Impressum

Walter Baumert

Gedichte aus fünf Jahrzehnten 1945 - 1995

ISBN 978-3-86394-506-0 (E-Book)

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

© 2012 EDITION digital®
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Internet: http://www.ddrautoren.de

Vorbemerkung

Vor die Wahl gestellt, aus den in alten Papieren, Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Notizzetteln aufgefundenen Gedichten eine Auswahl zu treffen, Gutes von weniger Gelungenem zu trennen oder einfach alles pur in das Bändchen aufzunehmen, entschied ich mich für Letzteres.

Seit Kriegsende schrieb ich von Zeit zu Zeit Gedichte, meist ohne Zweckgebundenheit, nur zum eigenen Vergnügen. Diese Beschäftigung half über depressive Stimmungslagen hinweg, vermochte aber auch, den im Verlauf der Jahre seltener werdenden glücklichen Phasen Produktiv-Kreatives abzufordern.

So sind viele der Gedichte nichts anderes als Reflex des seelischen Zustandes, in dem sich ihr Verfasser zum Zeitpunkt ihrer Entstehung befand, gestatten also einen Einblick in das Auf und Ab meines Innenlebens.

Jede Aussortierung oder gar Bearbeitung hätte diesen Effekt beschädigt .

W.B.

ZUEIGNUNG

Erinnerungen wehen herüber - aus Zeiten, die keines Wortes Unmittelbarkeit in lebendiges, blutvolles Dasein zurückrufen könnte.

Zwei Augen, ein Lächeln längst dahingegangener Stunde, das sanftmütige Träumen eines Mundes finden sich im Erinnern. Von dem vertrauten, warmen Klang einer Stimme wird das Ohr - nachhallend über die Jahre hinweg - leis berührt.

Farben, Töne, undeutliche Gesichter, Worte dringen zag hervor, formen Gestalten, zeichnen Bilder, weben Lebendiges, reihen sich zu Sätzen...

Die Stadt steht auf. Ihre graue, im Morgendunst leicht verschleierte Dächerherde - immer mein erstes Bild, wenn ich morgens erwachend die Augen zum Fenster führte - erhebt sich. Das Trümmerfeld, das einmal Betrachtende nie wieder vergessen können, ist noch da, und von der Kirche St. Blasii tönen die ehernen Glockenschläge herüber...

Meine Träume treiben mich durch die alten Straßen. Ein ruheloser Wanderer irre ich zwischen den Häusern umher, versinke im Blütenduft des Parkes, sehe all diese Menschen, versuche ihre Schicksale zu enträtseln.

Dann ist es Herbst. Die Blätter der Bäume nehmen die Farbe des Vergehens an, gleiten zur Erde. Wind und Regen fegen die Straßen nackt. Tiefhängende Wolken verfangen sich in den fernen Höhenzügen.

Ich muss den Nebelschleier des Vergessens hinwegreißen, um sehen zu können. Alles liegt zurück, weit, weit zurück...

Nur du bist noch da. Reifer sind deine Augen geworden. Wissend schauen sie jetzt, wo sie damals erst zaghaft tasteten. Dein Mund hat einen Zug Festigkeit bekommen. Deine Bewegungen strömen Sicherheit aus und deine Worte tragen die Spuren der vielen seitdem verlebten Stunden.

Aber dein Lachen ist geblieben, dein unbefangenes überschäumendes Mädchenlachen. Und deine Hände sind wie damals, wenn ich sie spürte: warm, lebendig, alle Wirrnisse lösend, alle brennenden Schmerzen lindernd.

Was dein Herz bewegte? Kann ein anderer es erfassen? Kann ich es erfühlen, erahnen? Meine Augen, meine Ohren, meine Gedanken sprechen zu mir. Nur das kann ich schreiben.

Die Blume, die bescheiden am Wegrand verblüht, wer könnte ihre Schönheit beschreiben, wer je den leisen Hauch ihres Duftes, den zart getönten Schmelz ihrer Farbe, das zage Wehen ihres Blütenkelches im flauen Frühlingswind in Worten wiedergeben? Wer scheiterte nicht verzweifelnd an dem vergehenden Traum ihres Blumendaseins im Sommersonnentag?

Wieviel verwobener, wie unendlich abgestufter, verschlungener aber ist das menschliche Herz?

Aus dem nicht veröffentlichen Erstlingsroman CHRISTINA, Jena 1956

Erstes Kapitel
Auf der Suche
1945 - 1951

Mein Deutschland 1945

1.

Ich sah ein Haus in jenem stillen Tale.
Ich sah die Sonne glühend hinter'm Berg versinken.
Ich sah ein junges Paar beim frohen Male.
Ich sah die Liebste ihm zum Abschied winken.
   Ich sah 's
   und schloss es freundlich ein in meinem Herzen.

Ich sah die Fahne stolz auf hohem Maste wehen.
Ich sah die grauen Wolken hoch zum Himmel steigen.
Ich sah die Männer stumm zum Stellplatz gehen.
Ich sah ein Mädchen tränenvoll die Augen neigen.
   Ich sah's
   und schloss es grübelnd ein in meinem Herzen.

Ich sah Kanonen, drohend sich zum Himmel reckend.
Ich sah die Wolken dunkel sich zusammenballen.
Ich sah Soldaten, kühn und furchterweckend.
Ich sah ein Mädchen schluchzend auf die Knie fallen.
   Ich sah's
   und schloss es trauernd ein in meinem Herzen.

Ich sah zerbombter Kirche düstere Kulissen.
Ich sah am Himmel greller Blitze Fahles Licht.
Ich sah im Graben eines Freundes Leib zerrissen.
Ich sah wie schmerzgetroffen jäh ein Herz zerbricht.
   Ich sah's
   und schloss es bebend ein in meinem Herzen.

2.

Ich sah ein Haus in jenem stillen Tale
Nun seh ich schwarze Trümmer in der Runde stehen
Ich sah ein junges Paar beim frohen Mahle.
Nun seh ich gierig hungerhohle Wangen flehen.
   Ich seh 's.
   Nun wird es dumpf und fahl in meinem Herzen

Ich sah die Fahne stolz auf hohem Maste wehen.
Nun seh ich fremder Macht Befehle an den Mauern.
Ich sah die Männer stumm zum Stellplatz gehen.
Nun seh ich Heimatlose in Ruinen kauern.
   Ich seh 's.
   Nun wird es dumpf und fahl in meinem Herzen

Ich sah Kanonen, drohend sich zum Himmel reckend.
Nun seh und hör ich Zeugnis grauenhafter Morde.
Ich sah Soldaten, kühn und furchterweckend.
Nun seh ich sie als Satans blinde Horde.
   Ich seh 's.
   Nun wird es dumpf und fahl in meinem Herzen

Ich sah zerbombter Kirche düstere Kulissen.
Nun seh ein ganzes Volk ich seinen Gott verfluchen.
Ich sah im Graben eines Freundes Leib zerrissen.
Und jetzt Millionen Tote ihre Mörder suchen
   Ich seh 's.
   Nun wird es dumpf und fahl in meinem Herzen.

3.

Ich sah so vieles Dunkles, Grässliches und Pein,
dass schaudernd mir das Herze stand.
Doch sah ich immer wieder hellen Sonnenschein,
der sieghaft tausend Wolken sich entwand.

Doch jetzt, ach wär ich blind geboren!
Ich möcht die Augen reißen aus der Höhlen Loch!
Mein Deutschland, das ich liebte, ist verloren!
Und jeder Sonnenstrahl macht 's greller, grauser noch.

Ich möchte aufstehn, möchte schreien:
Wer tilgt die Schuld, die mir das Herz befleckt?
Will mich von Qual der Scham befreien,
die mich zu Boden niederstreckt.

   Ich will, ich will...
   Doch, ach, ich bleibe liegen stur,
   die Augen starren Wände,
   und denke, denke, denke nur.

Dieses, das erste erhalten gebliebene, Gedicht eines Sechzehnjährigen, entstand nach der Entlassung aus US-Kriegsgefangenschaft im Herbst 1945 im Notquartier für Ostflüchtlinge.

Erste Liebe

Ein Sommerabend, ein Lüftchen ging lau,
wir lagen im Wiesengrunde.
Da sah ich in deine Augen, so blau,
die Sonne verglühte zur Stunde.

Zwei Locken von dir striffen mein Gesicht,
das konnt bis zum Herzen ich fühlen.
Du weigertest mir deine Hände nicht,
ich ließ meine Wangen sie kühlen.

Ein Lichtschein schlich tastend die Wiese hinauf,
der Mond begann lächelnd die Runde.
Da glüht es in meinen Lippen auf,
Sie fanden zu deinem Munde.

Es rauschten die Wipfel der Eichen sacht,
zwei Körper erbebten verloren.
Im Wiesengrunde die Sommernacht,
die hatte ein Brautpaar geboren.

Hundeshagen 1946

Liebeslied

Sollst nit traurig sein,
sollst nit weine,
denn im ganze Lewe
bist nit alleine.

Sollst hegt wern wie 'n Blüt
die leicht zerbricht.
sollst schnurrn wie 'n Katz
im Sonnenlicht.

Sollst mir hörn immer,
nit en anneren Dieb.
Du bist doch mei Alles,
mei einziges Lieb.

Hundeshagen 1946

Frühe Liebeserklärung

Kleine Blume,
als du blühtest,
konnte nichts noch schöner sein.
Kleines Mädel,
wenn du lächelst,
bin ich dir ganz allein.

Ach, wie lieb sind deine Augen,
wie zwei Veilchen anzusehn.
Deine Lippen
sind zwei Rosen,
die im Sonnentaue stehn.

Komm und leg
in meine Hände
deine Rose aus dem Haar!
Ich will hegen
sie und kosen:
Will dich lieben immerdar.

Hundeshagen 1947

Tränen und Träume

Tränen, tausendfache Tränen,
Tränen, die im Abendlichte
schimmern wie Kristall der Erde,
stummer Perlenschmuck der Trauer,
Aderlass gequälter Herzen,

Künder nur von Leid und Not,
Hunger, Schmerzen, frühem Tod.

   Tränen, tausendfache Tränen,
   sollt von dieser Erde schwinden!

Träume, tausendfache Träume,
Träume stumm verweinter Nächte,
gabt ihr Trost verlassnen Müttern,
heiße Sehnsucht fernen Vätern,
golden Trug den armen Kindern.

Hunger habt ihr nie gestillt,
Hoffnung habt ihr nie erfüllt.

   Träume, tausendfache Träume,
   sollt den Weg zum Leben finden!

Erfurt 1947