Copyright


Alle Namen in diesem Buch, auch die von Unternehmen, sind rein fiktiv.


Romantrilogie von Klaus D. Biedermann:


Steine brennen nicht - Band I

ISBN: 978-3-937883-52-6


Die Siegel von Tench’alin - Band II

ISBN: 978-3-937883-53-3


Das Erbe von Tench’alin - Band III

ISBN: 978-3-937883-83-0



eBook

(1. Auflage Printversion Mai 2016)




Deutsche Ausgabe: © EchnAton Verlag Diana Schulz e.K.
Gesamtherstellung: Diana Schulz
Covergestaltung: Hilden Design
Lektorat: Angelika Funk
ISBN: 978-3-937883-83-0

www.echnaton-verlag.de

Klaus D. Biedermann

Das Erbe von Tench'alin

Romantrilogie

Band 3

Folgende Titel des Autors Klaus Biedermann sind ebenfalls im EchnAton Verlag erschienen:


Über den Autor

Dr. phil. Klaus Biedermann leitet seit 1989 die Coaching Akademie ascoach in Köln. Hier bietet er Aus- und Weiterbildungen zum Coach an und ist außerdem Dozent an der Akademie Deutscher Genossenschaften ADG und der Steinbeis Hochschule.
In der vorliegenden Romantrilogie vereint er seine Erfahrungen und seine Visionen.

Weitere Informationen finden Sie auf seiner Webseite:
www.ascoach.de

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Traugott_ebook

Traugott

Wenn Gott das Meer ist, dann bist du ein Fingerhut gefüllt mit Meereswasser.
Wenn Gott Musik ist, dann bist du eine Note in seinem Musikstück.
Wenn Gott ein Gemälde ist, dann bist du ein Pinselstrich.

Er ging. Einfach so. Lautlos. Ein Glas fällt zu Boden und zerbricht. Zurück bleiben Scherben. So fühlt es sich also an, wenn man den Boden unter den Füßen verliert. Das geht Matthea – von allen nur kurz Theo genannt – durch den Kopf.

»Wie soll ich mit Gott reden, wenn ich doch nicht einmal weiß, wo ich Gott erreichen kann?«

Diese Frage stellte Theo Jahre zuvor dem Buchhändler Traugott an einem Nachmittag, als ihre Mutter sie nicht wie versprochen von der Schule abgeholt hatte. Sie wartete vergeblich auf sie und weil sie nicht wusste, was sie tun sollte, ging sie in die Buchhandlung in ihrer Straße. An all das erinnert sie sich nun wieder, nachdem sie alte Notizen, fein säuberlich in ein Heft eingeklebt, wiederfindet. Traugott hatte ihr damals mit einfachen Worten die universellen Fragen des Lebens beantwortet und eröffnete dem Mädchen eine vollständig neue Sichtweise auf die Welt. Kann er sie mit seinen Worten auch jetzt – Jahre später – wieder erreichen und ihr helfen?

Danielle Willert | Traugott | ISBN: 978-3-937883-75-5

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Rückblick


Die Welt hatte sich verändert. Nach Regierungsumstürzen in fast allen Teilen der Welt, dem Zusammenbruch der Börsen sowie des Bankensystems, Terroranschlägen, verheerenden Kriegen sowie geologischen Katastrophen, die bis weit in das 22. Jahrhundert wirkten, war nichts mehr wie zuvor. Das kosmische Gleichgewicht war in einer gefährlichen Art und Weise aus den Fugen geraten.
Das hatte den Rat der Welten veranlasst einzugreifen. Als einen letzten verzweifelten Ausweg für das Fortbestehen der Menschheit sah man eine endgültige Teilung der Welt. Von den Überlebenden hatte jeder entscheiden können, in welchem Teil der Erde und nach welchen Prinzipien er und seine Nachkommen leben sollten. So besiegelten die Menschen – nicht ganz freiwillig – die Wahl ihrer unterschiedlichen Lebensformen in einem Ewigen Vertrag, der jegliche Einmischung oder Kontaktaufnahme mit dem jeweils anderen Teil strengstens untersagte.
Dadurch war eine Umsiedlungsaktion nötig geworden, die umfangreicher war als jede Völkerwanderung vergangener Zeiten. Ein Zurück sollte es nicht mehr geben. Die Organisation und logistische Umsetzung hatte noch in den Händen einer sich auflösenden UNO gelegen. Seit dem ersten Januar des Jahres 2167 dann war jeder Teil für sich selbst und für die Einhaltung des Vertrags verantwortlich.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren die Unterschiede zwischen Reich und Arm unüberbrückbar geworden. Nachdem viele Staaten zahlungsunfähig geworden und die Schulden anderer ins Unermessliche gestiegen waren, war das Fass schließlich übergelaufen.
Begonnen hatte es damit, dass Slumbewohner großer Städte Amerikas, Südamerikas und Asiens in den Bezirken der Wohlhabenden marodierend und plündernd durch die Straßen gezogen waren. Wenig später hatte in einem anderen Teil der Erde eine gewaltige Fluchtwelle eingesetzt.
Bewohner afrikanischer Staaten und des Mittleren Ostens waren über den Landweg oder in Schiffen, die ihren Namen kaum verdienten, an den Küsten Europas gelandet, um in einem der reichen Länder Asyl zu erlangen. Viele von ihnen waren politisch verfolgt, andere flohen vor Kriegen und wieder andere hatte der Hunger aus der Heimat vertrieben. Die mächtigen Nationen des Westens hatten die Herkunftsländer dieser Menschen unterjocht und ausgebeutet und später Entwicklungsländer genannt oder sie auch als Dritte Welt bezeichnet, obwohl jedem klar gewesen sein konnte, dass es nur eine Welt gab.
Von Polizei- und Militäraufgeboten, durch Mauern und Zäune wurde versucht, die Flüchtlinge aufzuhalten. Die Kapazität der Staaten, die sie bisher aufgenommen hatten, war erschöpft oder es hatten sich dort nationalistische und faschistische Kräfte an die Macht geputscht. Wenn die Zurückgewiesenen nicht durch Waffengewalt starben, wurden viele auf dem Rückweg Opfer des Hungers oder organisierter Banden, die ihnen ihre letzten Habseligkeiten auch noch wegnahmen.
Es hatte viele Mahner gegeben – Künstler, Schriftsteller, Philosophen, Historiker und auch einige Politiker. Später dann – viel zu spät jedoch – hatte es auch den eifrigsten Verfechtern eines kurzen Prozesses mit »Asylbetrügern« und »Wirtschaftsflüchtlingen« gedämmert, dass es nicht damit getan war, Ressentiments gegen Menschen in Not zu schüren.
Denn was bald jeder beobachten konnte, war nichts weniger als eine Völkerwanderung. Die Hunderttausende, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts über die Grenzen der reichen Nationen strömten, waren nur die Vorhut. Viele Millionen folgten ihnen.
Irgendwann hatte auch der letzte militante Gegner der Flüchtlingsströme sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass niemand diesen Zug mehr würde aufhalten können, auch nicht die zum Ritual verkommenen Wir-haben-alles-im-Griff-Parolen der Politiker und deren gekaufter Medien. Tatsache war nämlich, dass es nichts mehr zum Aufhalten gab. Es sollte nie mehr ein Zurück in die Beschaulichkeit geben.
Menschen, die in ihrer Heimat tagtäglich um ihr Leben fürchten mussten, sei es wegen Hungersnot oder Krieg, hatten im Grunde keine Wahl. Entweder sie blieben in ihrer Heimat und nahmen in Kauf, erschossen zu werden, oder sie begaben sich auf einen langen und risikoreichen Weg mit höchst ungewissem Ende. Millionen hatten sich für letztere Variante entschieden.
Sie nahmen Entbehrungen, Krankheiten und die Gefahr von Raubüberfällen auf sich, durchquerten zu Fuß Wüsten und feindliche Stammesgebiete. Sie wanderten nach Norden oder Westen, zumeist in Richtung Meer. Wenn sie dann mit viel Glück nach Monaten entkräftet und ausgelaugt an einer Küste angekommen waren, begann die nächste, nicht minder gefährliche Etappe ihrer Wanderung. Gut organisierte Schlepperbanden nahmen ihnen das Geld ab, das ihnen ihre Familien beim Abschied mit der dringenden Bitte anvertraut hatten, sie am Ziel ihrer Wanderung nicht zu vergessen.
Wenn sie dann irgendwann bei Nacht in überladene und seeuntüchtige Boote gepfercht wurden, konnten sie nur noch beten, lebend über das Meer zu kommen. Natürlich wussten sie um die Gefahren der Überfahrt, aber sie nahmen sie in Kauf, um dem fast sicheren Tod zu entgehen. Viele ertranken im Mittelmeer oder erstickten in den LKWs gewissenloser Schleuser, nicht zuletzt auch deswegen, weil manche Länder ihrer Sehnsucht nicht das geringste Interesse daran hatten, dass sie jemals dort ankamen. Es wäre nämlich ein Leichtes gewesen, die Flüchtlinge mit Fähren, Kreuzfahrtschiffen, Flugzeugen und Helikoptern sicher zu transportieren.
Die Verzweifelten wussten auch, dass sie, sollten sie es tatsächlich bis ans Ziel schaffen, nicht mit offenen Armen aufgenommen werden würden, sondern dass ein beschwerlicher Weg mit viel Bürokratie und Unsicherheit auf sie wartete und oftmals Demütigungen und Anfeindungen ihre Wegbegleiter sein würden.
Die Bewohner der wohlhabenden Länder Europas hatten sich dieser Entwicklung anpassen müssen. Nach mehr als hundertjähriger Ausbeutung war jetzt Teilen angesagt. Unabhängig von der Haltung der Gastländer hatten sich die Elenden und Verzweifelten der damaligen Welt nämlich einfach auf den Weg gemacht. Auf Gedeih und Verderb.
Ende 2013 gab es nach dem Jahresbericht des UN-Flüchtlingshilfswerks weltweit 50 Millionen Flüchtlinge, Asylsuchende und Vertriebene; ein Jahr später waren es 10 Millionen mehr. Die Hälfte dieser Flüchtlinge waren Kinder. Etwa 20 Millionen Menschen lebten damals im ausländischen Exil.
Allein aus Afghanistan und Syrien flüchteten je rund 2,5 Millionen, aus Somalia rund 1,2 Millionen und aus dem Irak gut 400. 000. Die meisten dieser Flüchtlinge lebten zunächst in riesigen Lagern in der Türkei, in Pakistan, im Libanon und im Iran und somit in Ländern, die bereits vor Eintreffen der Flutwellen erhebliche wirtschaftliche und soziale Probleme hatten. Diese Aufnahmeländer hatten nicht annähernd den Wohlstand der entwickelten europäischen Staaten. Gleichwohl mussten sie versuchen, die erdrückende Flüchtlingslast zu bewältigen. Die Lage in den Flüchtlingslagern war oft katastrophal.
Der Flüchtlingsstrom folgte archaischen Verhaltensmustern.
Man konnte zwar Mauern aufrichten, um seinen Reichtum zu verteidigen, aber diese hatten dem Andrang von Abermillionen auf Dauer nicht standhalten können. Auch die Rufe nach neuen und schärferen Gesetzen konnten die Probleme nicht lösen, denn sie verhallten in den Kriegs- und Armutsgebieten Afrikas, des Nahen und Mittleren Ostens ungehört. Die Verzweifelten in Syrien, im Irak, in Afghanistan, Eritrea und Somalia und anderswo hatten ganz andere Sorgen, als die Asylgesetze der Europäer zu lesen. Noch weniger hatte es sie interessiert, ob das Taschengeld für Asylbewerber gekürzt oder durch Gutscheine ersetzt werden sollte. All das war den Kriegs- und Armutsflüchtlingen keinen Gedanken wert, denn sie hatten nur ein Ziel: ihr Leben zu retten.
Die europäische Wertegemeinschaft zeigte sich heillos überfordert. Europa zerfiel. Hinzu kam, dass die Ressourcen des Planeten fast erschöpft waren. Sogar um Wasser wurde Krieg geführt. Die Verschmutzung der Welt als Folge verantwortungsloser Industrialisierung und Ausbeutung hatte zu massiven klimatischen Veränderungen beigetragen. Aus all dem war ein Flächenbrand geworden, der sich auch über die Länder ausgedehnt hatte, die bis dahin von Naturkatastrophen weitgehend verschont geblieben waren.
Stürme, Überflutungen, Unfälle in Atomkraftwerken, Vulkanausbrüche, Erdbeben, enorme Verschiebungen der Erdplatten sowie Dürren hatten das Bild der Erde verändert.
Kontinente waren ganz oder teilweise verschwunden. Auch das Schmelzen der polaren Eiskappen und der damit verbundene Anstieg der Meeresspiegel hatten dem Planeten ein neues Gesicht gegeben. Hurrikane und Regenfälle nie gekannten Ausmaßes waren die Folge gewesen. Länder wie die Philippinen, Bangladesch, die Niederlande, große Teile der USA, Japans und Indiens hatte sich das Meer zurückgeholt.
Millionen Menschen hatten dabei ihr Leben verloren oder waren obdachlos geworden. Hitzeperioden und Trockenheiten hatten fruchtbare Gegenden für immer unbewohnbar gemacht.
Nach der Teilung lebten die Menschen der Neuen Welt in dem Gebiet, welches vom nord- und südamerikanischen Kontinent übrig geblieben war. Man setzte dort auf technologische Entwicklung, aber es hatte auch radikale Umstellungen der bisherigen politischen Systeme gegeben. Nur so, nahm man an, würde man den Fortbestand der Menschheit sichern können. Man passte sich den klimatischen Verhältnissen an und erfand immer mehr Möglichkeiten, das Wetter zu manipulieren.
Der andere Teil der Menschheit besann sich indes auf seine eigenen natürlichen sowie erneuerbaren Ressourcen, alten Werte und Traditionen und wurde Alte Welt genannt. Man lebte in dem Rest des europäischen Kontinents mit den Kräften der Natur im Einklang. Sonne, Wind und Erdwärme lieferten dort die Energie, die man zum Leben brauchte. Die Bewohner der Alten Welt hatten ihren Ländern und Orten die ursprünglichen Namen zurückgegeben.
Im Jahr 2870 hatte BOSST, eines der größten Unternehmen der Neuen Welt, einen geheimen Auftrag zu vergeben. Man wusste von Bauplänen des Myon-Neutrino-Projektes, mit dem man Energie aus dem Äther gewinnen könnte. Die Pläne dieser Erfindung befanden sich allerdings in der Alten Welt.
Für das Unternehmen stellten sie einen unschätzbaren Wert dar.
Nikita Ferrer, eine junge, ehrgeizige und aufstrebende Wissenschaftlerin, hatte den Auftrag erhalten, diese Pläne zu beschaffen. Aus Abenteuerlust und weil sie wusste, dass dies eine Chance war, die so leicht nicht wiederkommen würde, willigte sie ein. Da man sich sicher war, alle nötigen Vorkehrungen getroffen zu haben, nahm man den Vertragsbruch und das Risiko einer Entdeckung in Kauf.
Nach offizieller Darstellung wurde Nikita Ferrer für ein paar Wochen in die Südstaaten geschickt, um bei einem kritischen Firmenprojekt den dortigen Wissenschaftlern zur Seite zu stehen. Das war auch das, was sie aus Loyalität gegenüber ihrem Vorgesetzten, Professor Rhin, ihren Freunden und Eltern erzählt hatte.
Sie hatte zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht gewusst, dass sie eine Walk In war. Dabei handelt es sich um Menschen, die bewusst inkarnieren können und denen es möglich ist, die Erinnerung aller früheren Leben zur Verfügung zu haben.
Sie selbst hatte nämlich die Unterlagen der Myon-Pläne in einem ihrer früheren Leben in den Gewölben der Burg Gisor in dem geheimnisvollen Tal von Angkar Wat im Agillengebirge versteckt. Nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten, darunter der Firmenchef Mal Fisher, selbst ein Walk In, hatte davon Kenntnis.
Senator Ferrer, der an die Version eines Forschungsauftrages seiner Tochter im Süden nie geglaubt hatte, hatte es trotz seiner Verbindungen zum Geheimdienst nicht verhindern können, dass sie mit einem U-Boot unter dem Kommando von Kapitän Franch an der Küste Flaalands abgesetzt wurde. Ein Verehrer Nikitas, Dr. Will Manders, hatte seine Nachforschungen über ihren Verbleib inzwischen mit seinem Leben bezahlt, genauso wie Kapitän Franch und seine Besatzung, die daher niemandem von ihrer letzten Fahrt mit der U-52 erzählen konnten.
Senator Ferrer hatte inzwischen weitere Nachforschungen in der Heimat angestellt. Als er unbequemer wurde, war ein Auftragskiller auf ihn angesetzt worden, der auch schon an der Entführung der damals 12-jährigen Sisko-Zwillinge beteiligt gewesen war. Die Zwillinge waren inzwischen erwachsene Männer. Nur Herb Sisko und Mike Stunks, der inzwischen Leiter der NSPO geworden war, sowie die Auftraggeber der Entführung wussten, dass bei den Zwillingen der ICD ausgetauscht worden war.
In der Alten Welt wusste man inzwischen Bescheid. Der Emurk Vonzel, der unerkannt in die Neue Welt gereist war, hatte gemeinsam mit dem Gnom Shabo nach einigen brenzligen Zwischenfällen herausgefunden, dass es Nikita war, die die Pläne herausholen sollte. Er hatte damit sein Volk aus einer dreihundertjährigen Verbannung gerettet, das mit der alten Flotte, die von den Krulls liebevoll restauriert worden war, in ihre Heimat zurückgesegelt war.
Effel Eltringham, ein junger Mann aus Seringat, war indes vom Ältestenrat ausgewählt worden, den feindlichen Übergriff abzuwehren. Der Krull Perchafta hatte sich ihm zu erkennen gegeben und war sein Reisebegleiter, weiser Ratgeber und Lehrer geworden.
Im entscheidenden Moment aber waren Effel und Nikita auf sich allein gestellt. Erst kurz vor dem Ziel waren die Erinnerungen an ihr früheres Leben wie eine Sturzflut über sie hereingebrochen. Beide hatten fast zeitgleich den Eingang zu dem geheimnisvollen Tal Angkar Wat und die Pläne des Myon-Projektes gefunden. Darüber und über den Vertragsbruch aber sollte vom Rat der Welten entschieden werden.
Dessen Versammlung hatte im Tal Angkar Wat stattgefunden.
Nikita hatte schließlich die Erlaubnis erhalten, mit den Plänen in ihre Heimat zurückzukehren.
Während der Zeit des Wartens zeigte Effel Nikita seine Heimat. Nikita lebte sich schnell ein und fand mehr und mehr Gefallen an der Lebensweise der Alten Welt.
Vincent, der Sohn des reichen Farmers Jared Swensson, war nach einem missglückten Mordversuch an der Seherin Brigit Molair in die Berge geflohen und hatte ebenfalls den Zugang zum Tal Angkar Wat entdeckt. Er war aber von einem der Wächter getötet worden.
Auf der Suche nach ihm hatten Jared Swensson und Scotty Valeren das Tal von Angkar Wat entdeckt und dort eine grausige Entdeckung gemacht.
Die Krulls indes hegten die Befürchtung, dass die Neue Welt in Wirklichkeit an dem interessiert war, das die Siegel von Tench'alin bewachten. Dieser Schatz lag ebenfalls in dem weitläufigen Höhlensystem der Agillen verborgen. Käme dieses Wissen in den Besitz der Neuen Welt und dort in die falschen Hände, würde das Konsequenzen unvorstellbaren Ausmaßes haben. Nach Erkenntnissen der Krulls und ihrer Bundesgenossen verfügte man dort zwar inzwischen über die technischen Möglichkeiten, mit den Geheimnissen zu experimentieren, die von den Siegeln verschlossen wurden. Man war aber noch weit davon entfernt, die ganze Tragweite solcher Experimente zu erkennen.

***

Die Prophezeiung


»Die Zeit entwickelt sich und kommt zu einem Punkt, an dem sie sich wieder erneuert … zuerst gibt es eine Zeit der Reinigung und dann eine Zeit der Erneuerung. Wir sind schon sehr nah an dieser Zeit der Erneuerung. Man sagte uns, wir werden sehen, wie Amerika entsteht und vergeht. Auf eine Art ist Amerika schon am Sterben … von innen, denn sie hielten sich nicht an die Bestimmungen, wie man auf dieser Welt zu leben hat.
Alles kommt zu einem Punkt, an dem die Prophezeiungen wahr werden, dass die Unfähigkeit des Menschen, auf spirituelle Art und Weise zu leben, zu einer Wegkreuzung mit riesigen Problemen führen wird. Wir, die Hopi-Indianer, glauben, dass es keine Chance gibt, wenn man nicht spirituell mit der Erde verknüpft ist und nicht versteht, dass man mit einem spirituellen Bewusstsein auf dieser Erde leben sollte.
Als Kolumbus hier ankam, begann das, was wir als Ersten Weltkrieg bezeichnen. Das war der wahre Erste Weltkrieg.
Denn nach Kolumbus kam halb Europa hierher. Nach eurem Zweiten Weltkrieg gab es in den USA nur noch 800.000 Ureinwohner … von den ursprünglich ungefähr 60 Millionen.
Man hatte uns fast ausgerottet.
Alles ist spirituell, alles hat einen Geist in sich. Alles wurde durch den Schöpfer hierher gebracht. Manche sagen Gott zu ihm, andere Buddha, andere Allah. Wir sagen Konkachila zu ihm, Großvater.
Wir sind nur einige Winter auf der Erde, dann gehen wir in die Spirituelle Welt. Die Geistige Welt ist wirklicher, und viele von uns glauben, dass sie sogar alles ist.
Über 95 % unseres Körpers besteht aus Wasser. Um gesund zu bleiben, musst du gutes Wasser trinken. Als die Europäer und Kolumbus hierherkamen, konnte man aus allen Flüssen sauberes Wasser trinken. Hätten die Europäer die Natur so behandelt, wie es die Indianer machen, könnten wir immer noch das Wasser aus den Flüssen trinken.
Wasser ist heilig, Luft ist heilig. Deine DNA ist dieselbe, die der Baum hat. Der Baum atmet ein, was wir ausatmen, wir atmen ein, was der Baum ausatmet. Wir und die Bäume haben dasselbe Schicksal. Wir leben alle auf dieser Erde. Und wenn die Erde, das Wasser, die Atmosphäre verschmutzt werden, dann wird das Folgen haben, Mutter Erde wird reagieren. Die Hopi-Prophezeiung sagt, dass Fluten und Stürme schlimmer werden. Für mich ist es nichts Negatives zu wissen, dass es Veränderungen geben wird. Das ist nicht negativ, es ist Evolution.
Wenn du es als Evolution betrachtest, ist es Zeit. Nichts bleibt, wie es ist.
Ihr solltet lernen zu pflanzen. Das ist die erste Verbindung.
Ihr solltet alle Dinge als beseelt behandeln und verstehen, dass wir eine Familie sind. Das geht nie zu Ende. Das ist wie das Leben. Es gibt kein Ende des Lebens.«

(Hopi-Ältester Floyd Red Crow, 2007)

Kapitel 1


Marenko Barak liebte Fisch ‒ keinen gegrillten, keinen gekochten, sondern rohen Fisch. Seitdem er vor ein paar Jahren bei einem Besuch in Suizei zum ersten Mal in seinem Leben Sushi gekostet hatte.
Eine entfernte Verwandte hatte dorthin geheiratet und der Bürgermeister von Verinot, der für seine Neugierde bekannt war, hatte die Reise gerne auf sich genommen, um nach dem Rechten zu schauen, wie er im Kreise seiner Freunde kundgetan hatte.
Seine Frau Sara hatte ihn nicht begleiten wollen. Vor der Abfahrt hatte sie noch zu ihm gesagt: »Du kennst Isabel doch kaum. Du hast sie nur zweimal gesehen, als sie noch ein Kind war, und jetzt musst du unbedingt dorthin? Du willst dir wirklich diese lange Reise antun? Dir ist nicht mehr zu helfen …«
Und hatte noch mit einem Lächeln hinzugefügt: »Du Neugiernase.« Sie wusste genau, dass sie ihren Mann nicht aufhalten konnte, und in diesem Fall passte es ihr auch gut, denn so würde sie Zeit haben, die Inneneinrichtung des Hauses umzugestalten, ohne dass er ihr ständig hineinredete. Ihre Geschmäcker waren in dieser Beziehung sehr verschieden.
Sie hatte kürzlich in einem Möbelgeschäft eine Couchgarnitur entdeckt, die es ihr auf den ersten Blick angetan hatte.
Die sollte es sein, hellbraun und aus weichstem Maroquinleder, einer Ziegenart aus den südlichen Steppengebieten.
Außerdem waren gerade wieder bunte Tapeten angesagt. Alle zwei bis drei Jahre renovierte, strich, kaufte oder stellte sie Möbel um ‒ immer dann, wenn Marenko auf Reisen war. Der beschwerte sich zwar bei seiner Rückkehr, weil er angeblich seine Sachen nicht wiederfand, freundete sich aber nach einiger Zeit mit den neuen Umständen an und schließlich lobte er sogar den Ideenreichtum seiner Frau. Sara zweifelte nicht einen Moment, dass es diesmal genauso sein würde.
Suizei mit seinen weit mehr als 100.000 Einwohnern wurde fast ausschließlich von den Nachkommen der Menschen aus dem ehemaligen Japan, China und Korea bevölkert. Sie hatten ihrer Stadt, die nur ein kurzes Stück vom Meer entfernt lag, einen kaiserlichen Namen gegeben. Kamu Nunagawamimi no Mikoto hatte Japan in der Zeit von 581–549 v. Chr. regiert. Der zusätzliche Name Suizei war ihm posthum verliehen worden.
Die Existenz dieses Kaisers wurde zwar von vielen Seiten bezweifelt, aber vielleicht wurde die Stadt gerade aus diesem Grunde nach ihm benannt.
Die Menschen hier pflegten sehr genau die alten Traditionen ihrer Vorfahren und so heiratete man normalerweise auch keine Fremden. Isabel war eine der wenigen Ausnahmen. Sie war sehr herzlich in der Familie aufgenommen worden, sicherlich auch, weil sie sich gründlich auf die Sitten und Bräuche der Gemeinschaft ihres künftigen Ehemannes vorbereitet hatte. Deren Wurzeln reichten zurück bis zum Volk der Ainu, die bereits im Altertum die nördlichen Gebiete der japanischen Hauptinsel Honshu besiedelt hatten. Dieses nordostasiatische Urvolk hatte sich mit dem bereits dort lebenden Urvolk vermischt und daraus war dann die spätere japanische Rasse entstanden. In Harukis Familie war man stolz auf seine Geschichte.
Das junge Paar hatte sich vor zwei Jahren durch einen glücklichen Zufall kennengelernt. Nach dem Studium war Isabel ein halbes Jahr lang mit dem Rucksack durch den Süden gereist. Sie wollte, bevor sie ihre Stelle als Lehrerin antrat, Land und Leute kennenlernen. Eines Morgens hatte sie in aller Frühe eine berühmte Tempelanlage besichtigt. Vor dem Betreten musste man seine Schuhe neben dem Eingangstor abstellen. Ein paar Männerschuhe, die bereits dort standen, hatten ihr signalisiert, dass sie an diesem frühen Morgen nicht die erste Touristin war. So lernte sie Haruki kennen. Schon drei Monate später war sie zu ihm nach Suizei gezogen.
Isabel hatte sich sehr über den Besuch aus der Heimat gefreut und ihren Gast stolz durch das geräumige Haus geführt, das die Familie ihres Ehemannes in nur einem halben Jahr in altem japanischen Stil für das junge Paar errichtet hatte.
Das einzig Moderne war eine Solaranlage.
»Komm, Onkel, ich zeige dir jetzt noch den Garten, dort können wir uns vor dem Essen noch ein wenig die Beine vertreten. Das tut dir sicher gut nach der langen Fahrt.«
»Gerne, liebe Isabel, zeige mir nur alles. Deswegen bin ich ja schließlich gekommen.«
»Das ist ein Zengarten«, hatte Isabel erklärt, »ich weiß nicht, ob du schon mal einen gesehen hast. Bei uns zu Hause gibt es so etwas ja nicht.«
Marenko hatte verneinend den Kopf geschüttelt und war bereits staunend in der Betrachtung dieses seltsamen Gartens versunken gewesen.
»Solche Gärten sind bis ins letzte Detail geplant. Um sie vollends zu verstehen, ist es nötig, sie richtig lesen zu lernen, und das ist eine Wissenschaft für sich. Harukis Onkel Akira ist ein sehr berühmter Gartenbauer. Der Name bedeutet übrigens der Strahlende.«
»Akira, so hieß, glaube ich, der Adler von Jared Swensson, dem Farmer aus Winsget. Wahrscheinlich kennst du ihn.«
»Den Adler?«, hatte Isabel gelacht.
»Nein, Jared natürlich«, hatte Marenko das Lachen erwidert.
»Wer kennt Raitjenland nicht? Aber dass er mal einen Adler hatte, wusste ich gar nicht.«
»Da warst du auch noch nicht auf der Welt, Isabel.«
»Das Anlegen dieses Gartens – du wirst gleich sehen, wie groß er ist – hat dreimal so lange gedauert wie der Bau unseres Hauses. Für Liebhaber sind ihre Gärten viel wertvoller als ihr Haus, na ja, und mein Mann liebt seinen Garten sehr.«
»Ich hoffe, er liebt ihn nicht mehr als dich«, hatte Marenko gelacht und seiner Nichte zugezwinkert, um sich anschließend mit einem großen Taschentuch Schweißperlen von der Stirn zu wischen.
»Nein, Onkel, da kannst du ganz beruhigt sein, ich habe den besten Mann der Welt … aber komm weiter, es gibt viel zu sehen. Ich hoffe, es ist nicht zu anstrengend für dich?«
»Es geht schon, es geht schon, mach nur weiter, es ist alles sehr interessant bei euch.«
»Ein Zengarten ist so angelegt, dass Besucher ganz entspannt viele Entdeckungen machen können. Schau einmal hier.«
Isabel hatte mit einem Arm in eine Richtung gedeutet und ihre Erklärung fortgesetzt. Es hatte ihr sichtlich Vergnügen bereitet, ihrem Onkel ihr Wissen zu demonstrieren.
»Meistens führt ein Blick aus einer anderen Perspektive zu einem ganz neuen Eindruck. Das wird durch eine asymmetrische Anordnung erreicht. Wie du bald bemerken wirst, sind auch unebene Wege sehr beliebt. Das soll es für den Besucher noch interessanter machen, durch den Garten zu gehen. Gerade Wege wie dieser, auf dem wir stehen, werden nur angelegt, um den Blick in eine bestimmte Richtung zu lenken. Statt herumzuschlendern, kann man sich an einer Stelle niederlassen, den Garten betrachten und auf sich wirken lassen. Daher die kleinen Bänke hin und wieder. So wird die Fantasie auf eine wundervolle Weise angeregt. Onkel, schau, du kannst in die verschiedenen Elemente dieses Gartens viel hineininterpretieren.
Egal ob du sie einzeln oder als Kombination betrachtest.
Trotz der genauen Planung eines solchen Gartens gibt es aber keine strenge Vorgabe bei der Deutung. Komm, lass uns ein wenig ausruhen, hier ist einer meiner Lieblingsplätze.«
Sie hatten sich auf eine kleine Bank gesetzt, die fast gänzlich von Bambus umgeben war, der von einem leichten Wind sanft bewegt wurde. Marenko hatte die Einladung nur zu gerne angenommen. Er hatte einen Moment die Augen geschlossen und dem leisen Rascheln des Bambus gelauscht.
Nach einer kleinen Weile hatte Isabel ihn sanft in die Seite gestoßen.
»Sieh mal, in unserem Garten kommen besonders die vier Elemente Stein, Moos, Wasser und Baum vor. Die letzten beiden jedoch nur in symbolischer Form«, sie hatte auf einige Bonsais in der Nähe gezeigt.
»Steine symbolisieren beispielsweise Tiere, das Wasser steht für Seen oder Ozeane, die auch Göttern gewidmet sein können, die der alten Sage nach über das Meer zu uns kommen.
Komm mit, ich zeige dir jetzt das Wasser«, hatte sie sich mit einem Lächeln bei Marenko untergehakt. Und dann hatte sie auf ein rechteckiges, mit einem niedrigen Holzrahmen eingefasstes Kiesbett gezeigt und war stehen geblieben.
»Um Wasser darzustellen, wird Sand oder dieser spezielle Granitkies verwendet. Der verweht nicht so schnell. Die geharkten Linien symbolisieren Wellen. Die großen Steine, die dort überall in scheinbarer Unordnung liegen, können als liegende Hunde, Wildschweine oder als Kälber, die mit ihrer Mutter spielen, aufgefasst werden.«
Langsam waren sie während Isabels Erläuterungen weitergegangen.
Marenkos Blick war auf ein niedriges Rundhaus gefallen, das von mehreren zierlichen Laternen umgeben war.
»Weißt du, dass du der Erste aus der Familie bist, der mich hier besuchen kommt?«, hatte sie gefragt, als sie sich in dem Teehaus niedergelassen hatten. Vor ihnen stand eine Kanne duftender Jasmintee. Isabel hatte das Gebräu langsam in die zarten Porzellantassen eingeschenkt, woraufhin süßer Duft den Raum erfüllt hatte.
»Nein, das weiß ich nicht … sogar deine Eltern waren noch nie hier? Ihr hattet doch immer ein sehr enges Verhältnis, soweit ich mich erinnere. Bist du nicht ihre einzige Tochter?«
Marenko hatte vorsichtig von dem heißen Getränk gekostet.
»Ja, das stimmt alles, aber Mama geht es nicht so gut, seit sie sich vor zwei Jahren bei einem Reitunfall eine Wirbelverletzung zugezogen hat, und Papa reist nicht ohne sie. Sie braucht immer noch einen Stock.«
»Dann sollte sie mal zu dem Schmied in Seringat gehen … ich werde ihr den mal empfehlen, wenn ich wieder zurück bin.«
»Zu einem Schmied?« Isabel hatte die Stirn in Falten gezogen.
»Was soll sie denn bei einem Schmied?« Dann hatte sie lachen müssen. »Sie braucht doch keine neuen Hufe, Onkel Marenko.«
»Ich weiß, ich weiß, keine Angst. Er heißt Soko Kovarik und ich kann dir versichern, gerne auch schwören, dass er heilende Hände hat. Schon zwei meiner besten Pferde hat er wieder hinbekommen. Beide hatten sich die Hüfte ausgerenkt, was bei meinem Gewicht ja nun wirklich kein Wunder ist«, lachte er kurz auf. »Zwei kurze Griffe und sie waren wieder wie neu … unglaublich, sage ich dir. Aus der ganzen Gegend bringen sie ihre kranken Pferde, Rinder, Hunde … eben einfach alles, was Hufe, Pfoten oder Federn hat, zu ihm. Soko schaut sich immer auch den Besitzer sehr genau an und wenn er bei diesem ein Hinken oder auch nur einen Anflug davon entdeckt, was oft der Fall ist, heilt er den gleich mit. ›Wie der Herr, so's Gescherr‹, sagt er dann und lacht. Ein wirklich bemerkenswerter Bursche, dieser Schmied. Ein Versuch ist es allemal wert, liebe Isabel … ich werde es deiner Mutter sagen.
Wäre doch wirklich schade, wenn deine Eltern das hier nicht sehen könnten.«
»Na, wenn das so ist«, hatte die Nichte geantwortet, »dann bin ich gespannt, ob er ihr helfen kann.«
Marenko hatte sich verrenken müssen, als er wenig später zu Tisch gebeten wurde, denn er war es nicht gewohnt, so niedrig zu sitzen. Ächzend ließ er sich auf einem der breiten, kunstvoll bestickten Kissen nieder. Das Essen hatte ihm unerwartet gut geschmeckt, obwohl er zunächst einmal die Nase gerümpft hatte, als er erfahren hatte, dass es sich vornehmlich um kalten Reis und rohen Fisch handeln würde, der in Algenblätter eingewickelt war. Die Bemerkung, ob kein Geld mehr für Stühle übrig gewesen war, hatte er sich verkniffen, denn er hatte die Menschen auf Anhieb gemocht und wenn er ehrlich war, hätten Stühle auch nicht zum restlichen Stil des Hauses gepasst. Hoffentlich würde seine Frau nicht eines Tages auf die Idee mit Sitzkissen am Esstisch kommen. Besser er erzählte ihr von dieser Einrichtung hier nichts.
Harukis Familie hatte ihn freundlich aufgenommen und als er sich einen ganzen Löffel Wasabi in den Mund geschoben und daraufhin in Husten und Tränen ausgebrochen war, hatten alle nur gelächelt und sich bei ihm mit vielen Verbeugungen dafür entschuldigt, ihn nicht besser aufgeklärt zu haben. Als er sich wieder erholt und die richtige Dosierung gefunden hatte, hatte er gar nicht genug bekommen können, was seine Gastgeber auf das Höchste erfreute. Die gereichte Suppe sowie das in dieser Stadt gebraute Bier hatten ihm ebenfalls vorzüglich geschmeckt.
»Isabel, du musst mir unbedingt zeigen, wie diese Speisen zubereitet werden, das werde ich alles gleich zu Hause meine Frau ausprobieren lassen. Ich bin sicher, sie wird ebenso begeistert sein wie ich, ach was, alle werden begeistert sein.
Weißt du was? Wir werden ein Sushi-Restaurant in Verinot eröffnen … die werden staunen, das sag ich dir.« Marenko hatte sich den Bauch gehalten vor Lachen und alle hatten höflich eingestimmt.
»Lieber Onkel, ich fürchte das geht nicht einfach so mal eben auf die Schnelle«, Isabel hatte auf ihren Schwager Hiro gedeutet. »Weißt du, wie lange Hiro in der Lehre war, bis er solche Köstlichkeiten herstellen konnte und durfte? Sieben Jahre hat seine Ausbildung gedauert. Inzwischen führt er eines der bekanntesten Restaurants der Stadt und zur Feier des Tages hat er nur für uns gekocht.«
»Sieben Jahre?«, hatte Marenko gestaunt. »Dann muss er jemanden zu uns schicken, der es auch kann. Er wird ja nicht der einzige Sushikoch in dieser Stadt sein. Ich bin mir sicher, dass ein solches Lokal für Verinot eine Bereicherung wäre … na ja, und ich müsste nicht jedes Mal eine solch weite Reise machen.«
Da hatte sich Hiro eingemischt.: »Verehrter Marenko, ich kann dir in den nächsten Tagen zeigen, wie du das Gericht, das wir Sashimi nennen, herstellen kannst. Es ist ganz einfach, wenn du ein gutes Messer hast. Scharf muss es sein … sehr scharf … Weißt du was? Ich werde dir eines schenken, weil es mich so freut, dass du mein Essen magst … und weil du ein Onkel unserer Isabel bist. Sojasoße wirst du ja bei euch auch bekommen, mehr braucht es dafür nicht … außer guten Fisch natürlich … aber ihr lebt ja ebenfalls in Meeresnähe … und deine Lieblingszutat hier«, er hatte lächelnd auf die Schale mit dem Wasabi gezeigt, »können wir dir in regelmäßigen Abständen schicken.«
Hiro hatte mehrere kleine Verbeugungen gemacht, und der Rest der Familie hatte vor Begeisterung in die Hände geklatscht.
»Lieber Onkel, bei meinem Schwager hast du einen großen Stein im Brett!«, hatte Isabel ausgerufen.
Marenko hatte die Verbeugung zwar etwas ungelenk, aber nicht weniger ernsthaft erwidert.
»Ich danke dir für dieses großzügige Geschenk, verehrter Hiro. Ich hoffe, auch dich eines Tages in unserem schönen Verinot begrüßen zu dürfen. Ich freue mich jetzt schon auf dein Urteil über unsere Küche. Auch wir haben da mit einigem aufzuwarten, was durchaus der Beachtung wert ist.«
Beim Abschied hatte seine Nichte ihm ins Ohr geflüstert: »Es ist eine große Ehre, wenn ein Koch eines seiner Messer verschenkt … er muss dich sehr mögen, lieber Onkel. Ach, es war so schön, dass du hier warst, komm bitte bald wieder … und bringe deine Frau mit … und dann bleibt ihr aber länger, versprochen? Du hast noch nicht alles gesehen. Sie haben hier sogar einen alten japanischen Kaiserpalast nachgebaut. Diese Gärten solltest du erst mal sehen.«
»Versprochen liebe Isabel, versprochen … aber nach eurem Besuch bei uns in Verinot.«
So war Marenko nach vielen Verbeugungen und guten Wünschen ein paar Tage später mit einem wertvollen Geschenk und vielen neuen Ideen gut gelaunt in seine Heimat zurückgekehrt.
War Marenko früher zum Fischen gegangen, weil er seine Ruhe haben wollte, so hatte er jetzt einen Grund mehr. Seitdem er des Öfteren Sashimi aß, hatte er sogar einiges an Gewicht verloren, was seiner Gesundheit sehr zugutekam.
War er im letzten Jahr bei der Versammlung in Seringat noch heftig ins Schnaufen und Schwitzen gekommen, bloß weil er ein paar Stufen zum Rednerpult emporgestiegen war, so konnte er jetzt längere Spaziergänge mit seiner Frau unternehmen und hatte sogar wieder Spaß am Reiten gefunden, was wiederum seiner Figur guttat.

An diesem Morgen des 9. Oktober, es war ein Sonntag, war er gut gelaunt aufgebrochen. Er hatte Lando, seinen fünfjährigen Apfelschimmel gesattelt, das Angelzeug eingepackt und war an die Küste geritten. Für den nächsten Abend hatte sich seine Schwester nebst Mann zum Essen angekündigt und da sollte es Sashimi geben. Er saß bereits seit geraumer Zeit auf seinem Stammfelsen in einem bequemen Klappstuhl und döste mit tief ins Gesicht gezogener Mütze.
Er hatte zum wiederholten Mal seine Angel mit dem Spezialköder, einer Mischung aus altem Käse und Madenmehl, ausgeworfen, aber außer ein paar kleinen Makrelen hatte er noch nichts gefangen, was der Rede wert gewesen wäre. Seine Laune drohte in den Keller zu rutschen.
Beim nächsten Mal werde ich das Boot nehmen und einen Thun holen, schmeckt eh am besten, dachte Marenko trotzig.
Er hasste Misserfolge.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Er würde sich bald auf den Rückweg machen müssen, wenn er pünktlich zur Ratssitzung zurück sein wollte. Außerdem wurde ihm allmählich zu warm auf seinem Felsen. Dieser Oktober versprach wirklich golden zu werden. Heute wollte er verkünden, dass er bei der nächsten Wahl zum Bürgermeister nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Sollte mal jemand anderer die Arbeit machen. Er war mehr als zehn Jahre im Amt gewesen und sein Bestreben war es jetzt, in den Ältestenrat der Kuffer gewählt zu werden. Diesen Beschluss hatte er auf der letzten großen Versammlung in Seringat gefasst. Jelena hatte damals einen sehr gebrechlichen Eindruck auf ihn gemacht, außerdem hatte sie die 90 längst überschritten. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis ihr Platz frei werden würde.

An Bord der U-57 wandte sich der Erste Offizier an seinen Kapitän. »Sir, wenn dieser Angler nicht bald zusammenpackt und verschwindet, haben wir einen Zeugen … sollen wir ihn …?«
»Nein, Officer, lassen Sie mal, unsere Passagierin müsste bald da sein. Sollen ihm vor Staunen ruhig die Augen aus dem Kopf fallen. Was soll so ein Hinterwäldler schon machen? Wahrscheinlich glaubt ihm sowieso niemand diese Geschichte.« Der Kapitän blickte auf einen Bildschirm und lächelte.
»Soll er vielleicht seine Angel nach uns auswerfen?« Er lachte über seinen Witz und Fin Muller stimmte ein.
»Es war gut, Sir, dass Dennis unseren anderen Gast schon am frühen Morgen an Land gebracht hat … bevor dieser Angler da war. Frau Ferrer dürfen wir ja mit offizieller Genehmigung dieses Weltenrates an Bord nehmen, was immer das auch für ein Rat sein soll. Dennis müsste jeden Moment zurück sein. Er hat sich eben gemeldet. Er hat lange suchen müssen, bevor er eine geeignete Stelle gefunden hat, sagt er. An der vorgesehenen Stelle seien zu viele Fischerboote unterwegs gewesen. Aber Sisko ist letztendlich unentdeckt an Land gegangen.«
»Nun, wenn der Angler Sisko gesehen hätte, dann hätten wir sicherlich handeln müssen.«
»Frau Ferrer sollte eigentlich jeden Moment da sein … na sehen Sie, Sir, kaum spricht man vom Teufel … Dort oben, am Waldrand, da ist sie ja.« Fin Muller zeigte auf einen anderen Bildschirm.

Das Wiehern eines Pferdes riss Marenko plötzlich aus seinen Gedanken. Lando konnte es nicht sein, denn der hatte sich eben noch in der Nähe lustvoll schnaubend im Sand gewälzt.
Das Wiehern war aus einer anderen Richtung gekommen.
Vorsichtig spähte er um die Felsenspitze herum, um zu sehen, wer dort oben auf dem Hügel unterwegs war.
Da laus mich doch der …, dachte er bei sich, nachdem er einen Blick durch sein Fernglas geworfen hatte. Die beiden Turteltäubchen aus Seringat kommen dahergeritten …was die wohl hier wollen? Jedenfalls müssen sie sehr früh aufgebrochen sein … einige Stunden brauchen sie bis hierher.
Er hielt es zunächst einmal für ratsam, in Deckung zu bleiben, auch weil er die beiden nicht stören wollte. Außerdem sagte ihm sein Bauchgefühl, auf das er sich meist verlassen konnte, dass hier gerade etwas Ungewöhnliches vor sich ging.
Er holte seine Angel ein und justierte sein Fernglas nach.
Seine Neugierde war nun vollends entfacht. Er sah, wie die beiden von ihren Pferden abstiegen und am Waldrand stehen blieben. Sie umarmten sich lange und küssten sich. Dann schulterte Nikita einen Rucksack und nahm einen großen braunen Umschlag aus einer Satteltasche. Ohne sich noch einmal umzudrehen, begann sie, den Pfad zum Strand hinabzulaufen.
Effel blieb mit den Pferden zurück.
Weint sie etwa? Jetzt wird es interessant, dachte Marenko.
Bin mal gespannt, was sie hier zu suchen hat. Nach einem Picknick sieht es jedenfalls nicht aus, eher nach einem Abschied.
Moment mal, sie hat diesen braunen Umschlag … sie wird doch nicht wirklich die Pläne bekommen haben … und jetzt geht es wieder in die Heimat? Will sie etwa nach Hause schwimmen?
Dann sah er, dass Nikita winkte, aber nicht zu Effel zurück, sondern zum Wasser hin. Noch vielleicht hundert Fuß trennten sie jetzt vom Strand.
»Was ist denn hier los?«, murmelte Marenko. Und als er sich umdrehte, um zu sehen, wem Nikita da zuwinkte, sah er zunächst nur etwas Längliches aus dem Wasser ragen.
Ein Seeungeheuer, war das Erste, was ihm durch den Kopf schoss, aber kurz darauf identifizierte er es als Periskop. In der Schule waren früher genügend Kriegsfilme gezeigt worden.
Deswegen war er auch nicht überrascht, dass der Turm folgte, der allerdings größer war als alles, was er bisher gesehen hatte.
Kurz darauf tauchte etwas auf, das den Schiffen aus den alten Filmen zumindest ähnelte. Vielleicht 500 Fuß entfernt lag ein riesiges U-Boot ganz ruhig in der sanften Dünung.
Marenko stockte der Atem.
»Das war es wohl für heute mit dem Fischen«, murmelte er, nachdem er sich von seinem ersten Schreck erholt hatte.
Fast im gleichen Moment bog von seiner linken Seite her ein Schlauchboot um den Felsen. Es musste von einem starken Außenbordmotor angetrieben werden, wie man an der Bugwelle erkennen konnte. Zu hören war der Motor aber nicht.
Ein Mann in Uniform steuerte es. Er ließ es geschickt auf den Sandstrand gleiten, stieg aus und salutierte vor Nikita. Die beiden begrüßten sich jetzt per Handschlag und sie bestieg flink das Boot.
»Da laus mich doch … sie holen sie tatsächlich ab«, murmelte Marenko.
Er schaute durch sein Glas zum Waldrand zurück. Dort sah er Effel noch einen Moment ganz ruhig dastehen, aber kurz darauf konnte er ihn mit hängenden Schultern, die Pferde am Zügel führend, langsam im Wald verschwinden sehen. Er wollte gerade das Glas absetzen, als er eines Schattens gewahr wurde, der sich gerade von Effel wegbewegte.
Hmmm, komisch, war da jetzt noch jemand oder nicht? Da war doch gerade die Silhouette einer Frau gewesen … aber vielleicht war es auch bloß das Schattenspiel eines Baumes, kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben, falls da jemand gewesen sein sollte. Na, jedenfalls hat Nikita bekommen, was sie wollte, und jetzt wird sie abgeholt … einfach so? Wie gemein. Dann hat der Rat der Welten ihr also die Erlaubnis erteilt … das hätte ich nie gedacht. Der Junge da oben tut mir leid, hat sich wohl richtig verknallt in sie. Aber woher kam der Mann in diesem kleinen Boot? Es kam von dort drüben, nicht direkt vom U-Boot. Was hat er dort gemacht? Zum Angeln war er sicher nicht dort. Er wird doch hoffentlich nicht noch jemanden abgesetzt haben? Ähnlich sehen würde es denen ja.
Wenn das der Fall sein sollte, wird es mit der Ruhe hier vorbei sein.
Er schirmte mit einer Hand seine Augen vor der Sonne ab und schaute sich um. Von seinem Platz aus wurde er Zeuge, wie Nikita über eine herabgelassene Leiter auf das U-Boot kletterte. Auf der Brücke wurde sie von zwei Männern empfangen, die ebenfalls vor ihr salutierten. Einer der beiden trug eine schneeweiße Uniform mit goldenen Schulterklappen.
Kurz darauf waren alle durch die geöffnete Luke im Inneren des Schiffes verschwunden. Inzwischen musste der erste Mann sein Boot irgendwie dort untergebracht haben, denn er war nicht mehr zu sehen.
Kurze Zeit später war das Meer glatt wie zuvor. Marenko hatte nicht das leiseste Geräusch eines Motors gehört. Wenn er das Gehör eines Emurks gehabt hätte, hätte er ein dumpfes, dunkles Wummern wahrgenommen. Er rieb sich die Augen.
Wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, würde ich es nicht glauben … na, da gibt es was zu erzählen heute Abend.
Eilig packte er sein Angelzeug zusammen, nahm die Satteltasche, bestieg sein Pferd und schlug den Weg nach Verinot ein.
Fast die ganze Strecke war er im Galopp geritten und als er vor seinem Haus abstieg, waren sowohl er als auch sein Pferd nass geschwitzt. Um ein Haar hätte er ein Kind über den Haufen geritten, als er in die Straße eingebogen war, in der sein Haus lag. Seine Frau kam herausgelaufen.
»Wer ist denn hinter dir her?«, rief sie. »Du tust ja, als sei dir der Teufel auf den Fersen. Ich habe dich schon von Weitem gesehen. Weißt du, was passiert wäre, wenn du den kleinen Jens umgeritten hättest? Du selbst rufst doch immer zur Vorsicht auf.«
»Vielleicht ist es auch der Teufel, der hinter mir her ist, aber dann ist er bald hinter uns allen her. Wenn meine Vermutung stimmt, ist er vor ein paar Stunden an unserer Küste an Land gegangen«, keuchte Marenko, noch immer außer Atem. »Das mit Jens tut mir leid, aber er ist ja mit einem Schrecken davongekommen.
In Zukunft wird er sicherlich vorsichtiger sein.
Komm, lass uns hineingehen, dann erzähle ich dir alles, aber zunächst brauche ich eine Dusche … und etwas zu trinken.«
»Es steht noch alles auf dem Tisch, ich habe heute spät zu Mittag gegessen. Wenn ich gewusst hätte, dass du so bald heimkommst, hätte ich gewartet. Geh du nur schon nach oben, ich versorge Lando erst einmal. Das arme Tier ist ja vollkommen erschöpft. Wenn du dich später noch hinlegen möchtest, bevor du zu deiner Versammlung gehst, zieh ja deine Schuhe aus, sonst ruinierst du mir die neue Couch.«
In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass ihr Mann, seitdem er in Suizei gewesen war, im Haus immer seine Schuhe auszog.

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