Ein Universum voller faszinierender Objekte und mitten drin zwei staunende Wissenschaftler, die im Dialog den aktuellen Stand der Forschung präsentieren.

Die allgemein verständliche Sprache, die jedoch nie weiter vereinfacht, als es wissenschaftlich korrekt wäre und mehr als hundert Farbabbildungen bereiten den Weg und eröffnen einen veränderten Blickwinkel auf unsere Welt.

Lesch und Gaßner greifen intuitiv Fragen vorweg und finden zwischen Hypernovae, Higgsfeld, Exoplaneten, Eichsymmetrien, LHC und Schwarzen Löchern stets Raum für ein verschmitztes Augenzwinkern.

Das Resultat ist gleichsam unterhaltend und doch keine leichte Bettlektüre. Es wird insbesondere jenen große Freunde bereiten, die ein tiefes Verständnis zum Urknall, dem Weltall und dem Leben suchen.

Harald Lesch, theoretischer Physiker, lehrt Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie.

Josef M. Gaßner, (www.Josef-Gassner.de), Mathematiker und theoretischer Physiker, lehrt Astronomie und Kosmologie im Studium Generale der Hochschule Landshut.

Harald Lesch & Josef M. Gaßner

URKNALL, WELTALL UND DAS LEBEN

Vom Nichts bis heute Morgen

Dritte überarbeitete
und erweiterte Auflage

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

PROLOG

1    WOHER WISSEN WIR DAS ALLES? -

Auf den Schultern von Riesen

2    DER URKNALL - Der Tag ohne gestern

2.1    Vom Nichts zur Quantenfluktuation -

Nichts ist nicht nichts

2.2    Die Grenze der Erkenntnis - Auf in die Planckwelt!

2.3    Die Masse - Materie besteht nicht aus Materie

2.4    Die Zeit - Ordnung ist das halbe Leben

2.5    Vom Phasenübergang zur Symmetriebrechung -

Welches Schweinderl hätten S’denn gern?

2.6    Verschnaufpause- Wo stehen wir - wo wollen wir hin?

2.7    Die Entstehung von allem aus dem Nichts -

Mit unendlich vielen Affen zur Inflation

2.8    Die primordiale Nukleosynthese -

Warten auf das Sensibelchen

2.9    Die Rekombination - Das Atom betritt die Bühne

3    DAS WELTALL -

Alles, was ist - nicht mehr, aber auch nicht weniger

3.1    Die Strukturbildung - Aus Bröseln werden Sterne

3.2    Leben und Sterben der Sterne - Ganz großes Kino!

3.2.1    Die stellare Nukleosynthese - Es werde Licht!

3.2.2    Neutrinos - Den Ignoranten auf der Spur

3.2.3    Vom Roten Riesen zum Weißen Zwerg -

Gullivers Reisen

3.2.4    Supernova - Der ganz große Zapfenstreich

3.2.5    Vom Gleichgewicht der Kräfte zu den Sternleichen -

In the long run we are all dead

3.3    Das anthropische Prinzip - Das Universum mag uns

3.4    Die Anreicherung der Galaxien mit schweren Elementen - Der Stoff, aus dem die Helden sind

3.5    Die Milchstraße - Und ihre bucklige Verwandtschaft

3.6    Wie konstant sind Naturkonstanten wirklich? -

Auf diese Steine können Sie bauen

3.7    Unser Sonnensystem - Home sweet home

3.8    Exoplaneten - Strangers in the night

3.9    Verschnaufpause - Ein Blick zurück im Schnelldurchlauf

4    DAS LEBEN -

Wie aus den Prokaryonten Dichter wurden

4.1    Unser Heimatplanet - Der blaue Diamant

4.2    Vom Urey-Miller-Experiment zu den Bausteinen des Lebens - Der Zaubertrank des Miraculix

4.3    Die Entstehung des Lebens -

Materie wird launisch und lyrisch

4.4    Sind wir allein im Universum? - Hallo, ist da jemand?

4.5    Kosmische und andere Katastrophen - Shit happens

5    WIE GEHT’S JETZT WEITER? - Auf zu neuen Ufern!

5.1    Dunkle Energie - Houston, wir haben ein Problem

5.2    Dunkle Materie - Zurück auf Los?

5.3    Der Large Hadron Collider - Viel Lärm um Higgs

6    EIN BLICK ÜBER DEN TELLERRAND -

Spaziergang am Rand der Erkenntnis

6.1    Strings, Quantenschleifen und Supersymmetrie -

Und andere wilde Geschichten

6.2    Ist noch Platz für Gott in der modernen Wissenschaft? -

Schimpanse vs. Schöpfer

6.3    Was bringt uns das Ganze jetzt?

Vom Spinnen-Totschläger zum Spinnen-Rausträger

ANHANG

Bildnachweis

Register

Vorwort

„Solange Sie erklären, verstehe ich alles, aber wenn ich dann meinen Freunden davon berichten möchte, ist alles weg.“

Wie oft ich diesen Satz schon gehört habe! Wenn Wissenschaftler sich in die Öffentlichkeit begeben, kommen sie zwar nicht darin um, aber sie müssen akzeptieren, dass die komplizierten und komplexen Inhalte der modernsten Forschung sich leider nur sehr unvollständig, um nicht zu sagen unzureichend, transportieren lassen. Fast immer scheitert der Versuch, Wissenschaft der interessierten Öffentlichkeit nahe zu bringen, am hohen Abstraktionsgrad und der fehlenden Anschaulichkeit der wissenschaftlichen Inhalte. Gerade die hochinteressanten Fragen nach dem Allergrößten und dem Allerkleinsten, also dem Universum als Ganzes und der Struktur der Materie, führen oft in regelrechte Abgründe der Unvorstellbarkeit.

Bevor wir ins Unvorstellbare stürzen, klammern wir uns noch an den schwarzen, gestirnten Himmel über uns. Hier bietet der Kosmos zumindest noch die Lichter der strahlenden Sternengasbälle, die sich nicht völlig unserer Vorstellungskraft entziehen. Aber werden wir mit Zahlen konfrontiert, wird vielen von uns schon schwummrig. Ein Gasball, der viele hunderttausend Mal schwerer ist als die Erde und einen Radius von 700.000 Kilometern hat, verschmilzt in seinem Innersten Atomkerne miteinander - das kann man sich einfach nicht mehr vorstellen. Selbst moderne Jumbojets bräuchten Monate für die Umrundung eines solchen Giganten. Und davon soll es hundert Milliarden geben in unserer Milchstraße, die wiederum eine Ausdehnung von hunderttausend Lichtjahren hat? Nein, da hört es mit der Anschaulichkeit aber wirklich auf.

Schön sind sie ja schon, diese kosmischen Gebilde, die Spiralgalaxien, die Molekülwolken oder die Überreste von explodierten Sternen. Die vielen Bilder, die uns die Teleskope liefern, erfreuen das Auge eines jeden Betrachters. So manch einer vermutet da draußen unzählbare rätselhafte Geheimnisse, wenn nicht gar ein mystisches Geschehen in der unendlichen Weite des Weltraumes, in den gewaltigen Tiefen der Zeit. Bei solchen Dimensionen darf man keine Sofortmeldungen erwarten; immer braucht es Zeit, bis uns die Nachrichten vom Rand der erkennbaren Wirklichkeit erreichen. Selbst das Sonnenlicht, das in unser Auge fällt, ist schon acht Minuten alt. Wenn die staunenden Zuhörer erfahren müssen, dass eine Gleichzeitigkeit von kosmischem Geschehen und ihrer Wahrnehmung unmöglich ist, dann blickt der Wissenschaftler oft in völlig fassungslose Gesichter. Wie kann der Laie auch glauben, dass heute noch Objekte am Himmel zu sehen sind, die schon lange nicht mehr existieren? Wenn heute Abend Strahlen unseres nahegelegensten Sterns in unser Auge fallen, so könnten das seine letzten gewesen sein, falls ihre Quelle schon vor Jahren in einer Explosion zerstört worden wäre. Wie soll der Mensch, der gewohnt ist, sich auf seine sechs Sinne zu verlassen, damit klarkommen?

Noch verrückter sind die Vorgänge im Inneren der Materie. Wir bestehen wie alle Materie auf der Erde aus Atomen. Deren Winzigkeit ist so unglaublich, dass unsere Vorstellungskraft unweigerlich versagen muss. Ein Gramm vom Zeigefinger besteht aus hochstrukturierten Molekülen der Haut, die aus zirka einer Billion mal einer Billion Atomen aufgebaut sind. Und jedes dieser Atome besteht aus einem nahezu leeren Raum, mit nichts gefüllt als einem Hauch von Aufenthaltswahrscheinlichkeiten und einem allerwinzigsten Kern, der sich bei genauerer Betrachtung abermals als ein Nichts erweist. Tja, wie soll man das erklären?

Und dann gibt es da noch die wirklich allergrößte Herausforderung für den gesunden Menschenverstand: die Verbindung des Allergrößten mit dem Allerkleinsten, wenn sich das Universum in seine Existenz wirft. Spätestens hier ist Schluss mit lustig!

Oder vielleicht nicht, vielleicht muss man sich gerade im Angesicht solcher Grenzfragen wieder an eine zutiefst menschliche Eigenschaft erinnern: Stellen wir uns doch der Welt mit einer gesunden Portion Humor! Das Absurde der abstrakten Modelle von Kosmos und Materie ist schließlich ganz offensichtlich. Mit unserer normalen Alltagswelt hat das alles nichts zu tun und doch könnte man sich gerade darüber freuen, dass unser Verstand, der ja nur an dieser normalen Alltagswelt getestet worden ist, sich an die Grenzen des gerade noch irgendwie Erkennbaren heranwagt. Und das tut er offensichtlich mit großem Erfolg. Aber warum funktioniert das so gut? Wieso kann der Mensch, selbst ein Teil der Natur, sich nicht nur fragen, was es mit der Natur auf sich hat, warum findet er auch noch Antworten, die er verstehen kann?

Hier eröffnet sich für Wissenschaftler, die an die Öffentlichkeit gehen, eine wichtige Perspektive. Es geht eben nicht nur darum, alle Einzelheiten wahrheitsgetreu zu präsentieren in der Hoffnung, dass alle verstehen, worum es geht. Es geht vielmehr um die Potenz der Vernunft, um die Möglichkeiten, die unser Bewusstsein bietet. Hier fordern wir unsere ganz grundsätzliche Fähigkeit heraus, sich über unsere normalen Sinne und deren Anschauungen hinwegzusetzen. Ein öffentlicher Vortrag über Sachthemen der Wissenschaft kann somit zu einem Fest des Verstandes werden. Traue nicht nur deinen Augen und Ohren, verlange nicht die unmittelbare Einsicht und Anschauung im wörtlichen Sinne, sondern stelle dir vor, es gäbe mehr, als du siehst, riechst, schmeckst und hörst. Stelle dir vor, es gäbe auch das, was du denken kannst. Nicht alles, was du denkst, gibt es auch, aber vieles!

So wie ein Musikliebhaber, der womöglich zuhause am Piano mehr oder weniger gut Musik macht, sich am Spiel eines Virtuosen erfreut und spürt, was musikalisch möglich ist, ohne jedoch selbst in allen Einzelheiten der Kompositionslehre und der Instrumentenbeherrschung ein Experte zu sein, so könnte sich auch der Dialog von Öffentlichkeit und Wissenschaft auf einer Ebene der grundsätzlichen Fragen vollziehen. Deshalb sollten wir Wissenschaftler vor allem Bilder schaffen, Motive, die das Denken anregen. Und wenn das gelungen ist, gilt es die Brücke zu bauen: „Was hat das alles mit mir zu tun?“ Im besten Falle wird der Wissenschaftler zum Reiseführer, der die Besucher durch das faszinierende Reich der abstrakten Modelle geleitet.

Im Dialog mit Josef hat sich die Möglichkeit eröffnet, diese Einblicke tiefer und umfassender darzulegen, als es mir jemals vorher gelungen ist - bis an die Grenzen meiner eigenen Vorstellungskraft. Angesichts der dabei entstandenen großartigen Geschichten vom Rand der Zeit, von den Untiefen der Elementarteilchen, dem kosmischen Materiekreislauf und unserer kosmischen Herkunft ist die Begeisterung garantiert. Ob Sie es am Ende allerdings Ihren Freunden erklären können?

Im Herbst 2014

Harald Lesch

 

„Erfolg ist ein Mosaik, an dem sich viele beteiligen.“

(Franz Schmidberger)

An einem kalten Wintertag saßen wir uns im Tonstudio gegenüber. Ich hatte noch Haralds aufmunternde Worte im Ohr: „Das wird ganz entspannt – wir quatschen einfach ein bisschen dummes Zeug.“ Vermutlich wollte er mir Mut zusprechen auf meiner Mission Impossible als Medienneuling im direkten Schlagabtausch mit dem Vollblutprofi.

Geplant waren 60 Minuten zum Thema „Das Universum verstehen“. Nachdem Harald – der sich selbst als rhetorisch inkontinent bezeichnet – erst mal losgelegt hatte, waren daraus schnell 260 Minuten geworden und kein Ende in Sicht. Unser besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem Produzenten Herbert Lenz, der bewundernswerte Flexibilität und Nervenstärke bewiesen hat. Nach einem weiteren Studiotermin fand das Hörbuch doch noch ein gutes Ende und alle Beteiligten beteuerten, dass sie niemals daran gezweifelt hätten.

Im Anschluss wurden die Dialoge niedergeschrieben, Carolina Haut glättete mit Liebe zum Detail unsere sprachlichen Unzulänglichkeiten, die Kollegen der NASA und ESA stellten großzügig ihr neuestes Bildmaterial zur Verfügung und unser gemeinsamer Freund Jörn Müller brachte seinen Erfahrungsschatz ein, insbesondere sein feines Gespür dafür, wo noch Erklärungsbedarf besteht.

Während des ursprünglichen Dialoges hatten sich drei Schwerpunkte herauskristallisiert: die Urknall-Hypothese sowie der aktuelle Forschungsstand zum Weltall und dem Phänomen Leben. Die Themen unterscheiden sich deutlich im Schwierigkeitsgrad, sind allerdings weitgehend selbsttragend. Wem also der theoretische Hintergrund des Urknallmodells zu abgedreht erscheint, der kann jederzeit Mut zur Lücke beweisen und unmittelbar zum Kapitel Weltall springen.

Die zahlreichen Rückmeldungen haben uns motiviert, unter http://www.Urknall-Weltall-Leben.de eine Internetseite zum Buch einzurichten, mit stets aktualisierten Nachrichten und Videos aus der Wissenschaft sowie einem Forum. Vielen Dank an alle, die dort offene Fragen, Änderungs- und Erweiterungsvorschläge hinterlassen haben und das hoffentlich auch in Zukunft tun werden. Das gesamte Feedback ist in die vorliegende dritte Auflage des Buches eingeflossen. Die laufende Pflege des Manuskripts gewährleistet, dass sich alle Zahlen und Fakten auf dem aktuellen Stand befinden. Dabei ist ein vierter Schwerpunkt hinzugekommen, der die aktuellen Grenzfragen der theoretischen Physik behandelt.

Unter dem Titel des Buches haben wir auch einen YouTube-Kanal eingerichtet, auf dem Sie laufend neue Videos von Harald und mir zu unterschiedlichen Themen finden.

Wir hoffen, der vorliegende Dialog wird Ihnen ebenso viel Freude bereiten wie uns und laden Sie herzlichst ein, die/der Dritte im Bunde zu sein. Aber noch eine Warnung vorweg – seien Sie sich des Risikos bewusst: Die Faszination Wissenschaft ist ein trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe man in die Köpfe der Menschen gelangt. Sobald Ihnen bewusst wird, welche glücklichen Umstände in diesem Universum vom Urknall bis heute Morgen zusammenspielen mussten, damit das Phänomen Leben und damit unsere eigene Existenz überhaupt möglich ist, werden Sie vielleicht diese Welt und sich selbst mit neuen Augen sehen. Sagen Sie nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt!

Im Herbst 2014

Josef M. Gaßner

Prolog

„Auf einem stark abgekühlten Aschehaufen stehend, beobachten wir das allmähliche Erlöschen der Sonnen, und wir versuchen uns des entschwundenen Glanzes des Ursprungs der Welten zu erinnern.“

1.1  Georges Lemaître (1894 - 1966)

Gaßner: Spüren Sie, verehrte Leserinnen und Leser, die tiefe Sehnsucht in diesen Worten von Georges Lemaître? Genau diese Sehnsucht ist es, die viele Generationen von Menschen bis heute motiviert, Astronomie und Kosmologie zu betreiben. Es ist der ureigene Wunsch, die Welt zu verstehen, in der wir leben.

Lesch: Genau. Es geht schlichtweg um die Frage, woher alles kommt. Es gilt, die größtmögliche Geschichte zu ergründen und zu erzählen. Das Hauptproblem besteht letztlich darin, dass wir auf die Welt kommen – und die Welt ist schon da. Wir versuchen von Kindesbeinen an, diese faszinierende Welt zu erforschen.

Gaßner: Ein Universum, das in einem Urknall sämtliche Voraussetzungen in sich trägt, nach Jahrmilliarden die unglaubliche Metamorphose von toter Materie zu lebenden Organismen zu vollziehen, ist für reflektierende Lebewesen zwangsläufig ein bestaunenswertes Rätsel.

Lesch: Deshalb ist es ja auch naheliegend, dass der Mensch der Vorzeit bis weit in die Antike die Gründe für die Existenz und Funktionsfähigkeit der kosmischen Vorgänge zunächst im Bereich der Götter und Mythen suchte. Um sich eine vielfältige Welt mit all ihren Einzelheiten zu erklären, bedurfte es Wesen, die das wollten und mittels übermenschlicher Fähigkeiten bewerkstelligen konnten. Dass sich die Welt aus dem Nichts beziehungsweise einem völlig ungeordneten Chaos in einen geordneten Kosmos entwickelt haben könnte, war lange Zeit nicht vorstellbar und ist es im Grunde bis heute nicht. Für den nachfragenden Geist war das ewige Universum aber schon damals eine Provokation. Für weniger kritische Gemüter stellte es jedoch eine große Beruhigung dar.

Gaßner: Für das frühe Interesse der Menschheit an den Vorgängen am Himmel gibt es sogar einen archäologischen Beweis, die Himmelsscheibe von Nebra. Sie ist die älteste bekannte Himmelsdarstellung und wurde etwa 2100 bis 1700 v. Chr. von unseren Vorfahren angefertigt. Über ihre genaue Bedeutung gibt es seit ihrem Fund 1999 in einer Steinkammer nahe der heutigen Stadt Nebra in Sachsen-Anhalt die unterschiedlichsten Theorien.

Lesch: Der Anblick des Himmels hat von jeher in den Menschen das tiefe Verlangen ausgelöst zu verstehen. Selbst vor 4.000 Jahren, und da hatte man ja wirklich noch andere Probleme.

Gaßner: Der römische Philosoph Lucio Annaeus Seneca schrieb bereits zu Beginn unserer Zeitrechnung: „Wenn die Sterne nur von einem einzigen Ort aus auf der Erde sichtbar wären, würden die Menschen nie aufhören, dorthin zu reisen, um sie zu sehen.“

Vom Staunen ist es nur ein kurzer Schritt zum Verstehenwollen. Der Durchbruch in puncto „Verstehen“ kam aber erst mit dem Beginn der Neuzeit und den sich entwickelnden empirischen Naturwissenschaften. Die Forschung machte auch vor dem Kosmos als Ganzes nicht mehr halt. Die Entwicklungslinien wurden immer klarer. Letztlich konnte die Vorstellung eines ewigen Kosmos nicht länger aufrechterhalten werden.

1.2  Die Himmelsscheibe von Nebro. Sie besteht aus etwa 2,3 kg Bronze und ist mit Goldapplikationen versehen, die den Verlauf der Sonnenaufgänge darstellen und Sterne kennzeichnen. Anhand von Verunreinigungen in der Bronze, insbesondere radioaktiver Bleiisotope, konnte die kreisrunde Platte mit 32 cm Durchmesser auf 2100 bis 1700 v. Chr. datiert werden. Am Abend der Sommersonnenwende (21. Juni) wurde die Scheibe auf dem Mittelberg stehend in Richtung Brocken justiert. Die Sonnenuntergänge wanderten anschließend bis zur Wintersonnenwende (21. Dezember) entlang des Horizontbogens und kehrten von dort wieder zum Ausgangspunkt zurück. Ein zweiter, leider nicht mehr erhaltener Horizontbogen kennzeichnete analog die Sonnenaufgänge. Beide spannten jeweils einen Winkel von 82 Grad auf. Der Bogen am unteren Rand stellt vermutlich eine sogenannte Himmelsbarke dar und hatte keine astronomische Bedeutung.

Lesch: Als in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts immer mehr Beobachtungen sogar auf eine Expansion des Kosmos hindeuteten, kam es zum finalen Aufbäumen der Hypothese vom ewigen Universum. Die Liste der Expansions-Kritiker liest sich wie das damalige Who’s Who der Wissenschaft, von Fred Hoyle, Max Born, Robert Millikan, Louis de Broglie, Walther Nernst, Erwin Freundlich bis Fritz Zwicky. Gestützt wurde die Skepsis durch ein theoretisches Alter des Universums, dass geringer war als das nachweisbare Alter unseres Sonnensystems. Zudem erschien vielen ein kosmologisches Prinzip in Raum und Zeit ansprechender.

Gaßner: In den folgenden Jahren geriet die Frage mehr und mehr zum Politikum. Selbst Papst Pius XII. äußerte sich zum Thema.

Lesch: Zum Glück wurde mit der Zeit die Entfernungsmessung immer weiter verbessert und damit auch die Bestimmung des Alters des Universums. Mit der Entwicklung der Radioastronomie gelang schließlich sogar der direkte Nachweis, dass Galaxien früher dichter standen als heute.

1.3  Sir Fred Hoyle (1915 - 2001)

Gaßner: Ausgerechnet Sir Fred Hoyle, einer der Hauptvertreter des statischen Universums, hat in einer Radiosendung das Modell eines sich dynamisch entwickelnden, expandierenden Kosmos mit der abfällig gemeinten Bezeichnung „Big Bang“, also „großer Knall“, abgetan und wurde so unfreiwillig zum Namensgeber dieser bis zum heutigen Tage gültigen Theorie. Das Modell vom Urknall hat sich durchgesetzt. Es ist zum anerkannten Standardmodell der Kosmologie geworden.

Lesch: Das nennt man ein klassisches „Branding“. Das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. Das Urknallmodell war in der Zeit damals ja heiß umstritten und gerade der Herr, den du angesprochen hast, kämpfte noch jahrzehntelang dagegen an.

Gaßner: Die Vorbehalte von Fred Hoyle und seinen Kollegen sind aus damaliger Sicht durchaus nachvollziehbar. Ein Universum, das sich fortwährend ausdehnt, war offensichtlich gestern kleiner und wärmer als heute und letzte Woche noch kleiner und noch wärmer. Konsequent zu Ende gedacht liefert diese rückwärtige Betrachtung immer weiter steigende Temperaturen und Dichten. Man landet zwangsläufig bei einem unvorstellbar heißen und dichten Urknall, mit dem alles seinen Anfang nahm. Damit ist unweigerlich eine Reihe von weitreichenden Fragen verbunden.

Lesch: Die erste Frage ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich kann jetzt förmlich spüren, was bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, im Gehirn abläuft. Der Homo sapiens kann gar nicht anders, er muss diese Frage stellen. Wenn ich jetzt behaupte: „Es hat den Urknall gegeben!“, dann stellen Sie sofort die Frage, eine der wichtigsten Fragen: „Und was war vor dem Urknall?“ Habe ich nicht recht?

Gaßner: Aber damit ist noch lange nicht Schluss, weitere bohrende Fragen kommen unweigerlich auf: Wie kann überhaupt irgendetwas aus dem Nichts entstehen, geschweige denn das gesamte Universum, das wir heute beobachten? Woher kommt die notwendige Energie? Wird das Weltall ewig expandieren oder irgendwann wieder zusammenstürzen? Und last but not least: Wie konnten sich Atome selbst organisieren zu lebenden Organismen?

Lesch: Fragen über Fragen, denen man sich als theoretischer Astrophysiker im Freundes- und Bekanntenkreis zu fortgeschrittener Stunde bei einem Glas Rotwein ausgesetzt sieht. Dann gilt es, Antworten zu finden – allgemein verständlich, ohne wissenschaftlichen Habitus, also ohne dass man sich jetzt so aufführt wie ein Wissenschaftler, also – ganz Mensch eben.

Gaßner: Es sollte aber bitteschön nur soweit vereinfacht sein, dass es wissenschaftlich korrekt bleibt.

Lesch: Das fordert beide Seiten und ist übrigens auch für beide Seiten lehrreich. Bei dem Versuch, die Zusammenhänge für andere klar und anschaulich zu formulieren, stellt sich bei mir oft selbst ein verändertes Verständnis ein.

Gaßner: Bevor wir zwei aber jetzt loslegen und das aktuelle Modell der Kosmologie ausbreiten, gilt es noch eine übergeordnete Frage zu beantworten: Woher wissen wir das alles eigentlich? Wie können wir uns so sicher sein mit dem heißen Urknall? Schließlich war doch niemand dabei. Dafür begeben wir uns weit zurück ins 20. Jahrhundert, dahin, wo alles seinen Anfang nahm.

Lesch: Damals, in den Goldenen Zwanziger Jahren, da konnte es schon mal vorkommen, dass aus einem Boxer und Rechtsanwalt ein Kämpfer für die Naturgesetze wurde.