Ich will ’nen Cowboy als Mann. Das wusste ich schon als kleines Mädchen. Zum Schulfasching ging ich meistens als Cowgirl. Ich las Wildwestromane und schaute Western im Fernsehen. Bonanza, Rauchende Colts und Die Leute von der Shiloh Ranch. Das waren meine Serien. Bonanza hatte es mir am meisten angetan. Ich liebte diesen Männerladen. Vater Ben Cartwright mit seinen Söhnen Adam, Hoss und Little Joe, die gemeinsam auf der Ponderosa-Ranch lebten und es mit jedem aufnahmen, der ihnen dumm kam.
Obwohl ich noch weit von der Pubertät entfernt war, fühlte ich mich besonders zu Adam Cartwright hingezogen. Ein echter Kerl. Stark, breitschultrig, sonnengegerbte Haut. Ich war mir ganz sicher: So einen wollte ich später, wenn ich groß bin, mal heiraten.
Aber auch das ganze Drumherum liebte ich. Die Weite der Prärie, die Westernsaloons, die Lagerfeuerromantik, die Pferde. Eigenartig, dass ich nie Reiten gelernt habe. Das ist wohl meinem Elternhaus geschuldet. Mitten in Hamburg, wo ich aufwuchs, gab es keine Reiterhöfe. In meiner Freizeit sollte ich lieber für die Schule und ein Instrument lernen.
Stattdessen spielte ich mit meinen Freunden auf dem Hinterhof Cowboy und Indianer. Es machte mir eine Riesenfreude, mit meiner Plastik-Winchester die blöden Jungs zu erschießen. Aber nur, wenn sie Heulsusen waren. Die starken Jungs mochte ich. Sie wurden verschont.
Heute, Jahrzehnte später, fühle ich mich immer noch zu diesem Männerbild hingezogen. Ich mag Kerle, die wissen, was sie wollen. Dranbleiber. Die eine klare Ansage machen. Bei denen das, was sie sagen und was sie tun, nahtlos einhergeht. Nicht wie beim Gros der Männer, die hü sagen und hott meinen. Und dann trotzdem immer in der Brrrr-Stellung verharren.
Ich verabscheue auch Waschlappen. Männer, die nicht mal einen Nagel in die Wand schlagen können. Solche, die sich morgens ihre Kleidung von ihren Ehefrauen herauslegen oder sich im Restaurant von ihnen Probierhappen in den Mund schieben lassen. Und die womöglich ihre Gemahlin auch noch »Mutti« oder »Mama« nennen, wenn sie gemeinsame Kinder haben.
Richtig tollen Männern, die auch als Partner taugen, bin ich nicht oft begegnet. Meistens solchen, die in ihren Berufen aufgehen und der Karriere hinterherjagen. Die ihre Ehefrauen und Familien vernachlässigen, aber trotzdem die Zeit finden, sich Geliebte zu halten. Denen Besitz, Ansehen und Geld das Wichtigste im Leben zu sein scheint. Solche Männer sind keine richtigen Kerle. Solche Männer sind jämmerliche Egoisten.
Deshalb erfüllte ich mir einen langersehnten Herzenswunsch. Ich buchte eine Reise nach Nordamerika. Ins Land der unbegrenzten Freiheit. Zwar war ich schon oft in den Staaten, aber nie ganz privat. Ich hatte Sehnsucht nach den endlosen Weiten der Prärien.
Ich wollte herausfinden, wie frische Zypressen duften, einen Pferderücken unter meinem Hintern spüren. Erfahren, wie es ist, abends in einem klaren See zu baden, um sich die staubige Hitze des Tages von der Haut zu waschen. Und ganz nebenbei wollte ich auch noch herausfinden, ob es da drüben richtige Männer gibt. Kerle, die anpacken können. Ja, ich musste Cowboys kennenlernen.
Ich wollte unbedingt weg und meine Neugier und Sehnsucht stillen. Das war mir Monate zuvor klar geworden. Es gibt ja immer diesen einen Moment, in dem es Klick macht. Im Bruchteil einer Sekunde. Das passierte, als ich nach einem Flug am New Yorker Airport am Schalter einer Leihwagen-Vermietung stand. Ich war gerade damit beschäftigt, meinen Vertrag zu unterzeichnen.
Da klingelte das Handy in meiner Umhängetasche. Doch das konnte gar nicht sein. Denn ich hatte es nach der Langstrecke noch nicht wieder eingeschaltet. Ich war mir dennoch ganz sicher, dass ich es klingeln hörte. Ich wühlte in meiner Tasche und sah nach. Es war aus. Die erste Stufe zum Burnout. Und das kommt nicht von ungefähr.
Wenn ich nicht verreise, was meine größte Leidenschaft ist, bin ich in meinem normalen Leben Society-Reporterin. Freischaffend. Single. Kinderlos, haustierlos, pflanzenlos und im besten Alter. Seit mehr als zwanzig Jahren mache ich diesen Job. Ich liebe ihn, keine Frage. Ich drehte Beiträge für große Fernsehsender, schrieb Gesellschaftskolumnen in der BILD, der Welt, der Welt am Sonntag, der Hamburger Morgenpost und berichte über Promis für Unterhaltungsblätter wie Bunte, Closer und einige Yellows.
Mir wird nie langweilig. Der Job öffnet Tor und Türen, durch die ich sonst nie hindurchgehen könnte. Er bringt mich an die Bretter, die die Welt bedeuten. Ich lerne viele Persönlichkeiten kennen. Hollywoodstars, Musikproduzenten und Filmmogule. Spitzensportler, Kultur-Ikonen, Politiker und Wirtschaftsbosse. Aber auch Schein-VIPs in einer Glamourwelt, die völlig irreal ist.
Was viele sich aber nicht vorstellen können: Dieser Beruf ist verdammt anstrengend. Ich arbeite mindestens an sechs Tagen die Woche, komme regelmäßig zu spät ins Bett. Muss immer hellwach und aufmerksam sein und ständig neue Storys über die Schönen und Reichen für meine Auftraggeber und Abnehmer am Start haben.
Klar, es ist ein Jetset-Leben. Weshalb mir enge Freunde den Namen »Jetset-Bea« verpasst haben. Ich komme viel herum, werde zu Helikopterflügen und auf private Jachten eingeladen. Ich werde hofiert und verwöhnt. Aber ich bin immer auf dem Sprung, muss binnen kürzester Zeit eine Story druckreif recherchieren. Connections pflegen, flexibel sein und neugierig. Ich muss über rote Teppich gehen, hinter die Kulissen schauen, Partys und Premieren besuchen, an Dinners teilnehmen und mir die Nächte in High-Society-Clubs um die Ohren schlagen. Dazu muss ich auch noch trinkfest sein.
Am meisten liebe ich Schampus. Roederer Cristal und Dom Pérignon sind meine Lieblingsmarken. Im niedrigen Preissegment bevorzuge ich Moët & Chandon, Lanson und Taittinger. Am liebsten Rosé. Ich muss auch stressresistent sein, unangenehme Interview-Fragen stellen können und immer schön freundlich bleiben. Natürlich muss ich auch noch strahlend frisch und gestylt aussehen. Wie Carrie Bradshaw in Sex and the City. Na ja, so ähnlich (ich bin vollschlank). Aber das ist ja auch nur im Film.
Meine Freunde und Freundinnen finden alle ganz toll, was ich mache. Klar, sie würden auch gern Superstars treffen: Jodie Foster und Richard Gere interviewte ich in einem Luxushotel in Hamburg, Top-Model Karolína Kurková während einer Taxifahrt durch Berlin, Antonio Banderas in seinem Wohnwagen am Filmset in Toronto, Mick Jagger während einer Stones-Tournee in Mailand.
Seiner Exfrau Bianca Jagger stellte ich in der Umkleidekabine einer Edelboutique am Sunset Boulevard Fragen, während ich ihren BH zuknöpfte (kein Witz). Mickey Rourke lud mich ein, mit ihm im Pool seiner Beverly-Hills-Villa zu baden. Was ich natürlich tat, da war er ja auch noch saftig. Mit Rod Stewart klönte ich auf einer Backstage-Party nach seinem Konzert im Londoner Hyde Park.
Mit Colombo-Darsteller Peter Falk und Pamela Anderson saß ich bei einer Tierschutz-Gala in Los Angeles am Ehrentisch. Ich traf Dieter Bohlen und seine damalige Freundin Estefania bei sich zu Hause, und bei einem Pferderennen in Abu Dhabi traf ich irgendeinen milliardenschweren Scheich aus Dubai, dem eine Fluglinie und eine Fußballmannschaft gehören. In der Villa des Top-Models Tatjana Patitz bin ich über die Jahre immer wieder gern gesehener Gast, wenn ich in ihrer Gegend in Malibu und Santa Barbara bin.
Von unseren deutschen Stars wie Til Schweiger, Peter Maffay, Barbara Schöneberger und den anderen üblichen Verdächtigen ganz zu schweigen, traf ich auch die Klitschkos, Jessica Alba, Paul McCartney, Bruce Willis, Barry White, David Bowie, Donald Sutherland, George Clooney, Whoopie Goldberg, Robbie Williams sowie Eric Clapton und die Jungs von Deep Purple und Led Zeppelin (ich liebe Rock’n’Roll).
Es waren über die Jahre endlos viele. Unvergessen der Besuch bei der »Traumfrau« Bo Derek. Sie lebte damals, als ich ein Fernseh-Feature für das ZDF über sie drehte, auf ihrer Ranch im Stil einer mexikanischen Hazienda auf einem Hügel in der Pampa in Kalifornien. Mit 22 Pferden, einem Ara-Papagei und acht (!) Hunden.
Bo hatte Cowboys für die Pferde, einen Whirlpool für sich und ein eigenes Schwimmbecken für ihre Hunde. Das ganze Haus war aus Naturmaterialien gebaut. Erdfarben im Wohnbereich, Türkistöne im Bad, mit Rinderfellen bedeckte Ledersessel, Longhorn-Schädel an den Holzwänden, Lagerfeuerstellen draußen. Boah, fand ich das toll.
Damals war mein Besuch auf dem Derek-Anwesen nach einem Tag beendet. Alles im Kasten, Klappe zu. Aber so was in der Art wollte ich nun auf meiner anstehenden Reise erneut erleben. Ich wollte tolle Locations sehen, Leute treffen, die darin leben. Da ahnte ich noch nicht, dass es viel, viel besser kommen würde. Und auch nicht, dass ich zu einer neuen Erkenntnis gelangen würde: Minimalismus ist der neue Luxus.
Für einen Freischaffenden ist es viel schwieriger, wegzukommen. Mal eben so zwei Monate am Stück abdüsen? Schließlich verdient man in der Zeit nichts. Aber ich setze immer alles daran, meine Träume zu verwirklichen. Die To-do-Liste wird gnadenlos abgearbeitet. Bloß später nichts bereuen müssen. Wer möchte schon kurz vorm Himmelstor denken: Ach, hätte ich doch bloß …? Das ist Sünde.
Australien, Asien, Afrika, Europa sowieso. Ich habe schon alle Kontinente gesehen. Zu zweit und allein. Mit Freundin oder Lover. Es zieht mich immer wieder nach Amerika. Ich liebe die vielseitige Landschaft und die kontaktfreudigen und offenen Menschen. Zwar bringen sie mich manchmal zur Verzweiflung. Aber es ist okay für mich, wenn die Leute etwas oberflächlich, aber dafür freundlich daherkommen.
Bei jeder Reise, die ich mit einem Leihwagen mache, plane ich eine neue Route. So wird es nie langweilig. Langeweile ist Rückschritt. Meistens endet meine Tour in Los Angeles, weil ich dort Freunde habe, die ich besuche. Zudem kann ich gleichzeitig ein paar Hollywood-Storys für meinen Job aufreißen.
»Hast du denn gar keine Angst? So weit weg und ganz alleine?«, fragt mich meine Freundin Birgit jedes Mal. Und jedes Mal antworte ich: »Ganz ehrlich? Nein, hab ich nicht. Wenn du hier zum Supermarkt einkaufen gehst, bist du auch allein. Wenn du mit dem Auto zu einem Termin fährst, sitzt auch keiner neben dir. Ich mache nichts anderes. Nur in big.«
»Aber es ist bestimmt langweilig, so ganz allein«, guckt mich Birgit mit fragenden Augen an, als hätte sie mich erwischt.
»Das Gegenteil ist der Fall. Man lernt überall neue Leute kennen, ist viel offener«, sage ich. »Man fühlt sich richtig frei, kann aufstehen und essen, wann man möchte, muss auf niemanden Rücksicht nehmen und braucht sich für nichts zu rechtfertigen. Außerdem findest du unterwegs deinen Seelenfrieden. So eine Reise erspart garantiert den Klapsdoktor.«
Sie gibt nicht auf: »Und was ist, wenn dir etwas passiert?«
»Hallo? Ich reise doch nicht zu den Taliban«, sage ich dann. »Aber natürlich bin ich aufmerksam und nicht leichtsinnig. Genau wie hier in Deutschland auch.«
Schon bei der Planung überkommt mich Vorfreude wie vor einem ersten Date mit einem Traummann. Mit Bauchkribbeln und so. Ich überlege mir die Strecke mithilfe von Google Maps am Computer. Die beiden Klassiker an der Westküste bin ich schon gefahren: Route 66 von Los Angeles nach Chicago, und Highway 1 von San Francisco bis San Diego. Die sind empfehlenswert, aber mehr was für Einsteiger.
Als Highway-Profi will ich dieses Mal neben Sightseeing-Hotspots auch in unberührte Gebiete vorstoßen. Fernab der üblichen Touristenpfade. Im Netz lässt sich gut recherchieren, was es unterwegs zu sehen gibt. Herrlich! Vorfreude pur. Dabei grille ich in meiner Fantasie schon mit coolen Cowboys Steaks am Lagerfeuer.
Meine Wahl fiel auf eine Tour von Chicago nach Los Angeles. Aber nicht klassisch über die Route 66, die in Chicago beginnt. Darüber wollte ich nur den ersten Teil der Strecke zurücklegen und mich dann südlich halten. Dabei würde ich um die 4000 Kilometer fahren und sieben Bundesstaaten durchqueren: Illinois, Missouri, Oklahoma, Texas, New Mexico, Arizona und Kalifornien. Yes! That’s it!
Am besten mit dem Wohnwagen. Das erste Mal ganz allein in einem fahrenden Wohnzimmer. Eine Premiere. Mit einem Wohnmobil war ich zwei Jahre zuvor schon mal mit meinem Exfreund Tom zwei Wochen lang durch die Staaten unterwegs. Von New York bis Miami. Einfach toll. Nicht wegen Tom, sonst wäre er ja nicht mein Ex, aber wegen der fahrenden Wohnung mit Küche und Dusche. Man fühlt sich vollkommen unabhängig.
Ich gehöre nicht zu jenen, die alles genau durchplanen. Spontaneität ist die Würze des Lebens. Doch bei so einem großen Vorhaben lohnt sich die Recherche im Internet. Aus Gründen der Kostenminimierung. Dabei suche ich auch nach landestypischer Musik. Das kommt immer ganz gut. In diesem Fall Country. Willie Nelson, Hank Williams und ein bisschen Johnny Cash. Zum Einstimmen auf die Cowboys. Das macht Laune.
Ich buchte einen Flug mit der Icelandair (kannte ich vorher gar nicht). Von Hamburg aus musste ich zwei statt einen Zwischenstopp in Kauf nehmen. Erst Kopenhagen, dann Reykjavík in Island. Ein kleiner Umweg, aber dafür ein Viertel gespart. Zudem fand ich einen deutschen US-Reisespezialisten, der günstige Wohnmobile anbietet. Ein sogenanntes Wohnwagen-Roulette.
Man bucht zum Drittel des üblichen Preises ein Wohnmobil neu ab Werk, das man von A nach B bringt. Einziger Haken: Es gibt neun verschiedene Größen. Welches Modell man beim Abholen vor Ort bekommt, wird eine Überraschung. Es kann der kleine Wohnwagen mit fünfeinhalb Metern Länge sein, oder der größte mit über elf Metern. Gott bewahre.
Deshalb wies ich bei der Buchung extra darauf hin, dass ich allein reise und gern einen kleinen Wohnwagen hätte. »Es handelt sich ja um ein Roulette, weil wir nicht wissen, was man Ihnen zur Verfügung stellen wird«, sagte die freundliche Kundenberaterin.
»Das richtet sich ganz danach, welche Modelle das Werk gerade an den Verleiher ausliefert und welche Modelle später bei Ihrer Abgabestation geordert sind.«
»Hm, kann ich denn gar keinen Einfluss darauf nehmen?«, fragte ich.
»Doch schon«, meinte die nette Dame. »Wir versuchen gern, individuelle Wünsche zu berücksichtigen, aber ohne Garantie. Wenn Sie beim Ausfüllen des Buchungsformulars im Extrafeld Ihr Anliegen vermerken, leiten wir das an die Abholstation in Chicago weiter.«
»Aber was ist, wenn ich dort ankomme und sie mir von den neun Größen ausgerechnet das allergrößte Modell geben?«, hakte ich nach. »Dafür braucht man doch bestimmt eine LKW-Lizenz. Darf man so ein Gefährt denn mit einem Führerschein, Klasse 3, fahren?«
»Ja, schon. In Amerika ist das kein Problem. Dort können Sie mit dem normalen deutschen Führerschein fast alles kutschieren«, bekam ich zur Antwort. »Aber nun seien Sie mal zuversichtlich. So ein Fall ist noch nicht vorgekommen.«
Na, denn.
Ich buchte also das Wohnwagen-Roulette von Chicago bis Los Angeles und meinen Flug von Hamburg nach Washington. Denn ich hatte vor der Wohnwagen-Rutsche in der US-Hauptstadt etwas ungeheuer Wichtiges zu erledigen, bevor es nach Chicago ging. So ein Mädchen-Ding. Das stand nämlich auch auf meiner To-do-Liste. Und daran ist Tom schuld. Wie gesagt, mein Ex. Der hatte mir bei einem früheren Urlaub unseren Washington-Trip vermiest. Ich hatte etwas nachzuholen. Mehr dazu später.
Nun steht die große Reise an. Als freie Mitarbeiterin habe ich keine verpflichtenden Verträge. Dennoch melde ich mich bei den Redaktionen, für die ich öfter arbeite, ab.
»Waaas? Zwei Monate bist du weg?«
»Ja, du hast richtig gehört. Außerdem ist hier in Hamburg wieder Fluchtwetter, es regnet«, sage ich zu Dieter, meinem Lieblingsressortleiter bei Bunte.
»Genau deshalb bin ich ja Freie geworden, damit ich so frei sein kann, das zu tun.«
»Du hast ja recht. Wenn ich frei wäre, würde ich das wohl auch machen«, meinte er verständnisvoll. Dieter ist ein Vollblutjournalist. Einer der alten Garde. Er ist rund um die Uhr erreichbar, wenn es um eine Story geht. Sogar im Urlaub. Wenn Dieter sich privat mal für zwei Wochen nach Kalifornien ausklinkt, dann ist er gefühlt auf langer Weltreise. Ich nenne das einen Kurztrip. Selbst für Festangestellte sollten zumindest vier Wochen am Stück drin sein, in denen man Amerika locker bereisen kann. Aber dieser ganze gemachte Leistungsdruck hindert die Leute am Leben.
Es wird immer schlimmer. Hierzulande läuft etwas grundlegend falsch. Die Firmen kündigen ihren Mitarbeitern. Betriebsbedingt, wie es so schön heißt. Planstellen werden nicht neu besetzt, wenn jemand geht. Redaktionen werden zusammengelegt, damit weniger Leute nötig sind. Es herrscht ein Klima der Angst. Angst, dass andere besser sind. Angst, nicht mehr gebraucht zu werden. Angst, den Job zu verlieren.
Ich kenne viele Kollegen, die trotz Krankheit in die Redaktion schleichen, anstatt sich zu Hause auszukurieren. Junge Väter, die auf ihren Vaterschaftsurlaub verzichten, damit nicht andere die Abwesenheit nutzen und an ihren Stühlen sägen. Mütter, die nach der Geburt ihres Babys vorzeitig zur Arbeit gehen oder von zu Hause aus Geschichten in ihrer freien Zeit recherchieren.
Kollegen, die auf ihre Mittagspause verzichten und unappetitlich von ihrem Kantinenteller essen, der neben der Computertastatur steht, während sie hektisch ihre Storys reinhacken. Die immer Überstunden machen und selbst an den Wochenenden per E-Mail und Handy erreichbar sind. Wundert mich nicht, wenn die auch bald ihr Handy klingeln hören, obwohl es ausgeschaltet ist.
Das Wesentliche im Leben bleibt dabei auf der Strecke: Partner (wenn vorhanden), Freunde, Familie, Entspannung, Genuss, das Glücklichsein. Das führt zu Frust, Traurigkeit und irgendwann zum Mentalkollaps, Tinnitus oder gar Herzinfarkt. In anderen Branchen verhält es sich ähnlich. Die Leute tun so, als hätten sie fünf Leben. Dabei ist das eine schon viel zu kurz. Ich war auch mal in so einem Hamsterrad. Dabei lehne ich es kategorisch ab, nicht glücklich zu sein.
Deshalb mache ich da nicht mehr mit. Freiheit ist das höchste Gut. Ich reise so oft und so lange ich kann. Da war es nur naheliegend, meinem Kindheitstraum zu folgen und mich im Wilden Westen auf die Suche nach dem persönlichen Glück zu machen. Und zwar ganz allein.
Ganz wichtig ist dabei die Gepäckauswahl. Je weniger im Koffer desto bequemer die Reise. Und mal ehrlich: Man schleppt immer einen ganzen Hausstand mit. Besonders Frauen. Zehn Kilo inklusive des Koffers reichen vollkommen aus. Maximal. Es gibt unterwegs doch überall Waschcenter. Wozu stapelweise Klamotten mitschleppen?
Ich brauche für acht Wochen USA nur eine Jeans und eine kurze Hose, ein Paar Flip-Flops sowie ein Paar Sportschuhe, fünf T-Shirts, einen Pulli, eine wärmende Jacke, einen Badeanzug, etwas Unterwäsche, Socken. Keine Handtücher, die werden gestellt. Eine Taschenlampe. Am schwersten ist die Kulturtasche. Wieso heißt die eigentlich so? Creme fürs Gesicht und den Body, Sonnenmilch, Aftersun, Shampoo und Haarkur, Nageletui - ist ’n Mädelsding. Und mein Anny-Nagellack namens »Dark Night«. Ein tiefes Dunkelrot, die Lieblingsfarbe für meine Nägel. Das alles wiegt halt, kann man aber auch unterwegs kaufen.
Aber Make-up bleibt strikt zu Hause. Das ist psychischer Ballast und der Verzicht eine richtige Befreiung. Von der Zeitersparnis ganz zu schweigen. Schon das tägliche Schminken, um im Job ansprechend auszusehen, reicht mir. Wenn ich mich an sechs Tagen in der Woche schminke und jedes Mal fünfzehn Minuten brauche, dann sind das ungefähr achtzig Stunden im Jahr. Also über drei Tage kostbare Lebenszeit. Hallo? Geht’s noch?
Im Urlaub wird keine Zeit verplempert, nur genossen. Ganz wichtig ist eine vollständige Reiseapotheke. Dort hinein gehören (neben der Pille): Aspirin, krampflösende Tabletten wie Buscopan (bei Bauchweh), Augentropfen (gegen Trockenheit), Pflaster und Wunddesinfektionsspray sowie Präservative (man weiß ja nie).
Ich nehme auch immer Kortisontabletten mit, seitdem ich mal einen Allergieschock hatte. Vor einem Boxkampf zwischen Vitali Klitschko und Chris Arreola in Los Angeles aß ich Bio-Tante ausgerechnet Fast-Food-Mist. Es gab nichts anderes. Ich bekam schlimmes Hautjucken und Atemnot. Wahrscheinlich wegen irgendeiner fiesen Chemiekeule im Essen.
Statt zur After-Show-Party ging’s ins Krankenhaus Cedars-Sinai. Kennt man aus den Medien. Dort werden Hollywoodstars nach ihren Sufftouren und Drogenexzessen eingeliefert. Hätte ich Kortison dabei gehabt, wäre die Sache nach ein paar Stunden erledigt gewesen. Aber so musste ich erst sämtliche Untersuchungen über mich ergehen lassen.
Kortison ist verschreibungspflichtig. Auch in den USA, wo es sonst aber eine vielfältige Auswahl an recht preiswerten Medikamenten ohne Rezept gibt. Und zwar im Supermarkt. Viele haben 24 Stunden lang geöffnet. Was beim Packen fehlt, kann jederzeit nachgekauft werden.
An Bargeld nehme ich nur 500 Dollar mit, rund 400 Euro. Drüben setze ich für alles meine Kreditkarte ein. Das ist dort üblich. Die Amis zahlen jeden Lolli mit ihrer Karte. So sind sie halt. Von Travellerschecks rate ich ab. Banken, die sie einlösen, sind schwer zu finden.
Jetzt habe ich meine Siebensachen zusammen. Und los geht’s. Anderen Arbeitsjunkies gegenüber bin ich klar im Vorteil. Denn ich kann abschalten, sobald ich im Flieger sitze. Ob die Ferres Herrn Dödeldingsbums heiratet, die Neubauer einen neuen Film rausbringt oder Branjolina wieder ein neues Kind adoptieren, interessiert mich dann nicht die Bohne. Leben im Hier und Jetzt. Das ist die Devise.
Erster Zwischenstopp: Kopenhagen. Drei Stunden Aufenthalt. Mein Handy, das ich nur für den Notfall mitnehme, bleibt ausgeschaltet. Ich beobachte ein wenig mitleidsvoll die vielen Geschäftsleute. Wie sie mit Aktenkoffern in der einen und Kaffee-Pappbechern in der anderen Hand es irgendwie schaffen, sich ihre mobile phones hinters Ohr zu klemmen.
Ein grauhaariger Bartträger im Edelzwirn hat sich in die sogenannte »Quiet Zone« verdrückt. Die richten einige Flughäfen für Zwischenstopps bei Langstreckenflügen ein. Fürs Nickerchen zwischendurch. Seine Mitmenschen sind dem Mann völlig egal. Er spricht so laut, als wäre er ganz allein auf dem Planeten. Wahrscheinlich denkt er, die »Quiet Zone« ist dafür da, dass er dort in Ruhe telefonieren kann.
Während des Weiterfluges nach Reykjavík sitze ich in der Dreierreihe am Fenster. Zum Glück. Mein Lieblingsplatz im Flieger ist immer am Fenster. Da kann ich mich ganz in die Ecke drücken und muss nicht ständig für den Nachbarn aufstehen, wenn der eine schwache Blase hat.
Neben mir sitzt ein rothaariger Wikinger-Hüne in einem senfgelben Anzug, igitt. Ganz selbstverständlich stützt er beide Ellenbogen auf die beiden Mittellehnen. Wem gehören die eigentlich? Die Dame mit dem Gangplatz in unserer Reihe wirft mir einen solidarischen Blick zu. Wir denken dasselbe. Nun legt dieser unhöfliche Kerl seinen Kopf in den Nacken und schnarcht mit offenem Mund. Ich will endlich in die Prärie.
Dem Generve und der langen Flugzeit entkomme ich mithilfe meiner Fantasie. Sie beamt mich in die nächsten zwei Monate und ganz weit weg vom letzten Alltagsärger. Zum Beispiel über meinen Nachbarn. Der hatte sich über ein paar lächerliche Nussschalen beschwert. Die waren beim Eichhörnchen-Füttern auf seinen Balkon gefallen. Ärgern kann ich mich auch über diese Müttergeschwader bei Starbucks. Wenn sie ganz selbstverständlich mit ihren Kinderwagen den Eingang blockieren und böse reagieren, wenn du was sagst.
Meine Gedanken fliegen schon mal vorweg. Nach Washington, meinem ersten USA-Step. Bis zum Abholen meines Wohnmobils bleibt noch eine Woche Zeit. Wenn man die Ostküste der Vereinigten Staaten anfliegt, ist der Regierungssitz Pflicht. Die Stadt hat viel zu bieten: die zahlreichen Museen und die geschichtsträchtigen Gebäude wie das Weiße Haus, das Capitol, das Lincoln Memorial oder die FBI-Zentrale.
Auch freue ich mich auf Leckereien, die es so nicht in Deutschland gibt. Die werde ich mir alle reinziehen. Ohne Rücksicht auf Kalorien. Bin ja schließlich im Urlaub. Es gibt ein paar Dinge, die ich immer haben muss. Dazu gehören Red-Velvet-Cupcakes auf die Hand, Blended Margaritas mit Salzrand in einer Rock-Bar und Tuna-Melt-Sandwiches bei Whole Foods.
Whole Foods ist nicht irgendeine Lebensmittel-Ladenkette. Whole Foods ist die größte amerikanische Biosupermarktkette und eine Lebensphilosophie. 1980 in Texas gegründet gibt es inzwischen mehr als 400 Filialen. 2014 verzeichnete der Konzern einen Jahresumsatz von 14,2 Milliarden Dollar. Das Konzept setzt auf zeitkonforme Ganzheitlichkeits-Attitüde und Nachhaltigkeit im Umgang mit Natur und Tier. Das Verkaufspersonal ist jung, locker, cool drauf und suggeriert den Kunden, dass alle glücklich sind.
Es gibt nur hochwertige Lebensmittel und fast nur Bioprodukte. Davon aber eine Riesenauswahl, die nach allen Regeln der Verkaufspsychologie exklusiv präsentiert wird. Dazu kann man an den Tresen frische Schnellgerichte wie warme Sandwiches, Pizzas, Eintöpfe oder Currys ordern. Praktisch: Sie können an den Bistrotischen hinter den Kassen oder draußen im Freiluftcafé verzehrt werden. Natürlich gibt es auch ein ansprechendes Sortiment an Biokosmetikprodukten sowie Bioputzmittel und Klopapier. Damit der Whole-Foods-Jünger bloß nicht noch woanders zum Einkaufen hin muss.
Firmenchef John Mackey begründete den Erfolg des börsennotierten Unternehmens in einem Interview mal so: »Nicht das Einkommen unserer Kunden treibt unser Geschäft voran, sondern deren Bildungsgrad.«
Wer Whole Foods einmal verfallen ist, wird eine Menge Geld los. Denn die Preise sind gepfeffert. Whole Foods bestimmt auch andere Wirtschaftszweige. Untersuchungen belegen, dass die Mieten in der Nachbarschaft deutlich ansteigen, sobald dort eine Whole-Foods-Filiale eröffnet.
Und während ich mir noch ausmale, wie ich genüsslich in mein geliebtes Tuna-Melt-Sandwich beiße, wird endlich der Landeanflug eingeleitet.