cover

Bauen in Stein –
Die Historie der mineralischen Baustoffe in Deutschland und Umgebung

Titelbild oben: ©www.tOrange-de.com
„Die Mauer der Festung mit Spuren von Feuer“

Bauen in Stein

Die Historie der mineralischen Baustoffe in Deutschland und Umgebung

Dr.-Ing. Helmut Eifert

image

1 Vorwort

2 Einleitung

3 Bauen in Stein in Mitteleuropa

3.1 Die römische Baukunst

3.2 Die Karolinger und die Wiederbelebung der römischen Baukunst

3.3 Die Baukunst in Stein zwischen Mittelalter und Neuzeit

3.3.1 Weitere „steinerne“ Bauten in Mitteleuropa

3.3.2 Bauen in Gotik und Renaissance

3.4 Die Neuzeit und ihre baulichen Anforderungen

3.5 Die industrielle Revolution und die Entfaltung des Bauwesens

4 Baumeister und Bauvorschriften

4.1 Römische Baumeister

4.2 Mönche und Kirchenfürsten als Baumeister

4.3 Zünfte und Bauhütten

4.4 Architekten, Ingenieure und Verbände

4.4.1 Vom Baumeister zum Architekten und Bauingenieur

4.4.2 Die Berufsorganisationen der Architekten und Ingenieure

4.5 Baustatik

4.6 Baustil und Baumaterial

5 Werksteine und Mineralstoffe im Wandel der Zeit

5.1 Werksteine

5.1.1 Werksteine aus römischen Zeiten

5.1.2 Gewinnung der Werksteine im Mittelalter

5.1.3 Gewinnung der Werksteine im 19. Jahrhundert

5.1.4 Werksteingewinnung heute

5.2 Mineralstoffe

5.2.1 Benennung der Mineralstoffe

5.2.2 Mineralstoffe vor dem 20. Jahrhundert

5.2.2.1 Gewinnung und Herstellung der Mineralstoffe
5.2.2.2 Gebräuchliche Anforderungen an Mineralstoffe
5.2.2.3 Anforderungen an Mörtel und Mörtelsande

5.2.3 Mineralstoffe im 20. Jahrhundert

5.2.3.1 Gewinnung und Aufbereitung
5.2.3.2 Kornzusammensetzung der Mineralstoffe

5.2.4 Organisationen der Steine- und Erdenindustrie

6 Ziegel und Dachziegel

6.1 Rohstoffe für Ziegel und Dachziegel

6.2 Ziegel und Dachziegel der Römer

6.3 Ziegelherstellung im Mittelalter

6.4 Ziegelherstellung im 19. Jahrhundert

6.4.1 Rohstoffgewinnung und Aufbereitung

6.4.2 Formgebung der Ziegel

6.4.3 Brennen der Ziegel

6.5 Herstellung der Ziegel im 20. Jahrhundert

6.6 Normung der Ziegel

6.7 Vorschriften für die Anwendung von Ziegeln

6.8 Die Organisationen der Ziegelindustrie

6.9 Bauwerke aus Ziegel in der Neuzeit

7 Die Herstellung von Bindemitteln und Mörteln

7.1 Kalkhydrat

7.1.1 Herstellung von gebranntem Kalk durch die Römer

7.1.2 Das Kalkbrennen im Mittelalter

7.1.3 Moderne Kalkherstellung

7.1.4 Die Organisationen der Kalkindustrie

7.2 Hydraulischer Kalk

7.2.1 Die hydraulischen Bindemittel der Römer

7.2.2 Hydraulische Bindemittel im ausgehenden Mittelalter

7.2.3 Der Beitrag Smeatons zur hydraulischen Erhärtung von Mörteln

7.2.4 Vom hydraulischen Kalk zum Ulmer Zement

7.2.5 Moderner hydraulischer Kalk

7.3 Zement

7.3.1 Die Anfänge des Portlandzements in Deutschland

7.3.1.1 Die Stettiner-Portland-Cement-Fabrik in Züllchow
7.3.1.2 Grundeigenschaften des Portland-Cements aus Stettin
7.3.1.3 Die wissenschaftliche Ausrichtung der deutschen Zementindustrie

7.3.2 Stoffliche Verbesserungen des Portlandzements

7.3.3 Die Entwicklung weiterer Zemente

7.3.4 Die Organisationen der Zementindustrie

7.3.4.1 Technische Organisationen
7.3.4.2 Kaufmännische Organisationen

7.3.5 Die Normung der Zemente

7.3.6 Die Herstellung der Zemente

7.3.6.1 Die ersten Schritte
7.3.6.2 Ein Beispiel aus der Pionierzeit
7.3.6.3 Die Entwicklung der Zerkleinerung und der Korntrennung
7.3.6.4 Die Entwicklung des Brennprozesses

8 Beton und Stahlbeton

8.1 Beton des 19. Jahrhunderts

8.1.1 Erste Vorgaben zur Betonherstellung

8.1.2 Erste Anwendungen und Bauwerke auf Portlandzementbasis

8.1.2.1 Herstellung von Betonwaren
8.1.2.2 Erste Wasserbauwerke mit Portlandzement
8.1.2.3 Die ersten Betonhäuser
8.1.2.4 Gewölbekonstruktionen und Brücken
8.1.2.5 Sonstige Anwendungen von Beton

8.1.3 Der gesellschaftliche Umgang mit Beton

8.1.3.1 Qualifikation, Information und Arbeitsauffassung
8.1.3.2 Akzeptanz von Zement und Beton bei Architekten und Bildhauern
8.1.3.3 Die Stellung des Betonbaus bei der Baubehörde

8.1.4 Anforderungen an die Zusammensetzung

8.1.4.1 Zusammenstellung der Gesteinskörnung im Sinne einer Sieblinie
8.1.4.2 Wasserzugabe, Wasser-Zement-Wert
8.1.4.3 Zum Anteil von Kies und Sand im Beton
8.1.4.4 Luftdurchlässigkeit oder Atmung von Beton

8.2 Die Anfänge des Eisenbetons

8.2.1 Beton mit Eiseneinlagen Mitte des 19. Jahrhunderts

8.2.2 Die Monierbroschüre

8.2.3 Weitere Entwicklungen des Eisenbetons

8.2.4 Der Eisenbeton im ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland

8.2.5 Erste Anwendungen des Eisenbetons in Deutschland

8.3 Der Eisenbeton/Stahlbeton im 20. Jahrhundert

8.3.1 Anspruchsvolle Eisen- und Stahlbetonbauten in Deutschland

8.3.1.1 Eisenbetonbauten bis zum 1. Weltkrieg
8.3.1.2 Eisenbetonbauten zwischen den beiden Weltkriegen
8.3.1.3 Stahlbetonbauten nach dem 2. Weltkrieg

8.3.2 Die Entwicklung der Vorschriften und Normen

8.3.3 Die stoffliche Entwicklung

8.3.3.1 Betonzuschlag/Gesteinskörnung
8.3.3.2 Betonstahl
8.3.3.3 Normaler Eisen(Stahl)beton
8.3.3.4 Prüfung und Überwachung

8.3.4 Die technologische Entwicklung

8.3.5 Weitere Aufgaben im Betonbau

8.3.5.1 Stofflicher Forschungsbedarf
8.3.5.2 Verwendung von Recyclingmaterial als Betonausgangsstoff
8.3.5.3 Verbesserung der Dauerhaftigkeit von Stahlbeton

8.4 Transportbeton

8.4.1 Die ersten Anfänge

8.4.2 Transportbeton heute

8.5 Organisationen/Verbände in der Beton- und Stahlbetonindustrie

9 Flachglas im Bauwesen

9.1 Glasfenster im Mittelalter

9.2 Herstellung von Fensterglas im Mittelalter

9.3 Herstellung von Fensterglas seit dem 19. Jahrhundert

9.3.1 Walzenziehmaschine nach Lubbers

9.3.2 Tafelziehverfahren

9.3.3 Floatglasverfahren

10 Zusammenfassung

1 Vorwort

Der Steine- und Erdenindustrie wird in Deutschland wie auch in anderen Industrieländern nur wenig Augenmerk gewidmet. Der Industriezweig steht in allen Belangen im Schatten der Montanindustrie, des Maschinen- und Fahrzeugbaus, der Elektrotechnik und Elektronik sowie der chemischen Industrie. Die Steine- und Erdenindustrie schuf jedoch die Voraussetzungen für die Entwicklung des Handels, des Verkehrs und nicht zuletzt des Wohnungs-, Industrie- und Gesellschaftsbaus. Auf ihren Grundlagen konnten Baumeister, Architekten und Bauingenieure unsere heutige Lebensumwelt schaffen. Die Steine- und Erdenindustrie stellt die an der Erdoberfläche anstehenden natürlichen Ressourcen baugerecht zur Verfügung oder wandelt die natürlichen Rohstoffe durch Aufbereitung, Formgebung und chemische Prozesse in Baustoffe um.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen die silikatischen Rohstoffe. Sie können im Groben dem Stoffsystem SiO2 – Al2O3 (Fe2O3) – CaO (MgO) zugeordnet werden und lassen sich etwa wie folgt schematisch erfassen:

image

Veröffentlichungen über die Entwicklung dieser Baustoffe wählen ihren Ausgangspunkt meist in den Jahrtausende zurückliegenden Entwicklungen in Vorderasien oder im Mittelmeerraum. Die Würdigung der Anstrengungen, persönlichen Leistungen und Risiken der Pioniere in Mitteleuropa kommen dabei häufig zu kurz.

In vielen Ländern, aber auch in Deutschland schufen die Pioniere dieses Industriezweigs recht eindrucksvolle Ergebnisse. In den folgenden Ausführungen wird der Versuch gemacht, diese Leistungen ins rechte Licht zu rücken.

Dr.-Ing. Helmut Eifert
Borsdorf im Mai 2015

2 Einleitung

Heute ist das Bauen in Stein Allgemeingut unseres Landes. Ohne silikatische Baustoffe ist das Bauwesen in Deutschland undenkbar. Diese Rolle haben die silikatischen Baustoffe in den letzten 400 Jahren erlangt, weil sie preiswert, überall verfügbar, unbrennbar, dauerhaft und tragfähig sind.

Vor dem 17. Jahrhundert waren Bauwerke aus Stein – mit Ausnahme der römisch geprägten Gebiete – lediglich den klerikalen, adligen und bürgerlichen Repräsentationsbauten, den Bauten zum Schutz vor räuberischen Auseinandersetzungen sowie gelegentlichen Sonderbauten (z.B. Steinerne Brücke über die Donau in Regensburg) vorbehalten. Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebte in Fachwerk-, Holz- und Lehmbauten. Gewerbliche Bauten fehlten ebenso wie Straßen und Brücken. Wenn sie doch errichtet wurden, waren es Bauten aus Holz oder Mischbauten aus Holz und Stein. Straßen wurden mit den mineralischen Materialien vor Ort gebaut und waren den natürlichen Gegebenheiten angepasst.

Erst mit der durchgängigen Entwicklung von Handwerk und Gewerbe, der beginnenden Industrialisierung und der Entfaltung der Städte, der überregionalen Ausdehnung des Handels und des Eisenbahnbaus musste sich das überlieferte Bauen neuen Ansprüchen stellen. Der Baustoff Holz wurde durch natürlichen und künstlichen Stein ersetzt.

Während vor dem 17. Jahrhundert die silikatischen Baustoffe für steinerne Bauten unmittelbar vor Ort gewonnen oder objektbezogen hergestellt wurden, entwickelte sich danach in Kooperation mit dem Architektur- und Bauingenieurwesen eine selbständige Baustoffindustrie. Die Baustoffe mussten auf der einen Seite den Anforderungen der Bauherren sowie der Architektenschaft gerecht werden und andererseits waren sie Motor für neue, bisher nicht übliche Baukonstruktionen.

3 Bauen in Stein in Mitteleuropa

Bauwerke aus Stein sind eine wesentliche Voraussetzung für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung in Deutschland. Steinerne Bauwerke gibt es auf dem Gebiet Deutschlands seit mehr als 2 000 Jahren. Sie haben sich in dieser Zeit diskontinuierlich entwickelt und wurden häufig durch Völkerschaften und Personen aus anderen europäischen Ländern induziert.

3.1 Die römische Baukunst

Während im römischen Reich Hoch-, Tief-, Straßen- und Wasserbauten sowie militärische Anlagen und religiöse Kultbauten vornehmlich aus „Stein“ errichtet wurden, waren solche Bauten in weiten Teilen Mittel- und Nordosteuropas völlig unbekannt. So ist es folgerichtig, dass die ältesten deutschen Städte westlich des Rheins und südlich der Donau aus römischen Siedlungen und Heerlagern hervorgingen und heute mehr als 2 000 Jahre alt sind. Es handelt sich hier um die Städte Xanten, Neuss, Köln, Bonn, Andernach, Koblenz, Mainz, Trier, Worms, Speyer, Augsburg und Kempten (siehe auch Bild 3.1).

image

Bild 3.1: Alte Römische Städte in Deutschland

Die Städte waren durch römische Straßen verbunden. Die wohl bekanntesten sind die Via Claudia Augusta von Oberitalien nach Augsburg und die römische Rheintalstraße vom San-Bernardino-Pass über Straßburg, Speyer, Worms, Mainz, Koblenz, Köln, Xanten bis zur Nordsee.

Die Städte wurden zu ihrem Schutz von Stadtmauern umgeben, die zum Verkehr von Menschen und Gütern über Stadttore passiert werden konnten. Eines der ältesten noch erhaltene Stadttor ist die Porta Nigra, das damalige nördliche Stadttor von Trier.

In den Städten waren Tempel und Kultstätten, Amphitheater, Häuser und Lagerräume, Thermen, Wasserleitungen und öffentliche Brunnen sowie Abwassersammler anzutreffen. Die Straßen wurden grundsolide gebaut und waren bei geringem Unterhaltungsaufwand jahrzehntelang funktionsfähig. Brücken über größere Flüsse (z.B. Rheinbrücke in Köln) waren Mischbauten aus Stein und Holz. Das Bauen in Stein war in nicht unerheblichem Maße die Leistung der römischen Legionen in Friedenszeiten. Häufig waren auch die Baumeister Mitglieder der Legionen.

Aufzeichnungen über die Bautechnik der Römer, auch für Bauwerke aus Stein, sind allein von Vitruv [3.1] erhalten geblieben. Aus Dankbarkeit gegenüber Kaiser Augustus, der ihm nach seinen Diensten in verschiedenen römischen Legionen eine auskömmliche Pension zusprach, schrieb er zehn Bücher über Architektur, die damals das gesamte Spektrum der Bau- und Ingenieurkunst umfassten. In späteren Abschriften und Übersetzungen wurden die Texte dann durch Illustrationen verdeutlicht. Die Aufzeichnungen repräsentieren den Entwicklungsstand etwa zu Beginn der Zeitrechnung nach Christi. Die bau- und baustoffseitigen Erkenntnisse wurden unter anderem auch durch Lamprecht [3.2] kommentiert.

Ein Grundelement der römischen Baukunst waren ihre Mauerverbände. In den Mauerverbänden waren die einzelnen Steine unterschiedlich groß und wurden untereinander ohne oder mit Mörtel verbunden.

Der Quaderbau der Römer, der sich nördlich der Alpen am besten an der Porta Nigra in Trier erhalten hat, kam ohne Mörtel aus. Die verwendeten Quader waren bis zu 200 cm lang und bis zu 60 cm hoch und dick. Außen wurden die Steine nur grob behauen oder roh belassen. Die Quader waren an den Stoßfugen außen exakt bearbeitet und klafften innen bis zu 4 cm auseinander. An den Lagerfugen wurden die Blöcke mit dem Breitmeisel kreuzweise geebnet, so dass sie geordnet senkrecht übereinander gelagert werden konnten. Die in einer Schicht nebeneinanderliegenden Blöcke wurden häufig mit Blei- oder Eisenklammer verbunden.

Preiswerter und rationeller war die Verwendung von nur grob behauenen oder natürlichen Steinen, die in Kalkmörtel verlegt wurden. Die Steine wurden mit Hilfe eines Mörtels zu zwei Schalen im Sinne einer heutigen Schalung vermauert und nachfolgend der Zwischenraum zwischen den Schalen mit Mörtel und Steinen verfüllt. Durch Anordnung von gelegentlichen Durchschüssen zwischen den beiden Schalen, vorzugsweise aus Ziegeln, wurden die beiden Schalen miteinander verbunden und stabilisiert. Je nach Verwendung und Anordnung der Steine in den beiden Schalen unterscheidet man zwischen:

Handquaderverband, bei dem im Steinbruch roh bearbeitete Handquader mit 20 cm bis 60 cm Länge und ca. 15 cm Höhe verarbeitet wurden,

Netzverband, aus hochkant eingefügten quadratischen Steinen mit ca. 17 cm Kantenlänge,

Mosaikverband, bei dem in Form und Farbe abwechselnde Steine zu einem Verband zusammengefügt wurden (z.B. Römerturm in Köln),

Raumauerwerk, ohne exakte waagerechte und lotrechte Fugen sowie einem

Fischgrätenverband, bei dem kleine dünne Steine wechselseitig nach rechts oder links schrägliegend eingebaut wurden [3.3].

Mauern wurden nach oben durch flache Holzdächer, die häufig mit Ziegeln gedeckt waren oder durch Bögen, Gewölbe bzw. Kuppeln aus Stein abgeschlossen. Bögen, Gewölbe und Kuppeln konnten auch auf Schalung aus exakt behauenen Steinen ausgeführt werden. Es sind jedoch auch Konstruktionen bekannt, bei denen direkt auf eine Schalung Mischungen aus Mörtel und Stein eingebracht wurden und dann in der Schalung erhärteten.

Nach dem Jahre 117 (der größten territorialen Ausdehnung des römischen Reichs) stellte der damals herrschende römische Kaiser Hadrian fest, dass weitere Zugewinne von Territorien die damit verbundenen Aufwendungen und Verluste nicht mehr rechtfertigten und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Stabilisierung des vorhandenen römischen Reichs.

Für Mitteleuropa außerhalb der römischen Provinzen bedeutete dies, dass nördlich von Britannien, östlich des Rheins und nördlich der Donau der mit den römischen Legionen und den nachfolgenden römischen Bürgern einhergehende Wissenstransfer stockte und langsam versiegte. Der Aufbau einer Infrastruktur und steinerner Bauten erlosch in den dünn besiedelten Gebieten Germaniens und den östlichen Anrainergebieten.

Mit dem Abzug der römischen Legionen und dem Jahrhunderte später erfolgten Ende des weströmischen Reichs verschwanden auch die letzten römischen Bauvorbilder aus dem Gedächtnis der Menschen, die außerhalb der ehemaligen römischen Provinzen lebten.

3.2 Die Karolinger und die Wiederbelebung der römischen Baukunst

Für eine Wende in dieser Entwicklung sorgte Ende des 8. Jahrhunderts erst Karl der Große. Er war entschlossen, West- und Mitteleuropa neu zu ordnen und tiefgreifende Reformen voranzutreiben. Äbte und Bischöfe erhielten den Auftrag, Schulen zur Verbesserung der Bildung zu unterhalten. An seinem Hof wurden Gelehrte aus ganz Europa zusammengezogen, denen wichtige Hofämter, Bistümer und Reichsabteien übertragen wurden. Die Hofkapelle war zentrales Verwaltungsorgan der weltlichen und geistlichen Ordnung im Frankenreich. Die Kirche erlangte eine herausragende Bedeutung bei der Neuordnung seines Reichs (u.a. Grafschaftsverfassung, Metropolitanverfassung). Das uneinheitliche Geldwesen wurde reformiert und eine reichsweit geltende Währung eingeführt. Aus einem Pfund Silber (gleich einer Mark, etwa 430 g) wurden 20 Schillinge (Solidi) oder 240 Denare (Pfennige) geprägt.

Im gesamten Frankenreich wurden viele neue Pfalzen, Kirchen und Klöster geschaffen oder vorhandene rekonstruiert. Mittelpunkt seines Reichs wurde mit Ende des 8. Jahrhunderts die Kaiserpfalz in Aachen mit ihren warmen Quellen. Damit kamen auch die baulichen Annehmlichkeiten, die Karl der Große in Süd- und Westeuropa kennengelernt hatte, nach Deutschland zurück.

793/94 wurde unter Leitung byzantinischer und fränkischer Baumeister (Odo von Metz) die Pfalz in Aachen zu einer großen Anlage mit Königshalle (Aula Regia), Pfalzkapelle, Wohnturm, Garnison und Gerichtssälen ausgebaut. Ziel war ein „Neues Rom“ nördlich der Alpen als festem Regierungssitz im Fränkischen Reich. Die Kaiserpfalz wurde nach römischen Vorbildern aus Bruchsteinen aus der Eifel errichtet. Der zentrale Bau war die Marienkirche, ein sechzehneckiger Kapellenbau mit innenliegendem gewaltigem Oktogon mit Kuppel. Sie war prächtiger als alle Steinbauten, die es nördlich der Alpen gab. Aus Rom und Ravenna schaffte man Säulen und Marmor zu ihrer Ausstattung heran. Ein hölzerner Gang verband die Wohnräume Karl des Großen (Granusturm) mit der Kirche. Im Winter 804/05 wird die Pfalzkapelle von Papst Leo II. geweiht. Die Kaiserpfalz ist im Zustand des 9. Jahrhunderts nicht mehr erhalten. Sie ist heute Mittelpunkt archäologischer Forschungen und wird auf der Grundlage der archäologischen Ergebnisse durch Modelle nachgebildet. Der zentrale Bau, die Marienkirche ist aber weitgehend erhalten geblieben und bildet den Mittelpunkt des Aachener Doms. Das prächtige Oktogon steht auch heute noch im Zentrum unserer Bewunderung. (siehe auch Bilder 3.2 und 3.3)

image

Bild 3.2: Aachener Dom mit Oktogon (Ansicht vom Aachener Katschhof)

image

Bild 3.3: Innenansicht des Oktogons

Wie intensiv sich Karl der Große mit dem Bau seiner Gebäude beschäftigte, zeigte 794 die Frankfurter Synode. Hier verfügte er, dass die Dacheindeckungen seiner Kaiserpfalzen und seiner Wirtschaftsgebäude mit Dachziegeln vorgenommen werden müssen.

Gleichzeitig wurden die Kaiserpfalzen in Ingelheim und Nijmegen gebaut. Die ebenfalls im 8. Jahrhundert gegründeten Klöster St. Gallen, Insel Reichenau, St. Emmeram, Freising, Tegernsee, Mondsee, Fulda und Trier wurden repräsentativ erweitert. Aus der Übersicht im Bild 3.4 wird ersichtlich, dass die steinernen karolingischen Bauten fast ausnahmslos in Gebieten ehemaliger römischer Provinzen errichtet worden sind.

Mit dem durch Karl den Großen erfolgten Neustart begann ein neuer Wissenstransfer nach Mitteleuropa, der sich in den folgenden 200 Jahren kontinuierlich mit der Einwanderung vieler Mönche aus Süd- und Westeuropa verstärkte. Diese Mönche besaßen das römische Wissen und sorgten für dessen Anwendung, insbesondere im entstehenden Sakralbau.

image

Bild 3.4: Karolingische Pfalzen und Klöster

3.3 Die Baukunst in Stein zwischen Mittelalter und Neuzeit

Die im Frankenreich begonnene Entwicklung des Bauwesens wurde mit dem Vormarsch des Christentums in Deutschland weiter vorangetrieben. Weltliche und kirchliche Würdenträger verwirklichten mit den steinernen Bauten ihren Herrschaftsanspruch.

3.3.1 Weitere „steinerne“ Bauten in Mitteleuropa

„Steinerne“ Bauten waren in den ehemaligen römischen Provinzen nichts Außergewöhnliches. Angestoßen durch Karl den Großen und dem sich ausbreitenden Klerus begann aber auch ab dem 11. Jahrhundert der Bau steinerner Zeitzeugen (Brücken, Kirchen, Burgen, Befestigungen) im übrigen Mitteleuropa, fortschreitend sowohl von West nach Ost als auch von Süd nach Nord.

Aus der Vielzahl repräsentativer Bauwerke dieser Zeit soll vor allem auf folgende Bauwerke hingewiesen werden:

Burg in Meißen, ein Bruchsteinbauwerk, 929 erfolgte die Grundsteinlegung.

Im Jahre 1010 wurde mit dem Bau der Hildesheimer Michaeliskirche begonnen. Die Kirche ist ein romanischer Ziegelbau.

1025 erfolgten die ersten Arbeiten zum Dom zu Speyer, einem imposanten Bauwerk aus Werksteinen.

Im gleichen Jahr haben auch die Arbeiten zur Klosterkirche in Limburg an der Haard, ebenfalls ein Bauwerk aus Werksteinen, begonnen.

Im Bereich der Nürnberger Burg entstand der romanische „Heidenturm“.

Ab 1100 begann der Bau der Quedlinburger Stiftskirche, einem Ziegelbau der Hochromantik.

1133 wurden die steinerne Brücke über den Main in Würzburg und 1146 die steinerne Brücke über die Donau in Regensburg fertiggestellt.

1170 begann man mit der steinernen Elbbrücke in Dresden.

Mitte des 12. Jahrhunderts wurden auch die Klöster in Jerichow und Chorin als Zeugnisse der Ziegelbauweise fertiggestellt.

Später folgten auch erste Profanbauten aus Stein, wie das:

Dreikönigshaus in Trier (1230)

Romanische Haus in Bad Münstereifel (1167) und

Haus „Overstolz“ in Köln (1220)

Auf die Vielzahl von Burgen und Wehranlagen soll nicht gesondert eingegangen werden.

3.3.2 Bauen in Gotik und Renaissance

Ab dem 13. Jahrhundert hat sich auch in Deutschland der gotische Baustil durchgesetzt. Durch das Bauen in „Stein“ – vor allem im kirchlichen Bereich – entstanden in dieser Zeit viele noch heute bewunderte Bauwerke wie z.B.:

ab 1175 der Limburger Dom,

ab 1209 der Magdeburger Dom,

ab 1230 die Liebfrauenkirche in Trier,

ab 1235 die Elisabethkirche in Marburg und als Höhepunkt

ab 1248 der Kölner Dom

Die Ansprüche von Klerus und Adel nach repräsentativen Bauten stießen aber immer mehr an gesellschaftliche Grenzen. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts stagnierte die Bevölkerungsentwicklung. Häufige Kriege, viele Missernten und ständig wiederkehrende Seuchen reduzierten die Lebenserwartung – insbesondere der Säuglinge und Kinder – erheblich.

Eine Stadt, und davon gab es im 13./14. Jahrhundert in Deutschland etwa 3 000, wünschte sich neben den allgegenwärtigen Fachwerkhäusern und Katen prachtvolle Steinbauten (Schlösser, Patrizierhäuser, Kirchen, Rathäuser). Aber die finanziellen Mittel reichten meist nicht aus. Eine übliche Stadt hatte etwa 2 000 Einwohner, eine „Großstadt“ wie Köln brachte es auf ca. 30 000 Bewohner. So musste z.B. auch eine Stadt wie Köln die Großbaustelle „Dom“ Jahrhunderte lang stilllegen. Der Kölner Dom wurde übrigens erst 1880 fertiggestellt.

Die Plätze und Straßen in unmittelbarer Nähe der „steinernen“ Bauten waren zwar meist befestigt (z.B. gepflastert), aber die Straßenbefestigungen ließen bereits in den ärmeren Stadtteilen zu wünschen übrig. Sofern aus römischen Vorzeiten nicht überregionale Straßen vorhanden waren, waren die Verbindungswege zwischen den Städten und dörflichen Ansiedlungen meist in einem bedauernswerten Zustand. Abfälle und Abwässer landeten im Allgemeinen auf der Straße und wurden durch die Niederschläge in die Vorfluten entsorgt. Gewisse Ausnahmen bildeten die durch Handel oder Bergbau wohlhabend gewordenen Gebiete, wie die Städte der Hanse in Nord- und Westdeutschland oder die durch die Silberfunde bekannt gewordenen Städte in Sachsen.

3.4 Die Neuzeit und ihre baulichen Anforderungen

Am Ende des Spätmittelalters war Deutschland, inzwischen das Heilige römische Reich deutscher Nation, geprägt durch viele kleine und kleinste adlige, klerikale oder städtische Herrschaften, ein Land ohne zentrale Macht. Der gewählte deutsche Kaiser, Jahrhunderte lang aus dem Hause Habsburg, hatte mehr habsburgische als europäische Interessen und verwaltete das Reich recht und schlecht.

Alle Herrschaften, die insgesamt etwa nur 1 % der Gesamtbevölkerung ausmachten, waren vordergründig nur am Erhalt ihrer Macht interessiert. Das gesellschaftliche Grundmodell auf dem Lande, wo immerhin noch ca. 80 % der Bevölkerung lebte, war das Lehenswesen, das sich in Süd- und Norddeutschland deutlich voneinander unterschied. Die Macht der katholischen Kirche war durch die Reformation eingeschränkt worden. Die etwa ca. 3 000 Städte wurden durch die Patrizier und die Zünfte geprägt. Zünfte entwickelten sich im Bedarfsfall auch in ländlichen Bereichen, wie es z.B. die Entwicklung der Eisenherstellung in der Oberpfalz zeigt.