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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Dezember 2012

Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung yellowfarm gmbh, Stefanie Freischem

(Abbildung: Sebastian Marmaduke/Image Source/Corbis; yellowfarm/Claudia Aengeneyndt)

Animation Christof Tisch, Wiesbaden

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Printausgabe 978-3-499-25923-4 (2. Auflage 2012)

ISBN E-Book 978-3-644-48031-5

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-48031-5

Selbstmitleid ist was für Heteros

(Kai, 30, Verkäufer bei Miucci)

1. Kapitel

«Sie wissen nicht zufällig, ob jemand in diesem Haus eine Katze hält?»

«Nein.»

«Nein, Sie wissen es nicht, oder nein, es gibt keine Katzen?»

Ich weiß es nicht. Ich bin Makler, nicht Nostradamus.

«Es gibt keine Katzen.» Ich blicke Britney Bauer, einer schätzungsweise dreißigjährigen Wohnungsinteressentin mit blondiertem Haar und Hang zum Übergewicht, fest in die blau umschminkten Augen. Mir wird schwindelig. Ob sie weiß, dass das Farbspiel auf ihren flatternden Lidern beim Betrachter einen Verwackelungseffekt entstehen lässt? Es ist, als begutachte man ein 3-D-Gemälde ohne die dazugehörige Brille. Irritiert schaue ich aus dem Fenster.

«Sind Sie sicher?» Sie lässt nicht locker. «Ich leide nämlich unter einer birkenpollenassoziierten Tierhaarallergie. Schon wenige Katzenhaare vor meiner Türschwelle reichen aus, damit ich in ein anaphylaktisches Koma falle.»

Schon klar, denke ich, anaphallisches Koma. Was soll denn das bitte schön sein? Den Begriff hat sie doch todsicher auf der Pilatesmatte aufgeschnappt, und zwar im Kurs: Wie atme ich meine Hüften schlank? Lächerlich! Außerdem: Wenn hier gleich einer bewusstlos wird, dann bin das vermutlich ich. Weil es hier nämlich verdammt nach orientalischem Hammelfleischgewürz riecht, seit die Bauersfrau über die Türschwelle getreten ist. Unfassbar, was manche Leute unter Parfum verstehen! Mit Sicherheit stand auf der Verpackung sogar irgendwo der Warnhinweis: Nicht in geschlossenen Räumen verwenden! Aber lesen kann man mit den beschmierten Wimpern vermutlich nicht.

Zum Glück ist Britney Bauer nicht allein zum Besichtigungstermin erschienen. Ihr Begleiter, Dr. Klaus Liebig, ein kurzbeiniger Promi-Zahnarzt aus München, wirkt aufgrund seiner untersetzten Statur und der üppig zur Schau gestellten Körperbehaarung mehr wie ein Seebär als ein Dentalchirurg. Mit einer Körpergröße von schätzungsweise 1,65 Meter ist er für einen Mann nicht besonders groß. Doch genau dieser Umstand macht ihn in meinen Augen zu dem perfekten Kunden. Kleine Männer benötigen nämlich meist etwas zum Angeben. Etwas, womit sie über ihre Körpergröße hinwegtäuschen können. Ein teures Auto (Jeep natürlich, da sitzt man höher), eine Frau (am besten ein Topmodel, damit die Schönheit der Begleiterin vom Größenunterschied ablenkt) oder eben ein cooles Apartment. Da es mit dem Topmodel offensichtlich nicht geklappt hat, sucht er nun nach der Wohnung.

Glück für mich.

Zwar macht Dr. Liebigs Anwesenheit den Hammelgewürzgestank nicht besser, sie hat aber einen entscheidenden Vorteil: In ihm finde ich einen ernstzunehmenden Ansprechpartner. Er hat das Geld, er hat das Sagen. Und das ist auch gut so. Männer wissen beim Immobilienkauf nun mal besser, worauf es ankommt. Sie stellen kurze, präzise Fragen, lassen sich durch Fakten überzeugen und durch Technik begeistern. Sie werden nicht von Gefühlen geleitet, sondern erkennen in Sekundenschnelle, wenn ihnen ein sahnemäßiges Objekt präsentiert wird. Und die Wohnung, in der wir gerade stehen, ist ein solcher Glücksfall: Drei Zimmer verteilen sich auf luxuriöse 85 Quadratmeter, die Lage ist 1a, nämlich inmitten von Hamburgs modernstem Viertel, der Hafencity. Dazu kommt eine Innenausstattung, die sich sehen lassen kann, gepaart mit fortschrittlichster Technik. Kurz: Hier ist alles vom Feinsten. Und der Kaufpreis von 645000 Euro macht das einzigartige Angebot zu einem echten Schnäppchen.

Natürlich weiß Dr. Liebig das. Immerhin besichtigt er diese Wohnung bereits zum zweiten Mal – ein eindeutiges Indiz für sein ernstzunehmendes Kaufinteresse.

Blöd nur, dass er dieses Mal Entscheidungsbremse Britney im Schlepptau hat. Bei Wohnungsbesichtigungen präsentieren sich Frauen nämlich leider meist als unberechenbar. Im Gegensatz zu Männern stellen sie lange, irrelevante Fragen, lassen sich durch Fakten verwirren und von Technik langweilen. Ob ihnen ein Spitzenangebot vorliegt, ist Frauen herzlich egal, solange die Wohnung das richtige Karma, einen ansprechenden Geruch und einen Feng-Shui-Berater in der Nachbarschaft hat. Ein schwammiges Anforderungsprofil, würde ich sagen, das zudem für einen Mann nur schwer nachvollziehbar ist.

«Wissen Sie, Herr Held», sagt Dr. Liebig jetzt mit geradezu klischeehaft tiefer Arztstimme, «ich möchte mir hier in Hamburg ein zweites Standbein aufbauen. Eine zweite Praxis für ästhetische Kieferchirurgie, in der ich an drei Tagen in der Woche operieren werde.» Er wirft seiner Begleitung einen wollüstigen Blick zu. «Frau Bauer, meine äh … Assistentin, kümmert sich um die Terminvergabe und andere wichtige Belange in der Praxis. Ein verantwortungsvoller Posten, deswegen möchte ich … also die Klinik, sie exzellent untergebracht wissen. Ich suche dabei eine Firmenwohnung, die dann an Frau Bauer vermietet wird. Zu speziellen Konditionen, wenn Sie verstehen, was ich meine …» Er lacht, und man hat das Gefühl, unter ihm erzittert die Erde.

«Natürlich», erkläre ich augenzwinkernd und versuche mir nicht vorzustellen, wie es wäre, mit Britney morgens das Bad zu teilen.

Ein Liebesnest soll dies hier also werden, interessant. Oder besser gesagt: ein Glücksfall. Denn im Vergleich zu Anschaffungen aus Prestigegründen haben Liebesnest-Käufe einen ganz entscheidenden Vorteil: Sie gehen fast immer reibungslos über die Bühne und führen außerdem sehr schnell zum Wiederverkauf. Es wird nicht gemäkelt, wenig gefragt und nur in überschaubarem Rahmen versucht, den Kaufpreis zu drücken. Schließlich möchte der Käufer sich nicht als Geizkragen, sondern als erfolgreicher Don Juan hervortun.

Der Verkauf ist daher meist lächerlich einfach. Während der potentielle Investor die Räumlichkeiten abschreitet, als seien es frisch eroberte Ländereien, schmiegt sich seine Begleitung stumm und voller Bewunderung an ihn. Und später am Abend zeigt sie ihm dann die ganze Bandbreite ihrer Dankbarkeit.

«Bei dieser Wohnung können Sie unbesorgt sein», füge ich schnell noch hinzu, «exzellenter kann man seine … Mitarbeiterin kaum unterbringen.»

Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mir die Beziehung der beiden widerstrebt. Dass er glaubt, sich mit einer Geliebten schmücken zu müssen – ob nun aufgrund seiner kurzen Beine oder um dem Klischee eines Zahnarztes zu entsprechen –, geht mir schon gehörig gegen den Strich. Zumal schmücken in Britneys Fall ohnehin eine fragwürdige Bezeichnung ist. Aber Frauen, die nicht den Anspruch haben, aus eigener Kraft und mit eigenem Geld etwas zu schaffen, sind in meinen Augen wirklich der Gipfel. Was mich bei Frauen außerdem auf die Palme bringt, sind Unentschlossenheit und divenhaftes Verhalten. Schon für sich genommen sind diese Eigenschaften unerträglich, vereint in einer Person sind sie eine Zumutung. Vereint in Britney steigert sich das Ganze zu einer atomaren Katastrophe. Sie ist quasi der fleischgewordene Reaktorstörfall. Die Kernschmelze.

Aufgebrezelt bis unter die Klimperwimpern stakst sie jetzt durch die Wohnung und macht eine Welle, als ginge es um ihr eigenes, sauer verdientes Erspartes, das in dieser Wohnung angelegt werden soll. Dabei ist sie doch nur das Accessoire von Dr. Liebig, und in dieser Rolle hat sie eigentlich vor allem eines zu tun: sich schweigsam und bewunderungsvoll an ihn zu schmiegen.

Aber offenbar hat ihr das niemand gesagt, denn in diesem Moment meldet sich ihre Piepsstimme wieder zu Wort: «Die Katzen, Herr Held. Sind Sie sicher, dass es hier keine gibt?»

Unfassbar, was glaubt die Nervensäge denn, was Makler so über die Angewohnheiten der anderen Hausbewohner wissen? Gar nichts! Ich weiß ja noch nicht einmal besonders viel über meine eigenen Nachbarn. Bei dieser Wohnung habe ich lediglich das Exposé nach den Angaben des Eigentümers angefertigt, und den habe ich natürlich nicht gefragt, ob Müllers im Ersten einen Hamster besitzen.

«Sie können wirklich beruhigt sein», wende ich mich in buddhistisch entspanntem Tonfall an Britney und hoffe, dass es ihr letzter Einwand vor einer langen Schweigeperiode war. «Tierhaltung ist laut Hausordnung verboten.»

Mehr gibt es zu dem Thema ja wohl nicht zu sagen. Jedenfalls von meiner Seite aus. Britney dagegen scheint noch immer nicht zufrieden zu sein. Aufmüpfig schielt sie unter den getuschten Wimpern hervor. Doch ehe sie das Wort «Katze» auch nur ein weiteres Mal in den Mund nehmen kann, setze ich einfach die Wohnungsführung fort. Sicher möchte Dr. Liebig jetzt endlich mal die begeisternde Technik sehen.

«Kommen wir nun also zu den vielen Highlights dieser Wohnung. Es gibt hier ein paar technische Raffinessen, die Sie begeistern werden.» Mit erzwungenem Enthusiasmus deute ich auf einen Kasten neben der Wohnungstür. Ein unscheinbares Ding, das es dennoch in sich hat. «Unten im Eingangsbereich des Hauses wurde eine moderne Videoüberwachungsanlage mit Langzeitspeicher installiert, für die Sie auf Ihrem Smartphone auch eine App installieren können. Wenn Sie nun also diesen Monitor einschalten …» Ich tippe kurz auf das Gerät. «… können Sie bequem von überall auf der Welt erkennen, wer unten vor der Tür steht. Zudem ist der Vorgarten mit einer energiesparenden Beleuchtungsautomatik bestückt, die sich ebenfalls von überall ein- und ausschalten lässt. So ist zu jeder Tages- und Nachtzeit nachvollziehbar, dass es weit und breit …» Ich drücke auf den Knopf für die Gartenbeleuchtung und wende mich ein letztes Mal an Fräulein Bauer. «… keine Katzen gibt.»

Sie kneift ihre blauen Tuschkastenaugen zusammen, was vermutlich ein erstes Anzeichen dafür ist, dass sie gleich in ein anaphallisches Koma oder so etwas fällt. Es könnte allerdings auch sein, dass sich ihr verkrampfter Gesichtsausdruck auf das Nichtfunktionieren der Lampen im Eingangsbereich bezieht. Denn, so muss ich leider feststellen, unten tut sich nichts. Keine Katzen, aber auch kein Licht. Nicht mal Hans Reiser, der Hausmeister, der mit seiner Firma hier im Viertel viele Häuser betreut und eigentlich ständig irgendwo herumschleicht, ist auszumachen.

Genervt starre ich auf den Monitor. Blicken wir da jetzt auf ein Standbild? Oder habe ich vielleicht den falschen Knopf gedrückt?

«Wir würden jetzt lieber die anderen Räume der Wohnung ansehen», sagt Dr. Liebig, als fürchte er, dass ich uns gleich alle in die Luft sprenge.

Mir soll es recht sein, denn spätestens, wenn Britney unter ihren 3-D-Wimpern im Wohnzimmer die wunderbare Aussicht erspäht, wird bei mir die Provisionskasse klingen.

Natürlich wird es hier und heute nicht zu einer Vertragsunterzeichnung kommen, so etwas geschieht erst später beim Notar. Aber den Entschluss, ein Objekt zu kaufen, trifft der Kunde in der Regel spätestens bei der zweiten Besichtigung. Sollten dann, wie es bei diesem Objekt zu erwarten ist, keine nennenswerten Probleme wie Reparaturstau oder das Fehlen nötiger Unterlagen auftauchen, geht der Verkauf reibungslos über die Bühne. In diesem Fall würde ein Teil der üblichen 6,25% Maklercourtage direkt in meine Tasche wandern. Genau genommen 2%. Als Bonus, sozusagen.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich bereits nächste Woche im Skiurlaub an der Eisbar stehen und den Mädels Glühwein spendieren. Das wird ein Fest!

Mein Kumpel Florian und ich beabsichtigen nämlich, ab Montag die Pisten am Arlberg unsicher zu machen. Mit allem, was dazugehört: Après-Ski, Skihasen und jeder Menge Hüftschwünge. Dazu noch …

Lautes Gehämmer holt mich in die Realität zurück. Britney, die offenbar genug von dem trendigen Videomonitor hat, ist der Umklammerung des Doktors entwischt und klackert nun auf spitzen Absätzen voran in Richtung Wohnzimmer. Dabei rammt sie ihre Hacken in den Holzfußboden, als müsse sie sich bei einem Steilwandabstieg sichern. Spinnt die jetzt total? Nicht, dass hier am Ende doch noch jemand auf die Idee kommt, den Preis zu drücken, weil die Dielen abgeschliffen werden müssen!

Vorsichtig schiele ich zu Dr. Liebig. Doch der scheint nicht nur blind vor Liebe, sondern außerdem bereits taub zu sein.

«Welche Himmelsrichtung ist das hier?», fragt Britney, die sich einfach nicht als schweigsames Anhängsel präsentieren will. Kaum dass wir im Wohnzimmer angekommen sind, fährt sie einen ihrer kilometerlangen Fingernägel aus und schabt mit ihm über die Fensterscheibe. «Doch nicht etwa Westen?»

Ich finde die Frage zwar etwas komisch, reiße mich aber – die Provision fest vor Augen – zusammen. Außerdem kenne ich ja das eigenartige Anforderungsprofil, das Frauen für Wohnungen haben.

«Dies hier ist, genau genommen, Südwesten», sage ich mit der Geduld eines in neunjähriger Meditation versunkenen Bodhidharma-Mönchs. «Sie haben also den ganzen Tag Sonne. Schön, nicht?»

Britney stöhnt auf und rollt mit den Kaleidoskop-Augen. «Also, ich weiß nicht, Klausi. Stell dir bitte mal vor, wie der Seidenteppich mit dem Mäandermuster, den du mir letzten Sommer geschenkt hast, hier ausbleicht. Wenn der den ganzen Tag Sonne abkriegt, ist er in null Komma nichts hinüber. Und du hörst es ja selbst …» Sie trampelt erneut ein paar Schritte. «… ohne Teppich hält man es hier nun wirklich nicht aus.»

Spätestens jetzt ist es amtlich: Diese Frau ist anstrengend. Ein anstrengender, divenhafter Reaktorstörfall. Keine Ahnung, wie manche Männer es mit anstrengenden Frauen aushalten, mir sind sie ein Graus. Ich habe bereits einen anstrengenden Job, einen anstrengenden Chef, und mein Sexleben ist ebenfalls anstrengend, weil ich gerade keins habe. Auf keinen Fall möchte ich mich auch noch mit einer anstrengenden Frau umgeben. Weder beruflich noch privat.

Aber ich gebe nicht auf. «Von diesem Zimmer geht übrigens der Balkon ab», erkläre ich für den Fall, dass Dr. Liebig es noch nicht selbst gesehen hat. «Es bietet sich Ihnen ein phantastischer Blick über den Hafen. Sogar die Kreuzfahrtschiffe am anderen Elbufer können Sie beobachten – ist das nicht ein Traum?»

Ich preise die Aussicht, als wäre sie mein Verdienst. Zwar ist der meditative Klang meiner Stimme dahin, aber Dr. Liebigs Gesicht lässt mich Hoffnung schöpfen. Mit zahnärztlicher Präzision begutachtet er das Hafenpanorama.

«Wunderbar», brummt er, und ich kann mir gut vorstellen, wie er mit derselben Betonung «Oben rechts fehlt der Zweier» sagt.

«Gefällt es dir auch, Britney-Spatz?»

Nicht doch!, denke ich. Nicht die Frau fragen, niemals! Die wird hier doch sowieso bald wieder ausziehen. Spätestens, wenn sie mit ihren Nägeln versehentlich seine Eier perforiert hat, sucht der sich eine andere. Ich würde ihm allerdings wünschen, er fände vorher eine.

Als könnte Britney-Spatz meine Gedanken lesen, stößt sie ein unentschlossenes «Also, ich weiß ja nicht» aus und galoppiert lautstark aus dem Raum. Nicht ohne schwungvoll die Tür hinter sich zuzuwerfen. Vielleicht denkt sie beim nächsten Shopping-Bummel mal über ein Paar Hausschuhe nach?

Langsam reicht es mir. Diesen Quatsch zahlt einem doch kein Mensch. Und obwohl man sich in diesem Beruf tagtäglich den Mund fusselig sabbelt, hält sich kein Gerücht so hartnäckig wie das, Immobilienmakler würden für wenig Arbeit viel Geld verdienen. Schwachsinn. Wer so etwas behauptet, hat nicht nur keine Ahnung von der Branche, er kennt auch meinen Chef nicht.

Friedrich von Klatt, Inhaber und Geschäftsführer von Hambitare Immobilien, ist ein moderner Sklaventreiber. Tag und Nacht lässt er seine Angestellten schuften, bezahlt dafür allerdings weniger als eine fernöstliche Textilfabrik ihren Akkordnähern. Und seine Anrufe nachts um 4 Uhr, bei denen er über schlechte Formulierungen in Exposés doziert, zähle ich schon gar nicht mehr. Er ist ein Schlitzohr. Ein Ausbeuter. Ein Teufel! Aber nicht ohne Charme, versteht sich. Sonst hätte er es in diesem Beruf vermutlich nicht so weit gebracht. Mit Sicherheit war es sein Charisma, das ihm – in Verbindung mit feudalen familiären Wurzeln und einem adeligen Nachnamen – dazu verholfen hat, sich in der Immobilienbranche einen ausgezeichneten Ruf zu verschaffen. Und wer für Friedrich von Klatt gearbeitet hat, findet später überall einen Job. Verkaufen, behauptet er immer, könnten seine Mitarbeiter alles. Selbst die Gartenlaube der eigenen Großmutter.

Ein Job bei Hambitare ist nicht selten das Sprungbrett auf dem Weg nach ganz oben. Direkt in den Schoß internationaler Firmen.

Dummerweise funktioniert dieses Prinzip auch andersherum. Wer von Friedrich von Klatt gefeuert wurde, sollte besser auswandern. Oder sich zum Hausmeister umschulen lassen.

Ich bin vor etwa einem Jahr zu Hambitare gestoßen. Eigentlich mehr aus Zufall. Jedenfalls hatte ich nicht wirklich damit gerechnet, den Job zu bekommen. Doch Friedrich von Klatt gefiel mein Name. «Alexander Held …», sagte er andächtig, «dann zeigen Sie mal, ob an Ihrem Nachnamen etwas dran ist!»

Seit diesem Tag schleuse ich nun tagtäglich gut bis weniger gut betuchte Interessenten durch Hamburger Immobilien, vorrangig in der Hafencity. Ich beantworte Fragen, auf die einen keine Ausbildung der Welt vorbereitet hat, verhandele Verkaufspreise, veranlasse notwendige Gutachten und schlage mich mit Verwaltungen herum. Nein, wenig Arbeit hat bei Hambitare höchstens Friedrich von Klatt. Erst bei der Vertragsunterzeichnung erwacht er zum Leben. Dann geschieht es nicht selten, dass er einem in letzter Sekunde dazwischengrätscht und kaltlächelnd die Verkaufsprovision in die eigene Tasche steckt. Ein mieser Schachzug, denn diese Provisionen sind das Einzige, womit man bei Hambitare ein paar zusätzliche Euro einstreichen kann. Und ein warmer Regen für mein Konto wäre derzeit mehr als willkommen. Nicht nur könnte ich mit diesem Geld endlich die letzte Rate für meinen Flachbildfernseher bezahlen, ich würde es außerdem nächste Woche im Urlaub so richtig krachen lassen. Dafür diskutiere ich notfalls auch noch eine weitere Stunde das leidige Teppichthema.

«Selbstverständlich ist übermäßige Sonneneinstrahlung kein Problem», sage ich und deute auf eine Armada an Knöpfen neben der Balkontür. «Die Handhabung der Außenjalousie ist denkbar einfach.» Im Geiste versuche ich, mich an die Bedienungsanleitung oder zumindest ein ähnliches Gerät in einer anderen Wohnung zu erinnern. «Äh … Memory-Funktion, Zeitschaltuhr – ist alles integriert.»

Vorsichtig drücke ich auf einen der Knöpfe. Sofort setzt sich einer der zahlreichen elektronischen Rollläden in Gang. Na bitte, wer sagt es denn?

Beinahe lautlos senken sich vor dem Fenster holzfarbene Lamellen hinab, die langsam, aber sicher den Raum verdunkeln. Und während ich mich noch frage, wie man Hamburg gedanklich überhaupt mit übermäßiger Sonneneinstrahlung in Verbindung bringen kann – vermutlich hält sich Britney nach ihrer Arbeit nur in neonbeleuchteten Einkaufszentren auf –, gerät das Wunder der Verdunklungstechnik ins Stocken. Etwa auf halber Fensterhöhe bleibt die Jalousie mit gequältem Ächzen stehen.

Ungläubig drücke ich den Knopf erneut. Der Sonnenschutz fächert auf und wieder zu, bewegt sich aber ansonsten keinen Millimeter.

Dr. Liebig verzieht keine Miene, sieht mir aber interessiert zu.

«Ich … äh … denke, dass hier noch die Memory-Funktion vom Vorbesitzer eingestellt ist. Sicher hatte er die Jalousie immer nur bis zu dieser Höhe …» Halbherzig drücke ich auf den Knöpfen herum.

Warum zum Kuckuck ist so etwas nicht besser ausgeschildert? Wie soll sich denn ein normaler Mensch, der keinen Balkon, keine Südwestfenster und somit auch keine übermäßige Sonneneinstrahlung in seiner Wohnung hat, mit diesem High-End-Schwachsinn auskennen?

Ein letztes, nachdrückliches Pressen des Knopfes, und augenblicklich rauscht die Jalousie mit einem ohrenbetäubenden Knall in die Tiefe. Britneys Absatzgeklacker war dagegen ein leises Klopfen.

Erschrocken zucke ich zusammen. Stockfinster ist es nun im Raum. Vorsichtig beginne ich, mich an der Wand entlangzutasten, um die Tür oder einen Lichtschalter zu finden. Sekunden später weiß ich zumindest, wo die Tür ist. Ich stehe direkt davor, als Britney-Spatz sie mit Schwung von außen aufstößt.

Es gibt ein knirschendes Geräusch, als der Rahmen meine Nase trifft, dann sacke ich, eingekeilt zwischen Tür und Wand, auf den Boden.

«Klausi?», ruft sie in den Raum hinein. «Sieh dir bitte mal das Ankleidezimmer an, das ist ja wohl ein Albtraum!»

Statt das Licht einzuschalten oder sich wenigstens zu wundern, warum ihr kurzbeiniger Gönner mit seinem Makler im Dunkeln abhängt, trommelt sie mit ihren spitzen Fingernägeln ungeduldig auf den Türrahmen. Auch dass ich kurz darauf mit blutiger Nase und einer Stirn wie Godzilla vor ihr stehe, ignoriert sie geflissentlich. Stattdessen greift sie nach Dr. Liebigs Hand und zerrt ihn aufgebracht hinter sich her.

Vorsichtig untersuche ich meine Nase. Gebrochen fühlt sie sich nicht an, nur angeschwollen. Außerdem ertaste ich ein paar Rillen, vermutlich ein Abdruck, den die Verzierung der Tür auf meiner Stirn hinterlassen hat.

Jetzt nicht aufgeben, Alex!

Keinesfalls darf ich den Zahnarzt mit seinem nörgelnden Empfangsmonster allein lassen. Denn wenn ich es mir recht überlege, macht er ein klitzekleines bisschen den Eindruck, als könnte er seine faktenorientierte Kaufabsicht sonst Britneys mysteriösem Wohnungsanforderungsprofil unterordnen. Das darf auf keinen Fall passieren!

Zurzeit ist es erstaunlich still in der Wohnung, sodass ich tatsächlich ein paar Räume abklappern muss, ehe ich die beiden in der Abstellkammer entdecke. Offenbar der Raum, aus dem Britney ein Ankleidezimmer machen möchte. Muss ich mehr zum Thema Frauen und Wohnungssuche sagen? Ich meine, wo soll dann der Mann mit seiner Heißklebepistole, dem DSAL14-Akkuschrauber von Hitachi und dem Smokey-Mountain-Gartengrill hin?

Breitbeinig steht sie da, die anstrengendste aller anstrengenden Frauen, und schlägt sich mit theatralischer Geste die manikürten Hände vors Gesicht. «Klausi!», heult sie. «Sag mir bitte, dass dies hier nicht die endgültige Deckenhöhe ist!»

Augenblicklich klappt Klausis schwitzender Kopf nach hinten, und sein Blick schießt in die Höhe. Fachmännisch begutachtet er die verputzte Zimmerdecke.

Ich lasse meinen Blick folgen, doch sosehr ich mich bemühe, ich sehe das Problem nicht. Die Decke ist tadellos. Es tropft nicht, und es gibt keine Spuren von Feuchtigkeit. Dr. Liebig versteht offenbar auch nicht, was los ist. Kaltlächelnd wirft er mir aus seinem bärtigen Seemannsgesicht einen Blick zu, der nur eines bedeuten kann: Sagen Sie es ihr, aber sagen Sie bloß nichts Falsches!

«Also …», beginne ich ohne den kleinsten Schimmer, ob dies die gewünschte Antwort ist. «Wir haben in der gesamten Wohnung eine ursprüngliche Deckenhöhe von drei Metern. Der letzte Eigentümer hat allerdings eine Zwischendecke eingezogen, um diese exklusiven und überaus modernen Deckenleuchten zu integrieren.» Ich deute auf eine Reihe Halogenlampen und frage mich, wann die Technik dieses Objekts endlich anfängt, Dr. Liebig zu begeistern. «Wirklich, das Neuste vom Neuen wurde hier eingebaut. Mit stufenlosem Dimmer und zuschaltbarem Extralicht.»

Es war leider nicht die richtige Antwort.

«Das muss wieder raus», bellt Britney.

Und ich muss das mit dem männlichen Interesse an Technik in Wohnräumen mal überdenken. Denn Dr. Liebigs einziges Interesse gilt seiner Assistentin, und deren Stirn kräuselt sich gerade gefährlich. Ob das der Beginn eines anaphallischen Komas ist?

«Für einen Schuhschrank ist das inakzeptabel.» Sie sieht mich an, als solle ich die Arbeit am besten sofort erledigen.

Schuhschrank? Ankleidezimmer? Ich drehe gleich durch! Dies ist eine Abstellkammer, und warum jemand sein Geld aus dem Fenster geworfen hat, um hier eine teure Halogenbeleuchtung einzubauen, ist mir selbst ein Rätsel. Aber alles wieder rausreißen? Wer soll denn das bezahlen?

Vielleicht könnte der kleine Mann ja auch mal etwas dazu sagen?

Auffordernd sehe ich Dr. Liebig an. Doch er schweigt beharrlich.

Also wieder ich: «Es ist wirklich ein wunderbares Licht, und der Dimmer wird Sie begeistern!» Kurz entschlossen drücke ich einen der drei Lichtschalter. «Für einen Schuhschrank geradezu optimal.»

Als sich nichts tut, versuche ich es mit den anderen Knöpfen. Wieder nichts. Warum passiert so etwas immer mir? Wütend hämmere ich auf dem Scheißdimmer herum, als könnte ich damit Britneys Bauern-Birne erleuchten. Doch die technisch desinteressierte 3-D-Schnepfe ist nicht zu überzeugen. Weder mit noch ohne Halogenlicht.

«Für einen Schuhschrank ist das NICHT akzeptabel», wiederholt sie und dreht mit Schwung an einem der drei Schalter.

Augenblicklich schießen mir 18000 Watt in die Augen. Benommen weiche ich einen Schritt zurück.

«Außerdem soll das Licht nicht von oben, sondern von den Regalen kommen.» Britney fuchtelt gefährlich nah mit ihren Fingernägeln vor meinem Gesicht herum. «Und Teppichboden muss hier rein. So wie bei Sex and the City

Ob der Doktor damit einverstanden ist? Sicherheitshalber spiele ich jetzt meinen letzten Trumpf aus: die Küche. Bei seiner Figur mit Sicherheit ein wichtiger Raum, wenn nicht gar der wichtigste. Ein Punkt für mich, dass sie so gut in Schuss ist. «Sehen Sie sich doch nur mal die Küche an!», rufe ich verzweifelt und schiebe die beiden vor mir her. «Sie wurde kaum benutzt. Spülmaschine, Herd und auch die Oberflächen sind wie neu, zudem verfügt sie über eine Mikrowelle mit integriertem Grill und einem stufenlos einstellbaren …»

Weiter komme ich nicht, denn aus dem Flur ertönt plötzlich ein spitzer Schrei.

«Oh mein Gott!», kreischt Britney. Sie muss irgendwo falsch abgebogen sein.

Der Doktor und ich tauschen einen irritierten Blick. Ob er sich wohl gerade dasselbe wünscht? Nämlich, dass jemand seiner Trulla ein paar Katzenhaare in den Kragen stopft und sie somit in ein hundertjähriges Koma versetzt?

Nein, offenbar wünscht er sich, dass Britney ihm noch ein paar weitere Jahre auf den Wecker geht, denn in dieser Sekunde dreht er sich um und eilt zurück in den Flur.

Obwohl ich meine Provision im Geiste bereits abgeschrieben habe, stolpere ich hinterher.

Britney steht an der Wohnungstür und deutet mit zitternder Krallenhand auf den Monitor der Videoüberwachung. Keine Ahnung, wie sie das Teil zum Laufen gebracht hat, vielleicht war es ihre radioaktive Strahlung. Auf jeden Fall läuft das Ding wieder, und auf dem Monitor sieht man, gestochen scharf und in brillanter Farbqualität, Hausmeister Reiser, wie er im gleißenden Schein der Lichtanlage herumstreunende Katzen füttert.

Britney greift sich röchelnd an den Hals. Gleich darauf stürzt sie, endlich einmal ohne einen Kommentar abzugeben, zur Tür hinaus.

Dr. Liebig sieht einen Moment irritiert zwischen mir und der Haustür hin und her. Anstatt Britney sofort hinterherzurennen, dreht er sich zu mir um und packt mich am Kragen. Mit einem Blick, als wolle er mir auf der Stelle ohne Betäubung den Weisheitszahn ziehen, zerrt er mich wüst zu sich heran.

«Sie mit Ihrer verdammten Technik!», zischt er. «Sie gehen mir auf die Nerven. Und noch etwas.» Seine Augen drohen aus den Höhlen zu springen. «Wenn meine Freundin aus einem Klo einen Schuhschrank oder aus einer Abstellkammer ein Klo machen möchte, dann ist das in erster Linie Ihr Problem und nicht meins. Schließlich wollen Sie die Wohnung verkaufen, nicht ich. Ich gehe nämlich jetzt einfach zur Konkurrenz und schaue mir dort etwas an. Und wenn morgen Ihr Chef nach Ihnen ruft, weil ich mich über Sie beschwert habe, möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken!»

2. Kapitel

«Na, Alex, heute wieder ein paar Käufer zur Ader gelassen?»

Mein Kumpel Ben, Wirt und Inhaber der Szenebar Goldquelle, boxt mir freundschaftlich seine Faust gegen die Brust. Es ist halb neun am Abend, und ich brauche dringend ein paar Bier, um mich abzureagieren.

Die Goldquelle ist dafür der ideale Ort. Sie ist eine gelungene Mischung aus Bar und Kneipe. Modern und dennoch gemütlich. Gediegen und ranzig zugleich. Cocktails schmecken hier ebenso lecker wie die drei ausgewählten Sorten Fassbier und alles, was die Getränkekarte sonst noch zu bieten hat.

Vor etwa fünf Jahren, an einem feuchtfröhlichen Silvesterabend, haben Ben, Florian und ich uns mehr oder weniger zufällig hier kennengelernt. Damals hieß der Laden noch Startschuss, und es war hauptsächlich der günstige Alkohol, der die Gäste anlockte. Als sich vor drei Jahren der Wirt der Kneipe zur Ruhe setzte, sah Ben, der bis dahin als Koch in der Event-Gastronomie ein freudloses Dasein gefristet hatte, seine Chance zur Selbständigkeit gekommen. Mit bewundernswertem Organisationsgeschick und seinen geplünderten Ersparnissen machte er den Laden innerhalb eines halben Jahres zu dem, was er jetzt ist: eine Goldquelle. An fünf Abenden die Woche steht Ben persönlich hinterm Tresen, ein Umstand, der dem Laden genau die persönliche Note verleiht, die man in anderen Kneipen oft vergeblich sucht. Hinzu kommt, dass Ben nun mal der geborene Wirt ist. Ein gutmütiger Brummbär mit wachsendem Bauchumfang, der bei seinen Angestellten ebenso beliebt ist wie bei den zahlreichen Stammgästen. Egal ob diese arm oder reich, alt oder jung sind – Ben hat für alle ein offenes Ohr. Über die meisten seiner Gäste weiß er inzwischen vermutlich sogar mehr als deren Hausarzt, Ehepartner oder Therapeut.

Ben ist 32, genau wie ich, aber damit haben sich unsere Gemeinsamkeiten auch bereits erschöpft. Wir sind grundverschieden, das fängt schon beim Äußeren an. Denn im Gegensatz zu mir spielt Ben größentechnisch eher in Dr. Liebigs Liga. Hinzu kommt, dass sich auf seinem Kopf bereits tiefe Geheimratsecken durchs Haar gefräst haben. Um das zu kompensieren, trägt er seit neuestem einen Vollbart. Vielleicht aber auch, um den Frauen zu demonstrieren, dass es um seine Testosteronwerte noch bestens bestellt ist.

Ob ich ein paar Käufer zur Ader gelassen habe? Erschöpft lasse ich mich am Tresen nieder. «Nee, lief nicht so gut heute», murmele ich und nehme einen tiefen Schluck von dem Bier, das er mir ungefragt hinstellt.

Der Tag heute hat mich komplett ausgelaugt. Wieder keine Provision. So langsam frage ich mich, warum ausgerechnet ich immer die Interessenten mit Sprung in der Schüssel erwische. Dabei müsste ich wirklich dringend mal wieder für Hambitare einen Coup landen, sonst wird mein Chef bald sauer.

Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal einen Deal zum Abschluss gebracht habe. Ich vermute, es war im Spätsommer. Jetzt haben wir Dezember. Und Friedrich von Klatt, der bei Hambitare eine Liste, den sogenannten Score, führt, verliert mit Sicherheit langsam die Geduld. Der Score ist eine Art Bestenliste aller Makler von Hambitare. Mittels eines ausgeklügelten Computerprogramms, das Verkäufe, Provisionen und Bewertungen des zu verkaufenden Objekts in Relation setzt, wird für jeden Mitarbeiter ein Platz auf der Liste ermittelt. Und diese Platzierung entscheidet dann darüber, welchen der Kollegen eine Zukunft bei Hambitare erwartet und welchen nicht. Diejenigen Mitarbeiter, die zum Jahresende auf den unteren beiden Plätzen stehen, erhalten die Kündigung.

Komischerweise erwischt Marcel, mein ärgster Konkurrent, niemals Kunden wie Britney oder den kurzbeinigen Doktor.

Mit Blick auf mein halbleeres Glas beginnt Ben, mir in stummem Einvernehmen ein weiteres Bier zu zapfen. Über dem geneigten Glas sieht er mich an. «Siehst ein bisschen fertig aus, Alex. Ging wohl um viel Geld heute, was?»

Ich nicke. Wie recht er hat. Ja, es ging um viel Geld. Um wie viel genau, mag ich mir gar nicht ausmalen. Dann würde ich Britney aller Wahrscheinlichkeit nach sofort an den getunten Wimpern aufhängen.

«Komm schon, Alex», drängelt er «du lässt dir doch sonst nicht alles aus der Nase ziehen. Erzähl! Hast du wieder eine Butze im Dachgeschoss an einen vertickt, der eigentlich eine Villa mit Garten haben wollte?» Er knallt mir das fertige Bier auf den Tresen. Schnell leere ich das alte Glas.

Es ist geradezu unheimlich, was Ben sich alles merkt. Manchmal habe ich das Gefühl, er führt heimlich Karteikarten über das, was ihm seine Gäste erzählen. Auch wenn er in dem genannten Fall möglicherweise etwas in den falschen Hals bekommen hat. Ich kann mich an einen derartigen Geniestreich jedenfalls nicht erinnern.

«Äh, ja, so ähnlich», gebe ich deshalb vage zurück und greife mir das frische Pils.

Während mir die kühle Flüssigkeit durch die Kehle rinnt, überlege ich, wie sich die Ereignisse des heutigen Tages in geeignete Worte fassen lassen. Als das Glas halb leer ist und die entspannende Wirkung des Alkohols endlich einsetzt, sage ich: «Heute war es echt krass. Der Typ, so ein Promizahnarzt aus München, war gar nicht so übel. Hat für sich und seine Helferin ein Liebesnest gesucht. Du weißt schon.» Ich mache eine obszöne Handbewegung.

Ben grinst.

«Hab mir dann stundenlang den Mund fusselig geredet, ihm alles erklärt und alles gezeigt, aber seine Empfangstrulla hat plötzlich angefangen zu –»

«Warte mal kurz.» Ben dreht sich weg, um bei einem anderen Gast abzukassieren. «Bin gleich wieder bei dir.»

Ich leere mein Glas. Zum Glück ist Ben kein Freund vieler Worte, und so kehrt er, nachdem er einem weiblichen Gast schnell noch ein Mineralwasser über den Tresen gereicht hat, wieder zu mir zurück. Auffordernd sieht er mich an. «Und, wie ging’s weiter?»

Ich hole kurz Luft. «Dieser Zahnarzt hat also –»

«Du warst beim Zahnarzt? Ich dachte, du redest von einer Wohnungsbesichtigung?»

«Mann, Ben, tu ich doch!» Vielleicht ist an dem Gerücht doch was dran, dass Männer sich nicht auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren können. «Der Kaufinteressent ist Zahnarzt!», sage ich übertrieben deutlich. «Und dem habe ich also alles vorgeführt, von der Gegensprechanlage bis zu den elektrischen Fensterjalousien, und ich sage dir», ich mache eine Pause und vergewissere mich, dass Ben noch konzentriert zuhört, «der hätte die Wohnung genommen, todsicher, wenn nicht –»

«Klingt doch gut», wirft Ben unpassenderweise ein und lässt seinen Blick aufmerksam durch den Laden schweifen, damit ihm kein Bestellwunsch entgeht.

Irritiert fahre ich fort. «Also … wenn sich nicht seine Tussi dauernd eingemischt hätte. Frauen! Die haben immer echt schräge Wünsche an eine Wohnung. Unter anderem wollte sie einen Schuhschrank wie bei Sex and the City

«Du guckst Sex and the City?» Ben, der gerade im Begriff ist, ein Tablett mit benutzten Gläsern und kleinen Flaschen von seiner Kollegin entgegenzunehmen, reißt überrascht die Augen auf. «Ist ja krass. Geht es dabei eigentlich wirklich um Sex?» Er wirft ein paar Flaschen in eine Kiste zu seinen Füßen, dass es scheppert.

Genervt verdrehe ich die Augen. «Mensch, Ben, natürlich gucke ich Sex and the City nicht! Keine Ahnung, worum es dabei geht. Es ist nur so, dass –»

In diesem Moment kracht eine Hand auf meine Schulter.

«Na, Jungs, alles klar?»

«Flo!», rufe ich überrascht. «Wo kommst du denn her?»

Ben pflichtet mir bei. «So wie du aussiehst, warst du wohl schon in den Bergen, was?»

Florian ist in einen protzigen Mantel gehüllt, so dick und schwer, dass er ihn vermutlich in der Tundra als Schlafsack nutzen könnte, ohne nennenswerte Erfrierungen davonzutragen. Mit Sicherheit ein Designer-Stück. Jedenfalls prangt ein faustgroßes Logo auf dem linken oberen Teil des Ärmels. Jeder normale, mündige Mensch hätte den Mantel reklamiert, weil anzunehmen ist, dass ein blinder Taiwanese das Etikett versehentlich auf die Außenseite gesteppt hat. Doch bei Florian verhält es sich genau andersherum. Ohne das bunte Namensemblem wäre das Kleidungsstück niemals in seinem Schrank gelandet.

Zu dem Schiwago-Mantel trägt er eine alberne Fellmütze, deren Klappen er heruntergelassen hat und die nun bei jeder Bewegung wie zwei pelzige Hundeohren um seinen Kopf herumtanzen.

So sympathisch ich Florian auch finde – er hat echt einen an der Waffel. Nicht auszudenken, wenn er nächste Woche in diesem Outfit neben mir an der Eisbar auftaucht. Total peinlich. Außerdem würde man uns vermutlich die falsche Getränkekarte aushändigen. Mit den Preisen für reiche Russen.

Florian kann eine zweihundertprozentige Preissteigerung natürlich egal sein, er hat einen reichen italienischen Geschäftsmann zum Vater, der kohlemäßig ordentlich absahnt und Florian daran teilhaben lässt. Ich dagegen habe, dank Britney, leider nur ein sehr überschaubares Urlaubsbudget.

Florian pellt sich aus seinem Globetrotter-Outfit, und in Sekundenschnelle breitet sich selbst in der inzwischen gut gefüllten Goldquelle eine Aftershave-Wolke aus, die es von der Intensität her durchaus mit dem Hammelfleischdunst von Britney Bauer aufnehmen kann. Ich muss niesen. An manchen Tagen kann man Florian bereits riechen, ehe er die Schwelle der Goldquelle überschritten hat. Heute wäre vermutlich ein solcher Tag gewesen, hätte mir nicht die Klimperwimper bereits vor Stunden den Geruchssinn weggeätzt.

«Mach mir mal ein Großes, Ben», sagt Florian. «Ich muss mich für die nächste Woche warmtrinken.» Er grinst mich an.

Der Gedanke an unsere bevorstehende Skireise und die damit verbundene Woche Urlaub ist das Einzige, was momentan Licht in meinen dunklen Alltag bringt. Ferien, endlich! Eine Woche raus aus dem Immobilienzirkus und abschalten. Keine Besichtigungen, kein Friedrich von Klatt und keine Britneys. Dafür Sonne, Schnee und Adrenalin pur bei der Abfahrt. Wie geil! Florian und ich im hippen St. Anton – ’ne echte Männersause!

Ben knallt ihm ein längst vorbereitetes Bier vor die Nase und plaudert drauflos. «Unser Alex hat seinem Zahnarzt ’ne Villa verkauft und ’ne krasse Provision eingeheimst.»

Ehe ich auch nur Luft holen kann, schlägt Flo mir erneut kumpelhaft auf die Schulter. «Echt, Alter? Dein Chef hat ja wirklich Glück mit dir.»

«Na ja … also, ich …»

Während ich fieberhaft überlege, wie ich die Geschichte wieder ein Stückchen mehr in Richtung Wahrheit drehen kann, ohne dabei als Volldepp dazustehen, fügt Florian hinzu: «Du scheinst es ja echt draufzuhaben, Alex. Chapeau! Auch wenn das natürlich nichts gegen das ist, was ich jeden Tag an Verkäufen abreiße. Ehrlich, Leute …» Er sieht von mir zu Ben und wieder zurück. «Was im Laden meines Vaters an Kohle über den Verkaufstresen wandert, da schlackert ihr mit den Ohren. Dagegen ist ein bisschen Maklergequatsche echt ein Fliegenschiss.»

Also, das finde ich nun wirklich eine gewagte These. Mit Sicherheit hatte er es noch nie mit überdrehten Britneys oder zu kurz geratenen Zahnärzten zu tun.

Florian arbeitet als Geschäftsführer in einem Laden seines Vaters, der irgendwelche Luxusartikel vertreibt. Handys, Aktentaschen und so, glaube ich. Was soll schon so schwer daran sein, das Zeug unter die Leute zu bringen? Manchmal nervt Florians Angeberei wirklich. Andererseits kann er ja nichts dafür, dass er der Sohn reicher Eltern ist. Vermutlich wird man automatisch etwas verschroben, wenn man sich von Kindesbeinen an in Luxuskreisen bewegt und sich so ziemlich alles leisten kann. Ich für meinen Teil habe damit eigentlich auch keine Probleme. Und Ben, soweit ich weiß, ebenfalls nicht. Der lernt in seiner Bar ohnehin die skurrilsten Typen kennen. Da fällt Florian mit seiner Prahlerei garantiert nicht besonders auf.

«Du stellst dir das ein bisschen zu einfach vor», beginne ich eine Lanze für den Maklerberuf zu brechen. «Wenn man erfolgreich sein will, gehört schon einiges an Verkaufsgeschick dazu.»

«Ach ja?» Florian hebt fragend eine Augenbraue. «Hambitare hat doch nur coole Wohnungen im Angebot. Was soll denn bitte so schwer daran sein, diese an einen Zahnarzt zu vermitteln?»

Angesäuert verschränke ich die Arme vor der Brust. «Man hat es ja nicht nur mit Zahnärzten zu tun, sondern auch mit deren Frauen. Und die sind oftmals schwer zu knacken.»

Florian greift sich eines der beiden Biere, mit denen Ben uns unaufgefordert versorgt hat, und leert es auf ex.

«Heute zum Beispiel», fahre ich fort. Jetzt ist mein Kampfgeist geweckt. «Da hatte der Typ so eine Frau dabei, die an allem etwas auszusetzen hatte. Kein Gespür für die Luxushütte. Sie wollte schon fast wieder gehen, da kam mir die Idee mit dem Schuhschrank.»

«Mit was?» Florian grinst immer noch.

«Na, ich habe vorgeschlagen, aus der Abstellkammer einen begehbaren Schuhschrank zu machen. Mit beleuchteten Regalen, dimmbaren Deckenlichtern und Veloursteppich. Genau wie in Sex and the City

Florians Grinsen erstirbt. «Und jetzt will der Kerl die Bude kaufen?», hakt er nach. «Wegen so einem Sexfilm?»

«Ganz genau.» Oder sagen wir mal: so ähnlich.

Ich registriere, dass Ben mich anglotzt, als hätte ich gerade behauptet, mir von der Provision eine Airline zulegen zu wollen.

«Na, wunderbar», sagt Florian, ohne auf den Verkauf näher einzugehen. «Wenn du so weitermachst, werbe ich dich eines Tages für meinen Laden ab.»

Schon beeindruckend, wie geschickt er es anstellt, eine Niederlage so aussehen zu lassen, als handele es sich dabei eigentlich um einen Sieg. Doch jetzt bin ich am Zug.

«Als wäre das ein Aufstieg», erkläre ich höhnisch. «Hinterm Tresen stehen und abkassieren kann doch nun wirklich jeder.»

Ben räuspert sich, sagt aber nichts.

«Weit gefehlt!» Florian verzieht das Gesicht. «Tatsächlich verhält es sich sogar so, dass es total schwer ist, gute Mitarbeiter zu finden. Auch bei uns im Laden gibt es immer mal wieder welche, die ihr Talent überschätzen.»

«Und wieso stellst du solche Nieten dann ein?»

Florian spielt mit seinem Glas. Dann erklärt er: «Ich kann mich doch nicht immer um alles kümmern. Manchmal muss ich mich auch auf meine erste Mitarbeiterin verlassen. Heißer Feger. Bisschen streng, aber ordentlich Holz vor der Hütte.» Er lacht und bestellt ein weiteres Bier. «Wie läuft es denn so mit deiner Tussi von Engel & Völkers?», will er dann wissen. «Hattet ihr schon ein Date?»

«Tanja und ich? Also, bei unserem Mittagessen am Dienstag war sie noch etwas schüchtern. Aber wie viele Frauen kennst du, die dich gleich bei der ersten Verabredung in ihre Wohnung zerren?»

Florian räuspert sich. «Nun, sagen wir mal so: Den Kaffee gibt es meistens bei mir zu Hause.»

«Angeber.»

«Keinesfalls.» Er macht einen vielsagenden Gesichtsausdruck.

Ich schlucke. «Soll das heißen, du hast diese … diese …»

«Natasha.»

«Genau. Diese Natasha rumgekriegt? Beim Kaffeetrinken?»

Mein Kumpel grinst übers ganze Gesicht. Ich fasse es nicht. Aber klar. Er fährt einen Porsche und außerdem eine alte Corvette, die angeblich mal Tony Curtis gehört hat, seine Bude misst 180 Quadratmeter und liegt direkt am Alsterpark. Mit Bargeld geht er auch nicht gerade knauserig um. Außerdem misst er etwa einen Meter achtzig und sieht immer aus wie ein Boss-Model. Da ist das Aufreißen ja geradezu ein Kinderspiel. Unter diesen Voraussetzungen hätte ich Tanja vermutlich sogar zu einem Quickie auf dem Klo im Asia-Imbiss an der Ecke überreden können.

Zum Glück haben Flo und ich nicht denselben Frauengeschmack. Während es mir bei Frauen in erster Linie darauf ankommt, dass sie selbständig und unkompliziert sind, steht Florian auf Sekretärinnen. Oder Frauen, die sich zumindest so stylen. Vermutlich liegt das an seinem Job. Er findet es geil, dass alle zu ihm aufschauen, und möchte deshalb auch privat den Geschäftsführer spielen.

«Nächste Woche könnt ihr eure Methoden ja an den Skihasen ausprobieren», schlägt Ben gütlich vor.

«Übrigens, Alex», sagt Flo, «deine Anzahlung ist noch immer nicht bei mir eingegangen. Achthundert Euro – meine Kontonummer hast du doch, oder?»

Bens Augen werden kugelrund. «Achthundert Euro? Für eine Woche? Spinnt ihr? Könnt ihr euch nicht ein Zimmer teilen?»

«Tun wir ja. Sonst ist alles ausgebucht.» Florian verzieht das Gesicht. «Glaub mir, Ben, wenn es sich vermeiden ließe, würde ich mich garantiert nicht mit diesem Immoscout auf ein Zimmer buchen lassen.» Er boxt mich freundschaftlich. «Aber wir wollen ja nicht in irgendeinen verschissenen Skiort. Wir wollen was Geiles. Direkt an den Puls der Zeit. Wo die Pisten anspruchsvoll und die Weiber erste Sahne sind. Deshalb fahren wir auch nach Stanton.»

«Ich denke, ihr fahrt nach St. Anton?» Ben versteht jetzt gar nichts mehr.

«Sag ich doch.» Florian leert sein Bier. «Zwischen all den Stammgästen, die schon ein Jahr im Voraus buchen, kann man froh sein, überhaupt noch ein Zimmer zu bekommen. Die Konkurrenz weiß leider auch, wo es gut ist.»

«Ach so.» Ben zeigt sich unbeeindruckt. Zum einen, weil er nicht Ski fahren kann, und zum anderen, weil ihm vermutlich nicht klar ist, wo St. Anton liegt und dass Insider den Ort englisch aussprechen. Stanton. «Also, mal ganz ehrlich», sein Blick wandert von mir zu Florian und wieder zurück, «ich würde lieber umdisponieren und in den Harz fahren, als mir irgendwo ein Zimmer mit einem von euch zu teilen.»

Florian stöhnt auf. «Mensch, Alter, vergiss mal den Harz, ja? Da ist das Skigebiet pupsklein, und um diese Jahreszeit liegt dort noch gar kein Schnee. Stanton dagegen ist Weltklasse. Dort fand sogar schon mal ’ne Weltmeisterschaft statt.»

Ben scheint immer noch nicht überzeugt. «Aha. Und wo genau liegt dieses Stanton

Florian fehlen bei so viel alpiner Ignoranz die Worte, also versuche ich, die Situation aufzuklären. «Stanton», sage ich und imitiere Florians Tonfall, «sagen eigentlich nur Leute wie Flo.» Ich werfe meinem Kumpel einen spöttischen Seitenblick zu. «Aber eigentlich ist das ein Skiort in Österreich. In Tirol.»

«Aha.» Ben malt demonstrativ einen Strich auf Florians Bierdeckel, bevor er ihm ein weiteres Pils zapft. «Ehrlich, Jungs, mir ist es egal, wohin ihr eure Kohle tragt. Ich bin froh, dass ich nicht mitfahren muss. Aber wenn es sich machen lässt», er sieht mit glänzenden Augen hoch, «dann bringt mir doch einen frischgebackenen Kaiserschmarrn mit!»

Flo und ich müssen lachen. Das ist Ben, wie wir ihn kennen. Für ihn ist die Welt in Ordnung, solange er zweimal am Tag eine warme Mahlzeit vorgesetzt bekommt. Das Leben kann so herrlich unkompliziert sein.

In der folgenden Stunde führen wir tiefschürfende Männergespräche. Über Sinn und Unsinn der Sommerzeit, die letzte EM und den FC Barcelona. Gerade als ich auf die Uhr sehe und erschrocken feststelle, dass morgen ja noch ein Arbeitstag ist, bekommt Florian Besuch. Eine schlanke Brünette mit schwarzen Augen und Sekretärinnenbrille baut sich vor uns auf. Sie trägt einen Nadelstreifenanzug, der über der Brust etwas spannt, hochhackige Schuhe und klimpernden Armschmuck. Alles in allem sieht sie aus, als käme sie direkt aus dem Büro. Oder vom Fasching.

Florian ist sichtlich erfreut. «Jungs, darf ich euch Natasha vorstellen?», sagt er mit unüberhörbarem Besitzerstolz. «Natasha, das sind Ben und Alex, meine zwei besten Kumpels.»

«Hi», sagen Ben und ich synchron und lächeln die Sekretärin freundlich an.

Ich bemühe mich außerdem, das Bild von mir etwas zu verfeinern. «Ich bin Alex. Makler bei Hambitare.»

Natasha ergreift meine ausgestreckte Hand. «Echt jetzt, du bist Makler?», fragt sie, und der Klang ihrer Stimme erinnert mich an mein ungeöltes Küchenfenster. «Cool.»

Hilfe! Noch ein Wort in dieser Frequenz, und ich bekomme einen Tinnitus. Auch wenn ein bisschen Bewunderung natürlich ganz guttut, nach allem, was ich mir hier heute Abend schon anhören musste.

«Hast du auch ein so schickes Loft wie Florian?» Natasha streckt mir ruckartig ihre Brust entgegen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird mir in spätestens fünf Sekunden der oberste Knopf ihres Blazers ins Auge springen.

«Also, ich finde ja», fährt sie mit quietschender Stimme fort, «ein Mann muss eine geile, große Wohnung haben. Daran lässt sich einiges ablesen. Ob er Geschmack hat, zum Beispiel. Und wie souverän er sich in seinen eigenen vier Wänden bewegt. Nicht jeder kann einen großen Raum mit seiner Persönlichkeit ausfüllen.»

Während sie die letzten Worte herauspresst, stellt sie ihre überdimensionierte Handtasche auf den Tresen.

Instinktiv weiche ich zurück. Da ist er, der letzte Beweis: Sie ist eine Diva! Die Handtasche hat sie enttarnt. Zum Glück gibt es einen Divendresscode, der es uns Männern sehr leicht und sehr schnell ermöglicht, eine schmarotzerhafte Tussi zu entlarven, ehe sie größeren Schaden anrichten kann.

Merke: Eine Diva ist immer aufgebrezelt. Aufbrezelungsindizien können sein: