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Über den Autor

MIYAMOTO MUSASHI

(1584-1645) wurde früh von seinem Onkel in der Kunst des Duells unterrichtet. Mit 13 Jahren gewann er seinen ersten Zweikampf und mit 16 Jahren begab er sich auf Kriegerwallfahrt. Er nahm an mehreren großen Schlachten in sechs Kriegen teil und gewann angeblich 60 Duelle. Heute ist Miyamoto Musashi eine legendäre Gestalt, dessen Lebensgeschichte mehrfach verfilmt wurde und einen festen Platz in der japanischen Populärkultur hat. Seine Schwertkampftechniken der Niten-Ichiryu Schule werden heute weltweit gelehrt.

TIMO KLEMMER

wurde 1987 in Mannheim geboren und studierte Psychologie sowie Ostasienwissenschaften an der Universität Heidelberg.

Zum Buch

Miyamoto Musashi war der wohl legendärste Kensei (Schwertheilige) Japans. In unzähligen Duellen und Schlachten hatte er sein Geschick im Umgang mit zwei Schwertern bewiesen. Als er keine würdigen Gegner mehr fand, begab er sich mit sechzig Jahren in die Einsamkeit und schrieb seine Erkenntnisse über die Kunst des Schwertkampfes nieder. Vordergründig handelt Das Buch der Fünf Ringe (Gorin no sho) von den Strategien und Taktiken, die jedem Samurai als Grundlage dienen. Doch Musashis Lehre zielt, angelehnt an die fünf buddhistischen Zen-Ringe (Erde, Feuer, Wasser, Wind und Leere), über das Konkrete hinaus und lehrt Fähigkeiten, die auch für Nicht-Schwertkämpfer von Bedeutung sind: Disziplin, Ruhe und Gelassenheit im Angesicht von Herausforderungen. Er vermittelt, was letztlich jede Lebenskunst auszeichnet: Die Aufmerksamkeit für den Moment und die Möglichkeit, ihn wenigstens ein Stück weit zu verlängern und zu halten.

„Lerne die Situation, in der du dich befindest, insgesamt zu betrachten…“

MIYAMOTO MUSASHI

Das Gorin no sho handelt von der Taktik und der Kunst des Schwertkampfes. Heute ist das Buch vor allem als Vademekum für Manager und andere white-collar-Samurais im Umlauf, selbst wenn man dieser übertragenen Lesart nicht immer folgen möchte. Musashi selbst machte keinen Unterschied zwischen der Kunst des Krieges und allen anderen wichtigen Bereichen des Lebens: Was zählt, ist ein Bewusstsein für den richtigen Rhythmus des Handelns, eine distanzierte und passende Einschätzung der Lage und ein beständiges Streben nach Perfektion.

Miyamoto Musashi
Das Buch der fünf Ringe

Miyamoto Musashi

Das Buch der
fünf Ringe

Aus dem Altjapanischen neu übersetzt
von Timo Klemmer

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ISBN: 978-3-8438-0388-5

Inhalt

DAS BUCH ERDE

Was man den Weg der Kriegskunst nennt

Der Weg der Kriegskunst verglichen mit dem des Zimmermeisters

Der Weg der Kriegskunst

Die fünf Bücher über die Kriegskunst

Die Namensgebung des Nitō-Stils

Die Bedeutung des Begriffs „Kriegskunst“

Der Nutzen der Waffen in der Kriegskunst

Der Rhythmus der Kriegskunst

DAS BUCH WASSER

Die Geisteshaltung in der Kriegskunst

Die Körperhaltung in der Kriegskunst

Der Blick in der Kriegskunst

Der Umgang mit dem Tachi

Beinarbeit

Die fünf Kampfhaltungen

Der Weg des Tachi

Die fünf Kampftaktiken I

Die fünf Kampftaktiken II

Die fünf Kampftaktiken III

Die fünf Kampftaktiken IV

Die fünf Kampftaktiken V

Die Lehre von Haltung und Nicht-Haltung

Der Ein-Takt-Hieb

Der Takt der zwei Hüften

Der Schlag der Losgelöstheit aller Gedanken

Der Schlag des fließenden Wassers

Der zusammenhängende Schlag

Der Funkenschlag

Der Schlag des roten Herbstlaubs

Der Körper, der zum Tachi wird

Schlag und Treffer

Die Technik des Shūkō

Die Lack- und Leim-Technik

Der Größenvergleich

Die Beharrlichkeit beim Angriff

Körperstöße

Die drei Techniken zur Abwehr

Der Stich ins Gesicht

Der Stich in die Brust

Der Kampfschrei

Einer Klinge entgegentreten

Das Bestehen gegen viele

Der Nutzen des Kampfes

Ein einziger Hieb

Die direkte Verbindung

DAS BUCH FEUER

Die Umstände des Austragungsortes

Die drei Initiativen

Auf das Kopfkissen niederdrücken

Das Übersetzen

Die Lage begreifen

Das Schwert niedertrampeln

Um das Zusammenbrechen wissen

Zum Gegner werden

Die vier Hände loslassen

Den Schatten in Bewegung versetzen

Den Schatten zu Boden zwingen

Übertragen

Den Gegner aus der Fassung bringen

Das Einschüchtern

Das Eins-Werden

Die Ecken fassen

Den Gegner verwirren

Die drei Kampfschreie

Sich durch den Gegner pflügen

Das Zerquetschen

Der Unterschied zwischen Berg und Meer

Bis zum Grund vorstoßen

Sich erneuern

Rattenkopf und Stiernacken

Der General kennt seine Truppen

Den Schwertgriff loslassen

Der Felsenkörper

DAS BUCH WIND

Über die anderen Schulen, in denen man das große Tachi verwendet

Das „starke Tachi“ anderer Schulen

Über die anderen Schulen, die das kurze Tachi verwenden

Die mannigfaltigen Schwerttechniken anderer Schulen

Die Kampfhaltungen der anderen Schulen

Der Blick in den anderen Schulen

Die Bewegung der Füße in den anderen Schulen

Die Geschwindigkeit in anderen Schulen

Die Oberfläche und das Innere der anderen Schulen

DAS BUCH LEERE

DER EINSAME PFAD

Biografie von Miyamoto Musashi

DAS BUCH ERDE

Vorrede

Ich möchte hier den Weg der Kriegskunst, genannt Niten ichiryū1, den ich über Jahre trainiert habe, zum ersten Mal schriftlich darstellen. Wir befinden uns in der ersten Dekade des zehnten Monats des zwanzigsten Jahres der Ära Kan’ei (1643). Ich habe den Berg Iwato in der Provinz Higo auf Kyūshū bestiegen, bete zum Himmel, mache Kannon2 mein Aufgebot und wende mich gen Buddha. Ich bin ein Krieger in meinem sechzigsten Lebensjahr aus der Provinz Harima mit Namen Shinmen Musashi no Kami Fujiwara no Genshin.

Seit jungen Jahren schlägt mein Herz für den Weg der Kriegskunst. Mit dreizehn habe ich meinen ersten Kampf ausgetragen, im Zuge dessen ich Arima Kihei, einen Kriegskünstler der Shintō-Schule, bezwang. Im Alter von sechzehn Jahren überwand ich den hartnäckigen Kriegskünstler Akiyama aus der Provinz Tajima. Mit einundzwanzig Jahren zog ich in die Hauptstadt (Kyōto), wo ich auf Kriegskünstler des ganzen Landes traf. Ich bestritt zahlreiche Kämpfe und verlor doch nicht einen einzigen. Danach zog ich durch die verschiedenen Provinzen, traf auf zahlreiche Kriegskünstler und obwohl ich mehr als sechzig Kämpfe ausfocht, verlor ich kein einziges Mal. Dies beschreibt die Zeit von meinem dreizehnten bis zu meinem achtundzwanzigsten oder neunundzwanzigsten Lebensjahr.

Als ich das dreißigste Lebensjahr überschritt und auf meinen bisherigen Weg zurückblickte, erkannte ich, dass meine Siege nicht darin begründet waren oder ich meine Kriegskunst über alle Maßen betrieb. Möglicherweise war es ein naturgegebenes Talent, vielleicht eine Fügung des Himmels. Vielleicht lag es an einer Unzulänglichkeit der anderen Schulen in der Kriegskunst. Um den tieferen Grund zu erfahren, trainierte ich also von morgens bis abends, und im Alter von fünfzig Jahren verstand ich endlich den Weg der Kriegskunst. Seitdem verbrachte ich die Tage damit, ohne mich einer einzigen Schule vollkommen zu verschreiben. Da ich dem Weg der Kriegskunst folgte und mir selbst allerlei Künste und Fähigkeiten aneignete, brauchte ich keinen Lehrer, der mir dies alles beibrachte.

Für diese Niederschrift gebrauche ich weder die alte Sprache des Buddhismus noch des Konfuzianismus, weder Kriegschroniken noch Bücher über Kriegstaktiken. Um den wahren Geist des Niten ichiryū darzulegen, der sich im Weg des Himmels und Kannon wiederspiegelt, ergreife ich nun, in der zehnten Nacht des zehnten Monats zur Stunde des Tigers3, meinen Pinsel und beginne zu schreiben.

Die Kriegskunst ist das Handwerk der Samurai. Vor allem die Feldherren müssen es beherrschen, die einfachen Soldaten sollten es kennen. Doch in der heutigen Welt gibt es keinen Krieger, der wirklich den wahren Weg der Kriegskunst verstanden hätte. Es gibt verschiedene Wege: Da wäre der Weg der Erlösung durch die Lehren Buddhas, der Weg der Studien im Konfuzianismus, der Weg des Arztes der verschiedene Krankheiten heilt, oder den des Dichters, der die Kunst des waka4 lehrt. Es gibt vom Weg des erlesenen Geschmacks5 bis hin zum Weg des Bogenschießens viele weitere Wege der verschiedensten Künste und Begabungen. Jeder folgt dem Weg, der seinem Geschmack entspricht. Dass jemand Gefallen an dem Weg der Kriegskunst findet, ist allerdings selten.

Man sagt, der Weg des Kriegers zerfällt in den Weg des Pinsels und den des Schwertes. Man muss einen Sinn für beide haben. Selbst wenn man ungeschickt ist, so ist man doch ein Krieger, wenn man sich dem Gesetz des Kriegers verpflichtet hat. Im Allgemeinen wird angenommen, dass ein Krieger zu sein bedeute, dass man sich dem Tod hingibt. Doch die Bereitschaft zum Tode beschränkt sich nicht allein auf die Krieger, denn auch Priester, Frauen und Bauern können sich aus Pflichtgefühl oder Scham dazu entschließen dem Leben zu entsagen.

Allerdings unterscheidet sich der Weg des Kriegers von den anderen Wegen dadurch, dass der Krieger versucht andere zu übertreffen. Ob er im Duell die Schwerter kreuzt oder siegreich aus einer Schlacht hervorgeht – er will im Dienste des Herrschers6 oder um seinetwillen Ruhm und Ehre erlangen und dies mit der Tugend der Kriegskunst. Man glaubt, dass, selbst wenn man sich ein Leben lang in der Kriegskunst übt, dies in einem Ernstfall kaum hilfreich sein werde. Doch übt man jederzeit Nützliches, und ist man ein Meister geworden, gibt man Nützliches weiter. Dies ist der wahre Weg der Kriegskunst.

1 Niten-ichiryü Image: wörtlich: Zwei-Himmel-Stil. Im Folgenden auch Nitō-Stil genannt.

2 Kannon Image