war, so in die Kehle gestoßen hatte. Er stand stumm und blickte ins Weite, und nur sein Pferd, das ich am Halfter hielt, bäumte sich und wollte nicht stillestehen.

Da brach plötzlich der Grumbach, dessen Name damals in aller Mund war (wegen seines Handels mit dem Bischof von Speyer, den er beim Kaiser verklagt und einen losen und verlaufenen Pfaffen gescholten hatte), das Schweigen, indem er sehr eilig und voll Hast, als fürchtete er, nicht mehr zu End’ zu kommen, dem Sterbenden zusprach: »Seid dessen gewiß«, sagte er mit einem kurzen Blick auf den Herzog von Mendoza, »daß ich von Eurer Braut kein Auge lassen werde, als ob sie meine eigene Schwester wär’, und nicht dulden werde, daß ihr einer zu nahe käm’.«

Der Sterbende verstand ihn recht wohl und sprach, ob ihm gleich das Blut zum Halse herausschoß, doch fließend und in leichtem Ton: »Mein Franz! Das ist zu spät. Bei uns zu Hause gibt es ein Sprichwort, das lautet: ›Die ein Mendoza küßt, die wird zur Dirne.‹ Frauen sind wie die Reiher im Herbst. Ziehen dahin und wissen ihren Weg. Müht Euch nicht, die werdet Ihr nicht halten. Lebt wohl, und grüß’ Euch die Mutter Gottes, die holdselige Jungfrau.«

Der Herzog blickte unbewegt hinaus über die Felder, als hätte er dies alles nicht gehört, wir andern aber wußten nun, daß es lautere Wahrheit war, was uns tags vorher einer von den Vorschneidern der königlichen Tafel über des Zweikampfs Ursach’ berichtet hatte, daß nämlich der Herzog von Mendoza in einer Nische des großen Bankettsaales die Braut des Kastilianers, ein Fräulein Catalina Juarez, umfangen und geküßt hatte.

Der Reitknecht des Kastilianers, ein blonder deutscher Bursche namens Melchior Jäcklein, dem die hellen Tränen über die Backen liefen, beugte sich zu seinem Herrn nieder und sagte: »Junker, Ihr tätet wahrhaftig wohl daran, ein fromm’ Verslein oder ein Gebet zu sagen. Doch sollt Ihr deshalb nicht glauben, es stünd’ schlimm um Euch. Denn mit ei’m Paternoster ist’s nicht wie mit den Mixturen des Herren Medici, die ei’m ans Leben gehn, so man sie zur unrechten Stund’ gebraucht.«

Der Kastilianer öffnete die Augen und sagte: »Melchior, wie ging das Lied von den Rosenblättern, das du uns jüngst zur Laute sangst?« Und nun begann er mit seiner leichten und zitternden Stimme zu singen:

»Aprilenwetter,

Jungfrauenlieb’ und Lerchengesang

und Rosenblätter

ist alles gar süß und währet nicht lang’.«

Und es ging uns allen sehr zu Herzen, wie dieser Todwunde solch eine verliebte und schmerzliche Weise sang.

»Euern Knecht, den Melchior Jäcklein, den nehm’ ich in Dienst und Brot«, sagte der Grumbach nach einer Weil’, und der Knecht richtete sich auf und sprach:

»Mein Junker hat sich wacker gehalten, ist seine Schuld nicht, daß er jetzt so fast kläglich hier liegt. Er kannte die neuen falschen Praktiken nicht: den Degen sinken lassen, als wär’ einer gestochen, und dann meuchlings zustoßen!«

»Schweig, Melchior!« rief der Verwundete. »Hast den Kopf voll Grillen und Tauben. Tausendfältige Phantasie steckt in dir.«

Aber der Herzog von Mendoza hatte plötzlich seine kalte Ruh’ verloren, schlug seinem Falben die Gerte an den Kopf und schrie:

»Schlag dem Schurken einer die Peitsche über das Maul! Reiß dem Narren einer die Zunge aus seinem Maul!«

Der Grumbach trat einen Schritt näher an ihn heran und maß ihn drohend von Kopf bis Fuß, doch der Herzog drehte ihm den Rücken zu und strich seinem zitternden Falben zärtlich über Hals und Mähne.

Hinter mir standen zwei flämische Edelleute aus des Herzogs Begleitung, und einer von ihnen sagte leise in seiner Sprache:

»Gehen einander an wie Wolf und Hund und sind doch beide Teig aus dem gleichen Troge.«

»Teig aus dem gleichen Troge?« fragte der andere.

»Verstehet Ihr mich nicht? Weiß es doch ein jeder Bratenwender und ein jeder Pferdejunge aus dem Palast, daß sie beide, der Wildgraf und der Herzog, so feindlich sie sich auch widereinander stellen, des verstorbenen Königs Philipp Bastarde sind, aber jeder von einer andern Mutter.«

»Gottes Blitz! Ein fast ungleich Brüderpaar.«

»Wundert Euch dies?« fragte der erste wiederum. »Mich nicht. Hat der Herzog des toten Königs spanischen Stolz, so ist der Wildgraf seine deutsche Seele.«

Indem zog der Wundarzt seinen dürren Arm unter dem Haupte des Kastilianers weg und erhob sich schweigend. Der blonde Knecht begann laut zu beten, der Grumbach aber zog den Hut und grüßte seinen toten Freund.

Da sah ich dieses Antlitz zum erstenmal, und damals hatte es die Mäler und Narben noch nicht, die es später so grausam entstellten. Und ob ich gleich den Grumbach in der Neuen Welt noch oft gesehen hab’: Einmal auf der Insel Ferdinandina schwer verwundet und im Fieber hin und her taumelnd; einmal im Zelte des Cortez, in heißem Wortstreit mit den spanischen Hauptleuten der evangelischen Lehre halber; einmal in tiefer Reu’ und Zerknirschung vor des Heilands Bildnis, – wenn ich heute seiner gedenke, steht er mir so vor Augen, wie er mir damals auf jenem Felde bei Gent erschien; ich sehe ihn ernsthaft und voll Kummer an der Seite seines toten Freundes stehen, und auf seinen Lippen ein feindliches Lächeln über Jungfrauenliebe und Rosenblätter –.

 

 

Die Neue Welt

 

 

Zwei Jahre verflossen nach jenem Tage von Gent, eh’ ich den Grumbach wiedersah. Und in diesen zwei Jahren ist es geschehen, daß er sein Land und seine Würden, dazu des Kaisers Gnade verlor und landflüchtig seine Heimat und die Alte Welt verließ. In der Neuen Welt, im Heerlager des Cortez, hab’ ich ihn wiedergetroffen. Jedoch vorher schon einmal hab’ ich durch einen seltsamen Zufall seinen Weg gekreuzt. Einen Augenblick lang hab’ ich ihn gesehen, aber damals konnt’ ich ihn nicht erkennen, denn sein Antlitz war entstellt durch Staub und Blut. Erst später erkannte ich, daß er es war, der damals die Dalila von den Gipfeln der Felsen ans Meer hinabgetragen hat. Und alles, was ich damals mit ansah und nicht recht verstand: die krausen Reden, die die zechenden Deutschen in der Hütte des Portugiesers führten; den erschrecklichen Schiffskampf in der Regennacht; und den Untergang der spanischen Caravelle – heute vermag ich mir dies alles zu deuten: Vor des Kaisers Zorn ist der Grumbach in die Neue Welt entflohn, und des Kaisers Galeeren waren hinter ihm her, und den Schatten dieser Flucht habe ich gesehen, so wie man manchmal an heißen Sommertagen den Schatten eines Schwarmes wilder Vögel lautlos über die Wiesen gleiten sieht. –

Wir saßen damals, sechs Spanier und ein Portugieser, auf Ferdinandina, einer der großen Inseln, die nicht weit von dem neuen Kontinent liegen. Wir trieben Tauschhandel mit den Indios und kauften Vogelbälge und Goldstaub, Mastix, rote Pfefferkörner, Zimmet und Ingwer von ihnen. Allmonatlich kam aus Baracoa, der Hauptstadt der Insel, der Leutnant des Gouverneurs und nahm alles, was wir erhandelt hatten, in seine Barke, wobei wir für unsere Waren manchmal zwanzig Goldpesos und noch mehr lösten. Auch bracht’ er uns geräuchertes Fleisch, Brot, Hühner und Branntwein und alles andere, dessen wir zum Leben bedurften.

Wir hatten unsere Hütten nicht weit vom Strand gebaut, und das Geräusch der Brandung klang Tag und Nacht in unsern Ohren. Kaum tausend Schritte von unseren Hütten türmten sich himmelhohe Felsen empor, die man jedoch von unsrer Seite aus nur mit Gefahr des Lebens zu ersteigen vermochte. Von dem Gipfel dieses felsigen Berges stürzte sich ein breiter Fluß mit großem Getöse hinab. Es gab etliche indianische Dörfer auf den Höhen dieses Gebirges, und zuzeiten brachte der Wasserfall hölzernes Gerät, Knochen und Felle mit sich, oftmals auch die Leichen verstümmelter Indios, welche von den Kämpfen Zeugnis gaben, die die Indios untereinander und mit den Leuten des Gouverneurs zu bestehen hatten. Und das Getöse jenes Wassersturzes war so gewaltig, daß wir im freien Felde unsre Stimmen erheben und laut schreien mußten, damit einer den andern verstände. –

Es war um jene Zeit, daß der große Regen über das Land kam, und allabendlich, wenn es dunkel zu werden begann, überzog sich der Himmel mit schweren Wolken und der Regen floß unaufhaltsam nieder bis zum Morgen des nächsten Tages. Der Wind wirbelte die regenfeuchten Blätter vom Boden auf und warf sie uns ins Gesicht. Der dreifache Gesang des Wassers: das Brausen des Meeres, das Getöse des Wassersturzes und das endlose Rauschen des Regens machte uns die Sinne krank und weckte Schwermut und Düsterkeit in unseren Herzen.

Wir hatten eine hölzerne Kathedrale, einen geräumigen Speicher und einen Schuppen aus breiten Balken mit wohlverwahrten Türen, in welchem wir die erhandelten Waren aufbewahrt hielten. Allabendlich, wenn es zu regnen begann, kamen wir in die Hütte des Portugiesers, die uns als Wirtsstube diente, zusammen, tranken Branntwein, würfelten und schwatzten.

Eines Abends näherte sich eine Caravelle der Insel und warf in unserem kleinen Hafen den Anker aus. Wir liefen alle nach dem Strand hin und sahen, daß eine Barke vom Schiffe abstieß und sich dem Strande näherte. Sechs oder sieben Männer entstiegen sodann dem Fahrzeug. Einer von ihnen begrüßte uns in gebrochenem Spanisch, fragte, wie lange und zu welchem Zwecke wir hier lebten, und ob sich ein Wundarzt unter uns befände. Sodann machten sich drei von ihnen, die mit Beilen und Stricken ausgerüstet waren, daran, eine von den Plantanen zu fällen, die sie für einen Segelbaum gebrauchen wollten, da ihnen der Sturm den vorderen Segelbaum der Caravelle zertrümmert hatte. Die andern begannen, nicht weit von unsrer Kathedrale, eine tiefe Grube auszuheben, und als sie diese Arbeit beendet hatten, begaben sie sich an den Strand zurück und holten den Leichnam eines alten Mannes aus ihrem Boot, dem die Stirn von einer Kugel durchlocht war. Diesen senkten sie unter mancherlei seltsamen Zeremonien, die uns gar unchristlich dünkten, in die Grube. Einer von ihnen holte sodann eine Fahne von schwarzem Tuch unter seinem Rock hervor. Als er sie entfaltete, sahen wir mit Staunen, daß kein Wappen, noch auch das Bild eines Heiligen, sondern nichts als ein breiter Schuh, wie ihn die Bauern tragen, auf dieser Fahne abgemalt war. Die Fahne breiteten sie über den Toten, schaufelten sodann die Erde darüber, und während dieser Verrichtung sprach keiner von ihnen ein Wort, schienen aber dennoch traurig und bedrückten Gemüts zu sein.

Inzwischen hatte es zu regnen begonnen, und wir begaben uns eiligst in die Hütte des Portugiesers, indem wir die Fremden im Regen ihre seltsamen Tausendhändel weitertreiben ließen. Nun saßen wir um den hölzernen Tisch herum, tranken Branntwein und machten uns Gedanken über unsre schweigsamen neuen Gäst’, und einer von uns meinte, sie seien von den Flibustiern oder Piraten, deren es schon damals viele in jenen Meeren gab, und daß sie vor kurzem einen schweren Kampf bestanden haben müßten, da sie nach einem Wundarzt verlangt hatten. Während wir noch darüber sprachen, ward die Tür geöffnet, und drei von den Flibustiern traten ein, schüttelten sich den Regen aus den Kleidern und ließen sich plump und ungefüge an unserem Tische nieder.

Eine Weile saßen sie schweigend neben uns, streckten die Beine unterm Tisch aus und stützten die Köpfe schwer auf ihre Fäuste. Der Portugieser aber hätte trefflich gern gewußt, woher diese seltsamen Gäste kämen, und wohin sie weiter zu reisen gedächten. So stellte er denn einen Krug Branntwein, ein Brot und einen ganzen Schinken vor sie hin auf den Tisch. Die Fremden zogen ihre Messer aus den Taschen und begannen zu essen.

»Es sind just elf Wochen, daß wir kein Stück frischen Brots zwischen den Zähnen gehabt haben«, sagte plötzlich einer von ihnen in spanischer Sprache.

»Hattet ihr solch weite Reise? Seid wohl Engelländer oder Flämen?« fragte der Wirt.

Der Fremde schüttelte den Kopf. »Wir alle und unser Kapitän und die andern, die auf dem ›Hölzernen Igel‹ verblieben sind, wir sind Deutsche vom Rhein.«

»Was ist das, der ›Hölzerne Igel‹?« fragte der Wirt.

»›Hölzerner Igel‹, so heißt unser Schiff«, gab der Deutsche zur Antwort.

»Es kommen wenige Deutsche in unsere Neue Welt«, sagte der Wirt. »Was sucht ihr hier?«

»Wir haben gehört, daß in diesen Ländern die Pfaffen annoch so rar sind, als der Speck in eines Juden Küch’.«

»Hattet ihr daheim Händel mit der Kirche? So werdet ihr bei uns nicht gar wohlgelitten sein. Ist ein fromm’ christlich Land, die spanische Neue Welt.«

»Bruder«, sagte der Deutsche, »was bei uns in Deutschland der Bauer aus seinem Acker gewinnt, find’ alles seinen Weg in eines Pfaffen Bauch. Und es ist kein Pfäfflein so gering, daß er nicht an den Bauern seine Schuh’ abwischen tät.«

Der Wirt war ein eifriger Christ. Es verdroß ihn, daß er die Deutschen so sprechen hörte.

»Schmähest du die Pfaffen«, rief er, »so ist’s nicht weit dahin, daß du auch den Papst in Rom verrätst.«

Der Bauer trank sein Glas leer und sagte: »Ich bin nicht papistisch. Hab’ es laut deklariert. Die Pfaffen haben uns das Blut aus dem Leib und das Mark aus den Knochen gesogen.«

»Was ihr sagt, ist alles dahergelogen«, schrie der Wirt mit einem roten Kopf. »Bin auch in Deutschland gewesen. Hab’ aber überall den Klerus klagend und weinend angetroffen, weil die feisten, bäurischen Miststampfer alleweil und immer an nichts andres denken, als wie sie am besten ihren Wanst zu füllen vermöchten.« Und der Wirt strich sich den Bart, lachte, und sagte dann: »Aber nicht mit Gottes Wort.«

»So soll man sich hüten vor weinenden Pfaffen und vor lachenden Wirten!« sagte der Bauer kurz.

»Ihr hättet in Deutschland bleiben mögen!« brummte der Wirt. »Ihr werdet in unserem Lande nichts gewinnen als das Kratzen hinter den Ohren.«

»Eines Biedermanns Erb’ liegt in allen Landen!« sagte der Bauer ruhig.

Der Portugieser gab keine Antwort mehr, sondern ging hinaus, und wir hörten ihn vor der Hütte bei den Speichern und Ställen rumoren.

»Wohin zieht ihr von hier?« fragte einer von uns. »Geht ihr nach Baracoa, so habt ihr keine lange Fahrt.«

»Wir fahren gen Westen. Dort soll ein Festland liegen, das die Spanier noch nicht betreten haben.«

»Wollt ihr dort Gold suchen?«

»Nein!« sagte der Deutsche. »Wir wollen dort Gerste und Weizen bauen, auch einen Haber und Rüben.«

Es war aber ein Bursche unter uns, Guevara mit Namen, ein Spitzbube und durchtriebener Funken, der gedachte, die Bauern zu vexieren, und sprach:

»Potz, so wißt ihr nicht, daß es in jenen Ländern nicht Wasser regnet, sondern geschmolzen Wachs, also daß auf dem Boden jenes Landes nichts andres gedeihen mag, als geweihte Kerzen?«

»So gedeihet dort nicht Korn noch Gerste? Wo finden die Kühe ihren Klee und die Pferde ihren Haber?«

»In jenem Lande gibt es weder Pferde noch Kühe.«

»Woher nehmen dann die Bäcker in jenem Land Milch und Mehl für Brot und Schmalzküchlein?«

»Wisset«, log der Guevara, »daß die Menschen dort die Milch gewinnen, indem sie eine Art seltsamer Kröten oder Unken melken, die über vier Schuh hoch sind und allenthalben auf den Wegen hocken. Auch wissen die Bäcker den Vogelmist statt des Mehles gar trefflich zu gebrauchen. Aber andres Getier gibt es nicht in jenen Ländern.«

Die Bauern rissen die Mäuler auf, daß ihnen der Geifer über die Lippen rann.

»In den deutschen Wäldern«, sagte einer von ihnen, »da läuft gar mancherlei Wild: Hirsche, Rehe, Säue und Hasen genug. Dazu Krammetsvögel, Schnepfen, Wachteln und Rebhühner. Aber was hilft das dem Bauern, da ihm kein ander Wild zu erjagen verstattet ist als die Flöhe in seinem Wams.«

»Jetzt sag’ uns der Herr noch«, wandte sich ein andrer an den Guevara, »da er gar weit gereist scheint in dieser Neuen Welt: Wie die Weiber in diesen Ländern sind. Haben sie auch lichte und schöne Haare? Haben sie Augen wie die Tauben, Lippen wie die Rosen und Hände so weich wie gesponnener Flachs? Sind sie heiter von Gemüt, wissen sie auf der Kirmeß zu tanzen, zu singen und zu lachen, daß es eine Lust ist, ihnen zuzusehn?«

»Wisset«, sagte der Guevara mit ernsthafter Miene, »daß die Weiber hierzuland auf allen vieren kriechen und am ganzen Leib mit schwarzem und rotem Haar bewachsen sind wie die Affen. Auch legen sie Eier und hecken Junge daraus, und solches tun sie dreimal im Jahr.«

Da schlug einer von den Deutschen mit der Faust auf den Tisch und brüllte:

»Potz! Wenn unser Kapitän der Narr ist, sich in solch ein grausam unflätiges Land hineinzustecken, ich will es keineswegs sein, ich geh’ nicht weiter!«

»Ei, du Tropf!« sagte der zweite. »Gedachtest du solch ein herrlich und gesegnet Land, wie es Deutschland ist, hinter dem Meere wiederum anzutreffen? Deutschland findest du nimmermehr in der Neuen Welt.« Und er fügte in tiefer Traurigkeit hinzu: »Ist der Wein gar, müssen wir uns mit Dünnbier behelfen.« Wollt’ damit sagen, daß sie, da ihnen in Deutschland zu leben verwehrt sei, sich in die Neue Welt schicken müßten, es sei ihnen nun lieb oder leid.

Uns erfaßte Mitleid, als wir ihn also sprechen hörten, und wir begriffen, wie groß die Not und das Ungemach gewesen sein mocht’, daß diese Bauern aus der Heimat in die unerforschte Neue Welt getrieben hatte.

Selbst der Guevara gedachte sie nun zu trösten und sagte: »Sind aber ein friedlich und mildtätig Volk, die Indios der Neue Welt. Es ist gut zu Markte zu gehen bei ihnen, denn sie achten des Reichtums und Goldbesitzes gar gering. Ich selbst hab’ einmal für einen Scherben aus blauem Glas und für zwei Ellen roten Tuchs eine Handvoll Goldkörner von ihnen erhandelt.«

Kaum hatte der Guevara diese Worte gesprochen, da erhielt er plötzlich von dem Deutschen, der ihm zunächst saß, einen derben Schlag hinter die Ohren.

»Daß dich die Pestilenz erwürg’!« brüllte der Deutsche erbost, »da hast du den Backenschlag, der auf solch eine faustdicke Lüge gehört. Der muß ein Narr sein, der dir solch einen närrischen Handel glaubt!«

»Hui Drescher!« kreischte der Guevara und flog zur Türe hin. »Was drischst du mich, da ich doch just diesmal nicht gelogen hab’. Es ist bei allen Gottsheiligen wahr.«

In diesem Augenblick wurde die Türe aufgerissen und der Portugieser kam ohne Atem in die Stube gestürzt, stieß den Guevara beiseite und schrie:

»Jetzt kommt rasch hinaus. Die Fanghunde des Gouverneurs sind wieder über denen Indios ihre Dörfer geraten! Ich hab’ die ›letzte Beicht’‹ gehört.«

Wir sprangen auf und drängten uns zur Tür’ hinaus, denn wir wußten wohl, was des Portugiesers Worte von der »letzten Beicht’« bedeuteten. Und sowie wir draußen waren, begannen wir eilig nach jener Stelle des Strands hinzulaufen, wo sich der Fluß von den Felsen zu Tale warf. Während wir noch liefen, hörten wir in der Höhe des Felsens jenen Todesschrei nochmals ertönen, den der Wirt die »letzte Beicht’« benannt hatte. Und dieser Schrei war so furchtbar und grauenvoll zu hören, daß uns im Laufen die Knie zu zittern begannen.

»Jetzt hat er zum letztenmal gebeichtet!« keuchte der Portugieser neben mir. »Der wird in seinem Leben nicht mehr viel schreien.«

Indem waren wir am Fuße es Felsens angelangt und blickten voll Grausen den tobenden und brausenden Wassersturz empor.

»Seht ihr ihn? Dort tanzt er«, sagte der Portugieser plötzlich und deutete mit der Hand auf die Felszacken, zwischen denen die Wasser donnerten und schäumten.

Wir sahen einen dunklen Körper blitzschnell mit der Gischt des Wassers zu Tale schießen. Alsbald spülte uns der Fluß die Leiche eines Menschen mit zerschmetterten Gliedern vor die Füße.

Es war ein alter, magerer, grauhaariger Indio. Die Arme waren ihm auf den Rücken gebunden, an der nackten Brust klaffte eine breite Wunde. Kopf und Beine waren von der Gewalt des Sturzes zerschmettert.

»Das sind die Leute des Gouverneurs, die solches tun«, sagte der Guevara. »Der Herr Diego Velasquez braucht viel Gesinde und Hörige zur Bebauung der Ländereien, welche ihm die Gnade des Königs auf dieser Insel verliehen hat. So sendet er Leute aus, die des Nachts die Dörfer der Indios überfallen und die Männer, die Knaben und die jungen Weiber hinwegführen. Die alten Leute aber werden ohne Barmherzigkeit erschlagen, wenn es ihnen nicht gelingt, in die dicken Wälder zu entkommen.«

»Das ist nicht wahr«, sagte der Portugieser. »Nur die halsstarrigen Heiden werden erschlagen, wenn aber einer von den Greisen die Taufe nehmen will, so tun sie ihm nichts zuleide, schenken ihm noch Brot und Fleisch. Es gehen immer ein oder zwei Priester mit den Sklavenfängern, daß sie die Indios könnten taufen.«

Die Deutschen blickten einander an, und einer sagte: »Wahrlich, wenn es gilt, die Bauern in ihren Dörfern zu schinden und zu binden, so sind immer der Pfaffen dabei, einer oder ihrer zwei.«

Der zweite von den Deutschen hob den Kopf des Ermordeten in die Höhe und sagte:

»Ist ein gut bäurisches Angesicht. Hat Runzeln im Gesicht und Schwielen an den Händen. Hat sein Leben lang geackert und gedroschen; wahrlich, so ist der Bauern Elend in allen Landen das gleiche, und mir ist, als stünd’ ich wieder in Deutschland.«

»Bruder!« schrie der dritte. »Jetzt sitzen sie oben, Pfaffen und Herren beisammen, haben sich toll und voll gesoffen, den Indios ihre Würst’ und Speck aus dem Schornstein gestohlen, die feisten Säu’ im Stall erschlagen und schießen zu einer Kurzweil mit Bolzen auf den Indios ihre Hühner. Brüder, was meinet ihr, sollen wir nicht hinauf und denen fröhlichen Herren einen Abschiedstrunk kredenzen?«

»Brüder, ich mein’, diesen toten Bauern soll unser Junker sehen, greift zu!«