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Sissi Flegel

Bubenspitzle im Angebot

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Bubenspitzle im Angebot

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Das Schwobaländle und seine Einwohner kennt Sissi Flegel ganz genau. Denn hier ist sie geboren und aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Vaihingen/Enz. Zunächst veröffentlichte sie Romane für Kinder und Jugendliche. Seit einigen Jahren schreibt sie auch Unterhaltungsliteratur für Frauen, die dem Teenager-Alter entwachsen sind: Denn auch mit fünfzig dreht sich immer noch alles um die Liebe …

1. Auflage 2011

Den Menschen ist nur mit
Gewalt oder List
Etwas abzugewinnen.
Mit Liebe auch, sagt man;
Aber das heißt auf Sonnenschein warten,
Und das Leben braucht jede Minute.

J. W. GOETHE.

Montag, 18. April

Liebe Leserinnen!

Sie haben seit Jahren meine Kolumne in der Zeitschrift Victoria! verfolgt. Sie kennen meine Vorlieben, meine Leidenschaft für gutes Essen und große Weine, Sie wissen, dass ich alleinerziehende Mutter mit hin und wieder einem Liebhaber sowie eine eifrige Kino- und Theatergängerin bin und ahnen, dass ich nicht mehr die Jüngste sein kann.

Nein, bin ich nicht.

Ich blicke in wenigen Tagen auf fünfzig interessante, erlebnisreiche, gelegentlich auch traurige Zeiten zurück. Das Leben hat es gut mit mir gemeint. Ich bin gesund und munter, in den vergangenen drei Wochen habe ich mich in einer Schönheitsfarm mit einem vorzüglichen Diätprogramm, etwas Botox und einem begnadeten Friseur rundum verschönern lassen: Niemand wird mir meine wunderbaren fünfzig Lebensjahre ansehen!

So auf Vordermann gebracht fragte ich mich, wie ich meinem Leben eine kräftige Prise Pfeffer geben könnte. Denn Frauen wie wir erwarten doch mehr als nur eine Portion faden Eintopfs! Wir nehmen unser Schicksal in die Hand und peppen es so auf, dass wir täglich einen wahren Heißhunger darauf haben!

So ist es doch, meine lieben Leserinnen, nicht wahr?!

Ich jedenfalls habe mir ein großes, ein herausforderndes Ziel gesetzt:

ICH WILL ES NOCHMAL WISSEN!

Ich möchte Ihnen ein Beispiel dafür sein, dass wir mit fünfzig noch längst nicht zum Krampfadergeschwader gehören, keine Kukidentjüngerinnen sind und uns, wenn überhaupt, nicht mit einem Pornflakes mümmelnden Mann zufriedengeben. Ich, eine Frau von fünfzig, will einen MANN an meiner Seite!

Ich werde mir den RICHTIGEN angeln!

Und das sind meine Bedingungen:

Kein namenloser Flossenträger, ein prächtiger, kluger, intelligenter Goldfisch muss es sein. Er darf den »Sommernachtstraum« nicht für eine Champagnermarke, Schubert nicht für ein Regalsystem von Ikea und Cézanne nicht für einen Vorort von Nizza halten.

Ein Privatjet und eine Jacht im Mittelmeer dürfen, müssen aber nicht sein, jedoch setze ich ein gut gepolstertes Bankkonto unbedingt voraus.

Ein jugendlicher Bespringer ist keine Herausforderung. Mein MANN muss sich einen Platz im Leben erobert haben – was unweigerlich zu der Frage führt: Single oder nicht? Verheiratet, verwitwet? Geschieden?

Alles Nebensache, liebe Leserinnen. Sollte der MANN verheiratet sein, umso besser. Eine Ehefrau gibt der Herausforderung einen zusätzlichen Kick, vorausgesetzt, sie ist mindestens ein Jahr jünger als ich.

Erwarte ich Liebe?Nicht unbedingt; in meinem Alter zählen gleiche Interessen und gegenseitige Achtung mehr als ein flüchtiges Himmelhochjauchzen, dem früher oder später das niederschmetternde Zutodebetrübt folgt.

Ich werde meine Fühler überallhin ausstrecken. Ich werde auf Kontaktanzeigen in Zeitungen und im Internet antworten, werde Einladungen annehmen, werde mit meinem Hund durch die Stadt streifen. Meine Augen und Sinne werden wide wide open sein.

Sie, meine Leserinnen, werden einwenden, dass jede Frau eine zufällige Bekanntschaft als Eroberung ausgeben kann. Das gilt natürlich nicht. Mein MANN muss ernsthafte Absichten haben; er darf nicht Worte, er muss Taten sprechen lassen!

Meine Suche, das Gelingen oder Scheitern meines Plans, schildere ich Ihnen, meine lieben Leserinnen, wöchentlich und mit schonungsloser Ehrlichkeit in meiner Kolumne.

Mit fünfzig fackelt man nicht mehr lange; ich gebe mir Zeit bis zum Sommer.

Sprechen Sie mit Ihren Freundinnen über meinen Plan, schließen Sie Wetten ab, mailen Sie mir Ihre Meinung!

Halten Sie meinen Plan für unmoralisch? Bitte, ganz wie Sie wünschen. Ich jedenfalls will nicht länger brav und artig sein. Mit fünfzig bin ich nur noch GROSSARTIG!

Wie immer Ihre Marie Liebe

1. Kapitel

Im Rom der Cäsaren interessierte sich das Publikum hauptsächlich dafür, ob der Gladiator im Circus Maximus von der wilden Bestie zerrissen wurde oder wider Erwarten mit dem Leben davonkam, was den Zuschauern gründlich den Spaß verdarb.

Das mal vorab.

Heute, Gerd Siemoneit-Barum behauptet das und ich glaube ihm auch, achtet und respektiert der Dompteur die Raubkatzen in der Manege seines Zirkus’, allerdings bin ich der Meinung, dass sich in der Manege des Leben zwischen früher und heute so gut wie nichts geändert hat, egal, wie friedlich wir uns auch nach außen hin geben.

Ich weiß, wovon ich rede.

Zum Beispiel hatte ich an diesem Frühlingsmorgen schon den Kaffeetisch gedeckt, Brezeln und Wecken aufgebacken, frische Erdbeermarmelade, Wurst und Käse, Obst sowie zwei weichgekochte Eier auf den Tisch gestellt und wartete nun auf meinen Mann. Der Wirtschaftsteil der Tageszeitung lag neben seinem Teller, ich nippte am Orangensaft und las gerade den ersten Satz des Leitartikels, als Alex in die Küche stürmte, sich auf den Stuhl und einen bunten Katalog neben die Tasse fallen ließ.

»Schatz, wir machen eine Reise!«

Es spielt keine Rolle, ob ich zwölf Stunden am Stück geschlafen habe; morgens brauche ich meine Ruhe. Ich komme nicht so schnell in die Gänge und hasse es, mit nüchternem Magen weitreichende Entscheidungen treffen zu müssen.

»Wirklich?« Ich reichte Alex die Butter.

»Nina! Jetzt, wo ich wieder gesund bin, berste ich vor Energie! Ich finde, wir sollten unsere Tage genießen! Was hältst du von Neuseeland? Da wollte ich schon immer mal hin. Oder wie wäre es mit der Südsee? Baden, Schnorcheln, Wasserski! Und abends einen Drink mit Blick aufs perlmuttfarbene Meer!«

Wenn Alex poetische Wörter benutzt, werde ich wachsam. »So weit weg …«, murmelte ich.

»Je weiter, desto besser!« Er strich Leberwurst auf die untere Hälfte des Laugenweckles.

»Zuerst dachte ich ja an Ägypten, aber ich finde, das Land kann warten. Das nehmen wir uns vor, wenn wir nicht mehr so gut zu Fuß sind. Nina, wo sind die Radieschen?«

»Stehen direkt vor deiner Tasse.«

»Hab ich gar nicht gesehen. Jedenfalls … es bleibt also bei Neuseeland? Oder wäre dir die Südsee lieber? Sag’s, und ich buche die Reise. Ich dachte an Juni, spätestens Juli.«

»Müssen wir das gleich entscheiden? Du weißt, dass ich morgens nicht so schnell denke.«

»Aber genau deshalb frage ich dich doch jetzt!«, rief er.

Ich schnappte nach Luft. »Du gemeiner Tiger!«

Er lachte und schlug dem Ei den Kopf ab.

Tiger sind Einzelgänger. Sie bewegen sich in bewaldeten Gegenden mit dichtem Unterholz, pirschen sich lautlos in die Nähe ihres Opfers und greifen immer – immer! – aus dem Hinterhalt an. Genau wie Alex, mein Mann. Er wartet einen günstigen Zeitpunkt ab, überfällt mich mit einem Vorschlag, und bevor ich noch weiß, wie mir geschieht, hat er die Entscheidung getroffen – natürlich mit meiner Billigung, wie er meint.

»Schottland.«

»Wie?«

»Die Reise geht nach Schottland.« Meine Stimme war laut und fest. »Im Juni.«

»Da regnet es, und kalt ist es auch. Warum also Schottland?«

»Ich wollte schon immer mal eine Whisky-Brennerei besuchen. Man trinkt dort lauwarmen Whisky.«

»Du kippst doch keine scharfen Schnäpse!«

»Vielleicht finde ich Gefallen daran?« Endlich war ich wach geworden. »Die Hebriden wären auch nicht schlecht. Da tosen die Wogen nur so gegen die Felsen. Muss echt dramatisch aussehen, Alex. Diesen Anblick solltest du dir gönnen, bevor du zu feige für eine Bootsfahrt durch stürmisches Gewässer bist.«

»Nina, du spinnst«, sagte er kurz und bündig und widmete sich endlich dem Wirtschaftsteil.

Während er las, beobachtete ich den Mann, mit dem ich seit 27 Jahren verheiratet war. Seine Haare und die buschigen Augenbrauen waren grau geworden, aber Nase und Kinn waren markant wie eh und je. Alex ähnelte dem alternden Robert Redford – und wusste es.

Bis vor einem halben Jahr war er Geschäftsführer einer erfolgreichen mittelständischen Firma für Saftmaschinen gewesen, voller Energie, Ehrgeiz und in seiner Freizeit sportlich aktiv. An einem Samstag im Herbst schwang er sich frühmorgens aufs Motorrad, düste auf die Uracher Alb und gab abwärts so richtig Gas. Auf dem feuchten Laub rutschte das Fahrzeug in einer Kurve unter ihm weg, er flog in hohem Bogen den Hang hinunter und krachte gegen die Bäume, die ihn zwar bremsten, aber nicht aus Schaumstoff waren. Da es noch so früh am Morgen und überhaupt eine einsame Gegend war, wurde er erst Stunden später gefunden. Zwei Tage lang war es ungewiss, ob er durchkommen würde – ich war die Einzige, die ihm das voll und ganz zutraute. Drei Monate lag er im Krankenhaus, dann folgte die Reha. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken, und als er, noch an den Rollstuhl gebunden, sechzig wurde, ließ er sich vorzeitig in den Ruhestand versetzen. »Nina, ich hab zu viel gearbeitet und zu wenig an die Familie gedacht«, hatte er gesagt. »Lass uns das Leben genießen.«

Damals fand ich die Überlegung vernünftig. Inzwischen war ich überzeugt, dass wir die Entscheidung verfrüht getroffen hatten. Er zog zwar das linke Bein noch etwas nach, war aber fitter denn je.

»Was hast du heute vor?«

»Ich werde ein Hochbeet anlegen«, sagte er eifrig. »Weißt du, wie das geht? Zuerst steche ich den Rasensoden ab und hebe spatentief Erde aus, dann baue ich einen Rahmen – die Bretter besorge ich im Baumarkt –, fülle all das Häckselzeug …«

Ich hörte ihm nur mit einem halben Ohr zu. »Zeig es mir, wenn du es fertig hast, ja?«

»Nur zeigen? Ich denke, dann ist’s warm genug, um ein paar Steaks auf den Grill zu legen und eine Party zu feiern. Ida liebt Grillfeste, und Felix und Mitzi können sich nützlich machen.«

»Sie werden dir gerne zur Hand gehen.« Ich grinste. Ida, meine Schwiegermutter, die im Erdgeschoss wohnte und der das große Grundstück Birkmannsweiler zu gehörte, liebte es, mit einem Gläschen Schampus unter den Apfel- und Zwetschgenbäumen zu sitzen. Bei unserem Sohn Felix und seiner Freundin Mitzi, beide lebten im ausgebauten Dachstock, war ich mir keineswegs sicher. Die beiden luden ihre Freunde zwar auch zu Partys im Grünen ein, wo sich niemand über grölendes Gelächter oder laute Musik beschwerte, aber sie hatten unter Garantie keine Lust, den Blasebalg fürs Grillfeuerchen zu treten.

»Eben! Sag ich doch!«, bestätigte Alex – und hob den Kopf. »Hat es bei Ida geklingelt?«

Ich schaute auf die Uhr. »Punkt acht. Das wird Alois sein.«

Alex sprang auf und ans Fenster. »In der linken Hand die Vespertüte, in der rechten das Heftchen mit den Kreuzworträtseln. Es ist Alois, Nina.« Alex setzte sich wieder. »Das kann so nicht weitergehen. Tu was dagegen.«

»Wieso ich?«

»Ich würde den Kerl am Kragen packen und aus dem Haus befördern. Unsanft, Nina, sehr unsanft würde das ablaufen. Frauen gehen behutsamer vor. Du schaffst das. Ein ruhiges Gespräch, und Ida ist Alois los. Heute wäre der geeignete Tag dazu. Wenn das Hochbeet erst mal fertig und der Grill aufgestellt ist … Ist in der Kanne noch Kaffee? Eine Tasse würde ich noch trinken.«

Der Kaffee reichte sogar für zwei Tassen. »Alex, das ist allein Idas Angelegenheit. Sie hat Alois gern um sich, und überhaupt hat sie Anneliese auf dem Sterbebett versprochen, sich um ihren Mann zu kümmern. Der Arme ist hilflos, seitdem er Witwer geworden ist!«

»Gerade darum geht es, Nina. Er spielt doch nur den Hilflosen. Über kurz oder lang wird er sich für immer bei Ida einnisten.«

Ich hatte Alex nicht gesagt, dass wir Frauen, Ida, Mitzi und ich, längst kapiert hatten, dass Alois bei Ida ein warmes Plätzchen suchte. Dass er sein Haus bereits einer Immobilienfirma angeboten hatte, hatten wir allerdings nicht vermutet. Ida, die seinen Kühlschrank ausräumte, hatte die Unterlagen gefunden und war hell entsetzt zu mir gekommen. »Natürlich hab ich Anneliese versprochen, mich um ihren Mann zu kümmern! Aber das schließt doch nicht ein lebenslanges Wohnrecht ein!«

»Oder kostenlose Betreuung im Krankheitsfall«, hatte Mitzi ergänzt, worauf Ida die Hände in die Luft geworfen hatte.

»Ihr müsst mir helfen! Versprecht mir das!«

Wir hatten es ihr nur zu gerne versprochen. Als Alois vor zwei Tagen mit den zwei mürben Hörnle und zwei Brezeln, dem einzigen Beitrag, den er für die Tagesstätte leistete, vor der Tür stand, hatte Mitzi gesagt, Ida wolle ihre Ruhe haben, er möge doch bitte wieder nach Hause gehen und warten, bis sie ihn anrufe. Obwohl Alois’ Hörvermögen noch ausgezeichnet war, hatte er den Tauben gemimt und sich auf die Bank vorm Haus gesetzt. Es nieselte, er harrte geduldig aus. Wir waren uns mies und hartherzig vorgekommen.

»Alex, ich fürchte, wir müssen auf dein Angebot zurückgreifen.«

»Welches Angebot, Nina?«

»Alois brutal am Kragen zu packen.«

»Heißt das …« Er runzelte die Stirn. »Ihr habt schon ein Gespräch mit ihm geführt, stimmt’s? Und habt nichts erreicht.«

»Er tut uns leid. Sicher übertreibt er seine Hilflosigkeit, aber stell dir doch vor, du stündest nach fünfzig Jahren Ehe allein in der Welt. Wärst du dann nicht auch für einen Unterschlupf dankbar?«

»Zum Teufel aber auch!« Alex schob den Stuhl zurück. »Um alles muss ich mich kümmern! Ich spreche mit Ida, verlass dich drauf!«

»Aber nicht jetzt! Warte bis zum Abend!«

»Das sehe ich nicht ein!« Rummms, die Tür war zu.

Nachdem ich den üblichen Haushaltskram erledigt hatte, fuhr ich auf der alten Backnanger Straße stadtauswärts in die Gärtnerei. Der Garten rund ums Haus war meine Domäne; ich hatte mir viel Mühe gegeben und ihn mit dunkelgrünem Buchs, dekorativen Bodendeckern – es war ein Schattengarten – und etlichen Terrakottatöpfen nett gemacht. Jetzt harrte er einer frühlingsgemäßen Bepflanzung.

Ich schloss meinen Golf ab und schlängelte mich an den jungen Frauen, die Buggys mit schreienden oder schlafenden Kindern schoben, an müden Rentnerinnen und gelangweilten Männern vorbei. Obwohl wir noch mit Nachtfrösten zu rechnen hatten, erstand ich weiße Geranien, hängende und stehende, sowie kleine Glockenblumen, stellte mich ans Ende der Schlange vor der Kasse und dachte an Mitzi.

Da Felix in Stuttgart studierte und mit der S-Bahn zur Uni fuhr, hatten wir den Dachstuhl für ihn ausbauen lassen. Einen vollen Monat hatte er es alleine ausgehalten, dann war Mitzi bei ihm eingezogen und hatte mich zur Beinahe-Schwiegermutter gemacht. In meinem Alter fühlt man sich zu jung für diese Rolle.

Es hatte nicht geholfen, dass Alex mir immer wieder vorgehalten hatte, die beiden seien ja nicht verheiratet; ich war Felix gram gewesen, und Mitzi hatte ich abgelehnt.

Doch in Mitzis schwarzem Lockenkopf steckte eine Menge Charme. Zielstrebig und geschickt hatte sie Idas Herz erobert, indem sie ein regelmäßiges Kaffeestündchen einführte. Da Ida das große, dreistöckige Haus gehörte, in dem wir alle wohnen, war es ein kluger Schachzug gewesen. Bald hatten mich die beiden eingeladen, was dazu geführt hatte, dass ich Mitzi kennen und schätzen lernte. Mitzi konnte was. Sie arbeitete als Ernährungsberaterin in einem Stuttgarter Health-and-Beauty-Pool und hatte uns überzeugt, unsere Ernährung umzustellen. Mit ihrer Unterstützung hatte ich neun Kilo abgenommen. Jetzt waren wir beide mit meiner Gesundheit und meinem Aussehen zufrieden.

Alex offenbar auch.

Endlich konnte ich zahlen. Ich lud die Pflanzen ein, fuhr los, fädelte mich am Winnender Ortsausgang in die B 14 ein und schaute zu, dass ich so schnell wie möglich in den botanisch-zoologischen Garten Stuttgarts, die Wilhelma, kam.

Dort arbeitete ich als Biologin und machte auch Führungen zu bestimmten Themen; heute stand wieder eine auf dem Programm, und weil ich so spät dran war, wartete die Gruppe schon auf mich. Es waren allesamt Rentner in bequemen Schuhen, Trekkinghosen mit vielen Taschen und farbenfrohen Anoraks. Eine Frau saß im Rollstuhl, ein Mann stützte sich auf einen Rollator, die anderen sahen fit und unternehmungslustig aus. Nach der Begrüßung sagte ich, die Führung dauere eineinhalb Stunden, wir würden langsam gehen und immer wieder pausieren – und lächelte. Erwartungsgemäß hoben sich nämlich an dieser Stelle einige Hände. »Zweimal kommen wir an Toiletten vorbei.«

Sie nickten. Genau das hatten sie wissen wollen.

Unsere Wilhelma hatte außergewöhnliche Pflanzenschätze: Kamelien und Azaleen, die über hundert Jahre alt waren, seltene Kakteen, fleischfressende Pflanzen und einen Magnoliengarten. Wenn die Bäume in voller Blüte standen, blieb den Besuchern die Luft weg, so schön sah das aus. An diesem Tag öffneten sich gerade die ersten Knospen.

Wir machten einen kurzen Umweg wegen der Treppen und blieben am Tigergehege stehen. Ich liebte diese Tiere. Sie haben elegante, kraftvolle, geschmeidige Bewegungen und ein herrliches Fell. Im Gehege sehen sie zahm aus, in freier Wildbahn sind sie tödlich. Immer springen sie ihre Beute aus dem Hinterhalt an – genau wie mein Mann Alex, der mich stets überrumpelt, wenn ich am wenigsten damit rechne. Das hatte unsere Ehe turbulent und aufregend gemacht; erst nach seinem Motorradunfall war er ruhiger geworden. Ich war mir nicht sicher, ob mir das auf Dauer zusagte.

Eine junge Frau schob einen Kinderwagen und sah sich besorgt um. »Simon, Paul, Jette und Anne! Ist die Lina bei euch?«

»Ne-iiin!«, riefen die Kleinen.

»Wo ist sie?«

»Bei den Giftschlangen!«

Die Frau ließ den Kinderwagen stehen und rannte los. Einer der Kleinen lehnte am Geländer und sang selbstvergessen: »Fang mich doch, du Eierloch … Fang mich doch, du …«

»A-ouh!«, brüllte der Tiger.

»Warum tut er das?«, fragte das Mädchen mit den Rattenschwänzchen.

Der Junge deutete mit dem Zeigefinger auf das Tigerweibchen, das sich einladend vor ihrem Gefährten auf dem Boden räkelte, und sang: »Fang mich doch, du Eierloch!«

Die Leute meiner Gruppe lachten.

Bei den Elefanten und Giraffen blieben wir wieder stehen. Ich zeigte auf die noch unbelaubten Akazien.

»Diese Bäume«, begann ich, »haben einige Methoden entwickelt, sich gegen ihre Feinde, ihre Fressfeinde, zur Wehr zu setzen. Sie sind dornenbewehrt, zudem befinden sich in ihren Blättern Gerbstoffe, die so unbekömmlich sind, dass Vielfresser davon Magenschmerzen bekommen. Das ist aber nicht alles. Ein einziger Baum beherbergt bis zu 100 000 Ameisen einer speziellen, besonders beißfreudigen Gattung. Gegen sie haben Schadinsekten keine Chance; sie organisieren sogar Patrouillen für den Fall, dass Giraffen und Elefanten zu viele Blätter von den Ästen rupfen.« Ich ließ meinen Blick über meine Zuhörer gleiten und überlegte, welche Person die beabsichtigte Frage stellen würde. Die Dame im Rollstuhl war’s. »Ja?«

»Wo ist die andere Hand?« Sie bemerkte die verständnislosen Blicke der anderen und setzte hinzu: »Eine Hand wäscht bekanntlich die andere. Im Tierreich wird es nicht anders zugehen wie bei den Menschen. Also: Was hat die spezielle Ameisengattung von ihrer Fürsorge für die Akazie, auf der sie sich eingenistet hat?«

Anerkennend hob ich den Daumen. »Hundert Punkte fürs Mitdenken. Wie immer geht es um den Schutz der Nachkommen. Akazien besitzen Honigdrüsen, mit deren Nektar die Ameisen ihre Jungen aufziehen. Das ist die andere Hand.

Das Interessante ist aber, dass alle, die Akazien, Elefanten, Giraffen und Ameisen, voneinander profitieren. Fehlt nur ein Faktor, bricht das gesamte System zusammen.«

»Kennet Se des a bissle oifacher sage?«, bat ein Mann im grünen Anorak.

Ich konnte.

»Vor einigen Jahren wurde in Afrika eine Fläche mit zahlreichen gesunden Akazien so eingezäunt, dass weder Elefanten noch Giraffen an die Blätter kamen. Was geschah?« Wie immer an dieser Stelle legte ich eine dramatische Pause ein. »Die Bäume stellten die Nektarproduktion ein. An den Dornansätzen bildeten sich keine Hohlräume mehr, in denen die Ameisen wohnen und ihre Jungen aufziehen konnten. Das Ende vom Lied war: Die Ameisen wanderten aus. Andere Ameisenarten, die auf den Nektar nicht angewiesen waren, siedelten sich an. Sie unternahmen nichts gegen die nachfolgenden Schädlinge wie Bohrkäfer und Läuse. Die Bäume litten unter den Eindringlingen; sie wuchsen sichtbar schlechter und starben früh. Diese Art der Symbiose nennt man Mutualismus.«

»Interessant.« Eine Dame mit vielen kleinen grauen Löckchen nickte. »Das ist wie in einer guten Ehe. Man muss sich gegen seine Feinde zur Wehr setzen und –«

»Wie selbigsmol die Römer an Limes baue ond Patrouillen organisiere?«, warf der Mann im grünen Anorak ein.

»Warum nicht? Ich muss meinen Nachwuchs in Ruhe und Frieden aufziehen. Dafür tue ich was!«

»Eine funktionierende Ehe gleich Mutualismus?«

Die Frau im Rollstuhl lächelte. »Der Trick ist doch, dass alle ihren Vorteil haben. Im Fall der Akazie sorgen die Ameisen dafür, dass sie nicht zu viele Blätter verliert; im Fall der Ameisen sorgt der Baum für Wohnraum und Nektar. Stehen ihm die Ameisen nicht bei, bricht das System zusammen, schließlich kann der Baum nicht auswandern. Er kann nur sterben.«

»Sag ich doch«, bestätigte die Dame mit den Löckchen. »Wenn ich meinen Mann einer räuberischen Anderen überlasse, bricht das System Ehe zusammen.«

»Andersherum funktioniert das aber auch«, meinte die Dame im Rollstuhl. »Überlässt mich mein Mann einem räuberischen Anderen … Die Sache mit der Patrouille hat was für sich!«

»Also ich«, sagte eine kleine zarte Alte, »bin immer ohne eine solche ausgekommen.«

»Vermutlich hat Ihr Mann Wache geschoben, ohne dass es Ihnen aufgefallen ist«, bemerkte die mit den Löckchen spitz.

Noch nie hatte ich erlebt, dass betagte Rentner sich derart intensiv mit dem Thema auseinandersetzten. Lag das am Frühling? Ich sah zu, dass meine Gruppe schleunigst ins Kamelienhaus kam.

Als ich am späten Nachmittag das Auto in die Garage fuhr, saßen Ida und Alois einträchtig auf der Bank im Garten. Alois hielt sein Gesicht in die schräg stehende Sonne; in seinem Schoß ruhten das Heftchen mit den Kreuzworträtseln und ein Stift. Ida schälte die letzten, reichlich verschrumpelten Äpfel und zwinkerte mir zu. »Alex hat zuerst einen Sack Dünger gekauft, dann ist er aufs Stückle gefahren. Willst du eine Tasse Kaffee? Oder ein Glas Saft? Warte, ich komme mit in die Küche!«

Alois öffnete die Augen und wollte aufstehen. »Nein, mein Lieber! Du bleibst hier sitzen!«

»Aber –«

»Nix aber! Du tust, was ich dir sage.« Um ihren Worten die Schärfe zu nehmen, lächelte sie ihn an. »Wenn dir langweilig ist, schälst du Äpfel.«

Das reichte, dass er wieder die Augen schloss und sich die Sonne auf die Nase scheinen ließ.

In der Küche lehnte sich Ida an den Kühlschrank. »Der Mann raubt mir den letzten Nerv. Stell dir nur vor, Nina –«

»Ich dachte, Alex wollte mit ihm sprechen.«

»Hat er ja auch. Wir saßen gerade beim Frühstück, als er hereinstürmte und mit der Tür ins Haus fiel.«

Genauso hatte ich mir das vorgestellt. »Und?«

»Nachdem er gesagt hatte, er könne sich nicht einfach so bei mir einnisten, fiel Alois das Messer aus der Hand. Er sagte –« Eine Strähne hatte sich aus Idas Knoten gelöst. Anstatt sie zurückzuschieben, warf sie wie ein junges Mädchen den Kopf zur Seite. »Er sagte, er habe sich in mich verliebt. Dagegen könne er sich nicht wehren, schließlich sei die Liebe eine Himmelsmacht.«

»Waaas? Das ging aber schnell. Anneliese ist doch erst vor einem knappen Monat gestorben.«

»Genau, was Alex auch sagte.«

»Hat ihm das nicht zu denken gegeben?«

Ida holte den Apfelsaft aus dem Kühlschrank. »Saft? Oder doch lieber Kaffee?«

»Saft bitte.« Während meine Schwiegermutter ein Glas füllte, kam mir ein unerwarteter Gedanke. »Hast du dich auch in ihn verliebt?«

»Quatsch. Sollte ich in meinem Alter noch einmal Frühlingsgefühle hegen, wovon ich aber nicht ausgehe, dann nur für einen sehr viel jüngeren Mann.« Energisch schloss Ida die Kühlschranktür. »Jedenfalls – Alois behauptete, er liebe mich schon seit vielen Jahren und habe nur gewartet, bis er frei sei. Jetzt sei er frei, und nichts und niemand halte ihn davon ab, mir einen Heiratsantrag zu machen. Alex war so erschüttert, dass er wie ein Fisch auf Land nach Luft schnappte und blitzartig die Küche verließ. Es war eine bizarre Situation.«

Ich verkniff mir das Grinsen. »Und nun?«

Ida nahm ein Tuch vom Haken und tupfte einen Tropfen ab. »Ich werde scheibchenweise vorgehen. Heute habe ich Alois gesagt, er dürfe täglich zum Frühstück kommen und bis nach dem Mittagessen bleiben. In genau einer Woche werde ich täglich eine doppelte Portion kochen und ihm das Essen für den nächsten Tag in Tupperschüsselchen füllen. Die bekommt er nach dem Frühstück ausgehändigt und wird zur Tür geschoben.«

»Du denkst, das wird funktionieren?«

»Ob er das will oder nicht, es hat zu funktionieren!«, entgegnete Ida forsch.

Ida war zweiundvierzig gewesen, als ihr Mann starb. Sie vermietete zwei Wohnungen, aber anstatt mit den Mieteinkünften und der, zugegeben bescheidenen Rente – mein Schwiegervater war ein noch junger Oberstudienrat gewesen – ein beschauliches Leben zu führen, hatte sie sich um eine Stelle in ihrem früheren Beruf als Kindergärtnerin beworben. Mit 65 war sie in Ruhestand gegangen, war aber noch so gut beieinander gewesen, dass sie Kindern aus familiär benachteiligten Familien bei den Hausaufgaben half. Das tat sie noch heute; nicht mehr so intensiv und nicht mehr so regelmäßig wie früher, aber das war auch einer der Gründe, weshalb sie sich von Alois so eingeschränkt fühlt. Ida war eine selbständige Person, die ihren Freiraum brauchte.

In diesem Punkt waren wir uns sehr ähnlich. Als unser Sohn Felix mit drei Jahren in den Kindergarten gehen durfte, bewarb ich mich sofort um eine Stelle in der Wilhelma. Es verging kein Tag, an dem Ida mich nicht unterstützt hätte. Selbst als Alex in den Vorruhestand ging und wollte, dass ich kündige, hatte sie zu mir gehalten. Ich rechnete ihr das hoch an. Nicht jede Schwiegermutter brachte so viel Verständnis auf.

2. Kapitel

Linda saß in ihrem Londoner Büro und verfluchte das Buch. Sie liebte ihren Job als Übersetzerin; je herausfordernder ein Text war, desto hartnäckiger verbiss sie sich in die Aufgabe, ihn so stimmig wie möglich ins Deutsche zu übertragen. Aber diese … wie hieß sie noch mal … diese Susan Beck benutzte Wörter, die sie an den Rand der Verzweiflung brachten. »pinballing along« – du lieber Himmel! Und die Ingwerstäbchen, die sie sich zusammen mit Unmengen grünen Tees zur Beflüglung ihres Hirns einverleibte, waren auch alle!

In diesem Augenblick läutete ihr Telefon. »Hallo?«

»Störe ich?«

Die vertraute Stimme ihrer Freundin aus Stuttgart ließ sie lächeln. »Du störst nie. Wie geht es dir? Jetzt, wo die Grippezeit vorbei ist, müsste es bei euch doch ruhiger zugehen.«

»Moment mal!« Sie hörte Papiere rascheln, ein Stuhl kratzte über den Bodenbelag. Kathrin war offensichtlich in der Praxis ihres Mannes. Er kurierte seine Patienten, sie war für die reibungslose Organisation zuständig. »Ruhiger zugehen? Dass ich nicht lache«, schimpfte Kathrin. »Bei uns ist der Teufel los. Frühling ist Heuschnupfenzeit, das weißt du doch. Aber sag: Wie geht es dir?«

»Wie immer. Ich hab genügend Arbeit, um nicht ins Grübeln zu geraten.«

»Kein Freund in Sicht?«

»Nur Simon. Wann besuchst du mich?«

»Über Pfingsten.« Kathrin lachte. »Deshalb rufe ich doch an! Hast du an den Feiertagen etwas vor?«

»Ausschlafen. Gut essen. Vielleicht mal wieder ins Victoria and Albert Museum gehen.«

»Genau, was ich mir wünsche! Also –«

»Abgemacht. Ich freu mich auf dich, Kathrin!«

Linda war trotz der oft eigenwilligen Wortwahl der Autorin mit der Übersetzung gut vorangekommen.

Nur noch eine Seite, dann hatte sie ihr Soll für den Tag erfüllt und konnte einkaufen gehen. Neben ihrem PC lag der Zettel; immer wieder fiel ihr etwas ein, was sie unbedingt besorgen musste. Butter und Milch natürlich, Orangenmarmelade, Frühstücksspeck, Salat, Tomaten, Äpfel … Die Ingwerstäbchen durfte sie auf keinen Fall vergessen. Auch der Reis war alle, eine oder zwei Packungen Shortbread, ihre Lieblingskekse, mussten sein, und vielleicht schaffte sie es sogar noch bis zum ceylonesischen Teecenter. Aber nun weiter im Text!

»Your shady art dealer friend? It mean sloppy recordkeeping?« Linda zog die Mundwinkel nach unten. Zuerst Kathrins Anruf, jetzt auch noch art dealer – beides weckte unliebsame Erinnerungen an Stuttgart. In dieser Stadt lebte ihr Mann Rob, mit dem sie viele Jahre glücklich verheiratet gewesen war. Bis eines Tages eine Frau aufgetaucht war, die sich von ihm, dem bedeutenden Maler, porträtieren ließ. Sie war attraktiv gewesen und außerordentlich zielstrebig. Dass Rob verheiratet war, hatte sie nicht gestört.

Linda starrte aus dem Fenster. Ihre Wohnung, in der sie auch ihr Büro hatte, bestand aus einem einzigen großen Raum in einem der umgebauten Speicher in den ehemaligen Docks. Sie blickte auf eine kleine Grünfläche, dahinter glitzerte das Wasser eines Kanals. Es war ein schickes Viertel, und sie fühlte sich hier wohl, aber Stuttgart war ihre Heimat gewesen. Ein Jahr lang hatte sie um Rob gekämpft, dann war sie nach London zurückgezogen. Glücklicherweise hatte sie die Kontakte zu den Verlagen nie abbrechen lassen, daher hatte es auch nicht lange gedauert, bis sie sich wieder als Übersetzerin etablieren konnte.

Linda runzelte die Stirn: Eigentlich sollte sie sich glücklich schätzen. Sie war gesund und hatte einen Job, den sie liebte, hatte einen großen Bekanntenkreis, und sie lebte in einer der aufregendsten Städte der Welt. Aber nach vier – oder waren es schon fünf Jahre? – vermisste sie Rob noch immer. Das beschauliche Stuttgart auch. Impulsiv griff sie nach dem Hörer, wählte Kathrins Nummer und sagte, als die sich meldete: »Bringst du bitte Brezeln und Maultaschen mit? Und eine Tüte Wibele?«

»Na klar! Sonst noch was?«

»Nnnnein. Nichts Essbares.«

»Aha. Du denkst an Infos?«

»Zum Beispiel.«

»Über Rob?«

»Auch.«

»Sprecht ihr noch immer nicht miteinander?«

»Er muss den Anfang machen.«

»Du alter Sturkopf. Wie wär’s, wenn du mal ein bisschen über deinen Schatten springen und ihm ein nettes Ansichtskärtchen schicken würdest? Mit dem Tower of London zum Beispiel: »Wird Zeit, dass du einen Ausbruchsversuch wagst« – so was in der Art könnte ich mir gut vorstellen.«

Linda schnappte nach Luft. »Niemals!« Sie knallte den Hörer neben den PC.

Liebe Leserinnen!

Auf die erste Kolumne zum Thema Ich will’s nochmal wissen! habe ich viele Mails von Ihnen erhalten. Sie haben mich ermahnt, nicht mit dem Feuer zu spielen. Danke für Ihren Rat, aber ehrlich gesagt habe ich nichts gegen einen emotionalen Flächenbrand im Herzen eines Mannes. Genau den will ich ja entfachen, liebe Leserinnen! Aber seien Sie unbesorgt – ich habe mein Herz im Griff, und für den äußersten Notfall steht ein Feuerlöscher in Form einer Flasche Wein aus St. Emilion im Keller.

Ihre Ermahnungen führten aber dazu, dass ich mich über das Thema Feuer schlau machte. Ein hochinteressantes Gebiet, muss ich sagen!

Wussten Sie, dass das Entfachen, die Beherrschung und Bewahrung des Feuers zu den wichtigsten Schritten in der Geschichte der Menschheit zählen? Und dass die Besiedlung unseres Landes nur mit Feuer möglich war? Nicht nur, weil sich die Siedler endlich vor großen Raubtieren und kleinen Stechmücken schützen und in kalten Nächten die klammen Glieder wärmen konnten. Oder die Feinschmecker Licht zum Schneiden und Schnitzeln und Hitze zum Garen hatten – nein, sie testeten auch eine Menge anderer Möglichkeiten aus.

Zum Beispiel hielten sie ihre Speerspitzen in die Flammen. Das war eine geradezu geniale Methode, um das Holz zu härten, denn je härter die Waffe, desto tiefer dringt sie ins Fleisch, nicht wahr?

Aber: Zu wenig Feuer, und das Ding blieb weich und war zu nichts zu gebrauchen.

Bei zu viel Feuer drohte das vorzeitige Aus. Schade.

Wie immer und überall kam es auch hier aufs rechte Maß an: Gerade so viel Hitze, dass das Ding hart wurde und hart blieb. Sie wissen, was ich meine.

Sie brannten ihre Schüsseln und Töpfe in den Flammen, sie schmolzen Metall, und, ganz entscheidend, sie entfachten strategisch gelegte Feuer, um flüchtendes Wild in die Enge zu treiben, das sie dann mit ihren Speeren erlegen konnten. Mit Speeren, deren Spitzen gehärtet waren, wie Sie wissen.

Kommt Ihnen die Strategie bekannt vor? Mir auch! Ich dachte, die »Flächenbrand-im-Herzen-eines-Mannes-Idee« sei mein eigener Geistesblitz gewesen! Ganz falsch; sie wird seit Jahrtausenden angewandt und für gut befunden. So gut sogar, dass sie den fellbekleideten Siedlern erfolgreiche Beutezüge ermöglichte. Ich bin sicher, selbst im 21. Jahrhundert wird sie noch funktionieren und mir meine Beute sichern. Sie stimmen mir hoffentlich zu!

Übrigens: Ich betrachte mein mit großem Vergnügen erworbenes Wissen im Bereich körperlicher Liebe als meine im Feuer gehärtete Speerspitze …

Inzwischen habe ich eine Kontaktanzeige ins Internet gestellt. Sieben Männer haben mir geantwortet, mit vier von ihnen bin ich ausgegangen.

Es lohnt nicht, über die Begegnungen zu schreiben; sie waren bei weitem nicht das, was ich mir wünsche.

Doch Widerstände machen, alle großartige Frauen wissen das, den Erfolg nur köstlicher!

Wie immer Ihre Marie Liebe

3. Kapitel

Mitzi und Felix halfen mir, die Geranien aus dem Kofferraum zu laden. »Ist Alex schon zurück?«

Felix nickte. »Vermutlich steht er gerade unter der Dusche.« Er grinste spöttisch. »Das Hochbeet ist eine Herausforderung, die vollen Einsatz verlangt.«

»Sei froh, dass er sich um die Halde kümmert«, wies ihn Mitzi zurecht.

»Bin ich ja. So kommt er wenigstens nicht auf dumme Gedanken.«

Ich stutzte. »Denkt ihr an was Bestimmtes?«

»Hübsche Blümchen«, wich mein Sohn aus. »Bisschen früh im Jahr, aber wenn’s keine Nachtfröste gibt, könnten sie überleben.«

»Felix! Was ist mit Alex?«

»Nichts. Wirklich gar nichts«, versicherte Felix. »Aber es ist Frühling, und …«

»… er ist ein Mann in den besten Jahren und hat viel Zeit«, ergänzte Mitzi.

»Na und? Gönnt’s ihm doch.«

In diesem Augenblick kam Alex in den Garten, frisch geduscht, mit nassen Haaren, voller Elan und mit dem gewissen Funkeln in den Augen, das ich so gut kannte. »Nina! Da bist du ja endlich! Du warst aber lange fort.«

»Nicht länger als sonst. Was macht das Hochbeet?«

»Ist fast fertig. Haltete euch schon mal den Samstag frei.«

»Warum?«, erkundigte sich Felix misstrauisch.

»Grillfest anlässlich der Einweihung des Hochbeets«, erklärte er knapp.

»Du lieber Himmel!« Felix wandte sich an Mitzi. »Haben wir Samstag Zeit?«

»Natürlich habt ihr Zeit!«, sagte Alex energisch. »Ursel hat schon zugesagt, und auch Suse kommt. Jeweils mit Familie.«

Das verschlug uns die Sprache. Ursel war Alex’ Schwester. Sie leitete eine Realschule in einem der Nachbarorte, war ausgesprochen energisch und durchsetzungsfähig, und Eberhard, ihr Mann, Oberstudienrat im Ruhestand, stand ihr in nichts nach.

»Sie kommt allein?«, erkundigte ich mich.

»Mit Familie«, wiederholte Alex forsch.

Felix verdrehte die Augen. Mit Ulrich und Hartmut, seinen Vettern, kam er nicht aus. War noch nie gut ausgekommen; schon im Sandkasten hatten sie sich die Eimerchen und Schäufelchen um die Ohren geschlagen. »Klar«, knurrte er. »Sobald es was zu futtern gibt, stehen sie auf der Matte. Kommt Tante Suse auch mit Anhang?«

Suse war meine jüngere Schwester und Vertraute, Kostümbildnerin am Stuttgarter Großen Haus und mit Matti, Ingenieur wie Alex, verheiratet. Matthias kam aus dem Hohenlohischen, schaffte beim Daimler und war ein cooler Typ: unkonventionell wie Suse und gesegnet mit einem bissigen Humor, den er vorzugsweise an Ursel ausließ, die sofort auf hundertachtzig war, sobald sie ein Hauch Respektlosigkeit anwehte.

Matti und Suse hatten eine Tochter, die sie auf den klassischen Namen Penelope taufen ließen. Penny war neunzehn und auf der Suche nach dem Job ihres Lebens: irgendwas mit Kunst musste es sein, und wenn sie ein Heimatmuseum bestücken, Ahnenfoschung betreiben oder künstlerisch wertvolle Stammbäume pinseln würde – ich war mir sicher, dass sie früher oder später genau das finden würde, was zu ihr passte. Gerade arbeitete sie als Kellnerin in einem Club in der Stuttgarter Theodor-Heuss-Straße, was Ursel so schräg wie Pennys Kleidung fand, die sie auf Flohmärkten und im Bohnenviertel zusammensuchte. Ich mochte Penny; das Mädchen war fantasievoll und ließ sich nicht die Butter vom Brot kratzen – schon gar nicht von Ursel und Eberhard.

»Halten wir die komplette Mischpoke aus, Felix?«, fragte Mitzi. »Ich meine, Weihnachten und Ostern sind okay, aber das reicht dann fürs Jahr. Finde ich.«

Im Prinzip fand Ida das zwar auch, aber da sie gern ihre Familie um sich hatte und der Verlockung, Schampus unter blühenden Zwetschgenbäumen zu süffeln, nicht widerstehen wollte, brutzelten am Samstagnachmittag die Steaks auf dem Grill. Wie immer kam Ursel mit ihrem Retro-Nudelsalat nach einem Rezept aus den Sechzigerjahren an – »Mehr kann sie nicht kochen«, sagte Mitzi respektlos –, den sie stolz auf den geschrubbten Gartentisch stellte, wohingegen Suse eine große Platte Antipasti aus der Markthalle beisteuerte. »Da sieht man mal wieder, bei wem Geld keine Rolle spielt«, lästerte Eberhard und steckte sich gleich eine Olive in den Mund. »Ein armer Oberstudienrat macht um die Markthalle tunlichst einen Bogen.«

»Jaja, bei der Wahl des Berufes kann man nicht vorsichtig genug sein«, konterte Matti und schlug auf Eberhards Hand. »Pfoten weg! Gedulde dich, es ist genug für alle da!«

Alex stand am Grill, Felix füllte die Gläser, Mitzi reichte sie herum. Ulrich und Hartmut flirteten mit Penny, die gelangweilt im Liegestuhl lag und so tat, als hätte sie keine Ahnung, was die von ihr wollten.

Ursel öffnete die obersten Knöpfe ihrer klassischen, penibel gebügelten Baumwollbluse von Peter Hahn und reckte den dürren Hals in die Sonne. Eberhard machte ein Dinkelacker auf und kippte ungebeten Bier über die Steaks, was Alex in Rage brachte. Er wedelte die dicke Rauchwolke weg. »Kannst du nicht warten!«

»Worauf denn?«, erkundigte sich Eberhard mit Unschuldsmiene und setzte die Flasche an die Lippen.

»Kindsköpfe!« Ursel erging sich in einer Schilderung über den Elternbeirat ihrer Schule, der ihr angeblich nur Steine in den Weg legte und ihr die Zeit mit der Forderung von unerfüllbaren, weil unrealistischen, Wünschen stahl. Ida stellte die Champagnerflasche neben ihren Liegestuhl, Suse zwinkerte mir zu, Matti seufzte und half Alois beim Kreuzworträtsel – es war wie immer. Ob an Weihnachten, Ostern oder bei einer Grillparty – das Familienleben ist kein konfliktfreier Spaziergang in lauer Frühlingsluft.

Als die Steaks auf den Tellern lagen, belehrte uns Ursel über die Gefahren schwarz gegrillten Fleisches.

»Willst uns den Appetit verderben?«, fragte Alex säuerlich.

»Klar«, sagte Felix. »Und dann opfert sie sich auf, indem sie alles selber aufisst. So ist es doch, Tante Ursel?«

Mitzi stieß mich an. »In zehn Minuten machen Felix und ich die Fliege. Nur dass du es weißt, Nina«, flüsterte sie mir ins Ohr und wandte sich dann an Suse. »Warum isst du nicht weiter? Schmeckt es dir nicht?«

Meine Schwester deutete mit dem Messer hangaufwärts. »Will die zu uns?«, erkundigte sie sich.

Am Zaun stand eine Frau in schicken Jeans und Sneakers, die stark nach Hogans aussahen. Auch das giftgrüne Hemd kam nicht von H&M; auf den ersten Blick sah man, dass es im Hinblick auf optimale Wirkung gekauft worden war – der Aha-Effekt zum lackschwarzen Pagenkopf war garantiert beabsichtigt.

Die Dame führte einen Mops an der Leine.

»Ich dachte, Möpse sind längst ausgestorben«, sagte Ursel und schnaubte verächtlich. »Was für hässliche Hunde!«

»Möpse«, erklärten Mitzi, Suse und Penny einstimmig, »sind wieder voll IN.«

»Was ihr nicht sagt!« Eberhard klaute Idas Champagnerflasche, griff nach einem Glas und machte sich auf den Weg zum Zaun. Alois legte sein Kreuzworträtselheft beiseite und folgte ihm. Matti tippte sich an die Stirn. »Kaum wackelt eine einigermaßen ansehnliche Frau daher, sabbern die zwei wie der Pawlow’sche Hund. Dein Mann kommt bei dir offensichtlich zu kurz, Ursel.«

»Eberhard! Wie kannst du es wagen, meinen Schampus mit einer Fremden zu teilen!« Ida stand auf. »Herrschaft noch mal, Bier tut’s doch auch!«

Außer Suse und mir standen dann alle am Zaun. »Kennst du die Grüne?«, fragte meine Schwester.

Ich schüttelte den Kopf. »Die ist nicht von hier.«

»Oder du kennst sie nicht, weil sie erst hergezogen ist«, meinte Suse. »Ziemlich dreist, wie sie zu uns rübergeschaut und gewartet hat, bis wir sie zur Kenntnis nehmen, findest du nicht auch? Und jetzt hält sie Hof. Guck, wie die Männer ihre Pfauenfedern spreizen!«

»Ja, die sind hin und weg. Aber Ursels Gesicht ist eine einzige Gewitterwolke.«

»Du sagst es«, stimmte Suse mir zu. »Gleich wird sie ihre Hand auf Eberhards Arm legen: Hau bloß ab! Der Mann gehört mir! … Da! Nina, hab ich’s nicht gesagt?!«

Ida, die Schampusflasche schwenkend, kam zurück. »Die Männer wollten die Mopsfrau einladen, aber ich hab energisch protestiert«, sagte sie triumphierend. »Nicht, dass ich was gegen einen zusätzlichen Gast gehabt hätte, aber die Dame ist mir einfach zu forsch.« Sie schnaubte. »Stellt sich an den Zaun und macht den Männern schöne Augen!« Sie goss sich ein Glas ein und trank es in einem Rutsch aus. »Sogar der Alois wackelt mit dem Hinterteil wie ein Hund, dem man eine Wurst vor die Nase hält.« Ida hob den Zeigefinger. »Frauen wie die da oben machen vor nichts und niemand Halt, das sage ich euch!«

»In der Botanik würde man solche Personen Fressfeinde nennen«, ergänzte ich. »Lässt man sie gewähren, bricht das gesamte System zusammen, und letzten Endes hat niemand was davon – nicht mal der Fressfeind.«

»Sag ich doch«, stimmte Ida mir zu.

Suse grinste spöttisch. »Wie schützt man sich gegen Fressfeinde? Ich meine, gibt es eine Gegenstrategie?«

»Man haut ihnen bei erster Gelegenheit eins auf die Finger.« Ida kippte den Rest des Champagners.

»Vorausgesetzt, man bekommt überhaupt mit, dass sich ein Feind im Gehege tummelt«, warf ich ein.

»Sich in Sicherheit zu wiegen ist immer gefährlich. Aber«, Suse gähnte, »das gilt natürlich für beide Seiten.«

Ida warf ihr einen alarmierten Blick zu. »Suse! Bist du deinem Mann untreu?«

»Ida!« Meine Schwester riss dramatisch die Augen auf. »Ich doch nicht!«

4. Kapitel

HarrodsHarrodsMermaidKathrin muss Bier mitbringen!