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George MacDonald Fraser

Flashman in Afghanistan

Band 1 der Flashman Manuskripte

Kuebler Verlag

Das Buch

Ein harter historischer Roman: Harry Flashman gelingt es durch Glück und Betrug, Ruhm und Ehre zu erlangen und mit jedem „halbwegs willigen Weibsstück“ ein Techtelmechtel zu beginnen. Während einer militärischen Niederlage bei Kabul macht er sich aus dem Staub, was in höchsten Auszeichnungen als „Held von Dschalalabad“ endet und ihm die Achtung der Afghanen als „Bloody Lance“ bringt. „Man verzeiht ihm seine Unarten, wenn er mit so überlegener Ironie militärische Dickschädel und spießbürgerliche Krämerseelen auf den Arm nimmt und nebenbei die Strategie des britischen Weltreichs in Indien und Afghanistan als blutigen Dilettantismus entlarvt …“ (Münchner Merkur)

Der Autor

George MacDonald Fraser wurde 1925 in Schottland geboren. Er studierte an der Glasgow Academy, wurde Soldat und verbrachte den Zweiten Weltkrieg in Burma. Danach arbeitete er als Journalist in Kanada und Großbritannien, bevor er als freier – und sehr erfolgreicher – Schriftsteller auf der Isle of Man lebte.

Flashman

Flashman in Afghanistan

1839 – 1842

Aus den nachgelassenen Papieren Harry Flashmans

1839 – 1842,

herausgegeben und bearbeitet von

George MacDonald Fraser

Ins Deutsche übertragen von Paul Baudisch

Band 1 der Reihe „Die Flashman Manuskripte“

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Originaltitel: Flashman – From the Flashman Papers

1839-1842 von George MacDonald Fraser

© 1969 by George MacDonald Fraser. FLASHMAN

Deutsche Erstausgabe: Flashman – Karrieren eines Kavaliers, Hoffmann und Campe.

Deutsche Übersetzung von Paul Baudisch.

Copyright © der deutschen Übersetzung 1987 by Hoffmann und Campe Verlag GmbH

Neu durchgesehene, überarbeitete und ungekürzte Ausgabe:

Copyright © 2012 Kuebler Verlag GmbH, Lampertheim. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Einscannen oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herausgegeben von Bernd Kübler

Umschlaggestaltung: Grafissimo! Daniela Hertel

ISBN 978-3-86346-101-0

Vorbemerkung

Der überwiegende Teil der als „Flashman Papers“ bezeichneten Manuskripte wurde 1965 anlässlich einer Hausratsversteigerung in Ashby, Leicestershire, entdeckt. Die Papiere wurden sodann von Mr. Paget Morrison in Durban, Südafrika, dem nächsten unter den noch lebenden Verwandten des Verfassers, als Eigentum beansprucht.

Von großem literarischem Interesse ist ein besonderer Aspekt der Papiere: Sie identifizieren eindeutig Flashman, den Schulrüpel aus Thomas Hughes „Tom Browns Schooldays“ mit dem gefeierten viktorianischen Soldaten gleichen Namens. De facto handelt es sich hier um Harry Flashmans Memoiren von dem Tage an, da er Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts von der Rugby School relegiert wurde, bis zu den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. Anscheinend hat er sie irgendwann zwischen 1900 und 1905 zu Papier gebracht, als er schon über achtzig gewesen sein muss. Möglicherweise hat er sie diktiert. Die Papiere, die offenbar fünfzig Jahre lang unberührt in einer Teekiste gelegen hatten, bevor sie im Auktionslokal zu Ashby gefunden wurden, waren sorgfältig in Wachsleinwand eingewickelt. Aus Briefen, die das erste Paket enthielt, geht deutlich hervor, dass ihre ursprüngliche Entdeckung durch die Angehörigen des großen Kriegsmanns nach seinem Tode 1925 einige Bestürzung auslöste. Einmütig scheinen die Herrschaften gegen eine Veröffentlichung der Selbstbiographie ihres Vetters gewesen zu sein - den Grund kann man wohl verstehen -, und es ist ein reines Wunder, dass das Manuskript nicht vernichtet wurde.

Zum Glück ist es erhalten geblieben und was hier folgt, ist der Inhalt des ersten Konvoluts, das Flashmans frühe Abenteuer umfasst. Ich sehe keinen Grund zu bezweifeln, dass dieser Bericht durchaus der Wahrheit entspricht. Wo Flashman sich auf historische Tatsachen bezieht, sind seine Angaben fast immer exakt. Der Leser mag beurteilen, ob man ihm auch in persönlicheren Angelegenheiten Glauben schenken dürfe oder nicht.

Mr. Paget Morrison, der mein Interesse an diesem und an ähnlichen Themen kennt, hat mich ersucht, die Papiere herauszugeben. Ich hatte aber weiter nichts zu tun, als einige geringfügige Schreibfehler zu korrigieren. Flashman war ein besserer Erzähler als ich, und ich habe mich darauf beschränkt, ein paar historische Anmerkungen hinzuzufügen.

Das Zitat aus „Tom Brown's Schooldays“ klebte auf der obersten Seite des ersten Konvoluts. Offensichtlich war es aus der Originalausgabe des Jahres 1856 herausgeschnitten worden.

G. M. Fraser

***

Kapitel 1

Eines schönen Sommerabends hatte Flashman sich in Brownsover an einem Gin-Punch gütlich getan und, nachdem er seine üblichen Grenzen überschritten, geräuschvoll den Heimweg angetreten. Er begegnete einigen Freunden, die vom Baden zurückkehrten, schlug ein Glas Bier vor; da warmes Wetter herrschte und sie, selber durstige Seelen, nicht wussten, was für ein Quantum geistiger Getränke Flashman bereits zu sich genommen hatte, willigten sie ein. Das Ergebnis war, dass Flashman sich fürchterlich betrank. Sie versuchten, ihn mitzuschleppen, brachten es aber nicht fertig. Da mieteten sie eine Sänfte und zwei Träger. Ein Lehrer kam ihnen in die Quere. Natürlich ergriffen sie schleunigst die Flucht. Dadurch wurde der Argwohn des Lehrers geweckt. Der Schutzengel aller geschundenen Pennäler veranlasste ihn, die Fracht zu untersuchen, und nachdem er sie untersucht hatte, geleitete er persönlich die Sänfte ins Schulgebäude hinauf. Der Doktor, der Flashman bereits im Auge gehabt hatte, verfügte für den nächsten Morgen seine Entlassung.

Thomas Hughes: “Tom Brown's Schooldays”

Hughes hat sich in einer wichtigen Einzelheit geirrt. Sie werden im „Tom Brown“ gelesen haben, wie ich wegen Trunkenheit aus der Rugby School davon gejagt wurde, was nur zu wahr ist. Wenn aber Hughes mir unterstellt, schuld daran sei gewesen, dass ich mir mit Vorbedacht nach dem Gin-Punch Bier hinter die Binde gegossen hätte, dann irrt er sich. Auch mit siebzehn Jahren war ich nicht mehr so dumm, die Getränke durcheinander zu mischen.

Dies erwähne ich, nicht um mich zu verteidigen, sondern im Interesse strenger Wahrheit. Was ich zu erzählen habe, wird durchaus wahrheitsgetreu sein; ich breche mit einer achtzigjährigen Gewohnheit. Warum auch nicht? Wenn ein Mensch so alt ist wie ich und sich durch und durch kennt, wie er war, wie er ist, dann macht er sich nichts mehr daraus. Sehen Sie, ich schäme mich nicht. Ich habe mich nie geschämt und darf, wenn wir uns nach den Maßstäben der sogenannten guten Gesellschaft richten, auf der Habenseite meines Kontos so manches verbuchen: die Ritterwürde, das Viktoria-Kreuz und das eine oder andere Ruhmesblatt. Deshalb kann ich heute das Bild über meinem Schreibtisch betrachten, den jungen Offizier in Cardigans Husarenregiment: hochgewachsen, herrisch und ein recht schöner Mann war ich zu jener Zeit (sogar Hughes gibt zu, ich sei stattlich und kräftig gewesen und hätte in hohem Maß die Gabe besessen, mich meinen Mitmenschen angenehm zu machen) – und seelenruhig sagen, ja, das ist das Porträt eines Lumpen, eines Lügners, eines Betrügers, eines Diebes, eines Feiglings und – ach freilich – eines servilen Speichelleckers. Das alles hat Hughes mehr oder weniger von mir behauptet und seine Beschreibung war nicht unzutreffend, abgesehen, wie schon erwähnt, von gewissen Einzelheiten. Aber ihm lag mehr daran, Moral zu predigen, als Tatsachen anzuführen.

Ich jedoch interessiere mich für die Tatsachen. Da viele von ihnen mich in ein schimpfliches Licht rücken, dürfen Sie versichert sein, dass sie zutreffen.

Auf jeden Fall irrt sich Hughes, wenn er meint, ich hätte das Bier vorgeschlagen. Speedicut hatte es bestellt, und ehe ich recht wusste, wie mir geschah, hatte ich es auch schon intus (auf den vielen Gin-Punch davor). Das machte mich fertig. Ich war richtig besoffen –„viehisch betrunken“, wie Hughes sich ausdrückt, und er hat recht. Als sie mich aus der „Traube“ hinaus bugsierten, konnte ich kaum etwas sehen, geschweige denn gehen. Sie setzten mich in eine Sänfte. Da tauchte ein Pauker auf. Speedicut, unser Fixmichel, wurde seinem Namen gerecht und nahm Reißaus. Mich ließen sie hingelümmelt im Tragsessel hocken. Ran kommt der Herr Lehrer und erblickt mich. Es war der brave, alte Rufton, ein Hausaufseher.

„Grundgütiger Himmel!“ sagte er. „Es ist einer unserer Jungen – betrunken!“

Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mich anglotzt mit seinen großen, matten Stachelbeeraugen und dem weißen Backenbart. Er versuchte, mich aufzurütteln – ebenso gut hätte er versuchen können, einen Leichnam von den Toten zu erwecken. Ich lag nur so da und kicherte vor mich hin. Schließlich riss ihm der Geduldsfaden; er schlug mit dem Rohrstock auf den Sessel und rief:

„Tragt ihn hinauf, ihr Träger! Bringt ihn zur Schule! Dafür wird er sich vor dem Doktor zu verantworten haben!“

Also marschierten sie los, der alte Rufton trapste hinterdrein und erging sich in zornigen Betrachtungen über widerwärtige Exzesse und den Lohn der Sünde. Der alte Thomas und die Sänftenträger beförderten mich, wie sich es gehörte, geradenwegs ins Hospital. Ich wurde auf ein Bett gelegt, um nüchtern zu werden. Ich kann Ihnen sagen, das hat gar nicht lange gedauert, sobald ich erst einmal im Kopf genug klar geworden war, um mir zu überlegen, was bei der Sache herausschauen werde. Wenn Sie Hughes gelesen haben, wissen Sie, was für ein Mensch unser Arnold war, und selbst in den besten Stunden hatte er für mich nicht viel übrig gehabt. Das mindeste, worauf ich gefasst sein musste, war eine Tracht Prügel vor Beginn des Unterrichts.

Das genügte, um mir bei dem bloßen Gedanken eine höllische Angst einzujagen. Eigentlich aber fürchtete ich mich vor Arnold selbst.

Man ließ mich etwa zwei Stunden im Hospital liegen. Dann erschien der alte Thomas, um mir mitzuteilen, der Doktor wünsche mit mir zu sprechen. Ich folgte ihm die Treppe hinunter und ins Schulhaus hinüber. Die kleinen Kalfaktoren guckten um die Ecken und flüsterten einander zu, jetzt habe es Flashman, den Rohling erwischt, und der alte Thomas klopfte an des Doktors Tür, und die Stimme, die „Herein!“ rief, klang mir wie der Donner des Jüngsten Gerichts.

Er stand vor dem Kamin, die Hände unter den hoch geschürzten Rockschößen, mit der Miene eines Türken bei einer Christentaufe. Er hatte Augen wie Säbelspitzen, sein Gesicht war bleich und trug jenen angewiderten Ausdruck, den er für derartige Anlässe bereit hielt. Obwohl ich noch immer ein bisschen unter dem Einfluss des Alkohols stand, fürchtete ich mich in diesem Augenblick wie nie in meinem späteren Leben – und wenn man wie ich bei Balaklawa gegen eine russische Batterie angeritten ist und fest gekettet in einem afghanischen Kerker auf die Folterknechte gewartet hat, dann weiß man, was Furcht ist. Noch heute ist mir unbehaglich zumute, wenn ich an ihn denke, dabei ist er seit sechzig Jahren tot.

Damals aber war er quicklebendig. Eine Weile schwieg er, um mich ein wenig schmoren zu lassen. Dann sagte er:

„Flashman, im Leben eines Schulmannes gibt es viele Augenblicke, da er eine Entscheidung treffen muss und sich nachher fragt, ob er richtig oder falsch gehandelt habe. Ich habe eine Entscheidung getroffen, und ausnahmsweise einmal bezweifle ich nicht, dass sie richtig ist. Ich beobachte dich jetzt schon seit mehreren Jahren mit zunehmender Besorgnis. Du hast auf deine Umgebung einen schlechten Einfluss ausgeübt. Dass du ein Kameradenschinder bist, weiß ich. Dass du verlogen bist, habe ich seit langem vermutet. Dass du heimtückisch und gemein bist, habe ich befürchtet. Aber dass du so tief sinken würdest, ein Trunkenbold zu werden – dies zumindest habe ich mir nicht vorgestellt. Ich habe in der Vergangenheit nach Symptomen der Besserung Ausschau gehalten, nach einem Funken der Gnade, nach einem Hoffnungsschimmer, der mir sagen würde, dass meine Tätigkeit auch in deinem Fall nicht nutzlos gewesen sei. Ich habe umsonst gewartet, und jetzt ist das Maß der Schändlichkeit voll. Hast du etwas zu sagen?“

Inzwischen hatte ich zu flennen begonnen. Ich murmelte vor mich hin, dass ich es bereue.

„Wenn ich auch nur einen Augenblick lang“, sagte er, „glauben würde, dass du es bereuest, dass du fähig seiest, echte Reue zu empfinden, würde ich vielleicht vor dem Schritt zurückscheuen, den zu tun ich im Begriff bin. Aber ich kenne dich zu gut, Flashman. Morgen musst du Rugby verlassen.“

Hätte ich meine fünf Sinne beisammen gehabt, dann würde ich mir vielleicht überlegt haben, dass das ja gar keine schlimme Neuigkeit sei. Arnolds Donnerwetter hatte mich jedoch aus der Fassung gebracht.

„Aber – aber, Sir“, schluchzte ich, „das wird meiner Mutter das Herz brechen!“

Er wurde leichenblass, und ich wich zurück. Ich dachte, er würde mich ohrfeigen.

„Lästerlicher Wicht!“ rief er aus (mit solchen Phrasen wusste er wie der gerissenste Kanzelredner umzugehen) „deine Mutter ist seit vielen Jahren tot. Wagst du es, ihren Namen – einen Namen, der dir heilig sein sollte – zu missbrauchen, um deine Schandtaten zu verteidigen? Jetzt hast du jeden Rest von Mitgefühl getötet, der mir noch geblieben war.“

„Mein Vater –“

„Dein Vater“, sagte er, „wird wissen, wie er mit dir zu verfahren hat. Ich glaube kaum“, fügte er mit einem scharfen Blick hinzu, „dass es ihm das Herz brechen wird.“ Sehen Sie, er wusste etliches über meinen Herrn Vater und hielt uns wahrscheinlich für ein schönes Paar.

Eine Weile stand er da und trommelte mit den Fingern. Dann sagte er in verändertem Ton:

„Du bist ein trauriger Fall, Flashman. Ich konnte dir nicht helfen. Aber sogar dir muss ich sagen, dass das noch nicht das Ende ist. Hier kannst du nicht bleiben, doch du bist jung, Flashman, und noch hast du Zeit. Mögen auch deine Sünden rot sein wie Scharlach, so werden sie dennoch weiß sein wie Schnee. Du bist sehr tief gesunken, aber du kannst dich wieder erheben ...“ Ich habe kein gutes Gedächtnis für Predigten. Eine Weile fuhr er in dieser Tonart fort, der fromme, alte Heuchler. Meiner Meinung nach war er ein Heuchler, wie die meisten seiner Altersgenossen. Oder er war dümmer, als er aussah, weil sein Mitleid an mir völlig vergeudet war. Das merkte er aber nicht.

Jedenfalls hielt er mir eine schöne, gottselige Predigt, wie doch allemal ehrliche Reue mich retten könne. Übrigens glaubte ich ihm kein Wort. Ich habe in meinem Leben so manches bereut und allen Grund dazu gehabt, war aber nie ein so kompletter Esel, dass ich mir einbildete, damit wäre mir geholfen. Doch habe ich gelernt, wenn es sein muss, mit dem Strom zu schwimmen, deshalb ließ ich ihn salbadern, und als er fertig war verdrückte ich mich bedeutend fröhlicher, als ich gekommen war. Die Prügel waren mir erspart geblieben – das war die Hauptsache. Rugby verlassen zu müssen, war mir schnurzegal. Ich hatte mich dort nie sehr wohl gefühlt, und dass es angeblich eine Schande sei, davon gejagt zu werden, kam mir nicht einmal in den Sinn. (Vor ein paar Jahren haben sie mich geholt und mich gebeten, Preise zu verteilen. Da war von meiner Vertreibung aus dem Paradies mit keinem Wort die Rede, woraus zu ersehen ist, dass sie heutzutage genauso arge Heuchler sind wie anno dazumal zu Arnolds Lebzeiten. Ich hielt außerdem eine Rede – und was das Schönste ist, über den Mannesmut.)

Am darauf folgenden Morgen machte ich mich im Gig1 auf den Weg, die Kleiderkiste auf dem Wagendach. Ich nehme an, dass sie verdammt froh waren, mich verschwinden zu sehen. Die armen Kalfaktoren haben sich ganz bestimmt gefreut; ich hatte sie zu meiner Zeit recht ordentlich vermöbelt. Und wer stand am Tor (um, wie ich zuerst meinte, sich an meinem Missgeschick zu weiden, aber, wie sich herausstellte, in anderer Absicht), wenn nicht der tapfere Scud East! Er streckte mir sogar die Hand hin.

„Es tut mir leid, Flashman“, sagte er.

Ich fragte ihn, was ihm denn leid tue, und der Teufel hole seine Unverschämtheit.

„Dass man dich relegiert hat“, erwiderte er.

„Du lügst“, sagte ich. „Und auch deinen Kummer soll der Teufel holen.“

Er sah mich an, machte kehrt und ging weg. Heute aber weiß ich, dass ich ihn falsch beurteilt hatte; ich tat ihm wirklich leid – der Himmel mag wissen, warum. Er hatte keinen Grund, mich zu lieben. Ich an seiner Stelle hätte meine Mütze in die Luft geworfen und Hurra geschrien. Aber er war pflaumenweich: Natürlich zählte er zu Arnolds kernigen Dummköpfen, den mannhaften Bürschchen, den Tugendbolden, wie die Schulmeister sie inniglich lieben. Ja, er war damals ein Dummkopf und war es zwanzig Jahre später, als er zu Cawnpore im Staube starb, mit dem Bajonett eines Sepoy im Rücken. Redlicher Scud East: Mehr hat ihm seine kühne Bravheit nicht eingebracht.

*** Anmerkungen zum Kapitel 1 ***

1 Einachsiger offener Wagen, gezogen von einem Pferd

Kapitel 2

Auf dem Heimweg hielt ich mich nicht lange auf. Ich wusste, mein Vater sei in London, und wollte das peinliche Geschäft, ihm mitzuteilen, man habe mich aus Rugby hinausgeworfen, möglichst schnell hinter mich bringen. Deshalb beschloss ich, in die Stadt zu reiten und mein Gepäck nachkommen zu lassen, mietete demgemäß im „George“ ein Pferd. Ich bin einer, der früher reiten als gehen gelernt hat – ja, in der Tat, im Sattel zu Hause zu sein und die Fähigkeit, fremde Sprachen aufzuschnappen, waren die einzigen Gaben, von denen man sagen konnte, sie seien mir angeboren gewesen – und sie haben mir denn auch recht großen Nutzen gebracht.

Also ritt ich stadtwärts und überlegte mir, wie mein Vater die frohe Botschaft aufnehmen werde. Er war ein wunderlicher Kauz, der Herr Papa, und er und ich, wir hatten einander schon immer mit scheelen Augen betrachtet. Er war der Enkel eines Nabobs. Der alte Jack Flashman hatte sich in Amerika als Sklaven- und Rumhändler und wohl auch, es sollte mich nicht wundern, als Seeräuber ein Vermögen gemacht und das Anwesen in Leicestershire gekauft, in dem seine Nachkommen seither ansässig waren. Aber trotz all ihrer Geldsäcke waren die Flashmans nie comme il faut – „von einer Generation zur anderen machte sich die rohe Strähne bemerkbar wie der Dung unterm Rosenstrauch“, sagt Greville. Mit anderen Worten: Während so manche Nabobfamilie wenigstens versucht hat, sich vornehm zu geben, hat es die unsere gar nicht erst versucht, weil wir es nicht geschafft hätten. Mein Vater war der erste, der eine gute Partie machte, denn meine Mutter war mit den Pagets verwandt, die, wie jedermann weiß, zur Rechten Gottes thronen. Demzufolge hatte er ein wachsames Auge auf mich, um zu sehen, ob ich mich nobel gebärdete. Bevor meine Mutter starb, bekam ich ihn selten zu sehen – er war viel zu beschäftigt, in seinen Klubs, im Unterhaus oder auf der Jagd (zuweilen nach Füchsen, doch meistens nach Schürzen); nach ihrem Tode aber musste er sich notgedrungen auch um den Erben kümmern. Wir lernten einander kennen, und das Misstrauen war gegenseitig.

Ich glaube, auf seine Art war er ein recht netter Kerl, ziemlich derb und verteufelt jähzornig, aber in seinen Kreisen nicht unbeliebt – bei den Krautjunkern, die genug Geld haben, um im West End akzeptabel zu sein. Er erfreute sich einer gewissen Berühmtheit, weil er in seiner Jugend etliche Runden gegen den Boxer Cribb durchgestanden hatte, obwohl ich der Meinung bin, Champion Tom habe ihn schonend angefasst, von wegen der Pinkepinke. Er lebte teils in der Stadt, teils auf dem Lande und führte einen aufwändigen Haushalt, hatte aber nichts mehr mit der Politik zu tun. Nach der Wahlrechtsreform war er auf dem Abstellplatz gelandet. Doch war er nach wie vor vollauf beschäftigt mit Schnaps und Spiel und der Jagd – auf beiderlei Freiwild.

Mir war recht unbehaglich zumute, als ich die Stufen hinauf rannte und gegen die Haustür hämmerte. Sowie Oswald, der Butler, mich sah, erhob er ein lautes Geschrei, weil das Semester sich noch längst nicht dem Ende näherte; dadurch wurde auch die übrige Dienerschaft herbeigelockt: zweifellos witterte sie einen Skandal.

„Ist mein Vater zu Hause?“ fragte ich, reichte Oswald meinen Mantel und zog das Halstuch zurecht.

„Ihr Herr Vater, ja, freilich, Mr. Harry“, sagte Oswald mit einem breiten Lächeln. „Momentan befindet er sich im Salon.“ Er riss die Tür auf und rief: „Mr. Harry ist da, Sir!“

Mein Vater hatte sich auf einer Polsterbank gerekelt. Bei meinem Anblick sprang er auf. Er hielt ein Glas in der Hand, und sein Gesicht war gerötet; da jedoch beides üblich war, ließ sich schwer sagen, ob er betrunken war oder nicht. Er sah mich an. Dann begrüßte er den verlorenen Sohn mit den Worten:

„Was zum Teufel hast du hier zu suchen?“

Zu anderen Zeiten würde dieser Empfang mich verblüfft haben – nicht aber jetzt. Es befand sich eine Frau im Raum. Sie zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie war eine große, schöne, kesse Person mit hoch getürmtem Haar und einem herausfordernden Blick. „Das ist die Neue“, dachte ich mir. Man gewöhnte sich an die Prozession seiner Madamchen. Sie lösten einander so häufig ab wie die Schildwachen vor dem St. James Palast.

Sie musterte mich mit einem trägen, halb belustigten Lächeln, das mir einen gelinden Schauder durch die Adern jagte, während ich mir gleichzeitig auf peinlichste Weise des Pennälerschnitts meiner Kleidung bewusst wurde. Aber es steifte mir auch im Nu das Rückgrat, so dass ich meines Vaters Frage prompt beantwortete.

„Ich bin geschasst worden“, sagte ich so kühl wie nur möglich.

„Geschasst? Meinst du, hinaus gefeuert? Weshalb denn, zum Donnerwetter, Sir?“

„Wegen Trunkenheit – hauptsächlich.“

„Hauptsächlich? Du lieber Gott!“ Er verfärbte sich purpurrot. Sein Blick kehrte von der Frau zu mir zurück, als suchte er Rat und Belehrung. Sie schien es amüsant zu finden, aber als ich sah, dass der alte Herr Gefahr lief zu platzen, beeilte ich mich zu erklären, was geschehen war. Ich sagte so ziemlich die Wahrheit, mit einer Ausnahme: Das Gespräch mit Arnold rückte ich in ein für mich bedeutend günstigeres Licht; wer mich hörte, musste annehmen, ich hätte ihm mit gleicher Münze heimgezahlt. Da ich gemerkt hatte, dass das Frauenzimmer mich beäugte, legte ich mich ordentlich ins Zeug, und das war vielleicht riskant, in Anbetracht der Laune, in der mein Herr Papa sich befand. Zu meiner Überraschung aber nahm er es recht gnädig hin. Natürlich hatte er Arnold nie ausstehen können.

„Gottverdammich!“ sagte er, als ich fertig war, und füllte sein Glas. Er lächelte zwar nicht, aber seine Stirn hatte sich geglättet. „Verflixter Lümmel! Das ist mir eine schöne Suppe, die du dir eingebrockt hast. Mit Schimpf und Schande davon gejagt, du lieber Himmel! Hat er dich verdroschen? Nein? Ich hätte dich windelweich geschlagen – und vielleicht werde ich's nachholen, gottverdammich.“ Aber jetzt lächelte er, wenn auch ein wenig säuerlich. „Was sagst du dazu, Judy?“ fragte er die Frau.

„Ich nehme an, dass der junge Mann mit dir verwandt ist“, erwiderte sie und zeigte mit ihrem Fächer auf mich. Sie hatte eine tiefe heisere Stimme. Wieder lief mir ein Schauder durchs Gebein.

„Verwandt? Wie, bitte? Gottverdammich, er ist mein leiblicher Sohn, Mädchen! Harry – das ist Judy – äh – Miss Parsons.“

Jetzt lächelte sie mir zu, noch immer mit jener halb belustigten Miene. Ich bildete mir nicht wenig ein – man vergesse nicht, dass ich siebzehn war –, und während mein Vater sein Glas füllte und Arnold als einen puritanischen Pfaffen verwünschte, musterte ich ihre leiblichen Reize. Sie war von sogenanntem junonischem Format, breitschultrig und vollbusig (das war damals weniger üblich als heutzutage), und mir schien, dass ihr der Anblick Harry Flashmans gar nicht so übel behagte.

„Also“, sagte mein Vater schließlich, nachdem er gegen die Torheit gewettert hatte, Englands stolze Internate Muckern und Schulfuchsern zu unterstellen, „also, was soll mit dir geschehen, äh? Was gedenkst du zu tun, Sir? Jetzt wo du dein Elternhaus durch deine Niedertracht entehrt hast, äh?“

Das hatte ich mir auf dem Heimweg reiflich überlegt. Ich erklärte rundheraus, dass mir der Sinn nach dem Militär stehe.

„Militär?“ brummte er. „Du meinst wohl, ich soll dir ein Fähnrichspatent kaufen, damit du wie ein Fürst leben und mich mit den Rechnungen im Gardeklub ruinieren kannst!“

„Ich möchte nicht zur Garde“, entgegnete ich. „Mir schweben die leichten Dragoner Nummer elf vor.“

Da riss er die Augen auf. „Du hast dir schon ein Regiment ausgesucht? Donnerwetter, ist der Kerl unverfroren!“

Ich wusste, dass das 11te Regiment nach langjährigem Indiendienst in Canterbury stand und aus diesem Grund wohl kaum ins Ausland verlegt werden würde. Ich hatte meine eigenen Vorstellungen vom Soldatenhandwerk. Aber dem alten Herrn ging es zu schnell voran. Er äußerte sich des langen und breiten über den hohen Preis des Patents und die Unkosten des Militärlebens, kam allmählich wieder auf meine Relegierung und meinen Charakter im allgemeinen zu sprechen und kehrte dann zur Armee zurück. Ich sah deutlich, dass der Portwein ihn zänkisch machte, deshalb hielt ich es für ratsam, ihm nicht allzu heftig zuzusetzen. „Dragoner, gottverdammich. Weißt du, was ein Kornettspatent kostet? Dummes Zeug! So etwas habe ich in meinem Leben nicht gehört. Eine Unverschämtheit, äh, Judy?“

Miss Judy meinte, als flotter Dragoner würde ich vielleicht eine sehr gute Figur machen.

„Wie?“ sagte mein Vater und warf ihr einen wunderlichen Blick zu. „Hm, na ja, vielleicht, schon möglich. Abwarten ...“ Er betrachtete mich verdrossen. „Inzwischen kannst du zu Bett gehen. Wir werden uns morgen darüber unterhalten. Momentan stehst du bei mir noch in Ungnade.“ Aber als ich wegging, hörte ich ihn wieder auf Arnold schimpfen, also legte ich mich recht vergnügt und obendrein erleichtert schlafen. Freilich war er ein wunderlicher Kauz; man wusste nie, wie er reagieren würde.

Am nächsten Morgen aber, als ich meinen Vater am Frühstückstisch traf, war von der Armee keine Rede. Er war allzu sehr damit beschäftigt, über Brougham herzuziehen – der, wie ich seinen Tiraden entnahm, im Unterhaus die Königin heftig angegriffen hatte1 – und sich an irgendeiner Skandalgeschichte in der „Post“ zu ergötzen, die von Lady Flora Hastings2 handelte. Er schenkte mir keinerlei Beachtung und machte sich sehr bald auf den Weg in seinen Klub. Ich war es auf jeden Fall zufrieden, die Angelegenheit im Augenblick ruhen zu lassen. Ich bin seit jeher dafür gewesen, mir eins nach dem anderen vorzunehmen, und was mir jetzt im Kopf herumging, war der Gedanke an Miss Judy Parsons.

Es sei mir gestattet, hier zu betonen, dass es zwar in meinem Leben Frauen zu Hunderten gegeben hat, dass ich aber nie zu den Leuten zählte, die sich immer wieder ihrer Eroberungen rühmen. Ich habe zweifellos wüster herum gehurt als die meisten, und es gibt wahrscheinlich eine recht stattliche Anzahl von Männlein und Weiblein mittleren Alters, die, wenn sie es bloß wüssten, auf den Namen Flashman Anspruch erheben dürften. Dies nur nebenbei. Sofern man nicht zu der Sorte gehört, die sich verliebt – was bei mir nie der Fall war –, nimmt man jede Gelegenheit wahr, um ein Weib auf den Rücken zu legen – je öfter, desto besser. Der Fall Judy aber steht in engstem Zusammenhang mit meiner Geschichte.

Ich war nicht unerfahren im Umgang mit Frauen; zu Hause waren es Mägde gewesen und ein paar Bauernmädchen, aber Judy war eine Dame von Welt, und an so etwas hatte ich mich bis dahin noch nicht herangewagt. Nicht etwa, dass ich mir in dieser Beziehung unnütze Sorgen gemacht hätte: ich gefiel mir (mit Recht) ganz gut. Ich war für sie alle stattlich und hübsch genug; aber als die Geliebte meines Vaters würde sie es vielleicht für allzu riskant halten, mit dem Sohn zu poussieren.

Sie wohnte im Haus. Die junge Königin Viktoria hatte soeben erst den Thron bestiegen und die Leute benahmen sich noch immer wie zuvor unter dem Prinzregenten und König Billy, anders als später, als die Mätressen sich nicht mehr blicken lassen durften. Gegen Mittag ging ich zu ihr hinauf, um die Stimmung zu erkunden. Sie lag noch im Bett und las Zeitung. Sie freute sich über mein Kommen, wir plauderten, und die Art, wie sie mich ansah und lachte und mich mit ihrer Hand tändeln ließ, verriet mir unzweideutig, dass es nur noch eine Frage des richtigen Zeitpunkts war. Ein Zöfchen machte sich im Zimmer zu schaffen, sonst hätte ich auf der Stelle meine Attacke geritten.

Anscheinend aber würde mein Vater abends bis in die späte Nacht hinein in seinem Klub am Kartentisch sitzen, wie er das oft zu tun pflegte. Also versprach ich, abends wiederzukommen und mit ihr Écarté zu spielen. Beide wussten wir, dass wir ein anderes Spiel treiben würden. Und siehe da, als ich wiederkam, saß sie vor dem Spiegel und machte sich schön. Sie hatte ein Nachtgewand an, das mir für ein kleines Taschentuch gereicht hätte. Ich trat flugs von hinten an sie heran, nahm ihre großen Brüste in meine Hände, erstickte ihren leisen Schreckensruf mit meinen Lippen und stieß sie zum Bett hin. Sie war genauso gierig wie ich und wir wälzten uns in bestem Stil umher, zuerst ich oben, dann sie. Da erinnere ich mich an etwas, was mir im Gedächtnis haften geblieben ist, wie das zuweilen passiert: Als es vorbei war, als sie rittlings auf mir saß, nackt und prächtig, und den Kopf nach hinten warf, um die Augen vom Haar zu befreien – lachte sie plötzlich laut und hell, so, wie man einen guten Witz belacht. Damals glaubte ich, sie lache vor Freude und hielt mich für einen wahren Teufelskerl. Heute aber bin ich sicher, dass sie über mich gelacht hatte. Vergessen Sie nicht, dass ich siebzehn Jahre alt war. Zweifellos fand sie es amüsant, mit anzusehen, wie sehr ich mit mir zufrieden war.

Nachher spielten wir der Form halber Karten, sie gewann, und dann musste ich davonschleichen, weil mein Vater zeitig nach Hause kam. Am nächsten Tag machte ich mich wieder an sie heran; diesmal aber versetzte sie mir zu meinem Erstaunen einen Klaps auf die Hände und sagte: „Nein, nein, mein Junge. Einmal zum Spaß, doch nicht zweimal. Ich muss an meine Stellung in diesem Haus denken.“ Damit meinte sie wohl meinen Vater und die Gefahr, dass die Dienstboten klatschten.

Ich ärgerte mich und wurde böse, aber wieder lachte sie mich aus. Ich geriet in Rage. Ich wollte sie mit der Drohung erpressen, meinem Vater zu stecken, was sich in der vergangenen Nacht abgespielt hatte. Sie kräuselte nur verächtlich die Lippen.

„Das würdest du nicht wagen“, sagte sie. „Und wenn, würde ich drauf pfeifen.“

„Ach nein?“ sagte ich. „Wenn er dich raus schmeißt, du Schlampe?“

„Schau mal an, was für ein braves Männlein!“ höhnte sie. „Ich habe dich falsch beurteilt. Auf den ersten Blick dachte ich, du wärst eben auch nur ein brutaler Polterer wie dein Vater, aber jetzt zeigt sich, dass du ein ganz schöner Hundsfott bist. Lass dir's gesagt sein, im Vergleich zu ihm bist du bloß eine halbe Portion – im Bett oder außerhalb.“

„Dir hat's gereicht, du Miststück“, erwiderte ich.

„Einmal“, sagte sie und beehrte mich mit einem spöttischen Knicks. „Das eine Mal hat mir gereicht. Mach jetzt, dass du wegkommst, und halte dich in Zukunft an die Dienstmädchen.“

Wutschäumend knallte ich die Tür hinter mir zu. Den nächsten Tag verbrachte ich damit, im Park auf und ab zu spazieren und mir auszumalen, was ich ihr antun würde, wenn ich je eine Chance hätte. Nach einer Weile legte sich mein Zorn. Ich verstaute den Gedanken an Miss Judy Parsons in einem Winkel meines Gehirns und sagte mir, bei Gelegenheit würde ich es ihr heimzahlen.

Seltsamerweise wirkte sich die Angelegenheit zu meinen Gunsten aus. Ob meinem Vater etwas zu Ohren gekommen war, oder ob er es nur gewittert hatte, weiß ich nicht; ich vermute jedoch das Letztere. Er war schlau und besaß so wie ich die Gabe zu spüren, woher der Wind weht. Wie dem auch sei, seine Haltung mir gegenüber wandelte sich unvermittelt. Statt auf meiner Relegation herumzureiten und mich von oben herab zu behandeln, schien er plötzlich mit mir zu schmollen. Ich ertappte ihn dabei, wie er mich sonderbar von der Seite ansah und dann hastig den Blick abwandte, als hätte ich ihn in Verlegenheit gebracht.

Jedenfalls verkündete er knappe vier Tage nach meiner Heimkehr mit einem Male, er habe es sich überlegt und beschlossen, mir ein Fähnrichspatent zu kaufen. Ich hätte meinen Onkel Bindley, den Vater meiner Mutter, in der Gardekavallerie-Brigade aufzusuchen, er würde die Sache ordnen. Offensichtlich wollte mein Vater mich loswerden, und zwar möglichst schnell, deshalb legte ich ihn auf der Stelle fest, um das Eisen zu schmieden, solange es heiß war: Na, und der Monatswechsel? Ich verlangte 500 Pfund jährlich als Ergänzung meines Soldes. Zu meiner Verwunderung war er damit ohne weitere Debatte einverstanden. Ich verwünschte mich, dass ich nicht 750 Pfund verlangt hatte, aber 500 Pfund waren doppelt soviel, wie ich erwartet hatte, also war ich recht zufrieden und machte mich gutgelaunt auf den Weg zur Gardekavallerie.

So manches ist über den Handel mit Offizierspatenten gesagt worden – wie die Reichen und die Nichtskönner sich mit ihrem Geld den Vorrang vor tüchtigeren Männern erkaufen, wie die Armen und die Fähigen übergangen werden –, und das meiste davon ist meiner Erfahrung nach Mumpitz. Auch wenn man den Kauf von Offiziersstellen abschaffte, würden die Reichen rascher avancieren als die Armen, und in der Regel sind sie ohnedies beide untüchtig. Ohne eigenes Verschulden habe ich den Militärdienst zehnmal besser kennengelernt als jeder andere, und ich muss sagen, dass die meisten Offiziere nichts taugen. Je höher man kommt, desto schlimmer sieht es aus, mich selber mit inbegriffen. Zum Beispiel hieß es, im Krimkrieg, als der Handel mit Patenten seinen Höhepunkt erreicht hatte, hätten wir aufs schändlichste versagt, aber die blutige Schweinerei, die sie vor kurzem in Südafrika angerichtet haben, scheint ebenso arg gewesen zu sein – und da hatten die Herren keineswegs ihre Stellen gekauft.

Damals aber beschränkte sich mein Ehrgeiz darauf, ein schlichter Kornett zu werden und einem Eliteverband anzugehören. Das war einer der Gründe, warum ich mir das 11te Dragonerregiment ausgesucht hatte. Auch, weil sein Standort nicht weit von London entfernt war. Onkel Bindley gegenüber ließ ich davon nichts verlauten, zeigte mich vielmehr sehr eifrig, als brannte ich darauf, mir im Kampf gegen die Marathen oder die Sikhs meine ersten Sporen zu verdienen. Schnüffelnd schielte er an seiner Nase entlang, die sehr lang und schmal war, und sagte, mir hätte er niemals soldatischen Ehrgeiz zugetraut.

„Aber heutzutage scheint ja weiter nichts vonnöten zu sein als ein fesches Bein in Pantalons und der Hang zu Narreteien“, fuhr er fort. „Und reiten kannst du, soviel ich weiß.“

„Alles, was Beine hat, Onkel“, erwiderte ich.

„Übrigens spielt das keine sonderliche Rolle. Was mich bekümmert, ist, dass du, wie verlautet, den Alkohol nicht gut verträgst. Du wirst zugeben, aus einem Wirtshaus in Rugby – torkelnd, glaube ich – hinausgeschleppt zu werden, ist keine Empfehlung für eine Offiziersmesse.“

Ich beeilte mich, ihm zu versichern, dass der Bericht übertrieben sei.

„Das bezweifle ich“, sagte er. „Es kommt nur drauf an, ob du in deiner Besoffenheit still und friedlich warst oder ob du randaliert hast. Ein lärmender Säufer ist unerträglich – einem stillen kann man es zur Not hingehen lassen. Zumindest, wenn er Geld hat. Mir scheint, Geld entschuldigt heutzutage in der Armee so gut wie jedes Benehmen.“

Das war einer seiner Lieblingssarkasmen; ich muss betonen, dass die Familie meiner Mutter zwar vornehm, aber nicht sehr begütert war. Ich aber ließ mir das alles sanft wie ein Lämmlein gefallen.

„Jawohl“, fuhr er fort. „Ich bezweifle nicht im geringsten, dass du es mit deinem Monatswechsel schaffen wirst, dich in kürzester Zeit entweder umzubringen oder zugrunde zu richten. Dabei wirst du nicht schlimmer, wenn auch nicht besser sein als die Hälfte aller Subalternoffiziere im Dienst Ihrer Majestät. Aber halt! Es handelt sich um die leichten Dragoner Nummer elf, oder wie?“

„Ach, ja, Onkel.“

„Und du bist auf dieses Regiment erpicht?“

„Ja, freilich“, sagte ich, ein wenig verwundert.

„Dann wirst du vielleicht deinen Spaß haben, bevor du den Weg allen Fleisches gehst“, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln. „Hast du zufällig schon einmal vom Earl of Cardigan gehört?“

Ich musste nein sagen, woraus hervorgeht, wie wenig ich von militärischen Dingen Notiz genommen hatte. „Sonderbar. Wie du weißt, befehligt er das 11te Regiment. Den Titel hat er erst vor ungefähr einem Jahr geerbt, als er mit seinen Dragonern in Indien stand. Ein bemerkenswerter Mann. Soviel ich gehört habe, macht er kein Hehl aus seiner Absicht, die Elfer in das beste Kavallerieregiment der britischen Armee zu verwandeln.“

„Er scheint der richtige Mann für mich zu sein“, sagte ich mit Feuereifer.

„Aha, so, so! Nun ja, da dürfen wir ihm die Dienste eines so begeisterten Subalternoffiziers nicht vorenthalten, nicht wahr? Wir müssen die Angelegenheit deines Patents unverzüglich in die Wege leiten. Ich finde deine Wahl lobenswert, mein Junge. Ich bin überzeugt, du wirst den Dienst unter Lord Cardigan – äh – sowohl stimulierend als auch interessant finden. Ja, wenn ich es recht bedenke, wird die Kombination Seiner Lordschaft und deiner Wenigkeit für euch beide von Nutzen sein.“

Ich war zu sehr darauf aus, dem alten Esel um den Bart zu gehen, um zu beachten, was er sagte, sonst hätte ich begreifen müssen, dass alles, was ihm behagte, sehr wahrscheinlich für mich vom Übel sein würde. Er rühmte sich, meiner Familie, die er für bäurisch hielt, weit überlegen zu sein, und hatte meiner Person gegenüber nie viel anderes als Widerwillen an den Tag gelegt. Mir zu meinem Patent zu verhelfen, war natürlich etwas anderes; das war er einem Blutsverwandten schuldig; aber er entledigte sich seiner Pflicht ohne jede Begeisterung. Trotzdem musste ich stinkhöflich sein und Respekt heucheln.

Es zahlte sich aus, denn ich bekam mein Patent mit erstaunlicher Schnelligkeit. Ich schob es zur Gänze auf den Einfluss meines Onkels, weil ich damals nicht wissen sollte, dass im Lauf der letzten paar Monate Offiziere in stetem Strom aus dem Regiment ausgeschieden waren, ihr Patent verkauft hatten, sich hatten versetzen und abkommandieren lassen – und das alles wegen Lord Cardigan, von dem mein Onkel gesprochen hatte. Wenn ich ein wenig älter gewesen wäre und mich in den richtigen Kreisen bewegt hätte, dann hätte ich im Bilde sein müssen, aber in den paar Wochen, während ich auf mein Patent wartete, schickte mein Vater mich nach Leicestershire, und die wenigen Stunden, die mir in London vergönnt waren, verbrachte ich entweder allein oder in Gesellschaft der lieben Anverwandten, soweit sie mich beim Wickel kriegen konnten. Meine Mutter hatte Schwestern gehabt, und obwohl sie mich von Herzen verabscheuten, fühlten sie sich verpflichtet, sich des armen, mutterlosen Jünglings anzunehmen. Das behaupteten sie. Eigentlich aber hegten sie den peinlichen Verdacht, ich würde, mir selber überlassen, in schlechte Gesellschaft geraten, und sie hatten recht.

Ich sollte aber sehr bald erfahren, was mit Lord Cardigan los war.

In den letzten paar Tagen, als es galt, meine Uniformen zu kaufen, das gewaltige Drum und Dran herbeizuschaffen, das ein Offizier damals benötigte – weit mehr als heute –, zwei Pferde auszusuchen und die Überweisung meines Wechsels zu arrangieren, blieb mir dennoch Zeit übrig und meine Gedanken weilten bei der schönen Miss Judy. Es zeigte sich, dass die mit ihr verbrachte Schäferstunde mir erst recht Appetit gemacht hatte; ich versuchte ihn mit einer Bauerndirne in Leicestershire und mit einer jungen Hure in Covent Garden zu stillen, aber die eine roch übel und die andere bestahl mich hinterher, und es war ohnedies weder die eine noch die andere ein Ersatz für Judy. Ich lechzte nach Judy, während ich zur gleichen Zeit wütend auf sie war; aber seit unserem Streit wich sie mir aus, und wenn wir einander im Hause meines Vaters begegneten, ignorierte sie mich ganz einfach.

Zuletzt wurde es mir zu viel, und am Vorabend meiner Abreise ging ich wieder zu ihr hinauf (nachdem ich mich vergewissert hatte, dass der Alte unterwegs war). Sie las und sah verteufelt begehrenswert aus in einem mattgrünen Negligee. Ich war leicht angetrunken. Der Anblick ihrer weißen Schultern und roten Lippen jagte mir den alten Kitzel durch die Adern.

„Was willst du von mir?“ sagte sie eiskalt, aber darauf war ich gefasst. Ich hatte mir meine Tirade zurechtgelegt.

„Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen“, erwiderte ich mit Armesündermiene. „Morgen verlasse ich das Haus. Vorher möchte ich um Verzeihung bitten für meine rüden Worte. Ich bereue sie, Judy, ich bereue sie ehrlich. Ich habe mich wie ein Lump und – und wie ein Lümmel benommen, und, also – ich möchte es, soweit ich kann, wieder gutmachen. Das ist alles.“

Sie legte ihr Buch weg und drehte sich auf ihrem Hocker zu mir um, sah noch immer recht abweisend drein, sagte aber keinen Ton. Ich trat wie ein Schuljunge von einem Fuß auf den anderen – in dem Spiegel hinter ihr konnte ich das Schauspiel verfolgen – und betonte noch einmal, wie sehr ich es bereute.

„Na schön“, sagte sie schließlich. „Du bereust es. Dazu hast du allen Grund.“

Ich schwieg, ohne sie anzusehen.

„Also schön“, fuhr sie nach einer Pause fort. „Gute Nacht.“

„Bitte, Judy“, sagte ich mit bestürztem Blick. „Du machst es mir sehr schwer. Wenn ich mich wie ein Flegel aufgeführt habe –“

„Stimmt.“

„– dann nur deshalb, weil ich zornig und gekränkt war und nicht begreifen konnte, warum du – warum du mir nicht erlaubst ...“ Ich ließ den Satz verebben, und dann brach es aus mir hervor, dass ich noch nie eine Frau wie sie gekannt hätte, dass ich mich in sie verliebt hätte und nur gekommen sei, um ihre Verzeihung zu erflehen, weil mir der Gedanke unerträglich sei, von ihr verabscheut zu werden, nebst weiteren Ergüssen in der gleichen Tonart. Man wird das alles recht albern und simpel finden, aber ich hatte ja noch nicht ausgelernt. Übrigens sagte mir der Spiegel, dass ich es ziemlich gut hin bekam. Zuletzt richtete ich mich hoch auf, machte ein ernstes Gesicht und sagte feierlich:

„Deshalb musste ich dich wiedersehen – um es dir zu sagen. Und um mich zu entschuldigen.“

Ich verbeugte mich leicht und machte kehrt, bereit, stehen zu bleiben und mich umzuschauen, falls sie mich nicht zurückhielt. (Ich hatte es im voraus geprobt.) Aber sie nahm, was ich sagte, für bare Münze. Als ich meine Hand auf die Klinke legte, rief sie:

„Harry!“ Ich drehte mich um. Sie lächelte ein wenig und sah betrübt drein. Dann fing sie richtig an zu lächeln, schüttelte den Kopf, sagte:

„Nun ja, Harry, wenn du mich um Verzeihung bittest – du sollst sie haben, was auch immer sie wert sein mag. Wir wollen einen Strich darunter machen ...“

„Judy!“ Mit großen Schritten kehrte ich zu ihr zurück, lächelnd wie eine gerettete Seele. „Oh Judy – ich danke dir!“ Und ich streckte die Hand aus, freimütig und mannhaft.

Sie stand auf, nahm meine Hand, lächelte noch immer, aber es lag nicht mehr wie früher ein lüstern mutwilliges Funkeln in ihrem Auge. Würdevoll und nachsichtig behandelte sie mich wie eine Tante den ungezogenen Neffen. Der Neffe aber – hätte sie es bloß gewusst – hatte nichts als Blutschande im Sinn.

„Judy“, sagte ich und hielt ihre Hand fest, „scheiden wir als Freunde?“

„Wenn du willst.“ Sie versuchte, mir ihre Hand zu entziehen. „Leb wohl, Harry, und viel Glück.“

Ich trat näher an sie heran und küsste ihre Hand, und sie schien es mir nicht zu verübeln. Ich Esel glaubte, das Spiel sei gewonnen.

„Judy“, hob ich von neuem an, „Judy, du bist anbetungswürdig. Ich liebe dich, Judy. Wenn du es nur wüsstest – du hast alles, was ich mir von einer Frau wünsche. Oh Judy, du bist die Schönste auf Gottes Erdboden, ich liebe dich von hinten und vorn, von der Brust bis zum Bauch und Popo – oh Judy!“

Ich zog sie an mich, aber sie riss sich los und wich zurück.

„Nein“, sagte sie mit stahlharter Stimme.

„Warum denn nicht?“ rief ich aus.

„Geh!“ sagte sie bleich, und ihre Blicke waren wie Dolche. „Gute Nacht!“

„Hol's der Teufel! Ich dachte, du hättest gesagt, dass wir als Freunde scheiden. Das ist aber gar nicht freundlich.“

Finster sah sie mich an. Ihr Busen wogte – wie die Romanschriftstellerinnen sich auszudrücken pflegen –, aber wenn sie Judys Busen im Negligee hätten wogen sehen, dann würden sie sich etwas Besseres ausgedacht haben, um weibliche Bedrängnis zu beschreiben.

„Es war töricht von mir, dich auch nur eine Sekunde lang anzuhören“, sagte sie. „Verlass sofort dieses Zimmer!“

„Alles zu seiner Zeit“, erwiderte ich, und mit einem schnellen Sprung hatte ich sie um die Mitte gepackt. Sie schlug nach mir, aber ich wich aus. Zusammen fielen wir aufs Bett. Ich spürte ihr weiches Fleisch und verlor die Besinnung. Als sie wie eine gereizte Tigerin abermals zuschlagen wollte, umkrampfte ich ihr Handgelenk und presste meinen Mund auf den ihren. Da biss sie mich mit voller Kraft in die Lippe.

Mit einem Schmerzensschrei ließ ich sie los, sprang auf und drückte die Hand an den Mund. Sie, tobend und keuchend, griff nach einem Porzellanteller und wollte ihn mir an den Kopf werfen. Freilich ging es weit daneben, aber nun geriet ich vollends außer Rand und Band. Ich verlor restlos die Fassung.

„Du Luder!“ schrie ich und versetzte ihr eine kräftige Ohrfeige. Sie taumelte, ich schlug abermals zu, sie purzelte glatt übers Bett und landete auf der anderen Seite auf dem Fußboden. Ich sah mich nach einem Gegenstand um, mit dem ich mich über sie hermachen könnte, nach einem Stock, nach einer Peitsche, denn ich war außer mir und hätte sie am liebsten in Stücke gerissen. Aber es war nichts zur Hand, und als ich ums Bett lief, um an sie ran zu kommen, da war mir inzwischen eingefallen, dass das Haus von Dienstboten wimmelte und dass ich gut daran täte, meine endgültige Abrechnung mit Miss Judy auf einen anderen Zeitpunkt zu vertagen.

Wütend, fluchend blieb ich vor ihr stehen und blickte auf sie hinunter. Mit Hilfe eines Stuhls richtete sie sich auf, fasste sich ans Gesicht, war aber recht tapfer. „Feigling!“ sagte sie, mehr nicht. „Feigling!“

„Es ist nicht feige, eine unverschämte Hure zu züchtigen!“ entgegnete ich. „Hast du noch nicht genug?“

Sie weinte. Es war kein Schluchzen, aber die Tränen liefen ihr an den Wangen herab. Sie ging auf recht unsicheren Beinen zu ihrem Stuhl vor dem Spiegel, setzte sich und betrachtete ihr Spiegelbild. Wieder überhäufte ich sie mit den ausgesuchtesten Schimpfnamen, die mir nur einfallen wollten, aber sie bearbeitete ihre Wange, die rot und zerschunden war, mit einer Hasenpfote und beachtete mich nicht. Sie gab auch keinen Ton mehr von sich.

„Na, hol dich der Teufel!“ sagte ich schließlich, und damit lief ich zur Tür hinaus. Ich zitterte vor Wut. Der Schmerz in meiner heftig blutenden Lippe erinnerte mich daran, dass sie mir die Hiebe im voraus vergolten hatte. Aber ich hatte mich auf alle Fälle revanchiert. Sie würde Harry Flashman nicht so schnell vergessen!

*** Anmerkungen zum Kapitel 2 ***

1 Lord Broughams Rede im Mai 1839 geißelte die Königin „... mit schonungsloser Strenge“ (Grenville) und löste eine heftige Kontroverse aus.

2 Lady Flora Hastings, Ehrendame der Herzogin von Kent, galt als schwanger, bis eine ärztliche Untersuchung den Gegenbeweis ergab. Sie gewann die Sympathie der Bevölkerung; die junge Königin aber sank beträchtlich in der allgemeinen Achtung.