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Band 3 der

Joyce Johnson

Zaunköniginnen

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New Yorker Erinnerungen

Aus dem Englischen von Thomas Lindquist
Mit einem Nachwort von Karen Nölle

Genehmigte Lizenzausgabe August 2010

© 2010 editionfünf

Verlag Silke Weniger, Gräfelfing
herausgegeben von Karen Nölle und Christine Gräbe

Alle Rechte vorbehalten

Die Originalausgabe erschien 1983 unter dem Titel Minor Charactersbei Houghton Mifflin Company, Boston, die deutsche Ausgabe 1997 unter dem Titel Warten auf Kerouac im Verlag Antje Kunstmann, München.
© 1983, 1994 by Joyce Johnson
© der deutschen Übersetzung Thomas Lindquist 1997

Neu durchgesehen von Christine Gräbe und Karen Nölle

Gestaltung und Satz Kathleen Bernsdorf, Hamburg

ISBN 978-3-942374-03-3
eISBN: 978-3-942374-77-4

www.editionfuenf.de

Für meinen Sohn und Freund Daniel Pinchbeck

HURRY UP PLEASE ITS TIME
T. S. Eliot

Momma may have
Poppa may have
But God bless the child
That’s got his own.
Billie Holiday

VORWORT

In den frühen Fünfzigern, als ich aufs College ging, waren wir von der Zeit, in der wir lebten, keineswegs begeistert. Wir waren die Silent Generation, aber viel lieber wären wir die Lost Generation gewesen. Damals tanzten auf den Partys die schönsten und selbstbewusstesten Mädchen Charleston. Man ging paarweise aus und trank zu viel Gin und fühlte sich wie F. Scott und Zelda Fitzgerald. Und kein Dichter war so angesagt wie T. S. Eliot. Die Zwanziger Jahre waren uns noch nicht so fern, sondern waren zum Greifen nah: In Mutters Kleiderschrank hingen noch die Flapperkleider.

Alle paar Jahre lassen junge Leute die Beat Generation wiederaufleben. So erlebten wir 1993 in downtown Manhattan ein Revival, als eine Welle von Dichterlesungen die Cafés erfasste und bis auf die Titelseite des New York Magazine schwappte. In einer Anzeige für Khakihosen stieß ich auf ein Foto von Jack Kerouac, wie er an einem warmen Septemberabend lässig vor einer Bar an der McDougal Street namens Kettle of Fish posiert. Aber auf dem Bild war etwas wegretuschiert worden. Eine junge Frau im Hintergrund, die Arme verschränkt, natürlich in Schwarz, mit wartendem Ausdruck. Wie seltsam, alles über diese junge Frau zu wissen, die auf dem Foto fehlte: wie seltsam, lebendig zu sein – und der unsichtbare Schatten eines Mythos.

Beat Women … Um die Jahrhundertwende hatte Rilke ihre Vorgängerinnen in Paris gesehen – Mädchen, die allein ins Musée de Cluny gingen, wo sie mit dem Skizzenblock vor den Wandteppichen mit dem Einhorn saßen und die Millefleur-Stickereien abmalten. »Nur dass gezeichnet wird, das ist die Hauptsache; denn dazu sind sie fortgegangen eines Tages, ziemlich gewaltsam. Sie sind aus guter Familie«, schrieb Rilke in Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. »Aber wenn sie jetzt beim Zeichnen die Arme heben, so ergibt sich, dass ihr Kleid hinten nicht zugeknöpft ist oder doch nicht ganz. Es sind da ein paar Knöpfe, die man nicht erreichen kann. Denn als dieses Kleid gemacht wurde, war noch nicht davon die Rede gewesen, dass sie plötzlich allein weggehen würden.«

Für Rilke gilt es als ausgemacht, dass all die Zeichnerei zu nichts führt. Alles ist im Wandel, und diese verletzlichen, bettelarmen, leicht derangierten Mädchen werden Opfer der Veränderung sein. Sie werden die falschen Männer treffen – Künstlertypen – und sich wegwerfen. »Sie sind ganz nahe daran, sich aufzugeben … Das scheint ihnen ihr Fortschritt.«

Ende der Fünfziger Jahre flüchteten junge Frauen – nicht viele anfangs – wieder einmal ziemlich ungestüm von zu Hause. Auch sie kamen aus guten Familien, und ihre Eltern verstanden einfach nicht, warum die Töchter, die sie mit solcher Sorgfalt erzogen hatten, plötzlich ein Leben in Unsicherheit wählten. Ein Mädchen hatte bis zur Heirat unter dem Dach ihrer Eltern zu bleiben, auch wenn sie vielleicht ein Jahr lang als Sekretärin ging, um flüchtige, aber nicht zu intensive Bekanntschaft mit dem »wirklichen Leben« zu machen. Erfahrungen, Abenteuer – das war nichts für junge Frauen. Man wusste, sie würden mit Sex in Berührung kommen. Sex war Männersache. Für Frauen war es gefährlich wie russisches Roulette; eine ungewollte Schwangerschaft bedrohte das Leben in mehrfacher Hinsicht. Und was die Künste betraf – hübsche junge Frauen fanden ihren Platz als Musen oder im bewundernden Publikum.

Diejenigen unter uns, die von zu Hause flohen, hatten kein brauchbares Rollenvorbild für das, was sie taten. Wir wollten nicht wie unsere Mütter werden, wie unsere altjüngferlichen Lehrerinnen oder die hartgesottenen Karrierefrauen, die auf der Leinwand zu sehen waren. Niemand hatte uns beigebracht, selbst Schriftstellerinnen oder Malerinnen zu sein. Wohl wussten wir von Virginia Woolf, aber sie hatte uns wenig zu sagen. Sie wirkte entmutigend privilegiert, hineingeboren in die Welt der Literatur, in gesellschaftliche Beziehungen und Reichtum. Das »eigene Zimmer«, von dem sie schrieb, setzte voraus, dass dessen Bewohnerin über ein Einkommen verfügte. Dank unserer Collegebildung konnten wir uns für fünfzig Dollar die Woche als Tippse durchs Leben schlagen – kaum genug für Essen und die Miete für ein winziges Apartment in Greenwich Village oder North Beach, fast nichts für Schuhe oder die Stromrechnung. Wir wussten nichts von Jean Rhys, der Schriftstellerin, von ihrem frühen Ausbruch aus dem bürgerlichen Leben und ihrem gefährlichen Dahintreiben in der Pariser Boheme der Zwanziger Jahre; vielleicht hätten wir uns mit ihrem mangelnden Glauben ans eigene Schreiben identifizieren können, hätten in der quälenden Passivität ihrer Beziehungen zu Männern eine beherzigenswerte Warnung entdeckt. Keine Warnung aber hätte uns zurückhalten können, so hungerten wir danach, uns ins volle Leben zu stürzen. Auch Härte und Not wollten ausgekostet sein.

Natürlich verliebten wir uns in Männer, die Rebellen waren. Und verliebten uns leicht, überzeugt wie wir waren, dass sie uns mitnehmen würden auf ihre Reisen und Abenteuer. Wir strebten nicht danach, Rebellinnen im Alleingang zu sein; wir rechneten nicht mit Einsamkeit. Sobald wir unseren männlichen Gegenpart gefunden hatten, waren wir in unserem Vertrauen zu blind, um die alten Regeln von Männlich und Weiblich infrage zu stellen. Wir waren sehr jung, und es hieß: Mitgegangen, mitgefangen. Aber wir wussten, wir hatten etwas Mutiges getan, beinahe etwas historisch Bedeutsames. Wir hatten es gewagt, von zu Hause aufzubrechen.

Wer die Beat-Frauen verstehen will, mag ein Übergangsphänomen in uns sehen, eine Brücke zur nächsten Generation, die in den Sechziger Jahren – zu der Zeit, als das Recht junger Frauen, von zu Hause fortzugehen, nicht mehr bestritten wurde – mit allen Vorstellungen brach, die das Leben einer Frau einschränken wollten, und sich an die lange, nie endende Arbeit machten, die Beziehungen zu den Männern zu verändern.

»Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst«, lautete die berühmte Parole des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Krieg, in den Fünfziger Jahren, sollte diese Furcht Amerika verschlingen – die Furcht vor der Bombe, vor den Kommunisten, vor dem Verlust der Gnade Gottes, vor der Abweichung oder dem Anderssein. Die amerikanische Kleinfamilie schottete sich ab und versuchte die Welt auszusperren. Es herrschte eine Atmosphäre allgemeinen Misstrauens, und eine für junge Menschen wie mich bedrückende Ehrbarkeit. Es war, als hätten wir etwas versäumt, wären zu spät geboren worden. Die Energie und der Mut der Jugend waren uns geraubt worden.

Aber es war auch eine Zeit, als Bücher noch ernst genommen wurden, als Schriftsteller tatsächlich etwas verändern konnten. 1957 schienen Allen Ginsberg und Jack Kerouac wie aus dem Nichts aufzutauchen, obwohl sie seit Anfang der Fünfziger Jahre Gedichte und Romane im Untergrund geschrieben hatten. Bloß hatte niemand gewagt, sie zu veröffentlichen. Sie verliehen der Unruhe und spirituellen Unrast, die viele empfanden, aber nicht artikulieren konnten, eine Stimme. Plötzlich entfesselte sich der übermächtige Drang nach einem freieren Leben durch Worte in fesselnden, unwiderstehlichen Rhythmen. Die Zeit war reif für die Beat-Dichter, die beim Publikum sofort Widerhall fanden.

Repression erzeugt Intensität. Keine andere Zeit erlebte ich so besonders, so intensiv wie die späten Fünfziger Jahre. Die Beat-Bewegung dauerte fünf Jahre und trieb viele junge Männer zum Aufbruch – auf Jack Kerouacs Spuren. Für junge Frauen war das Streben nach Freiheit viel komplizierter. Trotzdem war das meine Revolution.

Ich bin nicht auf die Reise gegangen … Ich bin einfach aus dem Viertel in New York, wo ich aufgewachsen war, ein paar Straßen weiter downtown gezogen. Zufällig traf ich Kerouac und stand mit ihm einen Moment lang im Mittelpunkt des Geschehens, aber ich habe mich immer als Nebenfigur gefühlt. Ich war und blieb Beobachterin, auch wenn ich mehr gewollt hätte. Aufgeschrieben habe ich nichts von den Dingen, die ich erlebt habe, aber ich habe mir immer gesagt: »Merk es dir und erinnere dich.«

1981 war Jack Kerouac schon mehr als zehn Jahre tot, und ich hatte keineswegs vor, meine Memoiren zu schreiben, als ich eines Abends in einem Jazzclub in London saß – dem Pizza Express, kein besonders vornehmes Lokal, wie schon der Name verrät, vielmehr eine enge, verräucherte Kellerkneipe am Hyde Park. Trotzdem waren die jungen Gäste des Clubs über ihren Pizzen mit Ernst und Begeisterung bei der Sache. Ich hatte noch unter dem Jetlag zu leiden. Vielleicht fühlte ich mich deshalb plötzlich in die Vergangenheit zurückversetzt, ins Jahr 1957, in eine andere Jazzkneipe – das Open Door –, wo ich neben Jack Kerouac im Gedränge an der Theke gestanden und auf Miles Davis’ letzten Auftritt gewartet hatte.

Jetzt war ich in London, um Jay MacShann am Piano zu hören. Auf der anderen Seite des Ozeans, drüben in Kansas City, hatte er einst Charlie Parker entdeckt, einen Highschool-Jungen mit einer Begabung fürs Saxofon. Auch Parker hatte im Open Door gespielt; aber als ich dort mit Jack hinging, war er schon tot – mit vierunddreißig gestorben an einem Herzinfarkt.

Und dann kam MacShann mit seinen Musikern, älteren Männern in eleganten schwarzen Anzügen, herein. Brillantringe blitzten an seinen Fingern, während sie über die Tasten flogen – und wie viel Lust und Freude lag in dieser Musik, die er mit seiner Band machte! Jay mochte schon gut über siebzig sein, dachte ich mir, und noch immer war er on the road.

Ich litt, wie gesagt, am Jetlag. Meine unruhigen Gedanken zogen sonderbare Verbindungen. Ich dachte an die Jahre, die ich mit Kerouac zusammen gewesen war. Ich dachte an Freunde von damals, an die ungewöhnlichen Frauen und Männer, die zu meiner »Revolution« gehört hatten – manche schon tot, andere noch am Leben. Ich kann ihre Geschichte nur erzählen, indem ich meine eigene Geschichte erzähle.

New York City, 1994

1

Heute ist die Aufnahme in einem Buch zu finden: vier junge Männer auf dem Campus der Columbia University, im Jahr 1945. Wahrscheinlich an einem der ersten Frühlingstage, denn drei von ihnen haben den Mantel aufgeknöpft, und der Baum im Hintergrund trägt noch kein Laub. Wie jung sie sind!

Je älter ich werde, desto jünger erscheinen sie mir, die Personen auf diesem Foto. Ihre Kleidung zeigt die erstaunliche Korrektheit jener Zeit, die uns heute so unschuldig vorkommt. Die Haare kurz, die Mäntel lang. Burroughs trägt sogar eine schwarze Melone und sieht aus wie ein britischer Banker: eine absichtliche Verkleidung. Die Aufmachung verschafft ihm Distanz. Hal Chase, den ich nie kennengelernt habe – er ist es, der sie alle mit Neal Cassady bekannt machte –, wirkt auf dem Foto wie der schlagfertige Junge, der immer alles mit einem Scherz zu retten weiß. Allen ist ganz jungenhafte Schlaksigkeit und Melancholie. Er hält die Augen geschlossen, als sei es ein unerträglicher Übergriff auf seine Person, fotografiert zu werden. In der Mitte steht Jack. Ohne Mantel, in einem ausgebeulten, schäbigen Anzug, der seine mächtigen Football-Helden-Schultern betont, und einem schiefen grellen Schlips. Er hat die Arme um Chase und Allen gelegt, mit den Fingerspitzen berührt er Burroughs. Im Mundwinkel hängt die Zigarette, romantisch wie bei Jazzpianisten oder hartgesottenen Nachtreportern im Film. Offen und herzlich grinst er in die Linse, während der Auslöser klickt. Als Einziger ist er völlig präsent, lebendig im Augenblick.

Andere fehlen auf diesem Gruppenporträt. Lucien Carr, blond, mit neunzehn von einer dämonischen Schönheit, sitzt im Gefängnis, verurteilt wegen Mordes aus »verletzter Ehre«, wie die Zeitungen im Sommer zuvor schrieben. An der 116th Street/ Riverside Drive, auf dem schmalen Rasenstreifen zwischen dem West Side Highway und dem Fluss, tötete er den Mann, der mit ihm Liebe machen wollte: den Mann, der ihm seit seiner Knabenzeit in St. Louis nachgestellt und ihn gedemütigt hatte. Zweimal stieß Lucien Dave Kammerer das Fahrtenmesser in die Brust, dann fesselte er die Leiche mit Schnürsenkeln an Händen und Füßen und warf sie, mit Steinen beschwert, ins schmutzige Wasser des Hudson River. Ein paar Stunden später tauchte er bei Jack auf, und gemeinsam vergruben sie Kammerers Brille im Morningside Park, warfen das Fahrtenmesser in einen Gulli und verbrachten einen sonderbaren Tag jenseits der Zeit, wie Leute es manchmal tun – in der Unwirklichkeit nach der Katastrophe. Sie streiften durch die Stadt und sahen sich Four Feathers im Kino an, bevor Lucien zur Polizei ging und sich stellte.

In den Zeitungen hieß es, Lucien habe unter »literarischem« Einfluss gehandelt. Genannt wurden A Vision von William Butler Yeats im Journal-American und Rimbauds Une Saison en enfer. Zehn Jahre später, als Kurzschlusshandlungen in Mode kamen, klangen die fragwürdigen Erzählungen, die ich hörte, geradezu nach Gideschem Pathos: »Liebe mich oder töte mich«, soll Kammerer gesagt haben, als er vor Lucien auf dem Rasen kniete. Und Lucien »erwies ihm die Gnade«.

Von Edie Parker und Joan Vollmer, den beiden Mädchen, habe ich nie irgendwo ein Foto gesehen. Die zwei waren beste Freundinnen, sie wohnten sogar ein Weilchen zusammen und über sie lernten Jack und Burroughs und Allen und Lucien sich kennen. Jack und Edie hatten seit 1941 immer mal wieder zusammengelebt. Edie hatte von ihrer Familie Geld geliehen und Jack auf Kaution aus dem Gefängnis geholt, nachdem er als Luciens Komplize verdächtigt und eingesperrt worden war. Sie sei schwanger, hatte sie behauptet, und eben an diesem Tag hätten die beiden heiraten wollen. Die Hochzeit fand dann auch statt, im Gerichtsgebäude, mit Polizisten als Trauzeugen. Später lebte Jack mit Edie im Haus ihrer Eltern in Grosse Pointe, Michigan, und schuftete in einer Kugellagerfabrik, um seine Schulden bei den Parkers abzuzahlen. Im Januar 1945 war aber alles aus zwischen ihnen, und Edie Parker verschwindet – zumindest aus der Literaturgeschichte – mit einem jämmerlichen Brief an Allen, den sie um eine Liste von Büchern bittet, »wie du sie gelesen hast«, als könne sie sich, indem sie Allen intellektuell kopiert, als würdig erweisen und Jack zurückgewinnen. Sie ist so furchtbar verletzt, dass sie sogar droht, Allens Homosexualität an die große Glocke zu hängen, wenn er ihr nicht hilft.

Trotz dieses Briefes blieb Edie in meinen Augen immer eines dieser Mädchen, die mit beinahe tödlichem Ernst versuchen, ein guter Kumpel zu sein. Man muss sie einfach gernhaben. Sie ist sogar hübsch, auf eine Art, wie Mädchen es heute nicht mehr sind – der Typ in Pullover und Reitstiefeln, das hellbraune Haar zum Knoten aufgesteckt. In ihrer Art, sich in aussichtslosen Situationen zu behaupten und ein Leben zu versuchen, das nicht zu ihr passt, lagen Entschlossenheit und Mut. Was ist aus Edie geworden? Sie wird die Geschichte, so hoffe ich, im Lauf der folgenden dreieinhalb Jahrzehnte hinter sich gelassen haben.

Was aus Joan Vollmer geworden ist, weiß ich. 1944 und ’45 war ihre Wohnung an der 115th Street ein Vorläufer dessen, was man eine Generation später als Kommune bezeichnete – so etwas wie ein spirituelles Hospiz auf dem Weg zwischen dem Village und dem Times Square oder zwischen Morningside Heights und den Lower Depths, eine Etappe auf der psychischen Landkarte derer, die dort sporadisch lebten, sich liebten und wieder trennten, Gedichte schrieben, ihre Depressionen auslebten, mit Drogen experimentierten – und all dies in sechs großen Zimmern, in denen Joan allein mit ihrem gerade geborenen Baby gelebt hatte, bis Edie sie mit Jack bekannt gemacht hatte. Bis Jack, der die Wesensverwandtschaft zwischen dem scharfen, funkelnden Witz von Joan und Bill Burroughs erkannte, sie mit Bill bekannt machte, und Burroughs, der seine Wohnung ohnehin verloren hatte, bei ihr einzog und eines der Schlafzimmer belegte, allerdings keineswegs in der Absicht, immer allein zu schlafen. Es folgten Allen, Hal und Jack, und für kurze Zeit auch Edie, bis die Ehe auseinanderging.

Joan passte tatsächlich zu Burroughs, und zwar nicht nur, was Witz und Intellekt betraf. Anscheinend war sie eine große Leserin von Korzybski, Spencer, Kafka und anderen und verblüffte die Männer in ihren Diskussionen mit einem eigenen Standpunkt. Sie war Burroughs auch ebenbürtig in ihrem wachsenden Interesse für Drogen und hielt sich den ganzen Tag mit benzedringetränkter Watte aus Inhalationskapseln high. Vielleicht hatte Bill ihr überhaupt erst beigebracht, die Kapseln wie Nüsse zu knacken und das Wattepfröpfchen herauszuholen, um es mit dem Morgenkaffee zu schlucken, was das wintergraue Licht im Hof, die verwahrloste Küche und das durchdringend fordernde Babygeschrei doch sehr verwandeln konnte.

Von da an erglänzten die Räume in der 115th Street, sechs leere Hülsen, bevor Bill und die anderen kamen, ständig im magischen Bann der intellektuellen Begegnungen. Bestimmt gab es Augenblicke, da die Energie, die von Joan ausging, auch für sie selbst greifbar wurde, wenn sie so von innen zu strahlen schien, dass auch Fremde wie Herbert Huncke – ein Junkie, den Bill bei seinen nächtlichen Streifzügen an der 42nd Street aufgegabelt hatte – beeindruckt waren und sich später an Joan als »eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe« erinnerten.

Auch Huncke wurde Teil von Joans neu gegründeter Familie in der legendären Wohnung, ein Cicerone für die Schattenseiten des Lebens, die sie alle zunehmend faszinierten. Es musste eine verborgene harte Wahrheit in dieser gefährlichen Nachtwelt der Dealer und Süchtigen, der Diebe und der Huren geben, die nicht durch die Lektüre von Dostojewski oder Céline zu erfassen war – man musste sie erleben.

Burroughs, der Aristokrat der ganzen Bande, Millionenerbe der Burroughs Adding Machine Company, ließ sich völlig darauf ein, viel tiefer als Jack oder Allen. Er kaufte sich eine halbautomatische Waffe und begann mit Morphium zu dealen. Er und Joan heirateten im Januar 1945. Inzwischen war sie von all dem Benzedrin leicht paranoid geworden, vielleicht war sie auch schon auf Morphium eingestiegen. Sie wäre Bill in allem gefolgt, und sie tat es.

Sie starb 1951, Jahre bevor ich überhaupt ihren Namen hörte. Aber ihr Strahlen war schon früher erloschen. Ein Besucher der Ranch in New Waverly, Texas, wo Bill und Joan Burroughs 1950 lebten und Marihuana anbauten, behielt sie ungepflegt, hinkend, ohne BH in Erinnerung, das schüttere Haar unordentlich zurückgekämmt. Sie sah wie eine mausgraue Hausfrau aus, sagte er, irgendwie auch wie ein Kind. Sie brauchte acht dieser kleinen Inhalationskapseln pro Tag, und weil diese in Texas schwer zu beschaffen waren, zog sie für die letzten Monate ihres Lebens mit Bill nach Mexico City.

Joan Vollmer Burroughs’ Tod wurde berühmter als sie selbst. Wie die Geschichte von Lucien gehört er zu den Urmythen der Beats. Und ganz abgesehen davon ist es eine dieser absonderlichen Anekdoten, die man nicht mehr vergisst, wenn man sie einmal gehört hat – ich hatte sie Mitte der Fünfziger Jahre im Umkreis der Columbia University aufgeschnappt. Wie bei Luciens Geschichte lag etwas kühl Stilisiertes in der Erzählung, ein Mangel an Mitgefühl, der an schwärzesten Humor grenzte.

Kennt ihr die von dem Mann, der mit seiner Frau »Wilhelm Tell« spielte und danebenschoss?

Vielleicht war es der alte, tollkühne Elan, der an diesem heißen Septemberabend in Mexico City noch einmal in Joan aufflackerte. Stundenlang hatten sie und Bill in ihrer Wohnung Gin gesoffen, mit zwei neuen Bekannten, ausgewanderten Ex-GIs. Erinnerte die Runde sie vielleicht an die 115th Street und die Ekstasen vergangener Tage? Plötzlich stellte die mausgraue Hausfrau sich ihr Glas auf den Kopf und forderte Bill keck heraus, es mit seiner 38er abzuknallen. Er war ein hervorragender Schütze, und vielleicht hatten sie die Wilhelm-Tell-Nummer schon bei anderen geselligen Gelegenheiten aufgeführt. Vielleicht auch nicht. Vielleicht beging Joan am Ende wissentlich Selbstmord, setzte mit diesem letzten Spielzug ihrer tiefen Verzweiflung ein Ende.

Aber man kann es auch anders sehen. Gut möglich, dass es ein Beweis ihres Vertrauens war, ihrer blinden Hingabe. Ein letztes Geschenk an Bill – der schlecht zielte in dieser Nacht.

Wahrscheinlich hätte ich Joan gemocht, hätte ich sie gekannt, darum vermute ich Letzteres. Sie ist mir vertraut – wie eine Frau, die ich einmal kannte und mochte, und doch so fremd wie jener Teil von mir, den ich in den gefährlichsten Tiefen meiner selbst lebendig weiß.

Ich blättere im Register des Buchs, in dem das Foto von Jack und Allen und den anderen abgedruckt ist, und finde dort: Joyce Glassman. Dazu ein halbes Dutzend Seitenverweise, die sich auf ein knappes Zwanzigstel meines Lebens beziehen, die Jahre 1957 bis 1959, als ich noch diesen Namen trug.

1945 zogen wir in die City, ganz in die Nähe von Joan Vollmers Wohnung. Ich wuchs in der 116th Street auf, einer breiten, von alten Apartmenthäusern gesäumten Straße, am Hügel über dem Riverside Drive. Bergauf an der Ecke sieht man das Barnard College und auf der anderen Seite des Broadways die hohen Eisentore der Columbia University, die Bibliothek mit Kuppel und Säulenportal wie ein römischer Tempel, die ziegelroten Plattenwege so anders als der städtische Asphalt ringsum.

Oft lief ich über den Campus und stellte mir vor, wie sich die Leute wunderten, was ich, gerade mal zehn Jahre alt, dort machte. Angenommen, sie hielten mich für ein kleines Genie, das tatsächlich Vorlesungen hörte? Manchmal fuhr ich als das Kind, das ich war, Rollschuh um die Brunnen vor der Bibliothek. Schade nur, dass mir ihre poetische Verwandlung in Weinfontänen entgangen war, etwa ein Jahr zuvor, als Allen Ginsberg rote Farbe in das Wasserversorgungssystem geschüttet hatte.

Manchmal rollerte ich den Riverside Drive entlang, saß auf einer Bank und las Ivanhoe, Little Women, Little Men oder weinte über Black Beauty. Allein durfte ich nie die Steintreppe hinuntergehen, zu den verwilderten Dickichtregionen des Parks, die meine Mutter – die höchstwahrscheinlich vom Mord im letzten Sommer am Fluss gehört hatte – als »da unten« bezeichnete, so wie sie eine sonst namenlose Region meines Körpers nannte.

Die Wildnis »da unten« faszinierte mich. Eines Tages brach ich die Regeln. Durch ungemähtes Gras lief ich den Hügel hinunter, kletterte über einen hölzernen Zaun, schlängelte mich durch den Verkehr auf dem West Side Highway und schlug mich bis zum Fluss durch. Enttäuschend, was ich da entdeckte. Nichts als ein paar flache graue Steine, träge fließendes bräunliches Wasser und ein drückend süßlicher Geruch, der mich an Kellerräume erinnerte. Was mir gefiel, war meine heimliche Erkundung. Lange kehrte ich nicht mehr dorthin zurück.

Es ist merkwürdig, sich klarzumachen, dass wir alle im gleichen Viertel wohnten – viel näher an der Wohnung in der 115th Street als meine Mutter ahnte –, und Tag für Tag hundertmal aneinander vorbeigelaufen sein könnten. Dass die magere, geistesabwesende junge Frau Joan ist, die ihr Baby über den Broadway schiebt; dass es Jack ist, der Bier und Zigaretten bei Gristedes holt, während meine Mutter mich nach Tomatensaft schickt; oder Allen, der, ein Notizbuch mit ersten Gedichten in der Tasche, an der Tür des berühmten Professors Lionel Trilling klingelt, ein Mann, so silbergrau wie sein Name, der im Parterre unseres Apartmenthauses wohnt.

Aber vermutlich nicht weniger merkwürdig, als gut dreißig Jahre später in einem Flugzeug von London nach New York zu sitzen und subversiven Gedanken über den deprimierenden Konservativismus der jungen Leute nachzuhängen, während ich den Jungen auf dem Platz neben mir mustere, einen jungen Dandy mit zwei teuren Kameras um den Hals, ausstaffiert mit einem unübersehbar tweedigen, ganz offenbar in England erworbenen Dreiteiler – und zu erleben, dass der Junge ein Buch aus der Tasche zieht – das sich als Lonesome Traveller von Jack Kerouac entpuppt.

Koinzidenzen. Nehmen wir zum Beispiel das West End. Natürlich ist es noch da, am Broadway/113th Street. Ursprünglich war es eine Mischung aus Cafeteria und Bar. Die Warmhaltetheke voll billiger Gerichte; Hackfleisch mit Kohl, Knackwurst mit Kartoffelbrei. Ein schlichter Tresen aus dunklem Holz, ohne jeden Charme, Flaschen auf Spiegelborden aufgereiht. Ein weißer Fliesenboden, bestreut mit Sägemehl. Eine dieser gesichtslosen Kneipen aus der Ära ohne weiße Wände und Topfpalmen und Pseudo-Tiffanylampen, die aus irgendwelchen Gründen immer die besten Szenetreffs waren.

1944 ist Edie Parker dort oft anzutreffen. Jack, der bei der Handelsmarine angeheuert hat, ist oft monatelang auf See, und sie fühlt sich verloren. Jeden Abend steht da ein junger Columbia-Student an der Bar, so gutaussehend, dass sie die Augen nicht von ihm lassen kann. Ein betrunkener Golden Boy mit glattem weißblondem Haar, das ihm in die Stirn fällt, über die schmalen grünen Augen, und einer Wildheit, die sie kennt. Vielleicht erinnert Lucien Carr sie an Jack. Jedenfalls ist es Lucien, den Edie aus dem Gedränge im West End herauspickt und sich zum Freund macht. Sie verliebt sich nicht selbst in ihn. Anscheinend hat sie diese Freundschaft aufgespart, um sie anderweitig zu verschenken. »Jack, du musst diesen Jungen, Lucien, wirklich kennenlernen.« (Immerhin ist sie etwas älter als Lucien, mit eigener Wohnung und ein paar Jahren Erfahrung, also hat sie das Recht, so mütterlich zu tun.)

Im Juni, als Jack wieder da ist, nimmt sie ihn eines Abends mit ins West End. Jack ist skeptisch, vielleicht sogar etwas eifersüchtig auf diesen Lucien, den er nicht kennt, diesen reichen, gefährlichen Jungen aus St. Louis mit dem boshaften Mund, der schon vom Bowdoin College und der Chicago University geflogen ist und mit seinen neunzehn Jahren bereits ein ausschweifendes Leben hinter sich hat. Aber vielleicht ist Lucien genau das, was Jack sucht – ein Freund, der ein dunkles Spiegelbild seiner selbst sein wird. Es reicht eben nicht, Edie zu haben. Und das weiß Edie vermutlich: mit unausgesprochener Traurigkeit. Dass Jack – obwohl sie von der Ehe träumt und sich sagt: »Schön, dann leben wir eine Weile in der Boheme, und danach schaffen wir uns ein Zuhause, er wird seine Bücher schreiben, und wir werden uns ewig lieben« – ein Mann ist, den man nicht besitzen kann. Edie ist allerdings ziemlich einfallsreich. Sie hat ihre eigenen Abenteuer erlebt, hat an den Docks als Hafenarbeiterin geschuftet, während Jack auf See war, und auf der 42nd Street Zigaretten verkauft. Man kann einen Mann mit einem aufregenden Ambiente so einspinnen, dass er kaum merkt, wie das Netz ihn hält.

Und sie hat recht mit Lucien, wie sich zeigt.

Als sie einander erkennen, zündet die Freundschaft zwischen Jack Kerouac und Lucien Carr wie ein chinesischer Knallfrosch. Sie verstecken ihre Verlegenheit hinter Beleidigungen – Lucien, »dieser Aristokrat, meine Güte«, und Jack, »vierschrötiger Flegel, täppischer Kohlenschipper, Cajun aus Kanadas Wäldern«. In diesem Ton werden sie die nächsten fünfundzwanzig Jahre miteinander umgehen. Lucien ist ein wahres Genie in solchen Sprüchen, schnell findet er die Schwachstellen heraus, an denen es schmerzt. Will er Jack nur aufziehen, oder legt er den Finger auf Jacks wunde Punkte?

Auf den ersten Blick sieht es für die verblüffte Edie so aus, als wollten die zwei aufeinander losgehen, sich eine jener schäbigen West-End-Keilereien liefern, bei denen am Schluss alle aus der Kneipe geworfen werden. O Gott, es gibt nichts Dümmeres als Männer!

Jack hat unter dem Trommelfeuer der Beschimpfungen den Kopf eingezogen. Aber er hört nicht, was Edie hört. Er hat so was wie Musik vernommen in der Sprache dieses bösen Jungen, etwas, das ihn vor Bewunderung zum Lachen bringt. Er hebt den Kopf, immer noch lachend, und schmalzt nicht Edie an, sondern Lucien – mit dem neuesten Schlager der Hitparade: You Always Hurt the One You Love.

»Komm, gehn wir nach Hause, Jack.« Edie ist irritiert, aber wahrscheinlich ist sie noch nicht eifersüchtig. Oh, Take Me Home Again, Kathleen könnte der Song gehen, mit dem Lucien laut und verletzend kontert. Johnny der Barmann kommt rüber, in seiner offiziellen Funktion, und sagt: »Lass Dampf ab, Junge.« Doch er grinst Jack an, mit dem er oft bemerkenswerte Diskussionen über Football geführt hatte – unheimlich, was der Kerl sich merken kann, jeden Pass, jede Vorgabe. Die nächste Runde geht aufs Haus.

Es dämmert schon, als Lucien Carr und Jack Kerouac zusammen aus dem West End wanken, vermutlich gefolgt von Edie Parker, obwohl das in keinem der Bücher erwähnt wird. Und hier setzt die Legendenbildung ein, die Zufälliges oft aufbauscht. Was geschah, ist immerhin folgenreich für die Zukunft der Beats: Bald werden weitere Hauptfiguren die Bühne betreten. Allen Ginsberg, den aus Paterson stammenden Poeten vom Columbia-Campus, lernt Jack noch in derselben Woche kennen. William Burroughs ist zufällig ein alter Bekannter von Lucien aus St. Louis. Lucien hat seine Tat vom 14. August noch vor sich. Und es wird Literatur entstehen – eine Literatur, die von der Chemie wechselseitiger Beeinflussung lebt. In der Saga von Duluoz, die Jack Kerouac verfasst, werden sie alle, unter fiktiven Namen, wieder und wieder vorkommen. Jack sagte einmal, er schreibe nur deshalb Bücher, um auf seine alten Tage etwas zu lesen zu haben: Vielleicht hat er selbst nie geglaubt, dass es solche Tage geben würde.

Und all das wurde von der kleinen Edie Parker ausgelöst, an jenem Abend im Juni 1944, in der vergeblichen Hoffnung, Jack festzuhalten.

Eines Nachts fand Lucien Carr ein leeres Fass und rollte Jack Kerouac darin nach Hause – das ist eine feierlich bezeugte Tatsache. Während es so den Broadway entlangrollt, durch die Hitze der leeren Straßen, und Lucien es immer schneller vorwärts zu rollen versucht, sehe ich Edie Parker abgeschlagen hinterherlaufen. Was für ein Spaß, sagt sie sich, während sie über die Schulter nach Cops Ausschau hält.

An manchen hellen, trägen Sommerabenden schlenderte ich mit meinem Vater den Broadway hinunter zum Zeitungskiosk an der 110th Street. Meist machte er diesen Spaziergang nach dem Essen allein, rauchte dabei seine tägliche Zigarre, rücksichtsvollerweise weit weg von Mutters Wohnzimmer, und frönte seinem einzigen Laster, dem Pferdetoto. Er tut’s moderat, wie alles andere auch, und platziert täglich eine Zweidollarwette bei dem Mann, der die Zeitungen verkauft. Ich soll nichts davon wissen, aber ich weiß es. Und immer, wenn ich frage: »Hast du gewonnen, Daddy?«, sagt er mir: »Oh, halbe-halbe.« Niemals passiert was Dramatisches, nie landet Daddy einen Glückstreffer und bringt uns allen Geschenke, nie verliert er sein letztes Hemd. Manchmal fährt er hinaus an die Rennbahn, seinen Lunch in einer braunen Tüte, und wird traurig sagen: »Na ja, meinen Einsatz hab ich wieder.« Dennoch ist es der Teil in Vaters Leben, der einen Hauch von Glamour hat – etwas leicht Unbotmäßiges, das auf geheimnisvolle Weise ihm allein gehört. Dabei zu sein entzückt mich. Stolz hänge ich mich an seinen Arm: die Tochter des Hasardeurs. Mit bewundernder Neugier beobachte ich die Transaktion am Zeitungsstand, den lässigen Kauf der Daily News, Daddys diskrete Anweisungen, die Scheine, die in der Schürzentasche des Buchmachers verschwinden. »Magst du ein Gute-Laune-Eis?« Augenzwinkernd steckt mein Vater mir ein Zehncentstück zu.

Einmal – und nie habe ich meiner Mutter oder meinen Tanten davon erzählt – macht er irgendwo auf dem Rückweg halt, vor einer Kneipe, genannt West End Bar, und sagt mir, ich soll draußen warten. »Das ist kein Ort für kleine Mädchen.« Ich schaue durchs Fenster in den dunklen Raum, und da sind düstere breite Nischen voller Männer in Hemdsärmeln, und eindeutig keine Kinder, und aus der offenen Tür, durch die mein Vater verschwunden ist, weht dumpfer Biergeruch. Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen wie auf dem ColumbiaCampus, als könnte jeden Moment jemand kommen und eine Rechtfertigung von mir verlangen, wieso ich vor diesem Lokal stehe, das so schlimm ist, dass ich nicht reindarf. »Ich warte auf meinen Vater«, würde ich erklären, aber irgendwie spüre ich, dass es nicht die richtige Auskunft wäre, dass Daddy zu weit gegangen ist, mich da draußen stehen zu lassen – beinahe ist er mir fremd geworden. Aber er kommt wieder, wie versprochen, nach ein paar Minuten. »Ah, dein Eis ist alle«, sagt er liebevoll, als wir heimwärts in den Broadway einbiegen.

2

Ich denke – leidvoll – an ein Zimmer. Darin stehen ein rotes Sofa mit grünem Schonbezug, ein brauner Polstersessel mit goldenen Tapeziernägeln, eine Klavierbank mit besticktem Sitzkissen, ebenfalls grün – jägergrün, wie wir damals sagten. Der Orientteppich, kurz vor der Weltwirtschaftskrise angeschafft, schimmert in Rot- und Blautönen und wird jeden Tag gesaugt. Der Tisch mit seinen geschwungenen Beinen – benutzt wird er nur bei wichtigen Familienfeiern – ist so etwas wie Französischer Landhausstil. Darauf eine chinesische Lampe mit Teakholzfuß, der Seidenschirm ist mit Zellophan umwickelt.

Das Klavier beherrscht den Raum: ein Stutzflügel, erworben vor meiner Geburt, als meine Mutter noch berufstätig war. Es ist ein Steck, eine dubiose Marke, und angeblich genauso gut wie ein Steinway. Jahrelang hatte meine Mutter mit ihrem schmalen Sekretärinnengehalt darauf gespart. Auf dem polierten Deckel, der nie aufgeklappt wird, außer wenn der Klavierstimmer kommt, steht ein Foto von ihr als junge Frau, in einem schweren Silberrahmen, verschnörkelte Volkskunst, die mein Onkel aus Peru mitgebracht hat. Sie ist schlank und so hübsch, lächelt anmutig in dem langen Organzakleid, das sie sich selbst genäht hat, weiße Kamelien an den Schultervolants. Sie hätte wohl werden können, was sie nie geworden ist, nämlich Konzertsängerin; aber sie ist mit meinem Vater verlobt, der im dunklen Anzug neben ihr steht. Er ist ein kleiner Mann, mit dem gleichen runden Gesicht wie ich, mit einem gütigen, ernsten Blick. Über dem Klavier hängt ein Ölbild von mir, von einem Künstlernachbarn gemalt, als ich acht war – die goldene Ära meiner Karriere als Tochter. Stunden und Aberstunden musste ich den Kopf in Positur halten, während ich von dem Schokoladeneclair träumte, das ich am Schluss jeder Sitzung bekam. Und nach all dem Stillsitzen hasste ich das Porträt dieses phlegmatischen Kindes im geblümten Schürzenkleidchen, mit den dicken blonden Zöpfen. Dieses Wohnzimmer hat etwas schrecklich Rührendes, eine angespannte, gewollte Vornehmheit. All diese in Ehren gehaltenen Einrichtungsgegenstände – das Klavier, der Teppich, das Ölgemälde – sind gleichsam Gefangene eines höheren Strebens. Sollten die Schonbezüge jemals abgenommen, die schweren Vorhänge beiseitegezogen werden, so wird sich zeigen, dass das so sorgfältig Bewahrte längst schäbig und verschlissen ist.

Man hätte auch gleich alle Prinzipien zum Teufel jagen und die Möbel von Anfang an nackt genießen können.

In meine ersten eigenen vier Wände zog ich, als ich zwanzig war – ins Dachgeschoß einer sechsstöckigen Mietskaserne in Yorkville. Vier winzige Löcher, aneinandergereiht wie Eisenbahnwaggons, mit rissigen Wänden und alten Lamellendecken, die etwas durchhingen. Meine beste Freundin Elise, die kürzlich dort eingezogen war, hatte alles weiß gestrichen, sogar das Linoleum auf dem Fußboden. Woran ich mich gut erinnere, ist das verblüffende Licht in der Bude, wie es hereinströmte, als gäbe es wirklich keine Trennung zwischen Innen und Außen; und alles – so wenig auch da war – schien darin zu schweben. Ein beinahe mediterranes Licht, das den verschrammten und gekitteten Wänden eine kalkige Griffigkeit verlieh, als wären es Wände griechischer Landhäuser, und alles verschönte: die Matratze auf dem Boden, den Tisch von der Heilsarmee, die von der Straße heraufgeschleppten Stühle.

Dieses ungewöhnliche Licht habe ich auch in den ersten eigenen Wohnungen anderer Freunde gesehen. Warum dort? Das trotzige Fehlen irgendwelcher Vorhänge, schätze ich. Vielleicht lag’s einfach nur daran.

Jeden Tag sitze ich zwei Stunden lang auf der bestickten Klavierbank und übe Scarlatti-Sonaten, Beethovens Für Elise, Czernys Tonleitern … Für Elise – prophetischer Titel, wenn ich’s bedenke – ist mein Lieblingsstück. Ich spiele es mit etwas mehr Lust und Zuversicht als die anderen, und mit dieser Nummer falle ich durch die Aufnahmeprüfung zur Musikhochschule.

Meine Mutter, optimistisch wie sie ist, will nicht zur Kenntnis nehmen, dass ich eigentlich kein musikalisches Talent habe. Ihre hochfliegenden Pläne begnügen sich nicht damit, eine Pianistin aus mir zu machen. Ich soll etwas Großes werden, eine berühmte Komponistin. Der Ruhm soll mir gehören, bevor ich einundzwanzig bin oder meine Begabung an die Ehe vergeude: ein Zustand, den ich möglichst lange meiden sollte, findet sie. Ich soll vernünftig sein und erst heiraten, nachdem ich ein paar Operetten komponiert habe. Einstweilen bin ich zum Glück erst zwölf und habe doch schon ein ganzes Singspiel verfasst: Text und Musik von mir – ein kindliches Doppelgenie; Rodgers und Hammerstein in einer Person!

Ich sitze an meinem Stutz-Steck, und Mutter jagt mit dem Staubsauger durch die Wohnung – das Dröhnen bildet den Kontrapunkt zu meinen Etüden. Wenn ich improvisierend in neue Melodien verfalle, schaltet sie die Maschine ab und lauscht. »Wie hübsch, mein Liebes!« Schon mit zwölf habe ich kein gutes Gefühl bei meinen Kompositionen; es ist, als mogelte ich mich so durch. Wie soll ich je eine große Komponistin werden, wenn ich die Melodien nicht im Kopf entwickeln kann? Ich kann nicht mal die Noten einer Partitur lesen und sie mir in Klänge übersetzen. Ich muss mich mit dem begnügen, was ich aus den Klaviertasten rausquetschen kann – und da stoße ich an meine Grenzen als Pianistin. Es macht mir Angst, dass mein Privatlehrer, Mr. Bleecker, mich noch nicht entlarvt hat. »Herrlich, mein Liebes«, ruft meine Mutter begeistert. »Du bist auf dem richtigen Weg!« Sie glaubt es wirklich. Sie schaltet den Staubsauger wieder an, und bestimmt ist sie in diesem Moment glücklich. Sie lebt ihr zweites Leben.

Überraschend taucht meine Mutter eines Morgens in der Schule auf. Ich werde aus dem Geschichtsunterricht gerufen und soll ins Büro des Rektors kommen, wo sie mich erwartet. Ziemlich nervös laufe ich die zwei Treppen hinunter. Aber ich bin mir keiner Schuld bewusst.

Sie sitzt auf der Besucherbank, in ihrem braunen Moutonmantel, die große Handtasche auf den Knien. Sie lächelt der Schulsekretärin zu, als ich eintrete: es ist ihr tapferes Krisenlächeln – June Allyson, unter Tränen lächelnd. »Ich danke Ihnen«, sagt sie mit leiser Stimme zur Sekretärin. Sie fasst mich am Arm und drängt mich sachte hinaus.

Auf dem Korridor flüstert sie: »Wir müssen auf die Damentoilette.« Als ich sie frage, warum, wird sie ganz rot im Gesicht. »Das sag ich dir gleich.«

Im Mädchenklo hält sie mir eine Ansprache, aus der ich nicht schlau werde: »Heute Morgen war Blut auf deinem Laken.«

Blut? Ich kann mich nicht erinnern, mich geschnitten zu haben.

Meine Mutter klappt ihre Handtasche auf und zerrt etwas hervor – in mehrere Lagen Kleenex eingewickelt. »Das hab ich dir mitgebracht, zieh es an.« Sie hat auch eine Art Gürtel mitgebracht, aus rosafarbenem Plastik, und ich beginne zu ahnen, dass das alles etwas mit »da unten« zu tun hat.

Die Sache lässt sich ja übel an. Doch meine Mutter kann nicht anders. Ihre Liebe zu mir ist die alles verzehrende Leidenschaft ihres Lebens. Sie kennt keine Grenzen zwischen sich und mir. Sie will mich nur vor allem beschützen, so wie sie mich, als ich klein war, vor dem Ertrinken schützte, indem sie mich nicht schwimmen lehrte, oder vor unvermeidlichen Beulen und Schrammen, indem sie mich vom Rennen, Klettern und Radfahren im Park abhielt. Aber das hier ist etwas anderes. Dass ich zur Frau werde, lässt sich nicht verhindern, so sehr sie sich auch bemüht.

Sie ist furchtbar nervös, während sie in mein ratloses Gesicht blickt. »Es ist nur die natürliche Art und Weise des Körpers, schlechtes Blut loszuwerden.«

Ich versuche diese erschütternde Nachricht zu verdauen. Noch nie habe ich gehört, dass Körper so etwas Beängstigendes tun.

Sie erklärt mir, dass das von nun an mein ganzes Leben lang immer wieder passieren wird. »Aber du musst dir deswegen keine Sorgen machen«, sagt sie.

Eine alte Weisheit über das Wesen der Liebe besagt, das sicherste Mittel, jemanden zu verlieren, ist, ihn zu sehr festzuhalten – was sich immer wieder in den Trennungen von Liebenden zeigt, aber auch in denen von Eltern und Kindern. Bei Letzteren ist es allerdings viel komplizierter. Die ursprünglich fremden Liebenden werden wieder zu Fremden; die Bindungen zwischen Eltern und Kind zerren und ziehen aber ein Leben lang und nehmen die seltsamsten Formen an.

Wer hätte gedacht, dass Jack Kerouac mit siebenundvierzig bei seiner Mutter zu Hause in St. Petersburg, Florida, den Tod finden würde, während The Galloping Gourmet im Fernsehen lief? Er stellte seine Bierdose ab, ging ins Bad und fing an Blut zu spucken. Ein paar Stunden später, nachdem er jede ärztliche Hilfe abgelehnt hatte, bis es zu spät war, hauchte er in einer von Senioren bevölkerten Klinik sein Leben aus. Seine alte Dame, seit Jahren vom Schlag gelähmt, überlebte ihn. Jack war der zweite Sohn, den sie begraben musste. Gerard, der erste, war mit neun Jahren gestorben, als Jack erst fünf war.

Es gibt Verluste, an die kein Trost je heranreicht. Ich stelle mir vor, wie sie sich an ihren kleinen Sohn klammerte, wie sie ihn nachts in ihr Bett holte, um zu kuscheln – wider alle Freudschen Gebote. Aber was wusste Gabrielle Kerouac schon von solch spitzfindigen Theorien? Es war ihr ein Bedürfnis, die Wärme des zarten kleinen Körpers neben sich zu spüren, den schläfrigen Duft seiner Haare zu riechen.

Ich kann mir nicht vorstellen, den Tod meines Sohnes zu überleben – es sei denn als leere Körperhülse. Nur das nicht! Ich ertappe mich dabei, wie ich automatisch nach seiner Hand greife, wenn wir die Straße überqueren, obwohl er schon vierzehn ist und einen Kopf größer als ich. Die Hand, die ihre kindliche Zartheit noch nicht verloren hat, fühlt sich noch immer an wie die vergrößerte Hand des Fünfjährigen.

Er war neun, als ich ihn zum ersten Mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule fahren ließ. Ich weiß noch, wie ich am Morgen am Fenster stand und seine kleine, in Marineblau gekleidete Gestalt mit dem hellblonden Schopf wie selbstverständlich die West End Avenue überqueren und in die Straße zum Broadway einbiegen sah, acht Stockwerke unter mir. Es war wie der Moment, wenn man im Flugzeug sitzt und es vom Boden abhebt und man weiß, es gibt keine Möglichkeit mehr, es sich anders zu überlegen.

Nie fiel ein lautes Wort in der Wohnung an der 116th Street, darauf waren wir stolz. Wir waren eine gesittete Familie, beinahe vornehm, fast gänzlich assimiliert – anders als die Verwandten meiner Mutter, die noch immer in Flatbush wohnten und die wir manchmal an jüdischen Feiertagen besuchten, mit der Subway und großen Kuchenpaketen unter dem Arm. Das waren laute, ungehobelte Leute, die sich über einen Tisch voll schwerer Speisen fröhlich oder auch verärgert anbrüllten und dir stets mehr auf den Teller schaufelten, als du überhaupt essen konntest, als könnten sie das Gespenst der mageren Jahre verscheuchen. So futterten sie drauflos, wurden dick, bekamen fleischige Arme und Schenkel und produzierten pausbäckige, mollige, kurzsichtige Kinder, die nach der Schule Hebräisch lernten, pflichtbewusste Söhne und Töchter, die schon in jungen Jahren heirateten und die nackten Tatsachen des Lebens kennenlernten.

Dies war die Welt, der meine Mutter als junge Frau aus eigener Kraft zu entkommen suchte – indem sie nach Kultur und höheren Dingen strebte und Schubert-Lieder einstudierte, bis die Wirtschaftskrise ihre zaghafte Hoffnung zunichtemachte, jemals mehr zu sein als eine Sekretärin, und die Ehe mit einem liebevollen, braven Mann ihr als Rettung vor der Stenografie erschien. Es war ihr Gesang, der ihn zuerst faszinierte. Meine Mutter saß in einem Ruderkahn auf dem stillen See einer preiswerten Sommerfrische, die in den Dreißiger Jahren von jungen Büroangestellten frequentiert wurde; sie war allein und sang ein Lied und ließ die Fingerspitzen durchs Wasser gleiten. Er stand am Ufer und war hingerissen.

Er war der perfekteste Gentleman, dem meine Mutter je begegnet war – vielleicht, weil er nicht in Amerika aufgewachsen war, sondern in England. Sein Job passte gar nicht zu ihm – er war Rechnungsprüfer bei einer Firma namens Metropolitan Tobacco Company. Aber das war natürlich nur vorübergehend. Bei seiner Persönlichkeit, seiner mathematischen Begabung hatte er das Zeug zu viel höheren Positionen. Doch auch wenn er den Job als Phase verstand, wie überhaupt sein Leben, das 1960 zu Ende ging, war beides schließlich so beständig wie die Enttäuschung meiner Mutter.

Fünfunddreißig Jahre hat mein Vater in seiner Firma gearbeitet, täglich von acht bis fünf Uhr und jeden zweiten Samstag bis Mittag; zwei Wochen Urlaub im Sommer und nie eine Beförderung, nie eine Gehaltsaufbesserung. Es war die erste Stelle, die er gefunden hatte, als er in die Staaten kam. Ich kann mir nicht recht erklären, wieso es ihm an Ehrgeiz mangelte. Er war eben erst eingewandert, und schon kam die Wirtschaftskrise, die alle Chancen zunichtemachte. Man hielt fest, was man hatte, und ging keine Risiken ein. Sein Gehalt wurde gekürzt, gleich nach meiner Geburt, und trotzdem blieb er. Dabei spielten, glaube ich, seltsamerweise Loyalität und Stolz eine Rolle. Er hat die Bücher der Metropolitan Tobacco Company tadellos geführt, endlose Zahlenkolonnen in seiner ordentlichen Handschrift gefüllt. Er bekam ein Magengeschwür, als ich zehn war. Jemand wie mein Vater wurde letztlich durch den Computer ersetzt.

Er leistete sich sehr kleine Vergnügungen. Ein paar Zigarren, das Pferderennen. Neben dem Staubsauger meiner Mutter dröhnte die Stimme des Football-Reporters durch meine Kindheit. Ich finde viel Liebe in meinen Erinnerungen an dieses Zuhause, aber keine Leidenschaft. Ich sehe zwei Einzelbetten, keusch mit Chenilledecken bezogen, das Ahorn-Nachttischchen im Kolonialstil dazwischen. Nachts wache ich auf und lausche in die absolute Stille. Nichts regt sich in ihrem Schlafzimmer, dessen Tür immer offen bleibt. Mein Vater küsst meine Mutter, wenn er zur Arbeit geht und wenn er nach Hause kommt. Als ich sieben war, schlug ich ihm vor, wir sollten zusammen abhauen. Er gab mir eine Ohrfeige – und dann entschuldigte er sich, von Reue gepackt, ermahnte mich aber, so etwas nie wieder zu sagen.

Die Masse der Menschen führt ein Leben in stiller Verzweiflung. Mir fiel sofort mein Vater ein, als ich diese Worte Thoreaus in einem Englischkurs am Barnard College las. Ich dachte auch an meine Mutter. Ich selbst wollte lieber sterben, als so zu werden wie die »Masse der Menschen«. Als Heranwachsende denkt man in solchen Extremen, sieht so krasse Alternativen.

Als ich dreizehn wurde, hielt ich es für selbstverständlich, dass wir drei glücklich waren. Dieser Glaube fußte auf meiner Vorstellung, dass die Liebe alles rechtfertigen könne. Gewiss, wir hatten nicht so viel Geld wie andere Leute, aber wenigstens liebten wir einander wie die March-Familie in Little Women. Meine Mutter war eine Künstlerin im Sparen. Mit unübersehbarem Vergnügen stöberte sie in den Kaufhäusern nach Schnäppchen und durchkämmte die Supermärkte nach Angeboten. Sie war Expertin, was den Preisvergleich von Tomatensaft unterschiedlicher Marken anging. Kleider aus Resten guten Tuchs – nie kaufte sie etwas, das nicht bester Zwirn gewesen wäre – haspelten aus ihrer Nähmaschine. Alle meine Pullover waren handgestrickt. In ihren modischen Kreationen war ich korrekter und daher »besser« angezogen als andere Mädchen. Ich sah nicht so »billig« aus wie die anderen in ihren Kleidern von der Stange. Dabei wäre mir nichts lieber gewesen, wie ich mir heimlich wünschte.