Das Kapital

 

Kritik der politischen Ökonomie

 

Karl Marx

 

 

 

Inhalt:

 

 

Karl Marx – Biografie und Bibliografie

Friedrich Engels – Biografie und Bibliografie

 

Das Kapital

 

Erster Band: Der Produktionsprozeß des Kapitals

 

Vor- und Nachworte

 

Vorwort zur ersten Auflage

Nachwort zur zweiten Auflage

Vor- und Nachwort zur französischen Ausgabe

Zur dritten Auflage

Vorwort zur englischen Ausgabe

Zur vierten Auflage

 

I. Ware und Geld

 

1. Die Ware

2. Der Austauschprozeß

3. Das Geld oder die Warenzirkulation

 

II. Die Verwandlung von Geld in Kapital

 

4. Verwandlung von Geld in Kapital

 

III. Die Produktion des absoluten Mehrwerts

 

5. Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß

6. Konstantes Kapital und variables Kapital

7. Die Rate des Mehrwerts

8. Der Arbeitstag

9. Rate und Masse des Mehrwerts

 

IV. Die Produktion des relativen Mehrwerts

 

10. Begriff des relativen Mehrwerts

11. Kooperation

12. Teilung der Arbeit und Manufaktur

13. Maschinerie und große Industrie

 

V. Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts

 

14. Absoluter und relativer Mehrwert

15. Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert

16. Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts

 

VI. Der Arbeitslohn

 

17. Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn

18. Der Zeitlohn

19. Der Stücklohn

20. Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne

 

VII. Der Akkumulationsprozeß des Kapitals

 

21. Einfache Reproduktion

22. Verwandlung von Mehrwert in Kapital

23. Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation

24. Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation

25. Die moderne Kolonisationstheorie

 

Fußnoten

 

Zweiter Band: Der Zirkulationsprozeß des Kapitals

 

Vorworte

 

Vorwort

Vorwort zur zweiten Auflage

 

I. Die Metamorphosen des Kapitals und ihr Kreislauf

 

1. Der Kreislauf des Geldkapitals

2. Der Kreislauf des produktiven Kapitals

3. Der Kreislauf des Warenkapitals

4. Die drei Figuren des Kreislaufsprozesses

5. Die Umlaufszeit

6. Die Zirkulationskosten

 

II. Der Umschlag des Kapitals

 

7. Umschlagszeit und Umschlagszahl

8. Fixes Kapital und zirkulierendes Kapital

9. Der Gesamtumschlag des vorgeschoßnen Kapitals. Umschlagszyklen

10. Theorien über fixes und zirkulierendes Kapital. Die Physiokraten und Adam Smith

11. Theorien über fixes und zirkulierendes Kapital. Ricardo

12. Die Arbeitsperiode

13. Die Produktionszeit

14. Die Umlaufszeit

15. Wirkung der Umschlagszeit auf die Größe des Kapitalvorschusses

16. Der Umschlag des variablen Kapitals

17. Die Zirkulation des Mehrwerts

 

III. Die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

 

18. Einleitung

19. Frühere Darstellungen des Gegenstandes

20. Einfache Reproduktion

21. Akkumulation und erweiterte Reproduktion 62

 

Dritter Band: Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion

 

Vorwort

 

I. Die Verwandlung des Mehrwerts in Profit und der Rate des Mehrwerts in Profitrate

 

1. Kostpreis und Profit

2. Die Profitrate

3. Verhältnis der Profitrate zur Mehrwertsrate

4. Wirkung des Umschlags auf die Profitrate

5. Ökonomie in der Anwendung des konstanten Kapitals

6. Wirkung von Preiswechsel

7. Nachträge

 

II. Die Verwandlung des Profits in Durchschnittsprofit

 

8. Verschiedne Zusammensetzung der Kapitale in verschiednen Produktionszweigen und daher folgende Verschiedenheit der Profitraten

9. Bildung einer allgemeinen Profitrate (Durchschnittsprofitrate) und Verwandlung der Warenwerte in Produktionspreise

10. Ausgleichung der allgemeinen Profitrate durch die Konkurrenz. Marktpreise und Marktwerte. Surplusprofit

11. Wirkungen allgemeiner Schwankungen des Arbeitslohns auf die Produktionspreise

12. Nachträge

 

III. Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate

 

13. Das Gesetz als solches

14. Entgegenwirkende Ursachen

15. Entfaltung der innern Widersprüche des Gesetzes

 

IV. Verwandlung von Warenkapital und Geldkapital in Warenhandlungskapital und Geldhandlungskapital (kaufmännisches Kapital)

 

16. Das Warenhandlungskapital

17. Der kommerzielle Profit

18. Der Umschlag des Kaufmannskapitals.

19. Das Geldhandlungskapital

20. Geschichtliches über das Kaufmannskapital

 

V. Spaltung des Profits in Zins und Unternehmergewinn. Das zinstragende Kapital.

 

21. Das zinstragende Kapital

22. Teilung des Profits. Zinsfuß. "Natürliche" Rate des Zinsfußes

23. Zins und Unternehmergewinn

24. Veräußerlichung des Kapitalverhältnisses in der Form des zinstragenden Kapitals

25. Kredit und fiktives Kapital

26. Akkumulation von Geldkapital, ihr Einfluß auf den Zinsfuß

27. Die Rolle des Kredits in der kapitalistischen Produktion

28. Umlaufsmittel und Kapital. Tookes und Fullartons Auffassung

29. Bestandteile des Bankkapitals

30. Geldkapital und wirkliches Kapital I

31. Geldkapital und wirkliches Kapital II

32. Geldkapital und wirkliches Kapital III

33. Das Umlaufsmittel unter dem Kreditsystem

34. Das Currency Principle und die englische Bankgesetzgebung von 1844

35. Edelmetall und Wechselkurs

36. Vorkapitalistisches

 

VI. Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente

 

37. Einleitendes

38. Die Differentialrente: Allgemeines

39. Erste Form der Differentialrente

40. Zweite Form der Differentialrente (Differentialrente II)

41. Die Differentialrente II – Erster Fall: Konstanter Produktionspreis

42. Die Differentialrente II – Zweiter Fall: Fallender Produktionspreis

44. Differentialrente auch auf dem schlechtesten bebauten Boden

45. Die absolute Grundrente

46. Baustellenrente. Bergwerksrente. Bodenpreis

47. Genesis der kapitalistischen Grundrente

 

VII. Die Revenuen und ihre Quellen

 

48. Die trinitarische Formel

49. Zur Analyse des Produktionsprozesses

50. Der Schein der Konkurrenz

51. Distributionsverhältnisse und Produktionsverhältnisse

52. Die Klassen

Ergänzung und Nachtrag zum III. Buche des "Kapital"

Fußnoten

 

 

 

Das Kapital, Karl Marx

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

 

ISBN: 9783849608231

 

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Karl Marx – Biografie und Bibliografie

 

Geboren am 5. Mai 1818 in Trier, studierte Jurisprudenz, Nationalökonomie, Philosophie, promovierte 1841 in Berlin, begründete 1843 mit A. Rüge in Paris die "Deutsch-französischen Jahrbücher", ging nach Belgien, wo er ausgewiesen wurde, dann wieder nach Frankreich, wo ihm dasselbe widerfuhr, lebte dann in London, gestorben 14. März 1883 daselbst.

 

M., der Begründer des "wissenschaftlichen" Sozialismus (gegenüber den "ideologischen" Utopien älterer Lehren) ist von Hegels Begriff des dialektischen Prozesses, von L. Feuerbachs Radikalismus und Positivismus, sowie von französischen Denkern beeinflußt. Der Hegelsche Gedanke, daß alles Sein ein "Prozeß" ist, eine dialektische Selbstbewegung, ist ihm sympathisch. Nur hat Hegel die Dinge auf den Kopf gestellt, indem er alles aus Ideen ableitet. Die richtige Methode ist, die naturnotwendige, gesetzliche Entwicklung der Dinge und Verhältnisse selbst zu untersuchen und den realen treibenden Kräften der historisch-sozialen Entwicklung, die in den Köpfen der Handelnden zu Motiven werden, nachzugehen. Wenn diese "materialistische" Geschichtsauffassung, die gleich zur "ökonomischen" wird, alle Geschichte, alles Geistesleben, alle Kultur aus dem Wirken natürlicher Mächte ableitet, so darf nicht vergessen werden, daß M. zu diesen Mächten auch die menschlichen Kräfte und Strebungen rechnet, welche innerhalb des Ablaufes der Ereignisse auch eine dynamisch-aktive Rolle spielen, so wenig sie imstande sind, den (aus der Natur dieser und anderer Kräfte notwendig resultierenden) Lauf der Dinge abzuändern. Zwar nicht der Wille, aber alle Willkür ist hier ausgeschaltet.

 

Ohne ihren Willen gehen die Menschen soziale Verhältnisse ein, welche zugleich ökonomische Verhältnisse sind, indem die Gesellschaft eine ökonomische Struktur besitzt, in die wir hineingeboren werden. Die technisch bedingten Produktionsverhältnisse bilden nun die "reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen". "Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt." "Mit der Erwerbung neuer Produktionskräfte verändern die Menschen ihre Produktionsweise, und mit der Veränderung der Produktionsweise, der Art. ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre gesellschaftlichen Verhältnisse." Die ökonomischen Faktoren sind also die letzten und eigentlich wirksamen Agentien der Geschichte, die anderen, "ideologischen" Gebilde (Religion usw.), wirken auch mit, ja sie wirken sogar auf die wirtschaftlichen Verhältnisse zurück, aber sie wirken nicht primär, sondern nur als Reflexe, Abhängige des Ökonomischen und des von diesem bedingten Sozialen (z. B, der Klassenverhältnisse). Die Entwicklung der Gesellschaft vollzieht sich nun so, daß der ökonomische Untergrund, der sich verändert hat, mit dein überlebten juristischen und ideologischen Oberbau in Widerspruch gerät, der zu einer sozialen Veränderung führt, wobei es zu Klassenkämpfen kommt. Der Widerspruch zwischen der sozialisierten, kollektiven Produktionsweise des Großbetriebes und der individualistischen, "anarchischen" Rechts- und Eigentumsordnung, die das Kapital in den Händen weniger Kapitalsmagnaten anhäuft und immer mehr Proletarier schafft, dieser Widerspruch sprengt endlich die kapitalistische Hülle, welche die Produktion fesselt. Die "Expropriateure", die –"Ausbeuter" des "Mehrwertes" (= unbezahlte Arbeitszeit), den die Arbeiter schaffen, werden jetzt selbst expropriiert, das Eigentum an Produktionsmitteln wird kollektiv, die Gesellschaft wird sozialistisch, der nur dem Klasseninteresse dienende Staat hört auf und es herrscht jetzt die Vereinigung produktiver Menschen. Diese Gesellschaftsordnung kommt "von selbst", d.h. infolge der historisch-sozialen Triebkräfte; sie kommt, wenn die Verhältnisse es fordern, höchstens können wir die Entwicklung beschleunigen.

 

Den Marxismus vertreten (außer M.s Mitarbeiter Fr. Engels) Kautsky, Bebel, F. Mehring, Bernstein (Revisionist), Cunow, C. Schmidt, M. Adler, O. Bauer, Woltmann (zum Teil), Lafargue (Schwiegersohn M.s), Labriola, Plechanow, Loria, Kelle-Krausz u. a.

 

SCHRIFTEN: Die heilige Familie (mit F. Engels), 1845 (gegen Bruno Bauer). – Misère de la philosophie, 1847; deutsch 1855, 3. A. 1895. – Manifest der kommunistischen Partei, 1847. – Zur Kritik der politischen Ökonomie, 1859: 2. A. 1907. – Das Kapital, I. Bd., 1867, 4. A. 1892; II. Bd, 1885, 2. A. 1893; III. Bd., 1894; 3 Bde., 2. – 5. A., 1903 f. – Theorie über den Mehrwert, 1905. – F. Mehring, Aus dem literarischen Nachlaß von K. M., F. Engels und F. Lassalle, 1902. – Vgl. P. BARTH, Die Geschichtsphilosophie Hegels und der Hegelianer bis auf Marx und Hartmann, 1890. – KAUTSKY, K. M.s ökonomische Lehren, 1887. – L. WERYHO, M. als Philosoph, 1894. – PLECHANOW, Beitrage zur Geschichte des Materialismus, 1896. – A. v. WENCKSTERN, M., 1896. – L. WOLTMANN, Der historische Materialismus, 1899. – MASARYK, Die philosophischen und soziologischen Grundlagen des Marxismus, 1899. – OTTOMAR LORENZ, Die materialistische Geschichtsauffassung, 1897. – WEISENGRÜN, Das Ende des Marxismus, 2. A. 1900. – MAX ADLER, M. als Denker, 1908. – HAMMACHER, Das philosophisch-ökonomische System des Marxismus, 1909. – CHARASOFF, Das System des Marxismus, 1910. – GOLDSCHEID (s. d.). – VORLÄNDER, Kant u. Marx, 1911.

 

 

 

Friedrich Engels – Biografie und Bibliografie

 

Sozialist, geb. 28. Nov. 1820 in Barmen als Sohn eines Fabrikanten, gest. 5. Aug. 1895 in London, war 1838 Volontär in einem Geschäft in Bremen und übernahm dann die Filiale des väterlichen Geschäfts zu Manchester, die er bis 1845 leitete. Schon in früher Jugend literarisch tätig und sozialistischen Ideen zugeneigt, wurde er durch seinen Aufenthalt in England angeregt zur Veröffentlichung des Werkes "Die Lage der arbeitenden Klassen in England" (Leipz. 1845; 2. Aufl., Stuttg. 1892; engl. Übersetzung, mit Nachtrag, von Wischnewetzky, New York 1887). Nachdem er bereits 1844 für die von A. Ruge und K. Marx herausgegebenen "Deutsch-französischen Jahrbücher" Beiträge geschrieben, ward er 1844 in Brüssel mit Marx persönlich bekannt, dem er fortan in treuer Freundschaft anhing. Mit ihm verfasste er gemeinsam die gegen Bruno Bauer gerichtete Schrift "Die heilige Familie", ebenso 1847 im Auftrag des internationalen Kommunistenbundes das "an die Proletarier aller Länder" gerichtete kommunistische Manifest. E. war damals erst in London, später in Brüssel Sekretär des Zentralausschusses des genannten Bundes. 1848–49 beteiligte er sich als Mitarbeiter an der von Marx in Köln redigierten "Neuen rheinischen Zeitung", dann nahm er an den Aufständen in der Pfalz und in Baden teil und flüchtete nach deren Niederwerfung nach England, wo er nach Gründung der "Internationale" für diese und überhaupt für Verbreitung sozialistischer Ideen wirkte. Von 1850–69 war er wieder im väterlichen Geschäft in Manchester tätig und lebte seit 1869 in London. Eine Reihe von seinen im "Vorwärts" veröffentlichten Abhandlungen erschien 1878 u. d. T.: "Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft" (4. Aufl., Stuttg. 1901); andre Schriften sind: "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" (Zür. 1884; 8. Aufl., Stuttg. 1900); "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" (das. 1888, 3. Aufl. 1903); "Die Entwickelung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" (4. Aufl., Berl. 1881). Auch gab er den von Marx im Manuskript hinterlassenen 2. und 3. Band des Werkes: "Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie" (Hamb. 1885) heraus und besorgte die 3. und 4. Auflage des 1. Bandes. Gesammelte Schriften aus dem Nachlaß wurden zusammen mit denen von Marx und Lassalle von Mehring herausgegeben (Stuttg. 1901 ff.). Vgl. "Die Neue Zeit", 9. Jahrgang, S. 225 ff. (Stuttg. 1890); Sombart, Friedrich E. (Berl. 1895).

 

Das Kapital

Erster Band: Der Produktionsprozeß des Kapitals

 

Gewidmet meinem unvergeßlichen Freunde, dem kühnen, treuen, edlen Vorkämpfer des Proletariats

WILHELM WOLFF

 

Geb. zu Tarnau, 21. Juni 1809.

Gest. im Exil zu Manchester 9. Mai 1864.

 

Vor- und Nachworte

 

Vorwort zur ersten Auflage

 

Das Werk, dessen ersten Band ich dem Publikum übergebe, bildet die Fortsetzung meiner 1859 veröffentlichten Schrift: "Zur Kritik der Politischen Oekonomie". Die lange Pause zwischen Anfang und Fortsetzung ist einer langjährigen Krankheit geschuldet, die meine Arbeit wieder und wieder unterbrach.

 

Der Inhalt jener früheren Schrift ist resümiert im ersten Kapitel dieses Bandes. Es geschah dies nicht nur des Zusammenhangs und der Vollständigkeit wegen. Die Darstellung ist verbessert. Soweit es der Sachverhalt irgendwie erlaubte, sind viele früher nur angedeuteten Punkte hier weiter entwickelt, während umgekehrt dort ausführlich Entwickeltes hier nur angedeutet wird. Die Abschnitte über die Geschichte der Wert- und Geldtheorie fallen jetzt natürlich ganz weg. Jedoch findet der Leser der früheren Schritt in den Noten zum ersten Kapitel neue Quellen zur Geschichte jener Theorie eröffnet.

 

Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft. Das Verständnis des ersten Kapitels, namentlich des Abschnitts, der die Analyse der Ware enthält, wird daher die meiste Schwierigkeit machen. Was nun näher die Analyse der Wertsubstanz und der Wertgröße betrifft, so habe ich sie möglichst popularisiert.1 Die Wertform, deren fertige Gestalt die Geldform, ist sehr inhaltslos und einfach. Dennoch hat der Menschengeist sie seit mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen gesucht, während andrerseits die Analyse viel inhaltsvollerer und komplizierterer Formen wenigstens annähernd gelang. Warum? Weil der ausgebildete Körper leichter zu studieren ist als die Körperzelle. Bei der Analyse der ökonomischen Formen kann außerdem weder das Mikroskop dienen noch chemische Reagentien. Die Abstraktionskraft muß beide ersetzen. Für die bürgerliche Gesellschaft ist aber die Warenform des Arbeitsprodukts oder die Wertform der Ware die ökonomische Zellenform. Dem Ungebildeten scheint sich ihre Analyse in bloßen Spitzfindigkeiten herumzutreiben. Es handelt sich dabei in der Tat um Spitzfindigkeiten, aber nur so, wie es sich in der mikrologischen Anatomie darum handelt.

 

Mit Ausnahme des Abschnitts über die Wertform wird man daher dies Buch nicht wegen Schwerverständlichkeit anklagen können. Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen.

 

Der Physiker beobachtet Naturprozesse entweder dort, wo sie in der prägnantesten Form und von störenden Einflüssen mindest getrübt erscheinen, oder, wo möglich, macht er Experimente unter Bedingungen, welche den reinen Vorgang des Prozesses sichern. Was ich in diesem Werk zu erforschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse. Ihre klassische Stätte ist bis jetzt England. Dies der Grund, warum es zur Hauptillustration meiner theoretischen Entwicklung dient. Sollte jedoch der deutsche Leser pharisäisch die Achseln zucken über die Zustände der englischen Industrie- und Ackerbauarbeiter oder sich optimistisch dabei beruhigen, daß in Deutschland die Sachen noch lange nicht so schlimm stehn, so muß ich ihm zurufen: De te fabula narratur!

 

An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder niedrigeren Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen, welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich um diese Gesetze selbst, um diese mit eherner Notwendigkeit wirkenden und sich durchsetzenden Tendenzen. Das industriell entwickeltere Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft.

 

Aber abgesehn hiervon. Wo die kapitalistische Produktion völlig bei uns eingebürgert ist, z.B. in den eigentlichen Fabriken, sind die Zustände viel schlechter als in England, weil das Gegengewicht der Fabrikgesetze fehlt. In allen andren Sphären quält uns, gleich dem ganzen übrigen kontinentalen Westeuropa, nicht nur die Entwicklung der kapitalistischen Produktion, sondern auch der Mangel ihrer Entwicklung. Neben den modernen Notständen drückt uns eine ganze Reihe vererbter Notstände, entspringend aus der Fortvegetation altertümlicher, überlebter Produktionsweisen, mit ihrem Gefolg von zeitwidrigen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen. Wir leiden nicht nur von den Lebenden, sondern auch von den Toten. Le mort saisit le vif!

 

Im Vergleich zur englischen ist die soziale Statistik Deutschlands und des übrigen kontinentalen Westeuropas elend. Dennoch lüftet sie den Schleier grade genug, um hinter demselben ein Medusenhaupt ahnen zu lassen. Wir würden vor unsren eignen Zustanden erschrecken, wenn unsre Regierungen und Parlamente, wie in England, periodische Untersuchungskommissionen über die ökonomischen Verhältnisse bestallten, wenn diese Kommissionen mit derselben Machtvollkommenheit, wie in England, zur Erforschung der Wahrheit ausgerüstet würden, wenn es gelänge, zu diesem Behuf ebenso sachverständige, unparteiische und rücksichtslose Männer zu finden, wie die Fabrikinspektoren Englands sind, seine ärztlichen Berichterstatter über "Public Health" (Öffentliche Gesundheit), seine Untersuchungskommissäre über die Exploitation der Weiber und Kinder, über Wohnungs- und Nahrungszustände usw. Perseus brauchte eine Nebelkappe zur Verfolgung von Ungeheuern. Wir ziehen die Nebelkappe tief über Aug' und Ohr, um die Existenz der Ungeheuer wegleugnen zu können.

 

Man muß sich nicht darüber täuschen. Wie der amerikanische Unabhängigkeitskrieg des 18. Jahrhunderts die Sturmglocke für die europäische Mittelklasse läutete, so der amerikanische Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts für die europäische Arbeiterklasse. In England ist der Umwälzungsprozeß mit Händen greifbar. Auf einem gewissen Höhepunkt muß er auf den Kontinent rückschlagen. Dort wird er sich in brutaleren oder humaneren Formen bewegen, je nach dem Entwicklungsgrad der Arbeiterklasse selbst. Von höheren Motiven abgesehn, gebietet also den jetzt herrschenden Klassen ihr eigenstes Interesse die Wegräumung aller gesetzlich kontrollierbaren Hindernisse, welche die Entwicklung der Arbeiterklasse hemmen. Ich habe deswegen u.a. der Geschichte, dem Inhalt und den Resultaten der englischen Fabrikgesetzgebung einen so ausführlichen Platz in diesem Bande eingeräumt. Eine Nation soll und kann von der andern lernen. Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist – und es ist der letzte Endzweck dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen –, kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.

 

Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.

 

Auf dem Gebiete der politischen Ökonomie begegnet die freie wissenschaftliche Forschung nicht nur demselben Feinde wie auf allen anderen Gebieten. Die eigentümliche Natur des Stoffes, den sie behandelt, ruft wider sie die heftigsten, kleinlichsten und gehässigsten Leidenschaften der menschlichen Brust, die Furien des Privatinteresses, auf den Kampfplatz. Die englische Hochkirche z.B. verzeiht eher den Angriff auf 38 von ihren 39 Glaubensartikeln als auf 1/39 ihres Geldeinkommens. Heutzutage ist der Atheismus selbst eine culpa levisi, verglichen mit der Kritik überlieferter Eigentumsverhältnisse. Jedoch ist hier ein Fortschritt unverkennbar. Ich verweise z.B. auf das in den letzten Wochen veröffentlichte Blaubuch: "Correspondence with Her Majesty's Missions Abroad, regarding industrial Questions and Trades Unions". Die auswärtigen Vertreter der englischen Krone sprechen es hier mit dürren Worten aus, daß in Deutschland, Frankreich, kurz allen Kulturstaaten des europäischen Kontinents, eine Umwandlung der bestehenden Verhältnisse von Kapital und Arbeit ebenso fühlbar und ebenso unvermeidlich ist als in England. Gleichzeitig erklärte jenseits des Atlantischen Ozeans Herr Wade, Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika, in öffentlichen Meetings: Nach Beseitigung der Sklaverei trete die Umwandlung der Kapital- und Grundeigentumsverhältnisse auf die Tagesordnung! Es sind dies Zeichen der Zeit, die sich nicht verstecken lassen durch Purpurmäntel oder schwarze Kutten. Sie bedeuten nicht, daß morgen Wunder geschehen werden. Sie zeigen, wie selbst in den herrschenden Klassen die Ahnung aufdämmert, daß die jetzige Gesellschaft kein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus ist.

 

Der zweite Band dieser Schrift wird den Zirkulationsprozeß des Kapitals (Buch II) und die Gestaltungen des Gesamtprozesses (Buch III), der abschließende dritte (Buch IV) die Geschichte der Theorie behandeln.

 

Jedes Urteil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen. Gegenüber den Vorurteilen der sog. öffentlichen Meinung, der ich nie Konzessionen gemacht habe, gilt mir nach wie vor der Wahlspruch des großen Florentiners:

 

Segui il tuo corso, e lascia dir le genti!

 

London, 25. Juli 1867

 

Karl Marx

 

Nachwort zur zweiten Auflage

 

Den Lesern der ersten Ausgabe habe ich zunächst Ausweis zu geben über die in der zweiten Ausgabe gemachten Veränderungen. Die übersichtlichere Einteilung des Buchs springt ins Auge. Zusätzliche Noten sind überall als Noten zur zweiten Ausgabe bezeichnet. Mit Bezug auf den Text selbst ist das Wichtigste:

 

Kapitel I, 1 ist die Ableitung des Werts durch Analyse der Gleichungen, worin sich jeder Tauschwert ausdrückt, wissenschaftlich strenger durchgeführt, ebenso der in der ersten Ausgabe nur angedeutete Zusammenhang zwischen der Wertsubstanz und der Bestimmung der Wertgröße durch gesellschaftlich-notwendige Arbeitszeit ausdrücklich hervorgehoben. Kapitel I, 3 (Die Wertform) ist gänzlich umgearbeitet, was schon die doppelte Darstellung der ersten Ausgabe gebot. – Im Vorbeigehn bemerke ich, daß jene doppelte Darstellung durch meinen Freund, Dr. L. Kugelmann in Hannover, veranlaßt ward. Ich befand mich bei ihm zum Besuch im Frühling 1867, als die ersten Probebogen von Hamburg ankamen, und er überzeugte mich, daß für die meisten Leser eine nachträgliche, mehr didaktische Auseinandersetzung der Wertform nötig sei. – Der letzte Abschnitt des ersten Kapitels, "Der Fetischcharakter der Ware etc.", ist großenteils verändert. Kapitel III, 1 (Maß der Werte) ist sorgfältig revidiert, weil dieser Abschnitt in der ersten Ausgabe, mit Hinweis auf die "Zur Kritik der Polit. Oek.", Berlin 1859, bereits gegebne Auseinandersetzung, nachlässig behandelt war. Kapitel VII, besonders Teil 2, ist bedeutend umgearbeitet.

 

Es wäre nutzlos, auf die stellenweisen Textänderungen, oft nur stilistisch, im einzelnen einzugehn. Sie erstrecken sich über das ganze Buch. Dennoch finde ich jetzt bei Revision der zu Paris erscheinenden französischen Übersetzung, daß manche Teile des deutschen Originals hier mehr durchgreifende Umarbeitung, dort größere stilistische Korrektur oder auch sorgfältigere Beseitigung gelegentlicher Versehn erheischt hatten. Es fehlte dazu die Zeit, indem ich erst im Herbst 1871, mitten unter andren dringenden Arbeiten die Nachricht erhielt, daß das Buch vergriffen sei, der Druck der zweiten Ausgabe aber bereits im Januar 1872 beginnen sollte.

 

Das Verständnis, welches "Das Kapital" rasch in weiten Kreisen der deutschen Arbeiterklasse fand, ist der beste Lohn meiner Arbeit. Ein Mann, ökonomisch auf dem Bourgeoisstandpunkt, Herr Mayer, Wiener Fabrikant, tat in einer während des deutsch-französischen Kriegs veröffentlichten Broschüre treffend dar, daß der große theoretische Sinn, der als deutsches Erbgut galt, den sog. gebildeten Klassen Deutschlands durchaus abhanden gekommen ist, dagegen in seiner Arbeiterklasse neu auflebt.

 

Die politische Ökonomie blieb in Deutschland bis zu dieser Stunde eine ausländische Wissenschaft. Gustav von Gülich hat in "Geschichtliche Darstellung des Handels, der Gewerbe usw.", namentlich in den 1830 herausgegebnen zwei ersten Bänden seines Werkes, großenteils schon die historischen Umstände erörtert, welche die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise bei uns hemmten, daher auch den Aufbau der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Es fehlte also der lebendige Boden der politischen Ökonomie. Sie ward als fertige Ware importiert aus England und Frankreich: ihre deutschen Professoren blieben Schüler. Der theoretische Ausdruck einer fremden Wirklichkeit verwandelte sich unter ihrer Hand in eine Dogmensammlung, von ihnen gedeutet im Sinn der sie umgebenden kleinbürgerlichen Welt, also mißdeutet. Das nicht ganz unterdrückbare Gefühl wissenschaftlicher Ohnmacht und das unheimliche Gewissen, auf einem in der Tat fremdartigen Gebiet schulmeistern zu müssen, suchte man zu verstecken unter dem Prunk literarhistorischer Gelehrsamkeit oder durch Beimischung fremden Stoffes, entlehnt den sog. Kameralwissenschaften, einem Mischmasch von Kenntnissen, deren Fegfeuer der hoffnungsvolle  Kandidat deutscher Bürokratie zu bestehn hat.

 

Seit 1848 hat sich die kapitalistische Produktion rasch in Deutschland entwickelt und treibt heutzutage bereits ihre Schwindelblüte. Aber unsren Fachleuten blieb das Geschick gleich abhold. Solange sie politische Ökonomie unbefangen treiben konnten, fehlten die modernen ökonomischen Verhältnisse in der deutschen Wirklichkeit. Sobald diese Verhältnisse ins Leben traten, geschah es unter Umständen, welche ihr unbefangenes Studium innerhalb des bürgerlichen Gesichtskreises nicht länger zulassen. Soweit sie bürgerlich ist, d.h. die kapitalistische Ordnung statt als geschichtlich vorübergehende Entwicklungsstufe, umgekehrt als absolute und letzte Gestalt der gesellschaftlichen Produktion auffaßt, kann die politische Ökonomie nur Wissenschaft bleiben, solange der Klassenkampf latent bleibt oder sich in nur vereinzelten Erscheinungen offenbart.

 

Nehmen wir England. Seine klassische politische Ökonomie fällt in die Periode des unentwickelten Klassenkampfs. Ihr letzter großer Repräsentant, Ricardo, macht endlich bewußt den Gegensatz der Klasseninteressen, des Arbeitslohns und des Profits, des Profits und der Grundrente, zum Springpunkt seiner Forschungen, indem er diesen Gegensatz naiv als gesellschaftliches Naturgesetz auffaßt. Damit war aber auch die bürgerliche Wissenschaft der Ökonomie bei ihrer unüberschreitbaren Schranke angelangt. Noch bei Lebzeiten Ricardos und im Gegensatz zu ihm trat ihr in der Person Sismondis die Kritik gegenüber.2

 

Die nachfolgende Zeit von 1820-1830 zeichnet sich in England aus durch wissenschaftliche Lebendigkeit auf dem Gebiet der politischen Ökonomie. Es war die Periode wie der Vulgarisierung und Ausbreitung der Ricardoschen Theorie, so ihres Kampfes mit der alten Schule. Es wurden glänzende Turniere gefeiert. Was damals geleistet worden, ist dem europäischen Kontinent wenig bekannt, da die Polemik großenteils in Revueartikeln, Gelegenheitsschriften und Pamphlets zerstreut ist. Der unbefangne Charakter dieser Polemik – obgleich die Ricardosche Theorie ausnahmsweise auch schon als Angriffswaffe wider die bürgerliche Wirtschaft dient – erklärt sich aus den Zeitumständen. Einerseits trat die große Industrie selbst nur aus ihrem Kindheitsalter heraus, wie schon dadurch bewiesen ist, daß sie erst mit der Krise von 1825 den periodischen Kreislauf ihres modernen Lebens eröffnet. Andrerseits blieb der Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit in den Hintergrund gedrängt, politisch durch den Zwist zwischen den um die Heilige Allianz gescharten Regierungen und Feudalen und der von der Bourgeoisie geführten Volksmasse, ökonomisch durch den Hader des industriellen Kapitals mit dem aristokratischen Grundeigentum, der sich in Frankreich hinter dem Gegensatz von Parzelleneigentum und großem Grundbesitz verbarg, in England seit den Korngesetzen offen ausbrach. Die Literatur der politischen Ökonomie in England erinnert während dieser Periode an die ökonomische Sturm- und Drangperiode in Frankreich nach Dr. Quesnays Tod, aber nur wie ein Altweibersommer an den Frühling erinnert. Mit dem Jahr 1830 trat die ein für allemal entscheidende Krise ein.

 

Die Bourgeoisie hatte in Frankreich und England politische Macht erobert. Von da an gewann der Klassenkampf, praktisch und theoretisch, mehr und mehr ausgesprochne und drohende Formen. Er läutete die Totenglocke der wissenschaftlichen bürgerlichen Ökonomie. Es handelte sich jetzt nicht mehr darum, ob dies oder jenes Theorem wahr sei, sondern ob es dem Kapital nützlich oder schädlich, bequem oder unbequem, ob polizeiwidrig oder nicht. An die Stelle uneigennütziger Forschung trat bezahlte Klopffechterei, an die Stelle unbefangner wissenschaftlicher Untersuchung das böse Gewissen und die schlechte Absicht der Apologetik. Indes selbst die zudringlichen Traktätchen, welche die Anti-Corn-Law League, mit den Fabrikanten Cobden und Bright an der Spitze, in die Welt schleuderte, boten, wenn kein wissenschaftliches, doch ein historisches Interesse durch ihre Polemik gegen die grundeigentümliche Aristokratie. Auch diesen letzten Stachel zog die Freihandelsgesetzgebung seit Sir Robert Peel der Vulgärökonomie aus.

 

Die kontinentale Revolution von 1848 schlug auch auf England zurück. Männer, die noch wissenschaftliche Bedeutung beanspruchten und mehr sein wollten als bloße Sophisten und Sykophanten der herrschenden Klassen, suchten die politische Ökonomie des Kapitals in Einklang zu setzen mit den jetzt nicht länger zu ignorierenden Ansprüchen des Proletariats. Daher ein geistloser Synkretismus, wie ihn John Stuart Mill am besten repräsentiert. Es ist eine Bankrotterklärung der "bürgerlichen" Ökonomie, welche der große russische Gelehrte und Kritiker N. Tschernyschewski in seinem Werk "Umrisse der politischen Ökonomie nach Mill" bereits meisterhaft beleuchtet hat.

 

In Deutschland kam also die kapitalistische Produktionsweise zur Reife, nachdem ihr antagonistischer Charakter sich in Frankreich und England schon durch geschichtliche Kämpfe geräuschvoll offenbart hatte, während das deutsche Proletariat bereits ein viel entschiedneres theoretisches Klassenbewußtsein besaß als die deutsche Bourgeoisie. Sobald eine bürgerliche Wissenschaft der politischen Ökonomie hier möglich zu werden schien, war sie daher wieder unmöglich geworden.

 

Unter diesen Umständen teilten sich ihre Wortführer in zwei Reihen. Die einen, kluge, erwerbslustige, praktische Leute, scharten sich um die Fahne Bastiats, des flachsten und daher gelungensten Vertreters vulgär-ökonomischer Apologetik; die andren, stolz auf die Professoralwürde ihrer Wissenschaft, folgten J. St. Mill in dem Versuch, Unversöhnbares zu versöhnen. Wie zur klassischen Zeit der bürgerlichen Ökonomie blieben die Deutschen auch zur Zeit ihres Verfalls bloße Schüler, Nachbeter und Nachtreter, Kleinhausierer des ausländischen Großgeschäfts.

 

Die eigentümliche historische Entwicklung der deutschen Gesellschaft schloß hier also jede originelle Fortbildung der "bürgerlichen" Ökonomie aus, aber nicht deren – Kritik. Soweit solche Kritik überhaupt eine Klasse vertritt, kann sie nur die Klasse vertreten, deren geschichtlicher Beruf die Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise und die schließliche Abschaffung der Klassen ist – das Proletariat.

 

Die gelehrten und ungelehrten Wortführer der deutschen Bourgeoisie haben "Das Kapital" zunächst totzuschweigen versucht, wie ihnen das mit meinen frühern Schriften gelungen war. Sobald diese Taktik nicht länger den Zeitverhältnissen entsprach, schrieben sie, unter dem Vorwand, mein Buch zu kritisieren, Anweise "Zur Beruhigung des bürgerlichen Bewußtseins", fanden aber in der Arbeiterpresse – sieh z.B. Joseph Dietzgens Aufsätze im "Volksstaat" – überlegene Kämpen, denen sie die Antwort bis heute schuldig.3

 

Eine treffliche russische Übersetzung des "Kapitals" erschien im Frühling 1872 zu Petersburg. Die Auflage von 3000 Exemplaren ist jetzt schon beinahe vergriffen. Bereits 1871 hatte Herr N. Sieber (Siber), Professor der politischen Ökonomie an der Universität zu Kiew, in seiner Schrift: "Teoria cennosti i kapitala" ("D. Ricardos Theorie des Werts und des Kapitals etc.") meine Theorie des Werts, des Geldes und des Kapitals in ihren Grundzügen als notwendige Fortbildung der Smith-Ricardoschen Lehre nachgewiesen. Was den Westeuropäer beim Lesen seines gediegnen Buchs überrascht, ist das konsequente Festhalten des rein theoretischen Standpunkts.

 

Die im "Kapital" angewandte Methode ist wenig verstanden worden, wie schon die einander widersprechenden Auffassungen derselben beweisen.

 

So wirft mir die Pariser "Revue Positiviste" vor, einerseits, ich behandle die Ökonomie metaphysisch, andrerseits – man rate! –, ich beschränke mich auf bloß kritische Zergliederung des Gegebnen, statt Rezepte (comtistische?) für die Garküche der Zukunft zu verschreiben. Gegen den Vorwurf der Metaphysik bemerkt Prof. Sieber:

 

"Soweit es sich um die eigentliche Theorie handelt, ist die Methode von Man die deduktive Methode der ganzen englischen Schule, deren Mangel und Vorzüge den besten theoretischen Ökonomisten gemein sind."

 

Herr M. Block – "Les Théoriciens du Socialisme en Allemagne. Extrait du Journal des Économistes, juillet et août 1872" – entdeckt, daß meine Methode analytisch ist, und sagt u.a.:

 

"Par cet ouvrage M. Marx se classe parmi les esprits analytiques les plus éminents."

 

Die deutschen Rezensenten schreien natürlich über Hegelsche Sophistik. Der Petersburger "Westnik" (Europäischer Bote), in einem Artikel, der ausschließlich die Methode des "Kapital" behandelt (Mainummer 1872, p. 427-436), findet meine Forschungsmethode streng realistisch, die Darstellungsmethode aber unglücklicherweise deutsch-dialektisch. Er sagt:

 

"Auf den ersten Blick, wenn man nach der äußern Form der Darstellung urteilt, ist Marx der größte Idealphilosoph, und zwar im deutschen, d.h. schlechten Sinn des Wortes. In der Tat aber ist er unendlich mehr Realist als alle seine Vorgänger im Geschäft der ökonomischen Kritik... Man kann ihn in keiner Weise einen Idealisten nennen."

 

Ich kann dem Herrn Verfasser nicht besser antworten als durch einige Auszüge aus seiner eignen Kritik, die zudem manchen meiner Leser, dem das russische Original unzugänglich ist, interessieren mögen.

 

Nach einem Zitat aus meiner Vorrede zur "Kritik der Pol. Oek.", Berlin 1859, p. IV-VII, wo ich die materialistische Grundlage meiner Methode erörtert habe, fährt der Herr Verfasser fort:

 

"Für Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Gesetz wichtig, das sie beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben und in einem Zusammenhang stehn, wie er in einer gegebnen Zeitperiode beobachtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Veränderung, ihrer Entwicklung, d.h. der Übergang auf einer Form in die andre, aus einer Ordnung des Zusammenhangs in eine andre. Sobald er einmal dies Gesetz entdeckt hat, untersucht er im Detail die Folgen, worin es sich im gesellschaftlichen Leben kundgibt... Demzufolge bemüht sich Marx nur um eins: durch genaue wissenschaftliche Untersuchung die Notwendigkeit bestimmter Ordnungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nachzuweisen und soviel als möglich untadelhaft die Tatlachen zu konstatieren, die ihm zu Ausgangs- und Stützpunkten dienen. Hierzu ist vollständig hinreichend, wenn er mit der Notwendigkeit der gegenwärtigen Ordnung zugleich die Notwendigkeit einer andren Ordnung nachweist, worin die erste unvermeidlich übergehn muß, ganz gleichgültig, ob die Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewußt oder nicht bewußt sind. Marx betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschichtlichen Prozeß, den Gesetze lenken, die nicht nur von dem Willen, dem Bewußtsein und der Absicht der Menschen unabhängig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewußtsein und Absichten bestimmen... Wenn das bewußte Element in der Kulturgeschichte eine so untergeordnete Rolle spielt, dann versteht es sich von selbst, daß die Kritik, deren Gegenstand die Kultur selbst ist, weniger als irgend etwas andres, irgendeine Form oder irgendein Resultat des Bewußtseins zur Grundlage haben kann. Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschränken auf die Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache, nicht mit der Idee, sondern mit der andren Tatsache. Für sie ist es nur wichtig, daß beide Tatsachen möglichst genau untersucht werden und wirklich die eine gegenüber der andren verschiedne Entwicklungsmomente bilden, vor allem aber wichtig, daß nicht minder genau die Serie der Ordnungen erforscht wird, die Aufeinanderfolge und Verbindung, worin die Entwicklungsstufen erscheinen. Aber, wird man sagen, die allgemeinen Gesetze des Ökonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz gleichgültig, ob man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet. Grade das leugnet Marx. Nach ihm existieren solche abstrakte Gesetze nicht... Nach seiner Meinung besitzt im Gegenteil jede historische Periode ihre eignen Gesetze... Sobald das Leben eine gegebene Entwicklungsperiode überlebt hat, aus einem gegebnen Stadium in ein andres übertritt, beginnt es auch durch andre Gesetze gelenkt zu werden. Mit einem Wort, das ökonomische Leben bietet uns eine der Entwicklungsgeschichte auf andren Gebieten der Biologie analoge Erscheinung... Die alten Ökonomen verkannten die Natur ökonomischer Gesetze, als sie dieselben mit den Gesetzen der Physik und Chemie verglichen... Eine tiefere Analyse der Erscheinungen bewies, daß soziale Organismen sich voneinander ebenso gründlich unterscheiden als Pflanzen- und Tierorganismen... Ja, eine und dieselbe Erscheinung unterliegt ganz und gar verschiednen Gesetzen infolge des verschiednen Gesamtbaus jener Organismen, der Abweichung ihrer einzelnen Organe, des Unterschieds der Bedingungen, worin sie funktionieren usw. Marx leugnet z.B., daß das Bevölkerungsgesetz dasselbe ist zu allen Zeiten und an allen Orten. Er versichert im Gegenteil, daß jede Entwicklungsstufe ihr eignes Bevölkerungsgesetz hat... Mit der verschiednen Entwicklung der Produktivkraft ändern sich die Verhältnisse und die sie regelnden Gesetze. Indem sich Marx das Ziel stellt, von diesem Gesichtspunkt aus die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu erforschen und zu erklären, formuliert er nur streng wissenschaftlich das Ziel, welches jede genaue Untersuchung des ökonomischen Lebens haben muß... Der wissenschaftliche Wert solcher Forschung liegt in der Aufklärung der besondren Gesetze, welche Entstehung, Existenz, Entwicklung, Tod eines gegebenen gesellschaftlichen Organismus und seinen Ersatz durch einen andren, höheren regeln. Und diesen Wert hat in der Tat das Buch von Marx."

 

Indem der Herr Verfasser das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend und, soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht kommt, so wohlwollend schildert, was andres hat er geschildert als die dialektische Methode?

 

Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoß sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun.

 

Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.

 

Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des "Kapital" ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als "toten Hund". Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.

 

In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.

 

Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechselfällen des periodischen Zyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und deren Gipfelpunkt – die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, obgleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer Wirkung, selbst den Glückspilzen des neuen heiligen, preußisch-deutschen Reichs Dialektik einpauken.

 

London, 24. Januar 1873

 

Karl Marx

 

Vor- und Nachwort zur französischen Ausgabe

 

London, 18. März 1872

 

An den Bürger Maurice La Châtre

 

Werter Bürger!

 

Ich begrüße ihre Idee, die Übersetzung des "Kapitals" in periodischen Lieferungen herauszubringen. In dieser Form wird das Werk der Arbeiterklasse leichter zugänglich sein, und diese Erwägung ist für mich wichtiger als alle anderen.

 

Das ist die Vorderseite Ihrer Medaille, aber hier ist auch die Kehrseite: Die Untersuchungsmethode, deren ich mich bedient habe und die auf ökonomische Probleme noch nicht angewandt wurde, macht die Lektüre der ersten Kapitel ziemlich schwierig, und es ist zu befürchten, daß das französische Publikum, stets ungeduldig nach dem Ergebnis und begierig, den Zusammenhang zwischen den allgemeinen Grundsätzen und den Fragen zu erkennen, die es unmittelbar bewegen, sich abschrecken läßt, weil es nicht sofort weiter vordringen kann.

 

Das ist ein Nachteil, gegen den ich nichts weiter unternehmen kann, als die nach Wahrheit strebenden Leser von vornherein darauf hinzuweisen und gefaßt zu machen. Es gibt keine Landstraße für die Wissenschaft, und nur diejenigen haben Aussicht, ihre lichten Höhen zu erreichen, die die Mühe nicht scheuen, ihre steilen Pfade zu erklimmen.

 

Karl Marx

 

An den Leser

 

Herr J. Roy hat es unternommen, eine so genaue und selbst wörtliche Übersetzung wie möglich zu geben; er hat seine Aufgabe peinlich genau erfüllt. Aber gerade seine peinliche Genauigkeit hat mich gezwungen, die Fassung zu ändern, um sie dem Leser zugänglicher zu machen. Diese Änderungen, die von Tag zu Tag gemacht wurden, da das Buch in Lieferungen erschien, sind mit ungleicher Sorgfalt ausgeführt worden und mußten Stilungleichheiten hervorrufen.