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Über den Autor
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Carl Hiaasen begann im Alter von sechs Jahren zu schreiben, als sein Vater ihm eine Schreibmaschine schenkte. Er studierte Journalismus und begann seine journalistische Laufbahn beim Miami Herald, für den er nach wie vor Kolumnen schreibt. Er lebt mit seiner Familie und seinen Schlangen in den Florida Keys. Bei Beltz & Gelberg erschienen von ihm ebenfalls die Romane Eulen, Panther, Echte Biester und Einäugige Echse. Weitere Informationen zum Autor unter www.carlhiaasen.com
Impressum
Die Geschichte in diesem Buch ist frei erfunden.
Alle Namen und Personen oder die Zusammenhänge, in denen sie vorkommen, sind fiktiv.
Geschichten über den »grünen Blitz« jedoch sind in den Florida Keys weit verbreitet.
For the Mighty Quinn
Ebenfalls lieferbar: Fette Fische – Arbeitsheft für Lehrer/-innen
ISBN 978-3-407-62741-4
Beltz Medien-Service, Postfach 100565, 69445 Weinheim
Kostenloser Download: www.beltz.de/lehrer
Dieses Buch ist erhältlich als:
ISBN 978-3-407-74007-6 Print
ISBN 978-3-407-74762-4 E-Book (EPUB)
© 2007 Gulliver
in der Verlagsgruppe Beltz • Weinheim Basel
Werderstraße 10, 69469 Weinheim
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Neue Rechtschreibung
© 2005 Beltz & Gelberg
Die amerikanische Originalausgabe erschien u.d.T. Flush
bei Random House Children’s Books, New York
© 2005 by Carl Hiaasen
Übersetzung: Birgitt Kollmann
Lektorat: Susanne Härtel
Einbandgestaltung: Max Bartholl
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
Weitere Informationen zu unseren Autoren und Titeln finden Sie unter:
www.beltz.de

Eins

Ich musste meine Taschen ausleeren: ein bisschen Kleingeld, ein Streifen Kaugummi, eine Rolle Grip Tape für mein Skateboard. Ziemlich dürftig.
»Kannst reingehen. Er wartet auf dich«, sagte der Polizist.
Mein Dad saß allein an einem kahlen Metalltisch. Für das, was passiert war, sah er eigentlich erstaunlich gut aus. Nicht mal Handschellen hatte er.
»Alles Gute zum Vatertag«, sagte ich.
Er stand auf und umarmte mich. »Danke, Noah«, sagte er.
Im Besuchszimmer war noch ein anderer Polizist – ein breitschultriger Mann mit Hängebacken, der etwas von einem Bären hatte. Er stand neben der Tür, durch die man zu den Zellen kam, und sollte vermutlich dafür sorgen, dass ich keine Eisensäge in den Knast schmuggelte, mit der mein Vater dann ausbrechen konnte.
»Schön, dass du deine eigenen Sachen behalten durftest«, sagte ich zu Dad. »Ich hab gedacht, du müsstest so einen blöden Sträflingsanzug anziehen.«
»Das kommt garantiert noch, früher oder später.« Dad zuckte mit den Achseln. »Und was ist mit dir – alles in Ordnung?«
»Wieso hast du Mom nicht erlaubt, Kaution für dich zu zahlen, damit du hier rauskannst?«, fragte ich.
»Weil ich es im Moment gerade wichtig finde, hier zu sein.«
»Wieso wichtig? Sie sagt, du verlierst deinen Job, wenn du noch länger eingesperrt bleibst.«
»Damit dürfte sie Recht haben«, gab Dad zu.
Das letzte halbe Jahr war er Taxi gefahren. Davor war er ein fishing guide – sogar ein richtig guter, bis die Küstenwache ihm sein Kapitänspatent weggenommen hat. Ein fishing guide fährt mit Touristen raus in die besten Fanggebiete und erklärt ihnen alles, was sie zum Angeln wissen müssen.
»Noah«, sagte er, »ich habe schließlich keine Bank ausgeraubt oder so was.«
»Ich weiß, Dad.«
»Hast du dir angeschaut, was ich gemacht hab?«
»Noch nicht«, sagte ich.
Er zwinkerte mir zu. »Es ist schon eindrucksvoll.«
»Glaub ich dir.«
Er war erstaunlich gut gelaunt. Ich war noch nie in einem Gefängnis gewesen, obwohl – so richtig wie ein Gefängnis sah es auch nicht aus. Zwei Arrestzellen, sagte Dad.
Der richtige Knast für unseren Bezirk war in Key West, also meilenweit entfernt.
»Mom will wissen, ob sie den Anwalt anrufen soll«, sagte ich.
»Ich denke schon.«
»Denselben wie letztes Mal? Sie war sich nicht sicher.«
»Doch, doch, der ist schon in Ordnung«, sagte mein Vater.
Seine Klamotten waren zerknittert, und er sah müde aus, aber das Essen sei anständig, sagte er, und die Polizisten seien freundlich zu ihm.
»Dad, wie wär’s, wenn du einfach sagst, es tut dir Leid und du willst den Schaden bezahlen?«
»Weil es mir nicht Leid tut, Noah. Das Einzige, was mir Leid tut, ist, dass du mich hier eingesperrt siehst wie einen Axtmörder.«
Die anderen Male, als mein Dad in Schwierigkeiten gekommen war, haben sie mich nicht zu ihm in den Knast gelassen, weil ich noch zu klein war.
»Ich bin kein gewöhnlicher Krimineller.« Dad legte mir eine Hand auf den Arm. »Ich kann durchaus Gut von Böse unterscheiden, Recht von Unrecht. Manchmal gehen mir eben einfach die Pferde durch.«
»Dad, niemand hält dich für einen Verbrecher.«
»Dusty Muleman mit Sicherheit.«
»Immerhin hast du sein Schiff versenkt«, erinnerte ich ihn. »Aber wenn du die Reparaturen bezahlst, vielleicht …«
»Dieses Schiff ist dreiundsiebzig Fuß lang«, unterbrach mich mein Dad. »Wenn man so eine Schüssel versenkt, dann sollte man wissen, was man tut. Wirklich, du musst mal hingehen und es dir ansehen.«
»Vielleicht später«, sagte ich.
Der Wachmann bei der Tür gab eine Art Grunzen von sich und hielt fünf Wurstfinger hoch – für die Anzahl der Minuten, die uns noch blieben, bevor mein Vater zurück in die Zelle musste.
»Ist deine Mom noch sauer auf mich?«, fragte Dad.
»Was denkst du denn?!«
»Ich hab versucht, ihr alles zu erklären, aber sie wollte einfach nicht zuhören.«
»Vielleicht kannst du es ja mir erklären«, sagte ich. »Ich bin alt genug, es zu verstehen.«
Dad lächelte. »Das glaube ich auch, Noah.«
Mein Vater ist hier in Florida geboren und aufgewachsen, und das heißt, er ist praktisch auf dem Wasser groß geworden. Sein Dad – mein Großvater Bobby – besaß ein Charterboot, das am Strand von Miami in der Haulover Marina lag. Er starb, als ich noch ganz klein war, deswegen konnte ich mich nicht an ihn erinnern. Es gab zwei verschiedene Versionen von dem, was passiert war. Nach der einen starb er an einem geplatzten Blinddarm, nach der anderen wurde er bei einer Prügelei in einer Bar ziemlich übel zugerichtet. Das Einzige, was wir mit Sicherheit wussten, war, dass er mit seinem Boot nach Südamerika aufgebrochen war, mit irgendeinem Auftrag, und nie zurückkam.
Eines Tages stand ein Mann vom amerikanischen Außenministerium bei uns vor der Tür und erzählte meinen Eltern, Grandpa Bobby sei tot und in Kolumbien begraben, in der Nähe von irgendeinem Nest. Seltsamerweise konnten sie seinen Leichnam nicht nach Hause holen, um ihn hier zu beerdigen – das weiß ich, weil ich den Papierkram gesehen habe. Mein Dad hatte einen ganzen Ordner voll mit Briefen, und mindestens vier- oder fünfmal im Jahr schrieb er ans Ministerium in Washington und bat die Leute, ihm dabei zu helfen, den Sarg seines Vaters zurück nach Florida zu holen. Das alles liegt jetzt etwa zehn Jahre zurück. Meine Mom half Dad mit den Briefen – sie arbeitet in einer Anwaltskanzlei und bringt die Sachen immer direkt auf den Punkt.
Meine Mom und mein Dad haben sich kennen gelernt, als sie im Bezirksgericht von Dade County anstanden, um Bußgelder wegen zu schnellen Fahrens zu zahlen. Sechs Wochen später haben sie geheiratet. Das weiß ich so genau, weil Mom diese beiden Knöllchen in einem Album verwahrt, zusammen mit ihren Hochzeitsfotos und solchen Sachen.
Meine Mutter musste bezahlen, weil sie siebzig gefahren ist, wo nur sechzig erlaubt waren. Bei meinem Vater war es viel schlimmer – er war mit hundertfünfzig statt hundertzehn auf der Autobahn geblitzt worden. Dads Bußgeldbescheid im Album sieht arg zerknittert aus, er hat ihn nämlich gleich zusammengeknüllt, als er ihn vom Polizisten bekommen hat. Meine Mutter sagt, sie ist mit dem Bügeleisen drübergegangen, bevor sie ihn neben ihrem eigenen einkleben konnte.
Etwa ein Jahr nachdem sie geheiratet haben, sind meine Eltern in die Florida Keys gezogen, die Inselgruppe vor der Südküste Floridas. Ich bin sicher, das war Dads Idee, er war nämlich seit seiner Kindheit regelmäßig hergekommen und hasste die Großstadt. Ich bin übrigens in einem Chevrolet Caprice Baujahr 1989 auf dem U. S. Highway 1 zur Welt gekommen, während mein Dad die knapp dreißig Kilometer lange Strecke von Key Largo zum Festland in Rekordzeit schaffte. Er wollte meine Mutter unbedingt noch ins Krankenhaus nach Homestead bringen. Sie lag auf der Rückbank und da bin ich auch zur Welt gekommen. Meine Mom hat alles allein gemacht – sie hat meinem Dad nicht gesagt, er solle mal rechts ranfahren und anhalten, weil sie nicht wollte, dass er sich da einmischte. Darüber kriegen sie sich heute noch in die Haare. (Sie sagt, er neigt dazu, sich schrecklich aufzuregen, was nun wirklich die Untertreibung des Jahrhunderts ist.) Er hat nicht mal bemerkt, dass ich geboren wurde, bis sie in Florida City waren und ich zu brüllen anfing.
Drei Jahre später kam dann Abbey zur Welt. Dad hat meine Mom überredet, sie nach einem seiner Lieblingsschriftsteller zu nennen, einem ziemlich schrägen Vogel, der in Arizona mitten in einer Wüste begraben liegt.
Die meisten meiner Freunde sind nicht gerade verrückt nach ihren Schwestern, aber Abbey ist in Ordnung. Es ist vielleicht nicht besonders cool, so was zu sagen, aber es ist nun mal so. Sie ist witzig und ganz schön zäh und nervt längst nicht so wie die meisten Mädchen auf meiner Schule.
Im Laufe der Jahre haben Abbey und ich eine ganz gute Arbeitsteilung entwickelt: Sie behält Mom im Auge und ich Dad. Allerdings brauche ich manchmal ein bisschen Hilfe.
»Also, wie ist die Lage?«, fragte Abbey, als ich vom Knast nach Hause kam.
Wir saßen am Küchentisch. Zum Mittagessen hatte Mom uns das Übliche gemacht, Schinken-Käse-Sandwiches.
»Er sagt, die Pferde sind ihm mal wieder durchgegangen«, sagte ich.
Abbey zog die Augenbrauen hoch und schnaubte: »Ganz was Neues.«
Mom stellte zwei Gläser Milch auf den Tisch.
»Noah, wieso besteht er eigentlich darauf, im Gefängnis zu bleiben? Dabei ist heute auch noch Vatertag! Du lieber Himmel!«
»Ich nehme an, er will den Leuten was klar machen.«
»Sich selbst zum Affen, das macht er«, sagte meine Schwester.
»Sei still, Abbey!«, ermahnte Mom sie.
»Er hat gesagt, es ist okay, wenn du den Anwalt anrufst«, schob ich noch hinterher.
»Heißt das, er bekennt sich nicht schuldig?«, fragte Abbey. »Wieso denn nicht? Ich meine, er war’s doch, oder?«
»Es ist trotzdem vernünftig, einen Anwalt zu haben«, sagte meine Mutter. Sie machte jetzt einen viel ruhigeren Eindruck. Als die Polizei bei uns anrief, ist sie erst mal unheimlich sauer geworden und hat ein paar ganz schön heftige Sachen über Dad gesagt. Aber ehrlich, ich konnte sie gut verstehen. Selbst für seine Verhältnisse hatte er den Karren dieses Mal ziemlich tief in den Dreck gefahren.
»Noah, wie geht’s dir?«, fragte sie.
Ich wusste, sie machte sich Sorgen, dass der Besuch im Gefängnis mich aufgewühlt haben könnte, also sagte ich, dass es mir gut ging.
»Ich bin sicher, es war nicht einfach für dich, deinen Vater hinter Gittern zu sehen«, sagte sie.
»Sie haben ihn in ein ganz normales Zimmer gebracht«, antwortete ich. »Er hatte nicht mal Handschellen.«
Meine Mutter runzelte leicht die Stirn. »Trotzdem, ein erfreulicher Anblick ist es ja nicht gerade.«
»Vielleicht sollte er auf unzurechnungsfähig plädieren«, meinte Abbey.
Mom ignorierte sie.
»Dein Vater hat viele gute Eigenschaften«, sagte sie zu mir, »aber er ist nicht gerade das stabilste Vorbild für einen jungen Mann wie dich. Und, Noah, er selbst wäre der Erste, der das zugeben würde.«
Jedes Mal, wenn sie damit anfängt, höre ich geduldig zu und sage kein Wort. Sie würde es nie direkt aussprechen, aber ich weiß, Mom macht sich Sorgen, ich könnte meinem Dad zu ähnlich sein.
»Trink deine Milch«, sagte sie, bevor sie ins Wohnzimmer ging, um unseren Anwalt anzurufen, einen gewissen Mr. Shine.
Sobald wir allein waren, streckte Abbey eine Hand aus und fing an, die Haare auf meinem Arm zu zwirbeln. »Erzähl mir alles«, sagte sie.
»Jetzt nicht.« Ich machte eine Kopfbewegung zur Tür hin. »Nicht, solange Mom in der Nähe ist.«
»Keine Sorge«, sagte Abbey, »sie telefoniert doch.«
Ich schüttelte entschieden den Kopf und biss in mein Sandwich.
»Verheimlichst du mir was, Noah?«, fragte meine Schwester.
»Iss auf«, sagte ich. »Dann fahren wir ein Stück mit dem Rad raus.«
Die Coral Queen war in rund vier Meter tiefem Wasser mit dem Heck voraus untergegangen. Ihr Rumpf lag halb schräg auf dem mergeligen Grund, der Bug ragte in die Höhe.
Es war ein großes Schiff. Selbst bei Flut schauten die beiden oberen Decks aus dem Wasser. Es sah aus, als wäre ein hässliches großes Wohnhaus aus dem Himmel gefallen und im Hafenbecken gelandet.
Abbey sprang von meinem Lenker und ging an die Kaimauer. Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte zum Tatort hinüber.
»Boah«, sagte sie, »diesmal hat er sich aber wirklich selbst übertroffen.«
»Sieht nicht gut aus«, stimmte ich ihr zu.
Die Coral Queen ist eins von diesen schwimmenden Kasinos, vor denen die Leute Schlange stehen, um an Bord Blackjack und Elektronikpoker zu spielen und sich am Buffet (»So viel Sie nur essen können!«)voll zu stopfen. Ich stelle es mir nicht sonderlich lustig vor, aber die Coral Queen ist jeden Abend proppenvoll.
Es gab einen entscheidenden Unterschied zwischen Dusty Mulemans Betrieb und den Glücksspielschiffen, die vor der Küste von Miami kreuzten: Die Coral Queen lief nämlich nie wirklich aus. Das war einer der Gründe, weshalb sie so beliebt war.
Nach den Gesetzen von Florida müssen Kasinoschiffe die Küste mindestens drei Meilen hinter sich gelassen haben, sich also außerhalb der Staatsgrenzen befinden, bevor die Passagiere anfangen dürfen zu spielen. Stürmisches Wetter ist deshalb ganz schlecht fürs Geschäft, weil viele Touristen seekrank werden. Wenn sie erst einmal anfangen zu spucken, denken sie nicht mehr ans Geldausgeben.
Dusty Muleman hatte den Traum, sagte mein Vater, ein schwimmendes Kasino zu eröffnen, das den ruhigen und sicheren Hafen nie verlassen würde. Auf die Weise wären die Passagiere immer gut genug drauf zum Feiern.
In Florida gibt es Lizenzen für Glücksspiele nur für Indianerstämme, und Dusty hat es irgendwie geschafft, ein paar reiche Miccosukees aus Miami zu überreden, den Jachthafen zu kaufen und zu einem Teil ihres Reservats zu machen. Dad sagte, die Regierung habe sich erst quer gelegt, später aber einen Rückzieher gemacht, weil die Indianer die besseren Anwälte hatten.
Wie auch immer, jedenfalls hatte Dusty sein Schiff – und eine Menge Geld.
Mein Dad hat gewartet, bis der Letzte der Besatzung morgens um drei Uhr gegangen war, und sich dann an Bord geschlichen. Er hat die Taue gelöst, einen der Motoren angeworfen und das Schiff langsam zur Öffnung des Hafenbeckens gesteuert. Da hat er die Seehähne geöffnet, die Schläuche durchtrennt und die Leckwasserpumpen abgeschaltet. Anschließend sprang er über Bord.
Die Coral Queen ist so auf Grund gelaufen, dass sie den Kanal versperrte, und das bedeutete, dass kein anderes Schiff ins Hafenbecken oder hinaus konnte. Mit anderen Worten, Dusty Muleman war nicht der einzige Kapitän an diesem Tag, der meinen Dad am Vatertag am liebsten erwürgt hätte.
Ich schloss mein Rad an eine Platane an und ging hinunter zu den Charterplätzen. Abbey kam hinter mir her. Mehrere Boote der Küstenwache umrundeten die Coral Queen. Wir konnten hören, wie sich die Männer darüber unterhielten, wie man das Schiff wieder flott bekommen könnte. Das war eine größere Sache.
»Er hat komplett den Verstand verloren«, murmelte Abbey.
»Wer – Dad? Mit Sicherheit nicht«, sagte ich.
»Hat er dir gesagt, wieso er das gemacht hat?«
»Weil Dusty Muleman die ganze Zeit seinen Abwassertank ins Wasser geleert hat«, sagte ich.
Abbey verzog das Gesicht. »Bah! Das Zeug von den Klos?«
»Genau. Mitten in der Nacht, wenn niemand mehr in der Nähe war.«
»Das ist ja eklig!«
»Und total illegal«, sagte ich. »Alles nur, um Geld zu sparen.«
Nach dem, was mein Vater sagte, war Dusty Muleman ein Geizkragen, der keine Lust hatte, jemanden dafür zu bezahlen, dass er das Abwasser aus dem Tank pumpte und entsorgte. Stattdessen hatte die Besatzung den Befehl, regelmäßig den Inhalt des Abwassertanks in das sowieso schon trübe Hafenwasser abzulassen, sobald das Kasinoschiff geschlossen hatte und niemand mehr da war. Mit der Ebbe trieb das Dreckwasser dann größtenteils hinaus aufs offene Meer.
»Aber wieso hat Dad nicht einfach die Küstenwache gerufen?«, fragte meine Schwester. »Wäre das nicht eher die Art, wie Erwachsene so was machen?«
»Er hat es versucht, hat er mir erzählt. Er sagt, er hat jeden angerufen, der ihm überhaupt eingefallen ist, aber sie konnten Dusty nie auf frischer Tat erwischen«, sagte ich. »Dad glaubt, dass er von jemandem gewarnt wird.«
Abbey stöhnte auf. »Jetzt mach aber mal einen Punkt!«
Langsam nervte sie mich.
»Wenn der Wind und die Strömung stimmen, dann treibt das Zeug vom Kasino aus dem Hafenbecken hinaus und direkt auf die Küste zu«, sagte ich, »an den Strand von Thunder Beach.«
Abbey verzog das Gesicht, als ob ihr gleich schlecht würde. »Iiih! Also deshalb schließen sie den Strand manchmal.«
»Weißt du, wie viele Kinder da immer schwimmen gehen? Was Dusty da macht, davon kann man krank werden, sagt Dad, aber richtig, so dass man ins Krankenhaus muss. Es ist also nicht nur eklig, sondern auch gefährlich.«
»Ja, aber …«
»Ich hab nicht gesagt, dass es richtig ist, Abbey, was Dad gemacht hat. Ich erklär dir nur, warum er es gemacht hat.«
Mein Vater hatte nicht einmal versucht, sich davonzumachen. Nachdem er zum Kai zurückgeschwommen war, hatte er sich auf einen Klappstuhl gesetzt, eine Dose alkoholfreies Bier aufgemacht und zugesehen, wie die Coral Queen auf Grund ging. Als bei Sonnenaufgang die Polizei kam, saß er noch immer da und schlief.
»Tja, und was nun?«, fragte Abbey.
Dunkler, bläulicher Schlick trieb um das Schiff herum, und die Männer im Schlauchboot der Küstenwache verteilten gelbe Plastikpuffer ringsherum, damit das Öl und der Treibstoff sich nicht weiter ausbreiteten. Indem er die Coral Queen auf Grund gesetzt hatte, war es meinem Vater gelungen, selbst eine ziemliche Sauerei anzurichten.
»Dad hat mich gebeten, ihm zu helfen«, sagte ich.
Abbey verzog das Gesicht. »Wobei helfen – aus dem Knast auszubrechen?«
»Jetzt sei doch mal ernst.«
»Was dann, Noah? Sag schon.«
Ich wusste, es würde ihr nicht gefallen. »Er will, dass ich ihm helfe, Dusty Muleman zu überführen«, sagte ich.
Lange blieb es still, so dass ich schon dachte, Abbey sei dabei, sich irgendeine oberschlaue Bemerkung auszudenken. Aber so war es gar nicht.
»Ich habe Dad noch keine Antwort gegeben«, sagte ich.
»Ich weiß deine Antwort schon«, sagte meine Schwester leise.
»Er hat das Herz auf dem rechten Fleck, Abbey. Ehrlich.«
»Über sein Herz mache ich mir auch keine Sorgen. Eher um seinen Kopf«, sagte sie. »Sei bloß vorsichtig, Noah!«
»Wirst du’s Mom sagen?«
»Ich weiß noch nicht.« Sie sah mich von der Seite an, mit einem Blick, der mir zeigte, dass sie mich eher nicht verraten würde.
Wie ich schon sagte, meine Schwester ist in Ordnung.

Zwei

Zum Glück war es Sommer und wir hatten Schulferien. Das bedeutete, dass Abbey und ich nicht allen unseren Mitschülern auf einmal über den Weg liefen. Unsere Stadt ist ziemlich klein und Neuigkeiten sprechen sich schnell herum. So war es auch kein Geheimnis mehr, dass unser Vater im Knast saß, weil er Dusty Mulemans schwimmendes Kasino versenkt hatte. Überall wurde vermutlich darüber geredet.
Am allerwenigsten wollte ich Jasper Muleman Junior sehen, den Sohn von Dusty. Jasper war ein Idiot, das wusste jeder. Ich war überzeugt, das lag daran, dass seine Eltern ihm diesen Namen gegeben haben, der in unserer Gegend auch als Spottname benutzt wird und dann so viel wie Landei bedeutet. Das allein würde doch jeden dazu bringen, einen Hass auf die Welt zu kriegen und gemein zu werden.
Blöderweise war er prompt am Jachthafen, als ich am nächsten Morgen einen Abstecher dahin machte, um zuzusehen, wie die Leute vom Bergungsdienst die Coral Queen wieder flottbekamen. Taucher mit Sauerstoffflaschen waren dabei, dicke schwarze Schläuche in den Teil des Schiffs, der unter Wasser lag, zu schieben. Ob sie Wasser ab- oder Luft hineinpumpten, war mir allerdings nicht klar. Ich entdeckte Jasper Junior, bevor er mich entdeckt hatte, aber aus irgendeinem Grund schlich ich mich nicht davon. Ich blieb einfach stehen und sah den Tauchern zu, wie sie sich mit den Schläuchen abmühten, bis Jasper Junior herüberkam und mich mit einem Ausdruck belegte, der nicht besonders originell war.
»Tut mir Leid, das mit dem Schiff von deinem Dad«, sagte ich. Ich gab mir große Mühe, aufrichtig zu klingen.
Als Jasper Junior mir einen Stoß gab, überraschte mich das wenig. Er ist nicht groß, aber drahtig und kräftig, und er prügelt sich gern. Das ist aber auch fast das Einzige, worin er wirklich gut ist.
»Hör auf«, sagte ich und natürlich schubste er mich wieder.
»Dein verrückter Alter hat unser Schiff versenkt!«, knurrte Jasper Junior.
»Ich hab doch gesagt, dass es mir Leid tut.«
»Dafür wirst du bezahlen, Underwood.«
Normalerweise versuche ich immer, bei der Wahrheit zu bleiben, aber ich hatte keine Lust, seine Faust ins Gesicht zu kriegen, was eindeutig Jasper Juniors Absicht war. Also versuchte ich ihn zu beruhigen: »Ich bin bloß gekommen, um zu sehen, ob ich vielleicht helfen kann.«
»Ha ha!«
»Doch, ehrlich!«
Jasper Junior lachte auf seine fiese Art. Das ist auch so was, worin er echt gut ist. Auf einmal fiel mir auf, dass ich schon die ganze Zeit seine Kopfform studierte, die mich an eine riesige Walnuss erinnerte. Seine Haare hatte er ganz kurz geschoren, so dass man glänzende Knubbel und Falten in seiner Kopfhaut sehen konnte. Vielleicht sieht ja bei allen Leuten der Schädel unter den Haaren so aus, aber Jasper Junior wirkte dadurch nur noch brutaler.
»Underwood«, sagte er, »ich verpass dir so einen Tritt in den Arsch, dass du von hier nach Miami fliegst.«
»Das glaub ich eher nicht.«
»Ach nee? Und warum nicht, du Klugscheißer?«
»Weil dein Dad jeden Moment hier ist und dir einen Tritt verpasst«, sagte ich, und das stimmte auch.
Dusty Muleman hatte schon eine ganze Weile von der anderen Seite des Hafenbeckens nach seinem Sohn gebrüllt. Jasper Junior hatte ihn nicht gehört, weil er mit mir beschäftigt war, und inzwischen war sein Vater ernsthaft sauer. Ich zeigte übers Wasser, wo Dusty Muleman mit verschränkten Armen stand und zu uns rüberstarrte. Jasper Junior fuhr herum und sah seinen Vater jetzt auch.
»O-oh«, sagte er und flitzte gleich los. »Dich knöpf ich mir später vor!«, brüllte er mir noch über die Schulter zu.
Minuten später tauchte Abbey auf, und wir blieben solange vor Ort, bis die Coral Queen gehoben worden war. Wir staunten, wie leicht das ging, aber natürlich waren auch keine Löcher im Rumpf oder sonstige Beschädigungen, die erst repariert werden mussten. Mein Vater hatte im Grunde nur die Stöpsel rausgezogen.
»Woher weiß Dad denn, dass das Abwasser vom Kasinoschiff kommt?«, fragte Abbey.
»Weil sie Thunder Beach nie schließen mussten, bevor die Coral Queen hier lag. Früher hat es nie Probleme mit Du-weißt-schon-was im Wasser gegeben«, sagte ich.
Eine ganze Reihe Leute hatte sich versammelt, um bei der Bergung des Schiffes zuzusehen, aber Abbey und ich hielten uns abseits, auf der anderen Seite des Beckens. Wir wollten Dusty Muleman nicht noch wütender machen, als er ohnehin schon war.
»Was für ein Angeber«, sagte meine Schwester. »Guck dir den bloß an.«
Ursprünglich war Dusty Muleman ein ganz gewöhnlicher fishing guide gewesen, genau wie mein Vater. Ihre Boote lagen nebeneinander im Hafen. Den Sommer über, wenn die Geschäfte nicht so gut liefen, ging er nach Colorado und arbeitete da auf einer Touristen-Ranch, wo er mit Leuten von auswärts Ausflüge in die Berge machte zum Forellenangeln. Eines Tages im September kam er dann zurück in die Florida Keys und bot sein Boot zum Verkauf an. Dad und den übrigen Kollegen hat er erzählt, er habe Geld geerbt von einem reichen Onkel, der in Afrika von einem Elefanten totgetrampelt worden sei. Ich weiß noch, wie Mom damals die Augen zusammenkniff, als Dad uns die Story erzählt hat – genauso guckt sie mich immer an, wenn ich sage, ich sei fertig mit den Hausaufgaben, sie es aber besser weiß.
Mein Vater dagegen hat gesagt, möglich sei alles, sogar dass Dusty Muleman mit einem toten Millionär verwandt sei.
Nicht lange nachdem er aufgehört hatte, als fishing guide zu arbeiten, hat Dusty die Coral Queen gekauft, sie zum Kasino umbauen lassen und sich mit den Miccosukees zusammengetan. Das war vor nicht einmal zwei Jahren, und jetzt war er einer der reichsten Männer in Monroe County. Sagte er jedenfalls. Den ganzen Tag fuhr er in einem schwarzen Cadillac-Geländewagen den Highway 1 rauf und runter, trug leuchtend bunt geblümte Hemden und rauchte echte kubanische Zigarren, bloß damit jeder sah, was für ein toller Typ er war. Aber laut Dad tauchte er noch jede Nacht an Bord auf, um höchstpersönlich die Einnahmen zu zählen.
»In einer Woche ist Mulemans Kahn doch wieder so gut wie neu«, meinte Abbey. »Was hat Dad sich eigentlich dabei gedacht? Wenn er es ernst gemeint hätte, dann hätte er das verdammte Ding gleich in Flammen aufgehen lassen.«
»Setz ihm bloß keine Flausen in den Kopf«, sagte ich.
Lice Peeking wohnte in einer Wohnwagensiedlung an der alten Straße, die parallel zum Highway verläuft. Ich kam um die Mittagszeit hin, aber er schlief immer noch. Ich schlug vor, später wiederzukommen, aber seine Freundin sagte, sie würde ihn mit Vergnügen aufwecken. Sie war eine große Blondine mit einem Stacheldraht-Tattoo um einen Oberarm. Mein Dad hatte mir schon von ihr erzählt. Ich solle besonders höflich zu ihr sein, hatte er gemeint.
Die Freundin verschwand im Gang. Eine halbe Minute später kam sie zurück und zog Lice Peeking am Gürtel hinter sich her. Er sah nicht gut aus und stank noch übler – nach einer Mischung aus Bier und Schnaps, schätzte ich mal.
»Wer bist du denn?«, fragte er, dann ließ er sich auf ein altes Sofa sinken.
»Ich geh mal zum Laden«, sagte die Freundin.
»Bring Zigaretten mit«, erinnerte sie Lice Peeking.
»Kommt nicht in Frage. Du hast mir versprochen, dass du nicht mehr rauchst.«
»Shelly, hör du auf, an mir rumzumeckern.«
Sie zankten noch eine Weile und schienen ganz vergessen zu haben, dass sie Besuch hatten. Ich tat so, als würde ich das Aquarium anschauen, an dessen Scheiben zäher erbsengrüner Schleim wuchs und in dem ein einziger Fisch herumschwamm.
Schließlich meinte Lice Peekings Freundin, er sei ein hoffnungsloser Fall, zog ihm den Geldbeutel aus der Hosentasche und stürmte zur Tür hinaus. Als Lice sich wieder halbwegs beruhigt hatte, fragte er noch einmal, wer ich sei.
»Noah Underwood«, sagte ich.
»Der Junge von Paine?«
»Genau. Er schickt mich her.«
»Weswegen?«
»Mr. Muleman«, antwortete ich.
Aus Lice Peekings Kehle kam ein Laut, der entweder ein Kichern oder ein krächziges Husten war. Er tastete so lange unter den Sofakissen herum, bis er eine zerdrückte, nur halb gerauchte Zigarette fand, die er sich in einen verkrusteten Mundwinkel schob.
»’n Streichholz hast du vermutlich nicht«, sagte er.
»Nein, Sir.«
Lice schleppte sich zur Küchenzeile und kramte herum, bis er irgendwann ein Feuerzeug fand. Er steckte sich den angegammelten Stummel an und zog daran, bestimmt eine Minute lang, ohne auch nur einmal in meine Richtung zu sehen.
Von dem Rauch wurde mir ganz schlecht, aber bevor ich nicht eine Antwort von Lice hatte, konnte ich nicht gehen. Zwei Jahre lang, bis letztes Jahr Weihnachten, hatte Lice Peeking als Maat auf Dusty Mulemans Kasinoschiff gearbeitet.
»Mr. Peeking?«, sagte ich. Sein richtiger Name war Charles, aber Dad sagte, seit der Grundschule hätte alle Welt ihn immer nur Lice genannt, Läuse, aus nahe liegendem Grund. Viel reinlicher schien er seitdem nicht geworden zu sein.
»Was willst du von mir, Junge?«, blaffte er mich an.
»Es geht um die Coral Queen. Mein Dad sagt, Mr. Muleman lässt das Abwasser vom Schiff ins Hafenbecken laufen.«
Lice Peeking lehnte sich gegen die Wand seines Wohnwagens.
»Tatsächlich? Also, nehmen wir mal an, das stimmt. Und was geht das dich oder mich an?«
»Mein Vater ist im Knast«, sagte ich. »Weil er das Schiff versenkt hat.«
»Nun mach mal halblang!«
»Im Ernst. Ich dachte, inzwischen wüsste das jeder.«
Lice Peeking fing so heftig an zu lachen, dass ich schon fürchtete, er kriegt gleich keine Luft mehr und fällt auf den Boden. Anscheinend hatte die Neuigkeit über meinen Vater ihm den Tag deutlich verschönt.
»Bitte«, sagte ich, »wollen Sie uns helfen?«
Lice hörte auf zu lachen und drückte den Zigarettenstummel auf der Anrichte aus. »Also, wieso sollte ich so was völlig Beknacktes wohl tun? Wobei helfen?«
Ich erklärte ihm, dass das Abwasser von den Kasinoklos an den Strand von Thunder Beach schwappte. »Da, wo die Schildkröten ihre Eier ablegen«, sagte ich, »und alle Kinder schwimmen gehen.«
Lice Peeking zuckte mit den Achseln. »Sagen wir mal, ich würde euch helfen – was ist da für mich drin?«
Dad hatte mich vorgewarnt, dass Lice Peeking niemand war, der etwas nur deswegen machte, weil es richtig und anständig war. Er hatte mir schon angekündigt, dass Lice Peeking vermutlich irgendeine Gegenleistung verlangen würde.
»Wir haben nicht viel«, sagte ich.
»Mir kommen gleich die Tränen.«
Ich wusste, dass wir knapp mit Geld sein würden, solange Dad im Gefängnis saß – meine Mutter arbeitete nur halbtags in der Anwaltskanzlei, deshalb war die Bezahlung nicht berauschend.
»Was ist mit dem Wagen von meinem Dad?«, fragte ich. »Ein Dodge Pick-up, Baujahr 97.«
»Nee, lass man, ’nen fahrbaren Untersatz hab ich schon«, sagte Lice Peeking. »Außerdem kann ich zurzeit sowieso nicht fahren, sie haben meinen Führerschein einkassiert. Was sonst?«
Ich überlegte, ob ich ihm Dads Boot anbieten sollte, aber das brachte ich nicht übers Herz. Es war ein tolles kleines Boot.
»Ich red erst noch mal mit meinem Vater.«
»Mach das.«
»Versprechen Sie mir, dass Sie wenigstens drüber nachdenken?«
»Hör mir mal zu«, sagte Lice Peeking. »Was gehen mich kleine Schildkröten an? Ich hab genug damit zu tun, selber zu überleben.«
Er zeigte zur Tür und schob mich raus. Ich war schon die halbe Treppe runter, bevor ich den Mut aufbrachte, noch eine Frage zu stellen.
»Wieso arbeiten Sie eigentlich nicht mehr für Mr. Muleman?«
»Weil er mich gefeuert hat«, sagte Lice Peeking. »Hat dein Alter dir das nicht gesagt?«
»Nein, Sir, hat er nicht.«
Lice Peeking musste sich mit beiden Armen am Türrahmen festhalten, um nicht zu schwanken. Im Sonnenlicht sah sein Gesicht richtig teigig aus, und seine Augen waren trüb und glasig. Wie ein alter, kranker Iguana, dabei war er erst neunundzwanzig, sagte mein Vater. Kaum zu glauben.
»Willst du gar nicht wissen, wieso ich an die Luft befördert wurde?«, fragte er. »Wegen Raub.«
»Und – haben Sie’s wirklich gemacht?«
»O ja, und ob.«
»Wie viel?«, fragte ich.
Lice Peeking grinste. »Geld hab ich Dusty nicht geklaut«, sagte er, »sondern Shelly.«
»Oh.«
»Wie soll ich sagen – ich brauchte eine Dame mit einem großen Herzen und einer gültigen Fahrerlaubnis.«
»Wenn ich mit meinem Vater gesprochen hab, komm ich wieder.«
»Wie du meinst«, sagte Lice Peeking. »Ich zisch jetzt erst mal ein Bierchen.«
Mit meinem Vater verheiratet zu sein, sagt meine Mutter, sei, als hätte man ein zusätzliches Kind, auf das man aufpassen müsse, eines, das so groß und unberechenbar sei, dass man es kaum aus den Augen lassen dürfe. Manchmal, wenn Mom und Dad sich streiten, dann droht sie, die Koffer zu packen und mit mir und Abbey die Insel zu verlassen, um irgendwo anders »ein normales Leben zu führen«.
Ich glaube schon, dass meine Mutter meinen Dad liebt, aber sie versteht ihn nicht. Abbey sagt, Mom versteht ihn sehr gut, sie hat nur keine Ahnung, wie sie ihn zur Räson bringen soll.
Als ich von der Siedlung zurückkam, stand meine Mutter in der Küche und hackte Zwiebeln. Daran hab ich gemerkt, dass sie geweint hatte. Keiner in unserer Familie mag Zwiebeln, und Mom verarbeitet sie nur, wenn sie mit den Nerven fertig ist. Dann kann sie nämlich Abbey und mir erzählen, sie würde bloß wegen der Zwiebeln weinen.
Ich wusste, sie war im Gefängnis gewesen, also fragte ich: »Wie geht es Dad?«
Meine Mutter schaute nicht auf. »Oh, großartig«, sagte sie.
»Gibt’s was Neues?«
»Wie meinst du das, Noah?«
»Über seine Entlassung.«
»Das liegt ganz allein an ihm«, sagte Mom. »Ich hab ihm angeboten, die Kaution zu hinterlegen, aber anscheinend sitzt er lieber allein in einer engen Zelle voller Kakerlaken als zu Hause bei seiner Familie. Vielleicht kann ihn ja der Anwalt zur Vernunft bringen.«
Natürlich habe ich ihr nicht erzählt, worum mein Vater mich gebeten hatte. Sie wäre sofort zum Gefängnis zurückgerast, hätte die Arme zwischen den Gitterstäben hindurchgestreckt und Dad erwürgt.
»Glaubst du, sie lassen mich noch mal zu ihm?«, fragte ich.
»Wieso nicht? Ist ja nicht so, als könnte er sich nicht retten vor sozialen Verpflichtungen.«
Ihr Tonfall verriet, dass sie hochgradig sauer auf meinen Vater war.
»Ich habe mit deiner Tante Sandy und deinem Onkel Del gesprochen«, fuhr sie fort. »Sie haben angeboten, deinen Dad im Gefängnis anzurufen und ihm gut zuzureden, aber ich hab ihnen gesagt, sie sollen sich nicht bemühen.«
Tante Sandy und Onkel Del sind die älteren Geschwister meines Vaters. Sie wohnen in Miami Beach – Sandy in einem eleganten Apartmenthaus mit Fitnessstudio im obersten Stockwerk, Del in einer großen Villa mit eigenem Tennisplatz. Dads Geschwister sind ein heikles Thema bei uns.
Mehrere Jahre nachdem mein Großvater in Südamerika verschollen war, entdeckte man in einem Banksafe in Hallendale eine Menge Geld. Wie viel genau, hat keiner Abbey oder mir je gesagt, aber es muss eine ganz schöne Summe gewesen sein. Ich erinnere mich, wie Dad mit meiner Mutter darüber gesprochen hat. Sie hat sich immer gewundert, wie jemand als Kapitän eines Charterboots so viel Geld beiseite legen konnte. Damit hatte sie auch Recht; keiner, den wir kannten, hatte es mit der Fischerei zu Geld gebracht.
Grandpa Bobby hatte bestimmt, dass Sandy, Del und mein Vater das Geld zu gleichen Teilen bekommen sollten, aber Dad wollte keinen Cent davon haben. In der Frage gab es auch keinen Krach zwischen meiner Mutter und ihm, daher nehme ich an, es gab gute Gründe, das Geld nicht anzurühren. Tante Sandy und Onkel Del waren mehr als glücklich, Dads Anteil zu übernehmen, und seitdem leben sie in Saus und Braus.
»Sie wollten irgend so einen Promi-Anwalt aus Miami herschicken, der sich um den Fall kümmern soll«, erzählte Mom. »Aber ich hab ihnen gesagt, das sei nicht nötig.«
»Du hast Recht. So eine große Sache ist es ja nicht.«
»Das habe ich nicht gesagt, Noah. Es ist eine große Sache.« Sie kratzte die Zwiebelstückchen in eine Schüssel, deckte sie mit Frischhaltefolie ab und stellte sie in den Kühlschrank. Sobald sie allein in der Küche war, würde sie alles in den Müll kippen.
»Ich bin mit meiner Geduld am Ende, was deinen Vater anbelangt«, sagte sie.
»Mom, das wird schon wieder.«
»Ihr Kinder braucht was zu essen auf dem Tisch! Die Hypothek muss abbezahlt werden«, machte sie weiter, »und euer Vater sitzt im Gefängnis und redet darüber, dass er für seine Grundsätze kämpfen will. Er will ein Märtyrer sein, Noah – gut, soll er. Aber nicht auf dem Rücken seiner Familie. Ich bin nicht bereit, das hinzunehmen!«
»Mom, ich weiß, es ist schwierig … «, sagte ich, doch sie unterbrach mich mit einer Handbewegung.
»Geh und räum dein Zimmer auf«, sagte sie. »Bitte.«
Oben auf dem Treppenabsatz saß Abbey und wartete. Sie legte einen Finger auf die Lippen und führte mich zum Schlafzimmer unserer Eltern. Sie machte die Tür einen Spalt auf und zeigte hinein.
Auf dem Bett lag der Koffer meiner Mutter. Offen. Und zwar nicht der kleine Wochenendkoffer, sondern der große, karierte.
»O-oh«, flüsterte ich.
Abbey nickte bedrückt. »Dieses Mal meint sie es ernst, Noah. Wir müssen was tun.«

Drei

Bis ich meinen Vater wieder besuchen durfte, war die Coral Queen leer gepumpt, gründlich geschrubbt und wieder in Aktion. Ich hoffte, Dad würde mich nicht nach ihr fragen, aber natürlich tat er es doch.
»Das gibt’s doch nicht!«, rief er, als ich ihm die Neuigkeit berichtete.
»Da müssen glatt zwanzig Mann gleichzeitig auf dem Schiff gearbeitet haben«, sagte ich.
Mein Vater war am Boden zerstört. »Ich hätte es im Hawk’s Channel versenken sollen«, murmelte er, »oder im Golfstrom.«
Zum Glück waren wir allein im Besuchsraum. Ich nahm an, mein Vater hatte den großen Polizisten mit den Hängebacken – wie vermutlich auch jeden anderen im Knast – davon überzeugt, dass er harmlos und weitgehend normal war. Darin war er gut.
»Mom hat gehört, dass du verlegt wirst, nach Key West«, sagte ich.
»Nicht mehr«, erklärte mir Dad in vertraulichem Ton. »Der Stellvertreter vom Chef hier mag mich. Ich bringe ihm Schach bei.«
»Du kannst Schach spielen?«
»Psst«, machte mein Vater. »Er glaubt, dass ich es kann. Wie geht’s eigentlich Abbey?«
»Ganz gut«, sagte ich.
»Sag ihr, sie soll die Ohren steif halten, Noah.«
»Sie meint, du brauchst professionelle Hilfe.«
Dad lehnte sich zurück und kicherte. »Typisch Abbey. Sag mal, bist du bei Lice Peeking gewesen?«
Ich beschrieb ihm meinen Besuch in der Wohnwagensiedlung. Mein Vater war nicht überrascht, dass Lice für die Beweise gegen Dusty Muleman Geld wollte.
»Dad, wovon sollen wir ihn denn bezahlen, wenn …«
»Wenn wir bankrott sind? Gute Frage«, sagte mein Vater. »Finde mal raus, ob Lice mein Boot haben will. Es ist zehn oder zwölf Riesen wert, mindestens.«
Insgeheim hatte ich immer gehofft, Dad würde das Boot eines Tages mir überlassen. Es war ein Hell’s Bay mit einem 60-PS-Mercury-Motor, ein echt schickes Teil. Manchmal nahm Dad Abbey und mich am späten Nachmittag mit raus zum Angeln. Selbst wenn die Schnapper nicht bissen, blieben wir bis zum Sonnenuntergang draußen, immer in der Hoffnung, den grünen Blitz am Horizont zu sehen. Dieser grüne Blitz ist so etwas wie eine Legende hier in den Keys – manche Leute glauben daran, andere nicht. Dad behauptete, er habe tatsächlich mal einen gesehen, auf einer Fahrt nach Fort Jefferson. Wenn wir zum Fischen rausfuhren, hatten Abbey oder ich immer einen Fotoapparat dabei, für alle Fälle. Wir hatten inzwischen einen ganzen Stapel von Aufnahmen von schönen Sonnenuntergängen, aber keinen mit einem grünen Blitz.
»Bist du sicher, dass du das Boot weggeben willst?«, fragte ich.
»Ach, was soll’s, was anderes haben wir nicht«, sagte Dad.
»Vermutlich nicht.« Ich versuchte, nicht zu enttäuscht zu klingen.
»Hey – hast du die berühmte Shelly schon kennen gelernt?«
»Ja. Sie kann einen ganz schön einschüchtern«, sagte ich. »Lice sagt, er hat sie Dusty geklaut – wie meint er das eigentlich?«
Ich nahm an, das war so eine Erklär-ich-dir-später-wenn-du-älter-bist-Frage, bei der Dad abblocken würde, aber nichts da.
»Shelly war Dustys zweite oder dritte Frau, nach Jaspers Mutter«, sagte er. Dann schwieg er eine Weile. »Genau genommen waren sie nur verlobt. Aber egal, eines Tages hatte sie Dusty satt und zog bei Lice ein.«
Ich fragte mich, wie furchtbar das Leben bei den Mulemans sein mochte, dass Lice Peeking daneben wie ein Hauptgewinn aussah.
»Das war, bevor Lice mit seiner Arbeit aufhörte und sich wieder dem Bier zuwandte«, fügte Dad hinzu. »Irgendwann hatte er sogar den Plan, selbst ein Kasino auf einem Schiff zu eröffnen und Dusty direkte Konkurrenz zu machen. Keine Ahnung, was aus dem Plan geworden ist.«
»Dad, wann kommst du nach Hause?«