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Nr. 1568

 

Sklaven der 5. Dimension

 

Sie überschreiten die kosmischen Grenzen – sie sind Kundschafter des Hyperraums

 

Peter Griese

 

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Den ehemaligen Zellaktivatorträgern läuft die Zeit davon. Während sie Mitte 1171 NGZ davon ausgehen konnten, aufgrund der ihnen durch ES gewährten Zelldusche noch eine Lebensspanne von rund sechs Jahrzehnten zur Verfügung zu haben, wissen sie jetzt, zu Beginn des Jahres 1173, dass die Uhren der Superintelligenz anders gehen. Jedenfalls hat sich die ihnen zugestandene Gnadenfrist drastisch verringert.

Sollen ihre aufopfernden Bemühungen, den Aufenthaltsort von ES und seiner Kunstwelt zu bestimmen, umsonst gewesen sein? Die ehemaligen Unsterblichen und ihre Helfer wollen es nicht glauben. Sie setzen auch weiterhin alles daran, Wege zu finden, der gestörten Superintelligenz zu helfen, um auf diese Weise letztlich auch sich selbst zu helfen.

In gewissem Zusammenhang damit stehen auch die Recherchen Reginald Bulls und anderer, die ihre von ES zurückgeforderten Zellaktivatoren nun im Besitz von 14 linguidischen Friedensstiftern wissen. Sie, die neuen Favoriten der Superintelligenz, genießen förmlich ihre neue Rolle. Sie widmen sich mit großem Eifer der galaktischen Politik und beginnen eine neue Ordnung zu propagieren.

Sie scheuen sich nicht einmal mehr, Materietransmitter zu benutzen. Sie ahnen nichts von den SKLAVEN DER 5. DIMENSION ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Anselm Mansdorf – Chef des Hanse-Kontors auf Bastis.

Yankipoora und Zornatur – Agenten der Kosmischen Hanse.

Michael Rhodan – Er handelt in Adams' Auftrag.

Exeter – Ein Hyperraum-Scout.

Atlan – Der Arkonide sieht seinen Verdacht bestätigt.

Chukdar – Ein undurchsichtiger Nakk.

Prolog

 

Stathis Mylonas hatte keine Chance, die Katastrophe zu verhindern. Es passierte alles zu unerwartet und zu schnell.

Der Linguide an den Kontrollpulten des zweihundert Meter hohen Landeturms machte einen gelangweilten Eindruck. Sein neuer Bürstenhaarschnitt, hellgrün eingefärbt und damit seiner Arbeitskombination angepasst, bereitete ihm mehr Sorgen als die startenden und landenden Raumschiffe in seinem Sektor.

Die syntronischen Kontrollsysteme des Raumhafens von Panassa würden ihn rechtzeitig alarmieren, wenn etwas Außerplanmäßiges geschah. Es war seit Monaten nichts passiert, was ein Eingreifen seitens der aufsichtführenden Controller für die vier Landesektoren erforderlich gemacht hätte. Oder etwas, was gar zu einem Eingreifen des Supervisors geführt hätte.

Das mächtige Delphin-Schiff mit dem Namen CALMUD IV, gut siebenhundert Meter lang und mit fünfhundert Metern außergewöhnlich breit, war ein Transporter, der einmal im Monat aus dem Punka-System nach Bastis kam und vorwiegend Tiefkühlkost geladen hatte.

Die dicken roten und die schmalen schwarzen Querstreifen des Transporters boten dem Raumhafen-Controller ein vertrautes Bild. Mylonas kannte die CALMUD IV, ihren Kapitän und dessen Crew. Dabei handelte es sich ausnahmslos um erfahrene Raumfahrer, die diese Tour von Roisset im Punka-System nach Bastis im Oribron-System wohl zum hundertsten Mal durchführten.

Auf den Bildschirmen signalisierten die Leuchtsymbole den fehler- und störungsfreien Verlauf des Landemanövers. Tausend Meter über der Landefläche aktivierte die CALMUD IV die Antigravfelder der Landepolster. Gleichzeitig wurde der Schub der Bremstriebwerke verringert. Bei achthundert Metern Höhe hatten die Antigravfelder die Aufgabe allein übernommen, das mächtige Frachtschiff sicher auf den Boden zu bringen.

Stathis Mylonas warf einen Blick aus dem Panoramafenster des Kontrollturms. Diese Sichtkontrolle war eigentlich überflüssig, denn Masse- und Energietaster überwachten den gesamten Raum unterhalb des landenden Schiffes und auch die nähere Umgebung, die während der Landephase abgesperrt war.

Der Linguide drückte die Bestätigungstaste. Das Signal »Landung frei« wurde an die CALMUD IV übertragen und der Empfang von dort bestätigt.

Noch einhundert Meter.

Unterhalb einer Differenz von vierzig Metern war ein Notstart mit den Hauptantriebssystemen bei einem so großen Raumschiff nur möglich, wenn Beschädigungen der Landefläche in Kauf genommen wurden. Solche Fälle gehörten aber in den Bereich der Theorie. Mylonas konnte sich nicht erinnern, dass so etwas jemals vorgekommen war.

Die Piloten der landenden Raumschiffe waren auf solche Extremsituationen auch gar nicht eingestellt. Im Vorfeld einer Landung wurde von den Bodeneinrichtungen dafür gesorgt, dass sich nichts und niemand unter einem landenden Raumschiff aufhalten konnte.

Das antigravitatorische Prallfeld war jetzt auf Höchstlast ausgesteuert. Die Luft zwischen der Panzerplastfläche und dem Delphin-Schiff flimmerte leicht. Die CALMUD IV senkte sich immer weiter nach unten.

Als der Abstand nur noch zwanzig Meter betrug, schrillten zwei Alarmsirenen kurz hintereinander auf.

Stathis Mylonas fuhr wie von einer Tarantel gestochen in die Höhe. In Sekundenbruchteilen huschten seine Blicke über die vier Hauptbildschirme und erfassten, was dort gezeigt wurde.

Der erste Alarm war von der Energiekontrolle ausgelöst worden. Unterhalb der landenden CALMUD IV hatte sich auf der Landefläche ein hyperenergetischer Energiewirbel gebildet.

Die zweite Warnung kam von den Massetastern, die keine Sekunde später an der Stelle des Energiewirbels etwas festgestellt hatten, das etwa eine Masse von siebzig Kilogramm besaß. Die Feinauswertung, die dieser Ortung automatisch folgte, signalisierte organische Substanz.

Stathis Mylonas schoss das Blut in den Kopf, denn er wusste nur zu genau, was das bedeutete. Auf eine unbegreifliche Art und Weise war direkt unter dem landenden Delphin-Schiff ein Lebewesen materialisiert!

Es bedeutete noch mehr.

Das Lebewesen war zum Tod verurteilt. Es gab kein Entkommen aus dieser tödlichen Falle, die in Sekundenbruchteilen zuschnappen musste. Die mächtigen Antigravpolster mussten alles zerquetschen.

Als der linguidische Raumhafen-Controller diesen Gedanken zu Ende gebracht hatte, war es auch schon geschehen.

Unter der CALMUD IV breitete sich eine über fünfzig Meter durchmessende, annähernd kreisförmige Fläche aus, die in roten und braunen Farben schillerte – die traurigen Überreste eines Lebewesens.

Das unbekannte Lebewesen war bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden.

Und an Bord der CALMUD IV war der Vorfall, der sich in weniger als zwei Sekunden abgespielt hatte, gar nicht bemerkt worden.

Stathis Mylonas stand in seiner Überwachungszentrale und war zu keiner Reaktion fähig. Seine Hände zitterten, und seine Blicke lagen auf den Bildern des Grauens.

Es dauerte eine Weile, bis sein Verstand wieder normal arbeitete und er die Stimme des Supervisors aus der obersten Plattform wahrnahm.

»Der CALMUD IV wurde ein anderer Landeplatz zugewiesen. Der alte Landeplatz wird hiermit zum Sperrgebiet erklärt. Der Vorfall unterliegt der höchsten Geheimhaltungsstufe. Die Spuren des Unglücks müssen sofort beseitigt werden. Ein Robotkommando ist bereits unterwegs. Stathis Mylonas! Du steuerst die erforderlichen Maßnahmen und stellst die Geheimhaltung sicher.«

»Ja, natürlich«, antwortete der Controller automatisch.

Noch während die CALMUD IV umdirigiert wurde, machte sich Stathis Mylonas auf den Weg zum Landefeld, um dort die Robotkommandos einzusetzen und zu überwachen. Einem inneren Impuls folgend, steckte er sich einen kleinen Behälter in die Tasche.

So geschah es am 5. Februar 1173 auf dem Raumhafen von Panassa, Linguidenplanet Bastis, Oribron-System, Simban-Sektor.

Wie bei allen historischen Entwicklungen und Ereignissen, so lagen auch diesmal die verschiedenen Ursachen für dieses Unglück irgendwo in der Vergangenheit. Sie lagen an verschiedenen Orten, und sie beruhten auf Entscheidungen verschiedener Wesen zu verschiedenen Zeiten.

Und keine noch so große Syntronik würde jemals in der Lage sein, alle einzelnen Gründe für dieses Unglück und deren Verknüpfungen miteinander restlos zu entschlüsseln.

1.

 

Der Tag – man schrieb den 31. Januar 1173 NGZ – begann für den Mann in dem seltsamen Gerät mit den gleichen Routinen wie jeder andere Tag, auch wenn dies ein Sonntag war. Der Mann in dem offenen, mannshohen Kasten kannte keinen freien Tag.

Er studierte die eingegangenen Meldungen sorgfältig und sortierte sie in zwei Kategorien. Die einen Informationen betrafen allein die Aktivitäten der Kosmischen Hanse. Die anderen hingegen waren meistens kodiert und nur für ihn persönlich bestimmt.

Er nannte das Gerät, in dem er halb hing und halb saß, seine »Kutsche«. Und so pflegte er auch die Hochleistungssyntronik des Spezialgefährts anzusprechen.

Antigravstuhl hätte den Kern der Sache besser getroffen. Eigentlich handelte es sich um einen syntronisch-antigravitatorisch steuerbaren Rollstuhl für ein Wesen, das im biologischen Sinn kein Rückgrat mehr besaß, dafür aber im geistigen Sinn ein um so härteres.

Das Gerät war eineinhalb Meter hoch und bot einem erwachsenen Menschen eine bequeme Sitzgelegenheit. Die leicht gewölbte Rückenlehne reichte von der Kopfstütze und ihren Manschetten bis auf den Boden. Das Unterteil hatte die Form eines halbierten Zylinders, dessen gerade Fläche nach vorn wies. Darauf saß der Mann, von ausfahrbaren, gepolsterten Stützen von der Hüfte an bis zum Hals gehalten.

Die Füße ruhten auf einem kleinen Podest mit sechs Tasten, die der Fortbewegung des Gefährts dienten.

Die breiten Armstützen zu beiden Seiten ähnelten komplizierten Kommandopulten in Miniaturausgabe. An den vorderen Enden ließen sich Bildschirme ausfahren. Das ganze Gerät war einheitlich in Schwarz gehalten.

Im Sockel der Kutsche waren alle technischen Anlagen untergebracht. Ein autarkes Kleinkraftwerk versorgte die leistungsstarke Syntronik, die Antigravsteuerung, die verschiedenen Kommunikationssysteme auf Normal- und Hyperfunkbasis und die mechanischen Steuereinrichtungen des Geräts, die Kopf- und Rückenstützen.

Daneben existierten eine medizinische Einheit sowie ein Versorgungssystem für Nahrungsmittel und Getränke.

Der Insasse dieses kleinen technischen Wunderwerks konnte ferner einen Defensivschirm um das ganze Gerät legen. Auf Offensivwaffen hatte der Benutzer der Kutsche bewusst verzichtet. Sie entsprachen nicht seiner Mentalität.

Die Grundidee für dieses einmalige Gerät stammte von Anselm Mansdorf, heute Chef des Hanse-Kontors Bastis, ein 104 Jahre alter Plophoser und ehemaliger Widerstandskämpfer der Organisation WIDDER.

Mansdorf war in den letzten Jahren vor dem Sturz Monos' zu Homer G. Adams' Geheimorganisation gestoßen. Er hatte sich damals als einer der erfolgreichsten Widerstandskämpfer und als kluger Stratege entpuppt. Ein besonderes Talent hatte er im Aufbau von Agentennetzen entwickelt.

Bei seinem letzten Einsatz für WIDDER war er in schwere Kämpfe verwickelt worden. Ein unglücklicher Strahlschuss hatte ihn von oben getroffen, die hintere Kante der Schädeldecke abrasiert und die ganze Wirbelsäule weggeschmolzen. Zum Glück war das Gehirn unversehrt geblieben.

Dennoch hatte niemand mehr einen Pfifferling für sein Leben gegeben, aber die Medospezialisten der Widerstandsorganisation hatten ein kleines Wunder vollbracht und den Mann wieder einigermaßen zusammengeflickt.

Wichtige Nervenstränge waren ersetzt worden. Anselm Mansdorf beherrschte dadurch seinen gesamten Oberkörper, und er konnte auch zumindest seine Unterschenkel und die Füße wieder bewegen. Syntronische Rezeptoren setzten die Nervenimpulse um und steuerten gedankenschnell die implantierten künstlichen Muskeln.

Laufen wie ein normaler Mensch wäre aber nur möglich gewesen, wenn die Beine zur Gänze durch künstliche Glieder ersetzt worden wären. Das hatte der Mann aber abgelehnt.

Ein anderes großes Problem hatte sich auch nicht lösen lassen. Der Körper des Mannes stieß alles ab, was als Ersatz für die praktisch nicht mehr existierende Wirbelsäule eingesetzt wurde.

Der Körpergeschädigte selbst hatte daraufhin den Plan entwickelt, der schließlich zum Bau der Kutsche geführt hatte. Das Gerät verlieh ihm ein äußerliches Stützkorsett. Und wenn er das Gerät für kurze Zeit verlassen musste, sorgte ein an der Hüfte befestigtes Gravo-Pak mit speziellen Stützfeldern dafür, dass er sich dann wenigstens für kurze Zeit frei bewegen konnte.

Anselm Mansdorf war ein Krüppel, aber darunter schien er weder physisch noch psychisch zu leiden. Sein Lebenswille hatte schließlich sogar Homer G. Adams überzeugt, als er den Veteranen in den hochverdienten Ruhestand schicken wollte.

Die Linguidenwelt Bastis hatte sich vor drei Jahren dafür angeboten. Hier sollte nach den ersten Kontakten mit den Linguiden im Jahr 1169 ein Handelskontor errichtet werden. Auf Anselm Mansdorfs Drängen hatte ihn Adams als Kontorchef eingesetzt.

Offiziell hatte der ehemalige Kopf von WIDDER dazu bemerkt, dass der alte Haudegen hier an den Ufern der Blauen See am Rand der Hauptstadt Panassa einen geruhsamen Lebensabend verbringen sollte.

Mansdorf hatte seinem Chef diese Erklärung nicht so ganz abgenommen. Denn zufällig hatte er gehört, dass Homer G. Adams gegenüber Freunden davon gesprochen hatte, dass »der alte Fuchs das Jagen nicht würde lassen können«. Was der ehemalige Führer der Widerstandsorganisation damit gemeint hatte, war Anselm Mansdorf von Anfang an klar gewesen.

Die stürmische Entwicklung bei den Linguiden und der Wirbel um die Friedensstifter hatte auch prompt dazu geführt, dass die Bedeutung des Hanse-Kontors von Bastis schnell gestiegen war. Als vor zwei Jahren Homer G. Adams einmal Mansdorf gegenüber hatte anklingen lassen, dass es sehr nützlich wäre, wenn ein paar seiner Mitarbeiter mit zusätzlichen Aufgaben als Geheimagenten betraut werden könnten, hatte der Mann in der Kutsche nur zufrieden gelacht.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Mansdorf längst seine Finger nach allen erreichbaren Welten der Linguiden ausgestreckt und Fäden gezogen. Der Handel mit medizinischen Spezialgeräten, Unterwasserplantagen und sonstigen Hightech-Gütern hatte ihn schon lange nicht mehr ausgelastet. Und mit dem Gespür eines erfahrenen Kämpfers hatte er frühzeitig die wachsende Bedeutung der Linguiden erkannt.

Mit dem offiziellen Auftrag Adams' im Rücken und der Bewilligung von zusätzlichen Finanzmitteln hatte Anselm Mansdorf keine drei Monate benötigt, um sein teilweise noch loses und unvollständiges Informationsnetz zu verdichten und zur vollen Leistungsfähigkeit zu bringen.

Anfang des Jahres 1173 NGZ verfügte er über Verbindungsleute auf zwölf der sechzehn Linguidenwelten. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis er auch einen direkten Draht nach Vandero, Drostett, Verehost und Oytlok besaß.

Von den sieben Festangestellten des Handelskontors arbeiteten fünf auch als Agenten. Zwei davon, eine Frau und ein Mann terranischer Herkunft, agierten getarnt auch außerhalb von Bastis. Sie waren in den letzten Jahren speziell ausgebildet worden.

Ihre Tarnnamen lauteten Yankipoora und Zornatur.

Das Kontor war vollrobotisch ausgerüstet. Daher genügte diese kleine Zahl von Mitarbeitern. Bei Bedarf wurden kurzzeitig Linguiden als Hilfskräfte eingestellt.

Die Verbindung zur Außenwelt bestand in erster Linie in einem Gütertransmitter, der auf den Planeten Roost der Tentra-Blues im Zentrum des Simban-Sektors geschaltet war.

Die Verteilung der Güter innerhalb des Herrschaftsbereichs der Linguiden erfolgte natürlich ausschließlich mit Raumschiffen. Es war schon ein sehr großes Entgegenkommen, dass man für das Kontor der Hanse überhaupt einen Transmitter zugelassen hatte. Allein die Erwähnung des Wortes »Transmitter« erzeugte bei den meisten Linguiden schon traumatische Vorstellungen.

Anselm Mansdorf wirkte nicht wie ein Hundertvierjähriger. Das lag vor allem an der dunkelhaarigen Perücke, die er wegen des Fehlens der hinteren Schädeldecke trug. Die glatten schwarzen, leicht silbern glänzenden Haare reichten bis an die Schultern.

Die stahlgrauen Augen mit dem durchdringenden Adlerblick verrieten Entschlossenheit und Härte. Auch die schmalen Lippen und die leicht hervorstehenden Backenknochen unterstrichen diesen Eindruck.