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DER APPELL DES

DALAI

LAMA

AN DIE WELT

 

 

 

 

 

 

DER APPELL DES

DALAI

LAMA

AN DIE WELT

MIT FRANZ ALT

Ethik ist wichtiger
als Religion

 

 

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VORWORT
 
»ICH KENNE KEINE FEINDE«

»Ich kenne keine Feinde. Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht kennengelernt habe«, sagte mir der Dalai Lama schon vor über 20 Jahren. Und: »Von seinen Feinden kann man am meisten lernen. In einem gewissen Sinne sind sie unsere besten Lehrer.« So weise und gleichzeitig realistisch spricht der wohl prominenteste und zugleich auch einer der ältesten Flüchtlinge der Welt nach 56 Jahren im indischen Exil. Obwohl er seit 1959 außerhalb seiner von China besetzten Heimat leben muss, hegt er keinen Hass gegenüber Chinesen und gegenüber den chinesischen Führern. Im Gegenteil. »Selbstverständlich bete ich auch für die kommunistischen Führer in Peking«, sagt er, der sich selbst manchmal einen »kommunistischen Buddhisten« oder einen »buddhistischen Kommunisten« nennt, und fügt lachend hinzu: »In Europa würde ich die Grünen wählen, weil die Umweltproblematik unsere Überlebensfrage ist.«

In 33 Jahren sind wir uns über 30 Mal begegnet und haben 15 Fernsehinterviews miteinander geführt. Selten hatte ich einen so empathischen und humorvollen Gesprächspartner. Keiner hat mehr gelacht als er. Nicht zufällig gilt er Umfragen zufolge als sympathischster Mensch der Welt. Dem Religionsführer wurde in den letzten Jahren eine religionsübergreifende Ethik immer wichtiger. Und heute sagt er sogar etwas für einen Religionsführer Einmaliges: »Ethik ist wichtiger als Religion. Wir kommen nicht als Mitglied einer bestimmten Religion auf die Welt. Aber Ethik ist uns angeboren.« Immer häufiger spricht er bei seinen weltweiten Vorträgen über eine »säkulare Ethik jenseits aller Religionen«. Albert Schweitzer nannte dasselbe Anliegen »Ehrfurcht vor allem Leben«.

Diese säkulare Ethik des Dalai Lama sprengt nationale, religiöse und kulturelle Grenzen und skizziert Werte, die allen Menschen angeboren und allgemein verbindlich sind. Das sind nicht äußere, materielle Werte, sondern innere Werte wie Achtsamkeit, Mitgefühl, Geistesschulung sowie das Streben nach Glück. »Wenn wir selbst glücklich sein wollen, sollten wir Mitgefühl üben, und wenn wir wollen, dass andere glücklich sind, sollten wir ebenfalls Mitgefühl üben. Wir alle sehen lieber lächelnde als finstere Gesichter«, sagt der Dalai Lama.

Eine der zentralen Überzeugungen das Dalai Lama: In unserem Streben nach Glück und unserem Wunsch, Leid zu vermeiden, sind sich alle Menschen gleich. Daraus resultieren die größten Errungenschaften der Menschheit. Deshalb sollten wir anfangen, auf der Grundlage einer Identität zu denken und zu handeln, die in den Worten »wir Menschen« wurzelt.

Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine, in Somalia und Nordafrika, 20 Millionen Flüchtlinge weltweit, Bürgerkriege in Nigeria und in Afghanistan, der Klimawandel und die Umweltkrise, die globale Finanzkrise und der Welthunger: Der Dalai Lama meint, dass wir ohne eine säkulare Ethik all diese Probleme nicht lösen können. Er erklärt und entfaltet seine revolutionären Thesen dazu im folgenden Gespräch. Was der Dalai Lama dabei vorschlägt, ist eine Revolution der Empathie und des Mitgefühls – eine Revolution aller bisherigen Revolutionen. Ohne Empathie und Mitgefühl hätte die Evolution gar nicht stattgefunden.

Erschüttert über den islamistischen Terroranschlag auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift »Charlie Hebdo« und auf einen jüdischen Supermarkt in Paris sagte der Dalai Lama im Januar 2015: »Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotential in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen. In den Schulen ist Ethik-Unterricht wichtiger als Religionsunterricht. Warum? Weil zum Überleben der Menschheit das Bewusstsein des Gemeinsamen wichtiger ist als das ständige Hervorheben des Trennenden.« Diese Erkenntnis wirkte wie eine Initialzündung für das folgende Interview.

Hier ist seine neue Botschaft, welche die Welt verändern kann.

Am 6. Juli 2015 wird der Friedensnobelpreisträger 80 Jahre alt. Aus diesem Anlass erscheint dieses kleine Buch in allen Weltsprachen gleichzeitig.

 

Franz Alt

Baden-Baden, im März 2015