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Band 450-499 – Die Schwarze Galaxis – Teil 2

 

In der fernen Schwarzen Galaxis tritt Atlans Kampf gegen den mächtigen Dunklen Oheim in die entscheidende Phase. Zwar konnten der Arkonide und seine Gefährten dem Gegner eine schwere Niederlage zufügen, doch so leicht ist der Herrscher über eine ganze Sterneninsel nicht zu besiegen.

Im Gegenteil: Der Dunkle Oheim steht kurz vor der Verwirklichung eines Plans, der nicht nur Atlan, sondern die gesamte Milchstraße in tödliche Gefahr zu bringen droht. Dem Arkoniden und seinen Gefährten bleibt nichts anderes übrig, als sich ihrer bislang größten Herausforderung zu stellen und in einem dramatischen Finale noch einmal alles aufs Spiel zu setzen ...

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Nr. 450

 

Die negativen Magier

 

Der Kampf um die Herrschaft

 

von Marianne Sydow

 

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Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, ist wieder einmal mit unbekanntem Ziel unterwegs. Das Unheil, das Pthor vormals über unzählige Zivilisationen auf den verschiedensten Planeten gebracht hatte, scheint nun, seit dem Erreichen der Schwarzen Galaxis, auf den fliegenden Kontinent selbst zurückzuschlagen.

Jedenfalls hatten die Pthorer in jüngster Zeit schwere Prüfungen über sich ergehen lassen müssen, denn ihre Heimat wurde das Ziel mehrerer Invasionen – zuletzt der des Duuhl Larx.

Auch wenn die Truppen, die Duuhl Larx bei seinem überstürzten Abzug hatte zurücklassen müssen, längst keine Gefahr mehr darstellen, kommt Pthor gegenwärtig nicht zur Ruhe.

Schuld daran ist Chirmor Flog, der seinerzeit mit dem Schwarzschock das Böse in die Große Barriere von Oth brachte. Und dieses Böse wirkt weiter fort und führt nun dazu, dass die Bewohner der Barriere, die Magier, nun über die Grenzen ihres Landes ausgreifen und Herrschaftsansprüche auf das restliche Pthor anmelden.

Auch andere Faktoren spielen in dem nun ausbrechenden Kampf um den Besitz der FESTUNG noch eine gewichtige Rolle, doch tonangebend sind DIE NEGATIVEN MAGIER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Copasallior und Koratzo – Zwei Magier im Kampf um die Macht auf Pthor.

Chirmor Flog – Der Neffe verschafft sich neue Diener.

Kolphyr und Koy – Der Bera und der Trommler im Bann Chirmor Flogs.

Balduur, Sigurd und Heimdall – Die Odinssöhne als Marionetten Koratzos.

1.

 

Die Landschaft zu beiden Seiten der Straße der Mächtigen sah wüst und leer aus im grauen Licht. Von weit her kam ein Rauschen, wie von einem Wasserfall. Koy leckte sich die trockenen Lippen und verfluchte im Stillen den Neffen, der ihm wie ein schwerer Sack auf den Armen hing. Das Geräusch machte ihn durstig, aber er wusste, dass sie weit von der nächsten Quelle entfernt waren.

Pthor war wieder einmal unterwegs. Der Dimensionsfahrstuhl hatte das Rghul-Revier verlassen und trieb einem unbekannten Ziel entgegen. Das Rauschen kam aus dem Wölbmantel.

Der Trommler drehte sich um. Er stellte fest, dass er den anderen weit voraus war. Ärgerlich bettete er den Neffen auf einen kargen Grasflecken und wartete.

Schon bald hörte er die Stimme Sator Synks, der seine Heldentaten erzählte und damit vor Leenia zu glänzen versuchte. Kolphyr stapfte schweigend hinter dem seltsamen Paar her. Neben ihm lief Fenrir, der Wolf, und in einigem Abstand folgten die Robot-Guerillas.

Als die Gruppe heran war, bückte sich Kolphyr stumm und hob den Neffen auf.

»Du hast ihn lange genug getragen«, protestierte Koy. »Synk ist an der Reihe.«

»Glaubst du etwa, ich werde wirklich freiwillig dieses Ungeheuer durch die Gegend schleppen?«, erkundigte Sator Synk sich empört.

»Oh ja«, sagte Koy grimmig. »Du wirst! Oder willst du dich davor drücken?«

»Ich werde die nächste Strecke übernehmen«, bot Leenia an, in dem Bestreben, den Frieden in der kleinen Gruppe zu erhalten.

»Das kommt gar nicht in Frage!«, knurrte Synk. »Eins, komm her!«

Einer der Roboter schwebte herbei.

»Womit kann ich dienen, mein Herr?«, fragte Eins vorsichtig.

»Lass das affige Getue«, empfahl Synk mürrisch. »Schnapp dir den Neffen und schwebe mit ihm vor uns her.«

Eins streckte metallene Tentakel aus und traf Anstalten, Chirmor Flog aus Kolphyrs Armen zu holen.

»Geh weg!«, rief der Neffe wütend. »Kolphyr, sage diesem Ding, dass es verschwinden soll!«

»Du hast es gehört«, wandte der Bera sich an den Roboter. »Lass ihn in Ruhe, Eins, er will nichts mit dir zu tun haben.«

Aber Eins reagierte nicht. Für ihn galt allein Sator Synks Befehl. Er nahm den Neffen an sich und schwebte zu Synk hinüber.

»Fünf Meter Abstand«, befahl der Orxeyaner.

Chirmor Flog stieß eine Verwünschung hervor.

»Das wirst du bereuen, Synk!«, schrie er mit überschnappender Stimme.

»Eins – zehn Meter Abstand!«, befahl Synk kalt. »Wenn er noch ein Wort sagt, verdoppelst du die Entfernung!«

Synk sah sich beifallheischend um, aber die anderen starrten mit betretenen Gesichtern den Roboter an.

»Was ist mit euch los?«, fragte Sator Synk aufgebracht. »Seht ihr nicht, dass ich dieses Problem endlich gelöst habe? Eins ist stark genug, um den Neffen notfalls bis zur Küste der Stille und wieder zurück zu tragen. Was steht ihr herum und starrt mich an? Warum freut ihr euch nicht?«

»Dem Neffen gefällt es nicht«, bemerkte Koy.

»Gefällt es nicht«, äffte Synk wütend nach. »Was kümmert es euch, ob der Bursche damit einverstanden ist, von einer Maschine getragen zu werden! Merkt ihr nicht, wie Chirmor Flog euch tyrannisiert?«

»Du siehst das falsch«, sagte Leenia beschwichtigend. »Chirmor Flog ist völlig hilflos. Er kann sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen. Wir können ihn doch nicht im Stich lassen.«

»Fängst du auch schon damit an?«, fragte Synk verblüfft. »Ich möchte wissen, wie Flog es geschafft hat, euch die Köpfe zu verdrehen! Wir lassen ihn ja nicht im Stich, Leenia. Im Gegenteil: Bei Eins ist er völlig sicher aufgehoben.«

»Eins ist eine Maschine!«, sagte Kolphyr. »Chirmor Flog braucht die Nähe eines lebenden Wesens.«

»Ach, und darum hat er den Scuddamoren wohl auch befohlen, die Hälfte der Einwohnerschaft von Pthor zu verschleppen, wie?«

»Du übertreibst«, warf Koy ein. »So viele waren es nicht.«

»Es waren auf jeden Fall zu viele!«, schrie Synk außer sich vor Zorn. »Beim Geist der FESTUNG, habt ihr vergessen, wer Chirmor Flog ist?«

»Nein«, murmelte Kolphyr widerstrebend. »Natürlich nicht. Aber das ändert nichts daran, dass er jetzt hilflos ist.«

»Von wegen hilflos«, knurrte Sator Synk.

»Helft mir!«, schrie Chirmor Flog. »Das Ding bringt mich um!«

Eins entfernte sich samt seiner unheimlichen Last um weitere zehn Meter von der Gruppe.

»Du musst ihn zurückrufen!«, sagte Koy.

»Ich muss gar nichts«, fauchte Synk giftig.

Der Trommler antwortete nicht, aber der Orxeyaner sah voller Entsetzen, dass Koys Broins zu schwingen begannen.

»Das wagst du nicht!«, stieß er hervor.

Koy antwortete nicht. Synk hörte ein Klopfen, ganz leise nur, als könne er sein Herz schlagen hören. Aber das Klopfen wurde allmählich lauter, und er wusste, was das bedeutete. Die hörnerartigen Auswüchse auf der Stirn des Trommlers schlugen gegeneinander, und wenn er noch länger wartete, würde sein Körper unter der Wucht dieser Impulse zerspringen.

»Eins!«, schrie er verzweifelt. »Komm sofort zurück und gib den Neffen ab!«

Zuerst schien es, als hätte der Roboter ihn nicht gehört. Endlich tat Eins, wie ihm geheißen. Das Trommeln hörte auf.

Synk wischte sich den Schweiß von der Stirn und starrte Koy an.

»Hat er dir das befohlen?«, fragte er und deutete auf Chirmor Flog.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst!«, antwortete der Trommler kalt.

Synk beherrschte sich nur mühsam. Seit er auf Koy, Kolphyr und Leenia getroffen war, die den Neffen aus der Barriere von Oth mitgebracht hatten, spürte er, dass etwas nicht stimmte. Anfangs hatte die Freude über das Wiedersehen mit Leenia dieses Gefühl verdeckt, aber allmählich wurde ihm klar, dass auch diese rätselhafte Frau sich verändert hatte. Er sah sich unwillkürlich nach Fenrir um. Der Wolf stand in einiger Entfernung auf der Straße der Mächtigen. Seine Mähne war gesträubt, und er hielt den Kopf gesenkt.

»Was für ein kluges Tier«, sagte Synk zu sich selbst. »Fenrir spürt die Gefahr, aber alle anderen tappen dem Neffen einfach so in die Falle. Diese Dummköpfe! Ich hätte sie für klüger gehalten!«

Er stutzte, denn ihm wurde plötzlich bewusst, dass ja auch er selbst dem unheilvollen Einfluss des Neffen nicht erlag.

Misstrauisch sah er die anderen an, die sich gerade wieder in Bewegung setzten.

Sator Synk war nicht der Mann, der sein Licht unter den Scheffel stellte, aber wenigstens in seinen Gedanken gab er zu, dass zumindest Kolphyr und Leenia ihm in allen Punkten überlegen waren.

Dass Koy dem Neffen unterlag, war für Sator Synk noch verständlich. Dass aber selbst Leenia begann, sich diesem Ungeheuer unterzuordnen, das gab ihm zu denken.

Insgeheim war Synk felsenfest davon überzeugt, etwas Besonderes zu sein. Dennoch gestand er sich ein, dass es möglicherweise eine ganz einfache Erklärung für seine auffällige Widerstandskraft gab.

Koy und Kolphyr waren schon seit vielen Tagen in der Nähe des Neffen, und sie unterwarfen sich Chirmor Flog am stärksten. Leenia war später hinzugekommen, und bei ihr setzte der Prozess der Beeinflussung gerade ein. Er, Synk, war erst vor wenigen Stunden zu dieser Gruppe gestoßen.

Er erschrak, als ihm klar wurde, welche Folgerungen sich aus diesem Gedanken ergaben.

Er musste weg von diesem Monstrum. Abgesehen davon, dass der bloße Gedanke, von Flog beeinflusst zu werden, ihm Übelkeit bereitete, musste er auch an die Robot-Guerillas denken. Chirmor Flog würde ganz gewiss keine Rücksicht auf die Tatsache nehmen, dass die Wolterhavener Roboter an ihrer Existenz hingen. Zwar konnte auch der Neffe den Guerillas keine Befehle erteilen – aber er konnte Sator Synk dazu bringen, dass er nur noch das sagte, was dem Neffen genehm war.

»Diglfonk!«, sagte er. »Komm her!«

Der Roboter schwebte gehorsam heran.

»Gib deinen Freunden Bescheid«, raunte Synk. »Wir trennen uns von den anderen.«

Er wartete, bis die Robot-Guerillas sich in der gewohnten Formation um ihn postiert hatten.

»Nach Norden!«, sagte er dann. »Wir werden Donkmoon umgehen und uns in der Nähe der FESTUNG umsehen.«

Umgeben von seinen Robotern verließ er das graue Band der Straße.

»Sator!«, hörte er Leenias Stimme. »Wohin gehst du?«

Widerwillig drehte er sich um.

»Ich gehe fort«, sagte er trotzig.

Leenia eilte zu ihm.

»Aber warum?«, fragte sie verwundert. »Wir wollten doch gemeinsam zur FESTUNG gehen und dort mit den Odinssöhnen reden. Hast du das vergessen?«

»Nein«, erwiderte Synk brummig. »Aber solange ihr den da dabei habt, werdet ihr nichts für Pthor tun.«

Dabei deutete er auf den Neffen.

»Du irrst dich!«, behauptete Leenia. »Es hat sich durch Chirmor Flog nichts an unseren eigentlichen Zielen geändert. Warum bist du so ärgerlich? Nur weil wir uns um den Neffen kümmern?«

»Ich fürchte, es ist genau umgekehrt«, sagte Synk grimmig. »Der Neffe kümmert sich um euch. Ihr benehmt euch einfach anders, seit ihr ihn durch die Gegend schleppt.«

Leenia zuckte ratlos die Schultern.

»Das ist nicht wahr«, sagte sie hilflos. »Wir wissen, welche Verbrechen Chirmor Flog begangen hat. Aber er ist trotz allem ein lebendes Wesen, und er ist ohne unsere Hilfe verloren.«

»Was macht das schon?«, fragte Synk verächtlich. »Er ist es nicht wert, dass ihr euch mit ihm abschleppt.«

»Wie kannst du nur so reden?«, fragte Leenia traurig. »Sollen wir uns den Gesetzen der Schwarzen Galaxis anpassen und genauso grausam und kalt handeln, wie Flog es getan hat?«

»Nein«, sagte Sator Synk betroffen.

Leenia lächelte erleichtert.

»Na also! Komm, die anderen warten auf uns.«

Ihr Lächeln hätte Synk fast überrumpelt. Schon tat er zögernd einen Schritt in die bisherige Marschrichtung, da hörte er die Stimme des Neffen.

»Warum geht es nicht weiter?«, fragte Chirmor Flog. »Was steht ihr hier herum? Wir vertrödeln unsere Zeit.«

Dieses Ungeheuer!, dachte Sator Synk.

»Nein!«, sagte er laut. »Ich ziehe mit meinen Robot-Guerillas alleine weiter.«

Er war fest entschlossen, sich nicht umstimmen zu lassen, nicht einmal von Leenia. Er sah, dass die rätselhafte Frau zögerte, sich dann zu den anderen umwandte und ratlos die Arme hob.

»Ich kann es nicht ändern«, sagte sie. »Ich werde ihn begleiten.«

Sator Synks Herz tat einen wilden Sprung. Leenia sah Kolphyr bittend an. Der Dimensionsforscher zuckte in menschlicher Manier die Schultern.

»Viel Glück!«, wünschte er Leenia und Sator Synk, dann wandte er sich ab und stapfte weiter die graue Straße entlang, die nach Osten führte.

»Was für ein Abschied!«, murmelte Synk sarkastisch. »Kannst du nichts für die beiden tun? Du bist dem Neffen doch haushoch überlegen mit all deinen Fähigkeiten.«

»Ich bin nicht mehr die Alte«, sagte Leenia bedrückt. »Komm, die Roboter sind zum Aufbruch bereit.«

Sator Synk schritt neben ihr in die Ebene von Kalmlech hinein, und mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurde ihm deutlicher bewusst, dass er nun für mehrere Tage mit Leenia allein sein würde. Während der letzten Stunden hatte er fast so etwas wie Eifersucht dem Bera gegenüber entwickelt, weil auch der sich mit Leenia unterhalten wollte.

Sator Synk war so glücklich, dass er am liebsten laut gesungen hätte. Aber ausgerechnet jetzt wollte ihm kein Lied einfallen, dass zu seiner Situation passte.

Sator Synk hat Recht, dachte Kolphyr, während er den Neffen die Straße entlangtrug. Wir stehen unter Chirmor Flogs Einfluss. Ich kann zwar noch denken, was ich will, aber es fällt mir schwer, diese Gedanken auszusprechen. Wenn ich nur wüsste, wie wir den Neffen loswerden können! Ich bringe es einfach nicht fertig, ihn abzusetzen und davonzugehen.

Er sah auf das Wesen hinab, das in seinen Armen ruhte. Chirmor Flog starrte mit seinen seltsamen Augen auf die trostlose Landschaft. Um den winzigen Mund lag ein trotziger Zug.

Woran mochte der Neffe jetzt denken? War er wütend auf Synk und Leenia, die sich ihm entzogen hatten?

»Da vorne ist Schloss Komyr«, sagte Koy, der Trommler, plötzlich.

Kolphyr sah auf und erblickte einen wuchtigen Turm der aus dem grauen Dunst auftauchte.

»Dort hat Thalia gelebt und in ihrer Verkleidung als Honir über diesen Abschnitt der Straße der Mächtigen gewacht«, fuhr Koy leise fort. »Ich habe sie ein paar Mal von meiner Vegla aus gesehen, wenn ich im Auftrag der FESTUNG unterwegs war. Wenn wir nur auch ein Fahrzeug hätten!«

Kolphyr stellte fest, dass es dem Trommler genauso ging wie ihm: Er konnte darüber nachdenken, wie man sich möglichst schnell des Neffen entledigen könnte, aber es war ihm unmöglich, diese Gedanken in Worte zu kleiden.

Je eher sie den Neffen in die FESTUNG brachten, desto früher waren sie wieder frei. Chirmor Flog schien immer noch zu hoffen, dass er bei der FESTUNG ein Raumschiff fand, mit dem er ins Marantroner-Revier zurückkehren konnte. Leenia hatte zwar berichtet, dass kein Schiff zurückgeblieben war, aber der Neffe wollte sich offenbar selbst davon überzeugen, dass dies der Wahrheit entsprach. Sobald er in der FESTUNG war, würde es Kolphyr und dem Trommler möglich sein, sich aus seinem Einfluss zu lösen – wenigstens hoffte der Bera das.

»Wir werden im Schloss nachsehen«, beschloss Kolphyr und beobachtete dabei Chirmor Flog. »Thalias Windrose dürfte sich zwar in der FESTUNG befinden, aber vielleicht finden wir ein anderes Transportmittel.«

Chirmor Flog erhob keinen Protest. Kolphyr nahm dies als Zeichen dafür, dass der Neffe bereit war, seinen Begleitern – oder waren sie in seinen Augen bereits Untertanen? – eine Arbeitserleichterung zu gönnen.

Sie stießen auf einen schmalen, steinigen Weg, der von der Straße der Mächtigen zu einem See führte. Über eine Brücke konnte man in den Vorhof des Schlosses gelangen. Das Schloss selbst war ein gewaltiger Rundbau, an den sich nahe der Brücke der Turm anschloss.

Sie gingen schweigend den Weg entlang. Eine halbe Ewigkeit hindurch hatte Thalia hier gelebt, die unsterbliche Tochter Odins. Inzwischen hatten Koy und Kolphyr von Atlan erfahren, dass Thalia tot war, gestorben auf einem Planeten, der weit von Pthor entfernt war.

Am Ende der Brücke lagen ineinander verkeilte Baumstämme wirr übereinander. Es schien, als wären sie vom Wasser dorthin geschwemmt worden und wären an den Brückenpfeilern und den Mauerkanten des Rundbaus hängengeblieben. Zersplitterte Holzteile, aufgehäufte, welke Blätter und Grasbüschel verstärkten diesen Eindruck. Aber die große Flut, die durch den Zusammenprall mit La'Mghors Wasserballung entstanden war, lag so weit zurück, dass es fast unvorstellbar schien, dass man jetzt noch auf ihre Spuren stieß.

»Das sieht merkwürdig aus«, meinte Koy.

Sie waren wenige Schritte vor der Barrikade stehen geblieben und sahen sich misstrauisch um. Es war unmöglich, über die Baumstämme hinweg in den Schlosshof zu sehen.

»Ich weiß nicht, ob Thalia nach der Flut noch einmal in ihr Schloss gefahren ist«, bemerkte Kolphyr. »Es ist durchaus möglich, dass sie es nicht tat. Sie ist meistens in der Nähe von Atlan geblieben.«

»Aber die Scuddamoren und die Trugen ...«

»Sie kamen nicht zu Fuß«, unterbrach Kolphyr den Trommler. »Sie verfügten über Fahrzeuge, die mühelos über diesen Berg von Stämmen hinwegschwebten.«

»Da hast du auch wieder Recht«, murmelte Koy und trat näher an den Wall heran, um ihn zu untersuchen.

»Wozu die Umstände?«, meldete Chirmor Flog sich plötzlich zu Wort. »Du wirst die Stämme so weit zur Seite schieben, dass wir in den Schlosshof gelangen, Kolphyr.«

Dem Bera widerstrebte es, dem Neffen zu widersprechen. Dennoch raffte er sich dazu auf, es wenigstens zu versuchen.

»Wir dürfen kein unnötiges Risiko eingehen«, gab er vorsichtig zu bedenken. »Wir sind nur zu dritt, und du scheidest als Kämpfer aus. Wenn wir also in Gefahr kommen, müssen wir uns nicht nur unserer eigenen Haut wehren, sondern dich beschützen.«

Chirmor Flog antwortete nicht, aber auf seinem Gesicht stand deutlich zu lesen, was er von derlei Bedenken hielt. Manchmal schien es, als habe der Neffe seine Lage noch gar nicht klar erkannt.

»Hier ist ein Durchschlupf«, bemerkte Koy. »Merkwürdig – es sieht wie eine Öffnung aus, die zufällig entstanden ist. Aber ich bin überzeugt davon, dass jemand nachgeholfen hat.«

»Sind Spuren zu sehen?«, fragte der Bera.

»Nein. Hier gibt es nichts als glatten Steinboden.«

Kolphyr spürte, wie Chirmor Flog versuchte, sich aufzurichten. Behutsam griff er zu und stützte den übergroßen Kopf des Neffen.

Chirmor Flog sah sich aufmerksam um. Die drei verschiedenen Pupillenpaare konzentrierten sich schließlich auf den Wall.

»Das sieht nicht nach einem Werk intelligenter Wesen aus«, stellte Flog schließlich fest. »Es kann sich also um keine Falle handeln.«

Kolphyr war außerstande, die bissige Bemerkung, die ihm bei diesem hochmütigen Urteil in den Sinn kam, auszusprechen.

Er sah sich nach Fenrir um. Der Wolf hielt sich stets etwa zehn Meter von Flog entfernt. Jetzt war er sogar noch weiter zurückgeblieben. Er stand vor der Brücke und blickte zu den beiden Männern und dem Neffen hinüber, gespannt und aufmerksam. Witterte das Tier eine Gefahr?

»Geht hinein!«, befahl Chirmor Flog, noch ehe Kolphyr sich über die Gründe für Fenrirs Verhalten schlüssig wurde. »Du zuerst, Koy.«

Es war unmöglich, sich diesem Wesen zu widersetzen. Der Trommler zögerte noch einen Augenblick, dann bückte er sich und verschwand in der dunklen Lücke zwischen den Stämmen.

»Jetzt wir!«, forderte der Neffe.

»Der Durchschlupf ist sehr eng«, gab Kolphyr skeptisch zu bedenken. »Wer weiß, ob ich hindurchkomme. Wollen wir nicht erstmal abwarten, was Koy zu berichten hat?«

»Du wirst es schon schaffen«, meinte der Neffe zuversichtlich. »Geh schon!«

Der riesige Bera zuckte die Schultern und ging in die Hocke, um unter den Stämmen hindurchzuschlüpfen. Fast gleichzeitig erklang von jenseits des hölzernen Walls ein erstickter Schrei. Kolphyr drängte rücksichtslos vorwärts und brachte den halben Durchschlupf zum Einbruch.

Das erste, was er sah, war Koy, der von einem halben Dutzend riesiger Wesen umgeben war. Es waren Trugen. Einer der Fremden hatte den Trommler gepackt und hielt ihn so brutal fest, dass er ihm fast die Arme aus den Gelenken gerissen hätte.

»Unternimm etwas!«, zischte der Neffe scharf.

Aber da waren auch Kolphyr und Chirmor Flog bereits von Trugen eingekreist.

Die ehemaligen Invasoren wagten sich allerdings an den Bera nicht heran. Es war nicht klar festzustellen, woran das lag. Vielleicht imponierte ihnen die Tatsache, dass der grünhäutige Invasionsforscher fast so groß wie sie selbst war. Es mochte aber auch sein, dass sie eine gewisse Scheu vor dem Wesen empfanden, das in Kolphyrs Armen ruhte.

»Lasst ihn los!«, befahl Kolphyr, und seine helle Stimme klang schrill. Koy hing fast besinnungslos in den seltsamen Händen des Trugen. Sein faltiges Gesicht war vom Schmerz entstellt.

»Wer seid ihr?«, fragte der Truge, ohne seinen Griff um die Arme des Trommlers zu lockern.

Zu Kolphyrs Überraschung ergriff Chirmor Flog das Wort.

»Ich bin Chirmor Flog!«, verkündete er, und in seiner dumpfen Stimme lag die ganze, unvorstellbare Bösartigkeit, die ihm zu eigen war. »Neffe des Dunklen Oheims und Herrscher über das Rghul-Revier. Ich befehle dir, diesen Mann freizugeben, denn er ist mein Diener!«

Der Truge schien erschrocken zu sein. Sein köcherförmiger Kopf zuckte nach unten und einige der Fühler, die aus der Kopföffnung ragten, verschwanden. Seine Hände öffneten sich. Koy stürzte schwer zu Boden und blieb zu Füßen des Trugen liegen.

»Ein Neffe des Dunklen Oheims!«, rief einer der Trugen mit quakender Stimme.

Andere Trugen nahmen den Ruf auf. Der ganze Schlosshof hallte von ihrem Geschrei wider. Einige von denen, die Koy und Kolphyr umstellt hatten, flohen aus deren Nähe. Kolphyr erblickte auch einige andere Fremdwesen, die zu den Truppen des Duuhl Larx gehört hatten.

Sie alle reagierten mit nacktem Entsetzen auf Chirmor Flogs Worte. Offenbar zweifelten sie keinen Augenblick lang daran, dass sie es wirklich mit einem Neffen zu tun hatten.

»Ruhe!«, schrie Flog.

Schlagartig rissen die Rufe der Trugen ab.

»Was habt ihr hier zu suchen!«, fuhr der Neffe die Trugen an.

»Wir verbergen uns vor den Pthorern, Herr«, antwortete einer der Riesen schüchtern.

»Ihr fürchtet euch vor den Bewohnern dieses Landes?«, fragte Flog höhnisch. »Warum? Seid ihr wahnsinnig geworden? Ich sehe, dass ihr alle bewaffnet seid.«

Der Truge tastete nervös über die beiden Waffen, die auf dem Brustteil seines gelben Kampfanzugs hafteten.

»Welchen Sinn hätte es noch, gegen die Pthorer zu kämpfen?«, fragte er unsicher. »Unsere Schiffe sind fort. Nur wenige von uns blieben zurück. Duuhl Larx ist zu weit entfernt, um uns noch sagen zu können, wie wir uns verhalten sollen.«

»Warum seid ihr nicht abgeflogen, als Pthor sich in Bewegung setzte?«, wollte der Neffe wissen. »Seid ihr etwa Deserteure?«

»Nein, Herr!«, rief der Truge entsetzt. »Das sind wir nicht! Eine schlimme Krankheit befiel uns. Es war wie ein böser Fluch, der auf uns haftete. Wir waren nicht fähig, den Befehlen unseres Herrn zu gehorchen. Darum ließ er uns zurück.«

Kolphyr fragte sich, ob Chirmor Flog nun endlich bereit sein würde, die Wahrheit zu akzeptieren. Alles, was die Trugen ihm berichten konnten, war ihm bereits bekannt. Leenia hatte ausführlich erklärt, was kurz vor dem letzten Start des Dimensionsfahrstuhls geschehen war. Einige tausend Körperlose waren durch den Sog, der von Islars magischer Maschine ausging, nach Pthor gelangt und hatten wahllos die Körper verschiedener Intelligenzen zu übernehmen versucht. Keiner der Befallenen war fähig gewesen, sich mit der Tatsache abzufinden, dass plötzlich ein zweites Bewusstsein in ihm war. Andererseits war es den Körperlosen auch nicht gelungen, den Geist ihrer Wirte so weit zu unterdrücken, dass sie die volle Kontrolle über sie erlangten. Die Folge des inneren Kampfes war Wahnsinn, dem alle Befallenen zum Opfer fielen. Inzwischen waren die Körperlosen längst in die Höheren Welten zurückgekehrt, ihre Opfer aber saßen in Pthor fest. Sie hatten keine Chance, das Land zu verlassen, ehe es abermals zum Stillstand kam und Raumschiffe landeten, deren Besatzungen bereit waren, die Soldaten des Neffen Duuhl Larx aufzunehmen. Es war nur zu verständlich, dass die Pthorer inzwischen Jagd auf die nunmehr fast hilflosen Invasoren machten, denn sie hatten schwer genug unter deren Herrschaft zu leiden gehabt.

»Ich wollte, Duuhl Larx könnte euch jetzt sehen und hören«, bemerkte Chirmor Flog gehässig. »Meine Scuddamoren wüssten besser als ihr, was sie in einem solchen Fall zu tun hätten. Sie haben die Kontrolle über das Land nicht einfach aufgegeben, als es in das Rghul-Revier überwechselte, und sie haben um Pthor gekämpft.«

Chirmor Flog schien völlig zu vergessen, dass seine Scuddamoren sich in einer ganz anderen Situation als die Trugen befunden hatten. Sie waren nicht einfach zurückgeblieben, sondern ihr Kommandant Atzbäll hatte noch genug Zeit gefunden, allen im Raum um Pthor befindlichen Organschiffen die Landung zu befehlen. Somit waren achtzig Schiffe und rund zehntausend Scuddamoren in Pthor geblieben, eine beachtliche Streitmacht, die noch dazu voll durchorganisiert war.

Chirmor Flog musterte zufrieden die Trugen, die betreten herumstanden.

»Von jetzt an«, sagte er drohend, »werdet ihr mir gehorchen!«

»Duuhl Larx ist unser Herr«, wagte einer der Trugen zaghaft einzuwenden. »Er wird uns bestrafen.«

»Ich will diesen Namen nie wieder von euch hören!«, schrie Chirmor Flog zornig. »Duuhl Larx hat versagt, begreift ihr das nicht? Ich dagegen bin hier, in diesem Land, und ihr werdet für mich kämpfen oder sterben!«

Unruhe entstand unter den Trugen, mehr aber noch unter den anderen Fremden. Einige schoben sich entlang der Wände des Schlosses auf den hölzernen Wall zu. Kolphyr erspähte fünf überschlanke, hochgewachsene Wesen, die an den Stämmen hinaufkletterten und über die Krone des Walls sprangen.

Auch Chirmor Flog hatte es gesehen.

»Sie versuchen zu fliehen!«, rief er wild. »Trugen – ergreift die Verräter!«

Einige Trugen setzten sich zögernd in Bewegung. Fast gleichzeitig spürte Kolphyr, dass der Einfluss des Neffen auf ihn nachließ. Weitere Trugen folgen Flogs Befehl und setzten den fliehenden Fremden nach. Sie kletterten ebenfalls über den Wall und brachten ihn teilweise zum Einsturz. In das Poltern und Krachen der Stämme mischten sich Schreie und das Fauchen fremder Waffen.

»Wie heißt du?«, fuhr Chirmor Flog einen der Trugen an, die bei ihm stehen geblieben waren.

»Wynt-Ker, Herr!«, antwortete der Truge unterwürfig.

»Gut, Wynt-Ker. Du wirst mich ins Schloss tragen und mir die dort vorhandenen Räume zeigen, damit ich mir einige davon aussuchen kann. Nimm mich auf deine Arme!«

Wynt-Ker trat zögernd auf Kolphyr zu. Der Bera lud ihm den Neffen auf. Für den Dimensionsforscher bedeutete es eine unendliche Erleichterung, endlich von Chirmor Flog befreit zu sein. Es war nicht das Gewicht des Neffen, das ihm zu schaffen gemacht hatte, sondern die böse, dunkle Kraft, die von diesem Wesen ausging.

Wynt-Ker setzte sich mit Flog in Richtung auf das Tor in Bewegung. Ein paar Trugen kamen über die Reste des Walles gestapft. Sie führten die Wesen mit sich, die zu fliehen versucht hatten. Einer der Fremden war tot, die anderen wiesen Verletzungen aller Art auf.

Auch das ist ein Werk des Neffen, dachte Kolphyr traurig. Wohin dieser Kerl auch kommt, stiftet er nichts als Unheil. Wir hätten ihn in der Höhle lassen sollen.

»Sperrt die Gefangenen ein!«, befahl Chirmor Flog und räkelte sich in den Armen des Trugen, der ihn mit wahrer Andacht über den Hof trug. »Und nehmt auch die beiden fest, mit denen ich zu euch gekommen bin. Es sind schlechte Diener!«

»Du undankbarer Narr!«, rief Kolphyr wütend, dann waren die Trugen heran und wollten ihn ergreifen. Er wehrte sie mühelos ab, aber Koy war noch immer nicht ganz bei Besinnung. Mit ihm hatten die Trugen ein leichtes Spiel. Während zwei Trugen den Trommler zwischen sich hielten, richtete ein dritter seine Waffe auf den Bera.

»Ergib dich!«, rief er. »Oder dein Freund stirbt.«

Resignierend ließ Kolphyr die Arme sinken. Die Trugen führten ihn in einen kleinen Raum im Keller des Schlosses, warfen Koy zu ihm in das Gefängnis und verschlossen die Tür.

2.

 

Als die unsterblichen Magier vor vielen Jahrtausenden nach Pthor gekommen waren, hatten sie sich im Tal der Schneeblume versammelt und dort beschlossen, alle Waffen, Geräte und Techniken, die sie ersannen, in den Dienst der Herren der FESTUNG zu stellen. Als die Kinder Odins gegen die FESTUNG zogen und der Tag Ragnarök bevorstand, trafen sich die Magier zum zweiten Mal an diesem Ort und fassten den Entschluss, nicht an der Seite der Herren zu kämpfen, sondern ganz Oth von Glyndiszorn in einen magischen Knoten einschließen zu lassen. Nun befanden sie sich zum dritten Mal vollzählig im Tal der Schneeblume.

Ihre Zahl war arg zusammengeschmolzen. Von ehemals vierhundertfünfzig Magiern lebten nur noch etwas über zweihundert in der Großen Barriere. Die anderen waren verbannt worden – weil sie negativ handelten und dachten und die Herrschaft über Pthor an sich zu reißen versuchten.

Wären Jarsynthia, Wortz, Karsjanor und all die anderen imstande gewesen, das zu beobachten, was sich jetzt rund um den Stein des Rates abspielte, so hätte man ihr höhnisches Gelächter bis zum Gipfelsee des Crallion hinauf hören können.

Von ihrem Hochsitz aus konnte Islar das ganze Tal überblicken. Seit zwei Tagen saß sie dort oben und rührte sich nicht von der Stelle. Sie war froh, dass sie daran gedacht hatte, sich ausreichend mit Proviant und Trinkwasser zu versorgen.

Ihr winziges Revier, das sie für die Dauer der Beratung bezogen hatte, lag ganz am Rand des Tales. Islars Macht war viel zu gering, als dass sie sich einen besseren Platz hätte erobern können. Sie hatte es gar nicht erst versucht, denn sie hegte nicht die Absicht, sich bei diesem Spektakel besonders hervorzutun.

Vielleicht war sie einfach noch zu jung und zu unerfahren in den magischen Praktiken, um dem Rausch der Macht so stark zu erliegen, wie es bei den anderen der Fall war.

Schon vor dem Schwarzschock hatten viele Magier Islar verächtlich angesehen. Anerkennung hätte sie nur bei den Bewohnern der Tronx-Kette gefunden, aber von denen war bekannt, dass sie sogar einen Sterblichen achteten, wenn er nur die geringste Leistung vollbrachte. Außerdem war es auch damit längst vorbei. Seit Beginn der Beratung überlegte Islar sogar, ob nicht etwas Wahres an Copasalliors Behauptung war, dass man sie bestenfalls als Halbmagierin bezeichnen dürfe. Es gab deutliche Unterschiede zwischen ihr und den anderen. Am auffälligsten war die Tatsache, dass Islar Unbehagen bei dem Gedanken empfand, dass die Magier in Kürze die Herrschaft über Pthor antreten würden.

Auf dem Stein des Rates erschien Koratzo, und ein unwilliges Murmeln ging durch die Reihen der Magier.

»Du hast kein Recht zu sprechen!«, klang Ontras Stimme auf. »Du hast keinen Rang!«

Bis vor kurzem hatte Ontra noch mit den Leuten aus der Tronx-Kette sympathisiert.

Koratzo lachte höhnisch auf.

»Ich werde dir zeigen, wo du im Rang im Vergleich zu mir stehst!«, rief er Ontra zu, und seine magisch verstärkte Stimme dröhnte durch das Tal.

Islar erschauerte. Sie ahnte, dass Ontra jetzt in fliegender Hast ihre magischen Sperren verstärkte, um sich gegen Koratzo zu wappnen. Der Stimmenmagier schien das böse Spiel zu genießen. Er wartete, bis Ontra sich gerüstet glaubte. Dann erst schlug er zu.

Er stieß einen kurzen Laut aus. Lässig stand er auf dem Stein des Rates und zerbrach mit seiner gewaltigen magischen Kraft Ontras Sperren. Er tat es nicht schnell und schmerzlos, wie es ihm zweifellos möglich gewesen wäre, sondern in aller Ruhe, Stück für Stück, bis Ontra sich schreiend am Boden wälzte, gefangen im Bann des seltsamen Lautes, der ihren Körper zu zerreißen drohte.

Koratzo brach den Bann mit einer flüchtigen Handbewegung, und Ontra wurde still. Koratzo sah sich herausfordernd um.

»Gibt es außer dieser Närrin noch jemanden, der an meiner Macht zweifelt?«, erkundigte er sich mit falscher Freundlichkeit.

Unwillkürlich sah Islar zu der kleinen, steinernen Hütte neben dem Stein des Rates hinüber. Dort hauste Copasallior für die Dauer der Beratung. Der Weltenmagier aber ließ sich nicht blicken. Nur Saisja, das eiserne Yassel, stand regungslos vor der Tür.

Sie fragte sich, warum Copasallior die Herausforderung nicht annahm. Wenn er Koratzo noch lange gewähren ließ, so stand es schlecht um seinen Rang als Weltenmagier und Mächtigster von Oth.

Oder war Copasallior gar nicht anwesend?

Niemand konnte es nachprüfen, denn die Tür war geschlossen und durch ein magisches Siegel gesichert, das keiner der schwächeren Magier zu brechen vermochte. Koratzo hätte es vielleicht gekonnt, aber er hütete sich wohlweislich, vor den Augen der anderen in Copasalliors Behausung einzudringen.

Da niemand auf seine Herausforderung reagierte, ging Koratzo in die Mitte des Steines und hob beide Arme.

»Zwei Tage lang beraten wir schon!«, rief er verächtlich. »Und was ist dabei herausgekommen? Nichts. Zwei Tage Zeit haben wir verloren, in denen wir längst damit hätten beginnen können, den Widerstand unter den Sterblichen zu brechen. Wie viel Zeit wollt ihr noch vergeuden?«

Islar nahm die starken Schwingungen wahr, mit denen das Gerüst des Hochsitzes einen Besucher ankündigte. Sie sah unwillig nach unten.

Am Fuß des Gebildes stand ein ungeheuer fettes, blauhäutiges Individuum.

»Was willst du von mir?«, rief sie ärgerlich. »Warum störst du mich gerade jetzt?«

»Ich bin Heix, der Alterenkel des Bodenmagiers Gofruun!«, antwortete der Dicke. »Ich muss mit dir reden!«

»Du kannst heraufkommen«, entschied Islar nach kurzem Zögern.

»Das wird schlecht gehen«, meinte Heix und schielte vielsagend an seinem Bauch hinab, der so dick war, dass er seine Zehenspitzen nicht sehen konnte, obwohl er sehr große Füße hatte.

Islar wollte eben eine spöttische Bemerkung machen, als ihr endlich einfiel, dass Heix ja kein Magier war.

»Warte einen Augenblick«, bat sie. »Ich will nur hören, welchen Vorschlag Koratzo den Magiern unterbreiten will.«

»Gut«, sagte Heix.

Islar konzentrierte sich wieder auf den Stimmenmagier. Koratzo kam gerade in diesem Augenblick zur Sache. Im Tal der Schneeblume war es still geworden. Die Magier hörten Koratzo aufmerksam zu.

»Jeder von uns«, sagte Koratzo, »hat sein Revier in der Barriere, und dieses soll er behalten und bewahren. Darüber hinaus aber bietet sich jedem einzelnen die Möglichkeit, sich ein zweites Revier in Pthor zu verschaffen. Wie groß dieses zweite Revier ausfallen wird, soll einzig und allein davon abhängen, wie weit jeder von uns seinen Herrschaftsbereich ausdehnen kann. Im Rat der Mächtigen wird festgelegt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, ehe einem Magier ein Revier dieser Art fest zugesprochen wird. Ich denke besonders daran, dass die Pthorer sich uns nicht freiwillig unterwerfen werden. Nur der, dem es gelingt, die Sterblichen völlig zu beherrschen, hat ein Anrecht darauf, ein Revier sein eigen zu nennen. Abgesehen davon müssen wir uns darüber einig sein, dass wir die Barriere auf keinen Fall vernachlässigen dürfen. Jeder von uns muss sich verpflichten, sein ursprüngliches Revier in dem Zustand zu halten, in dem er sich befindet, und auch in regelmäßigen Abständen einige Tage dort zu verbringen. Nur so können wir sicher sein, dass wir das Gleichgewicht der magischen Energien in Oth und damit auch unsere Unsterblichkeit aufrechterhalten werden.«

Als Koratzo die Arme senkte, zum Zeichen, dass dies im wesentlichen alles war, was er zu sagen gedachte, erhielt er laute Zustimmung aus der Richtung, in der die ehemaligen Rebellen saßen. Alle anderen Magier protestierten lautstark. Koratzo sah sich spöttisch lächelnd um. Breckonzorpf, der Wettermagier, kletterte aus seinem Donnerwagen und ging auf Copasalliors Hütte zu. Aus einer anderen Richtung schwebte Kolviss demselben Ziel entgegen. Glyndiszorn, der Knotenmagier, trat durch eine seiner unsichtbaren Falten und erschien lange vor den beiden anderen neben Saisja.

Islar konnte sich denken, was dieser Aufmarsch zu bedeuten hatte. Die Mächtigen würden über Koratzos Vorschlag beraten, sobald Copasallior sie einließ – wenn er sie einließ. Zu welchem Entschluss Breckonzorpf und die anderen gelangen mussten, war völlig klar.

Ihre Reviere in der Barriere waren so umfangreich und so aufwändig angelegt, dass es beinahe unmöglich war, sie in Ordnung zu halten und gleichzeitig den Rest von Pthor zu kontrollieren, wie es zweifellos ihre Ansicht war.

Koratzos Vorschlag benachteiligte aber nicht nur die Mächtigen, sondern auch die Masse der schwächeren Magier, denn ihnen würde es in den meisten Fällen unmöglich sein, Koratzos Bedingungen zu erfüllen. Bestenfalls gelang es ihnen, sich ein kleines Revier im unbewohnten Vorland der Barriere zu erobern.

Die einzigen, die uneingeschränkt von Koratzos Vorhaben profitieren würden, waren die Bewohner der Tronx-Kette. Sie hatten bis vor kurzem gar keine individuellen Reviere gehabt, und nachdem sie die Kette unter sich aufgeteilt hatten, blieb für jeden nur ein vergleichsweise kleines, eigenes Reich übrig. Darüber hinaus waren unter den ehemaligen Rebellen viele, die mächtig genug waren, um auch alle anderen Bedingungen zu erfüllen.

Während Breckonzorpf und Kolviss noch unterwegs waren, kletterte Maltim auf den Rednerfelsen. Koratzo blieb zu Islars Überraschung an seinem Platz stehen. Da Maltim, einer der schwächeren Magier, sich nicht mit Koratzo anlegen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als völlig unzeremoniell vom Rand des Felsens aus zu den anderen zu sprechen.

Maltims Kunst erschöpfte sich übrigens in der Erzeugung von kleinen Schnee- und Graupelschauern. Er war ein Wettermagier, der niemals aus dem Schatten Breckonzorpfs hinauskommen würde.

»Was Koratzo uns da als weisen Rat verkaufen will«, schrie Maltim, »ist nichts weiter als ein Betrug an den Zielen der magischen Wissenschaften. Ich sage euch, wenn wir es zulassen, dass dieser Vorschlag angenommen wird, dann teilen sich drei oder vier Magier ganz Pthor untereinander, und wir anderen sitzen wie gewohnt in der Großen Barriere fest. Ja, es wird sogar noch schlimmer als zu früheren Zeiten werden. Damals konnte jeder von uns freien Handel mit den Sterblichen treiben, aber wenn Koratzo und seine Kumpane erst da draußen herrschen, dann werden sie jeden Kontakt zwischen uns und den Pthorern unterbinden. Wir werden hoffnungslos isoliert sein, gerade so, als gäbe es immer noch den Großen Knoten über Oth.«

»Wie klug du bist!«, sagte Koratzo deutlich hörbar.

Maltim, der dem Stimmenmagier notgedrungen den Rücken zugekehrt hatte, erschrak so heftig, dass er das Gleichgewicht verlor und vom Rednerfelsen stürzte. Er fiel nicht tief, und da er in tiefem Moos landete, zog er sich auch keine Verletzung zu, aber die Schmach schmerzte ihn schlimmer als alles andere. Wütend sprang er auf.

Er schüttelte die Faust und schrie seine magischen Formeln, und sofort prasselten Hagelkörner auf Koratzo hinab.

Dem Stimmenmagier konnte Maltim auf diese Weise nichts anhaben. Koratzo stand sicher unter seinen magischen Sperren, und kein einziges Hagelkorn erreichte ihn. Trotzdem weckte der unbesonnene Angriff durch den Hagelmagier seinen Zorn. Er deutete mit dem Finger auf Maltim und stieß einen Laut aus, den Islar nie zuvor von ihm gehört hatte.

Maltim schrumpfte binnen Sekunden auf einen Bruchteil seiner früheren Größe zusammen. Er wurde so klein, dass Islar ihn von ihrem Hochsitz aus nicht mehr zwischen den Moospolstern erkennen konnte. Dass der Hagelmagier überhaupt noch existierte, erkannte sie allein aus der Art, wie Koratzo von dem Felsen herab auf das Moos blickte. Der Stimmenmagier beugte sich lachend vor.

»Geh nach Hause, kleiner Mann!«, riet er spöttisch. »Mach dich am besten gleich auf den Weg, denn du wirst lange zu laufen haben mit deinen winzigen Beinen!«

Islar erkannte erschrocken, dass Koratzo bisher stets nur einen Bruchteil seines Könnens genutzt hatte. Das hieß nichts anderes, als dass Copasalliors Chancen, seine Position zu verteidigen, drastisch sanken. Wenn aber der Weltenmagier stürzte, musste das Gleichgewicht in der Barriere endgültig zerbrechen.

Breckonzorpf, der dicht am Rednerfelsen vorbeigehen musste, um zu Copasalliors Behausung zu gelangen, blieb stehen und blickte zu Koratzo hinauf.

»Du gehst zu weit«, sagte er drohend.

»Willst du dich etwa auch mit mir messen, Wettermagier?«, fragte Koratzo spöttisch.

»Nicht jetzt«, antwortete Breckonzorpf düster. »Es wird noch früh genug zum Kampf zwischen uns kommen. Bis dahin aber wirst du dich gefälligst an die Gesetze halten, die für uns alle gelten, oder hast du bereits vergessen, was du vorhin über das Gleichgewicht der magischen Energien gesagt hast? Hole Maltim zurück, und beeile dich dabei!«

Koratzo lachte.

»Es war ein Spaß, Breckonzorpf«, behauptete er und schnippte dabei mit den Fingern. Maltim schoss förmlich aus dem Moos hervor und taumelte benommen davon.

Breckonzorpf ging schweigend weiter. Kein zweiter Magier wagte es, zu Koratzo auf den Rednerfelsen zu steigen.

Heix hämmerte ungeduldig gegen das Gerüst, und Islar beeilte sich, zu ihm nach unten zu kommen.

»Verzeih mir«, bat sie schuldbewusst. »Ich hatte dich bereits wieder vergessen.«

Heix betrachtete sie nachdenklich. Seine winzigen gelben Augen funkelten seltsam.

»Ich hatte also Recht«, sagte er schließlich zufrieden.

»Wie meinst du das?«, erkundigte Islar sich irritiert.

»Wir können uns hier nicht in Ruhe unterhalten«, bemerkte der Alterenkel. »Komm mit.«

Islar folgte dem Dicken zu einer Gruppe von Felsblöcken.

»Hier sind wir vor ihnen sicher«, sagte Heix und nickte zu den Magiern hinüber. Er zog Islar mit sich in einen Winkel, in dem man sie vom Tal der Schneeblume aus nicht sehen konnte.

»Du armer Narr«, murmelte Islar. »Koratzo kann jedes Wort hören, das wir hier sprechen, und auch andere Magier sind dazu fähig.«

Heix lächelte über das ganze, feiste Gesicht.

»Mein liebes Kind«, sagte er geradezu väterlich, »diese Leute haben jetzt ganz andere Dinge im Kopf. Sie kümmern sich nicht um einen unfähigen Alterenkel und eine Halbmagierin.«

Islar zuckte zusammen.

»Willst du mich beleidigen?«, fragte sie schroff.

»Das lag nicht in meiner Absicht«, versicherte Heix. »Ganz im Gegenteil. Ist dir an den anderen nichts aufgefallen?«

»Was meinst du?«

»Nun, sie haben sich verändert, nicht wahr?«

Islar musste lachen.

»Es ist nicht schwer, das festzustellen«, bemerkte sie spöttisch.

»Das behauptest du«, nickte Heix. »Aber nimm zum Beispiel meinen guten alten Gofruun. Er konnte niemals auch nur dem kleinsten Tier etwas zuleide tun. Jetzt führt er sich auf, als gäbe es ein paar Berserker in der Reihe seiner Vorfahren.«

»Das ist nicht verwunderlich«, sagte Islar nachdenklich. »Wir alle sind negativ geworden. Wir handeln und denken so, wie Jarsynthia und die anderen es einst getan haben ...«

»Warum beziehst du dich dabei mit ein?«, fuhr Heix dazwischen.

Sie sah ihn verblüfft an.

»Du bist nicht wirklich negativ«, sagte Heix eindringlich. »Weil du auch nicht wirklich eine Magierin bist – nicht ganz, nur etwas.«

Sie erschrak vor diesen Worten. Dann begriff sie, worauf Heix hinauswollte.

»Du meinst, wir könnten etwas dagegen tun?«, fragte sie aufgeregt. »Welchen Plan hast du?«

»Bis jetzt noch gar keinen«, erwiderte Heix trocken. »Aber das ist nicht schlimm, denn es wäre uns beiden völlig unmöglich, jetzt etwas gegen die Magier auszurichten. Sie sind zu mächtig für uns.«

»Damit hast du nur zu Recht, Alterenkel Heix!«, sagte eine spöttische Stimme.

Islar drehte sich nicht um. Sie senkte den Kopf und wartete schicksalsergeben auf die magischen Laute, mit denen Koratzo sie und Heix für ihren »Verrat« bestrafen würde.

Neben ihr brach Heix lautlos zusammen. Erschrocken beugte sie sich zu ihm hinüber.

»Er ist nicht tot«, sagte Koratzo leise. »Er wird nur für einige Zeit schlafen.«

Überrascht sah sie sich um.

Für einen Augenblick flackerte in ihr die Hoffnung auf, dass alles gar nicht wahr war, dass Koratzo sich niemals verändert hatte. Dann sah sie es in den Augen des Stimmenmagiers aufblitzen, und sie wusste, dass ihre Hoffnung sinnlos war.

Koratzo stieß Heix leicht mit dem Fuß an.

»Ich hätte nicht gedacht, dass er so schlau ist«, murmelte er. »Manchmal frage ich mich, ob dieses fette Monstrum uns nicht alle über seine wahren Fähigkeiten hinweggetäuscht hat. Es gibt ein Geheimnis um ihn, wusstest du das?«

»Nein«, flüsterte Islar wie betäubt.

»Er ist unsterblich«, erklärte Koratzo. »Verstehst du das? Er hat nicht einmal den Funken von einem Talent – und doch wirken die Kräfte der Barriere auf ihn.«

Islar schwieg.

»In einem Punkt hat er übrigens doch Unrecht«, fuhr Koratzo fort. »Ich weiß, dass ich mich verändert habe – aber ich bedaure es nicht, ganz im Gegenteil.«

Warum erzählt er mir das?, dachte Islar beklommen.

»Das wirst du noch früh genug erfahren«, beantwortete Koratzo die gedachte Frage. »Jetzt wirst du deinen Platz im Tal der Schneeblume wieder einnehmen und der Versammlung beiwohnen, wie es sich für dich gehört.«

»Nein!«, sagte Islar trotzig. »Ich bin keine Magierin, und ich will auch nichts mehr mit euch zu tun haben.«

Koratzo lachte leise auf.

»Das gibt sich wieder«, meinte er gelassen. »Du weißt noch nicht, was es heißt, Macht auszuüben. Aber du wirst dich schnell daran gewöhnen. Im Übrigen wirst du trotz allem die Unsterblichkeit erlangen, wenn du in der Barriere bleibst. Wir werden viel Zeit für einander haben.«

Sie sah ihn entsetzt an. Erst allmählich begriff sie in allen Konsequenzen, was der Stimmenmagier meinte.

Er beobachtete sie mit lauernden Blicken.

Sie hasste das, was er jetzt darstellte, aber sie sah immer noch in jeder Bewegung und in jedem Lächeln das, was er einmal gewesen war. Zum ersten Mal erkannte Islar das ganze Ausmaß der Tragödie, die sich zur Zeit in Oth abspielte.

»Daraus wird nichts«, sagte sie wie in Trance. »Niemals, Koratzo!«

Er lachte.

»Versuche nur, mir deinen Willen aufzuzwingen!«, rief Islar verzweifelt. »Das ist es doch, woran du denkst nicht wahr? Versuche es, ich warte darauf! Dann werde ich dich endlich hassen können, du – du Bestie!«

Koratzo erstarrte förmlich. Islar wandte sich ab und floh den Hang hinunter zu ihrem Hochsitz.

3.

 

Copasallior kochte vor Wut. Er war für einen Augenblick zum Crallion hinübergewechselt, und als er zurückkehrte, standen Breckonzorpf, Glyndiszorn und Kolviss vor der Tür – das heißt, letzterer schwebte, denn der Traummagier hasste es, mit rauem Fels in Berührung zu kommen.

»Was ist los?«, fragte Copasallior ungehalten, nachdem er die drei hereingelassen hatte.

Sie berichteten ihm, was sich zugetragen hatte, und er glaubte, vor Zorn ersticken zu müssen, als er von Koratzos Herausforderung hörte.

»Wirst du ihn zur Rechenschaft ziehen?«, fragte Breckonzorpf neugierig.

Copasallior verschränkte alle sechs Hände vor der Brust.

»Das könnte euch so passen«, versetzte er bissig. »Am liebsten wäre es euch wohl, ich würde mit ihm oben auf dem Rednerfelsen kämpfen, damit alle zusehen können, wie? Daraus wird nichts. Ich werde mir diesen Narren bei einer Gelegenheit vorknöpfen, bei der er nicht mit mir rechnet.«

»Du fürchtest dich vor ihm«, stellte Glyndiszorn fest.

»Und du tätest gut daran, dich darauf zu besinnen, dass er dir überlegen ist«, fauchte Copasallior.

»Dir doch auch!«, antwortete der Knotenmagier unerschrocken.

»Das steht noch nicht fest«, erwiderte Copasallior wütend. »Aber wenn es so sein sollte – an eurer Stelle würde ich jetzt schon überlegen, wie ihr ihn unschädlich machen könnt.«

»Er wird sich nicht mit uns anlegen«, bemerkte Breckonzorpf nüchtern. »Du stehst ihm im Wege. Er muss nur dich besiegen, und jeder wird wissen, dass er Koratzo unterlegen ist. Wozu also sollen wir uns aufregen?«

Copasallior starrte den Wettermagier an.

»Ihr habt gewisse Freiheiten, solange ich über die Barriere bestimme«, sagte er gedehnt.

»Koratzo wird sie uns ebenfalls einräumen«, versicherte Glyndiszorn kichernd. »Er ist schließlich nicht lebensmüde.«

Dem Weltenmagier fiel einiges ein, was es dazu zu sagen gab, aber er riss sich zusammen. Es war gefährlich, sich jetzt eine Blöße zu geben.

Wann wirst du zu den Magiern sprechen?

Die Frage entstand scheinbar mitten in seinem Kopf, also kam sie von Kolviss, der sich nur mit Hilfe seiner Gedanken zu verständigen vermochte.

»Wenn ich es für richtig halte«, erklärte Copasallior eisig. »Geht jetzt. Ich muss nachdenken.«

Als er wieder alleine in der kleinen, steinernen Hütte war, hockte er sich auf ein Polster, stützte das Kinn in zwei Hände und dachte angestrengt nach.

Koratzos Vorschlag war natürlich unannehmbar – und zwar für alle Magier, ausgenommen jene ehemaligen Rebellen, die über viele Jahrtausende hinweg die ihnen zustehende Macht ungenutzt gelassen hatten.

Er konnte hinausgehen und einen Gegenvorschlag unterbreiten. Genaugenommen musste er das sogar tun.