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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.
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Jugendschutzhinweis (FSK18): Geeignet ab 18 Jahre. Im realen Leben dürfen Erotik und sexuelle Handlungen jeder Art ausschließlich zwischen gleichberechtigten Partnern im gegenseitigen Einvernehmen stattfinden. In diesem eBook werden fiktive erotische Phantasien geschildert, die in einigen Fällen weder den allgemeinen Moralvorstellungen noch den Gesetzen der Realität folgen. Der Inhalt dieses eBooks ist daher für Minderjährige nicht geeignet und das Lesen nur gestattet, wenn Sie mindestens 18 Jahre alt sind.

1. Auflage Dezember 2013

© 2013
art&words – verlag für kunst und literatur
Zerzabelshofstraße 41, D-90480 Nürnberg
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Lektorat: Ursula Schmid-Spreer

Umschlaggestaltung: Peter R. Hellinger
Foto: Silenzio - rossetto rosso
© brunobarillari - Fotolia.com

ISBN 978-3-943140-38-5 (epub)
ISBN 978-3-943140-39-2 (kindle)
ISBN 978-3-943140-40-8 (mobi)

Inhalt

Sigrid A. Urban
Eiskalte Leidenschaft

Kerstin Lange
Gefährliche Verführung

Helmut Stauder
Eine gute Ausrede

Paul Pfeffer
Angelo

Paul Pfeffer
Keine Geschichte

Leonhard Michael Seidl
Der Spieler

Vera Gold
Karneval in Venedig

Ana Otera
Leon

Ana Otera
Tiempo libre

Marlene Schulz
In Öl

Ursula Schmid-Spreer
Ein besonderer Künstler

Ilse Panzer

Anne Hassel
Für jeden Wochentag einen

Günter Suda
Füreinander bestimmt?

Gudrun Lerchbaum
Überblendung

Caitlin D. Kisner
Belanca und Djamila

Ina May
Sexualiberty

Peter Suska-Zerbes
Und wenn schon

Andreas Arnold
Donnerliddzchen!

Michael Kress
Die Hochzeitsnacht

Lorenz-Peter Andresen
Schilfgeflüster

Lorenz-Peter Andresen
Kino Erotika

Ötti von Tingen
Der Schmetterlingsmann

Roy Francis Ley
Ein begehrliches Spiel

Pia Sommer
Jahrestag

Maria Mietasch
Kaltes Zimmer

Andrea Conrad
Sommerschwüle

Marion Margies
Liebeslohn

Josef Rauch
Krieger der Liebe

Vitae

Herausgegeben von

Ursula Schmid-Spreer

Zärtliches Tabu

Erotische Erzählungen

Sigrid A. Urban
Eiskalte Leidenschaft

Mein Blick huscht, bestimmt schon zum hundertsten Mal zur Uhr. Es ist kurz vor achtzehn Uhr. Bald kommt er. Zitternd atme ich aus.

Am Morgen, wenn er mich verlässt, ist es noch erträglich. Seine Hand zu spüren, die ein letztes Mal nach mir greift, versöhnt mich in der Gewissheit, dass ich ihn erst in elf Stunden wieder sehen werde.

Der Vormittag vergeht meist ziemlich schnell. Heute überlege ich mir, womit ich ihn abends überraschen könnte. Vielleicht mag er ja einen eisgekühlten Sekt? Der Gedanke, wie seine schlanken Finger nach dem beschlagenen Glas greifen, zieht mich in einen wunderschönen Tagtraum. Seine kräftigen Finger, die mich so sanft, und dennoch fordernd berühren können ... Ich sehe schon, wie er das prickelnde Getränk an seine Lippen setzt und ein einzelner eiskalter Tropfen über seine raue Wange perlt, hinab über seinen Hals, in die Tiefen seines geöffneten Hemdes.

Oh, wie ich diesen Anblick liebe!

Heute ist es erst zwölf Uhr, als sich dieser Traum allmählich auflöst und einer schmerzhaften Sehnsucht Platz macht.

Ich kenne diesen Gram, als würde er zu mir gehören. Ich spüre ihn jeden Tag aufs Neue. Manchmal hält mich mein vormittäglicher Traum lange genug gefangen und bewahrt mich vor einem furchtbar langen Nachmittag, an dem ich unsäglich leide.

Doch heute ist das Warten besonders nervenaufreibend. Mittlerweile habe ich mir eine Strategie erdacht, die mich davor bewahrt durchzudrehen.

Ich zwinge meinen Tagtraum erneut herbei.

Erinnere dich!, ermahne ich mich. Augenblicklich erscheint sein Bild vor mir.

Dieses Mal trägt er kein Hemd. Er kommt ganz dicht an mich heran und beugt sich zu mir vor. Voller Konzentration betrachtet er mich und sieht dabei bis in meine innersten Tiefen. Nichts kann ich vor seinen stahlblauen Augen verbergen. Und ich will ihm auch nichts verheimlichen. Alles werde ich ihm geben, wirklich alles.

Ich kann den Blick nicht von ihm losreißen. Sein starker Oberkörper, seine muskulösen Arme, seine Brustwarzen, die sich vor Erregung zusammenziehen und ganz spitz werden.

Vor Erregung? Ich lache leise auf. Das wünsche ich mir vielleicht, aber ich weiß, dass ich mir etwas vormache. Je länger er in meine Betrachtung versinkt, umso kälter wird ihm.

Komm schon, nimm dir, was du möchtest!

Und er wird es sich nehmen, er hat keine Scham. Er wird mich benutzen, wie schon so viele Male vorher. Aber das ist gut. Nur dafür bin ich bei ihm. Ein Schauder läuft bei diesen Gedanken durch meinen Körper.

Ich schrecke aus meinen Träumen auf, als sich der Schlüssel im Türschloss dreht.

Er ist da.

Endlich!

Komm Geliebter, ich warte auf dich, rufe ich leise aus der Küche.

Doch er lässt sich Zeit, legt erst seine Jacke ab, wäscht sich die Hände. … Und ich leide Qualen. So kurz vor dem Ziel, ihn zu sehen, ihn zu berühren …

Jede Sekunde dehnt sich zu einem Vielfachen.

Dann … kommt er.

Er sieht abgespannt aus. Der Sekt wird ihm sicher helfen zu entspannen. Kurz blitzt das erotische Bild von dem Sekttropfen, der sich seinen Weg über diesen göttlichen Körper bahnt, durch meine Gedanken.

Ich ermahne mich zur Geduld. Ich darf ihn nicht drängen. Es dauert nicht mehr lange, er ist mir schon so nah. Ich kann ihn riechen, seinen Duft nach Aftershave und leichtem Schweiß.

Er hat seine Krawatte gelockert und den obersten Knopf geöffnet. Seine blauen Augen sehen mich an, und das Zittern setzt erneut bei mir ein, erschüttert meinen Körper in freudiger Erwartung.

Komm! Den ganzen Tag habe ich gewartet.

Er streckt seine Hand nach mir aus. Der hochgestreifte Hemdärmel entblößt seinen sehnigen Arm, an dem die Adern leicht hervortreten.

Mein Geliebter! Komm!

Seine Hände berühren mich und reißen kraftvoll die letzte Barriere nieder, die unsere Körper voneinander trennten. Dann beugt er sich vor und sein warmer Atem streichelt über mein entblößtes, kühles Inneres.

Genau … das ist es, was ich den ganzen Tag ersehnt habe.

Dich zu fühlen … deine Stärke zu spüren …

Ja … gleich werde ich dir geben, was du brauchst … gleich … gleich …

***

Er blickt in den Kühlschrank. Holt Butter und Wurstaufschnitt heraus. Dann greift er nach der Flasche Sekt. Einen kurzen Moment zögert er, runzelt die Stirn, stellt die Flasche zurück. Dreht den Temperaturregler zwei Stufen zurück.

Als er die Kühlschranktür schließt, stockt er kurz. Das Geräusch des Gerätes erinnert ihn entfernt an das Seufzen einer Frau, zärtlich, voller Hingabe.

Lächelnd schüttelt er den Kopf - was einem der erschöpfte Geist nach einem anstrengenden Tag nicht alles vorgaukelt …

Kerstin Lange
Gefährliche Verführung

Das Kochbuch lag neben Sabine, während sie den Einkaufszettel schrieb. Dieses Menü war perfekt für ein Versöhnungsabendessen mit Sascha. Ihr Blick fiel auf die Vorspeise. „Karamellisierter Chicorée mit Radicchiosalat.“

Bereits beim Lesen des Rezeptes schmeckte sie das Zusammenspiel des Zuckermantels um das zartbittere Gemüse, vollendet durch den Radicchio mit Senfdressing und gerösteten Sonnenblumenkernen. Sascha liebte leicht bittere Speisen – vor allem, weil man ihnen eine aphrodisierende Wirkung nachsagte.

Erst letzte Woche hatte sie ihn angerufen. Seine Worte klangen erstaunt: „Du lädst mich zum Essen ein? Das heißt, du hast mir verziehen? Bin ich erleichtert.“ Er schnaufte tief, bevor er weitersprach: „Danke Sabine, Mensch bin ich froh. Keine Ahnung, was da in mich gefahren war.“

„Ach ich bitte dich, auch ich war nicht ganz unschuldig“, ihr Magen rebellierte, „sei doch gegen 19 Uhr da. Es gibt ein kulinarisches Meisterwerk.“

Sie konzentrierte sich wieder auf ihren Einkaufszettel und notierte die Zutaten fürs Hauptgericht: Maispoulardenbrust an Sauce von rosa Champignons mit Thymiankartoffeln. Als Zwischengericht plante sie Seezungenröllchen mit Räucherlachsfarce auf Gemüsenudeln mit Weißweinsauce.

Zum Nachtisch gab es eine Mousse au Chocolat mit Orangenlikör, garniert mit gehackten Nüssen. Perfekt! Sabine kochte gerne, erfreute sich am Zubereiten frischer Zutaten zu einem unvergessenen Gaumenerlebnis.

Als sie das letzte Mal für Sascha gekocht hatte, war ihr das Menü geglückt, doch alles andere war schief gelaufen. Wie hatte es nur zu diesem Streit kommen können?

Bei den Weinen war sie sich unsicher. In der gemeinsamen Zeit mit Sascha hatte er sich um die Getränke gekümmert. Doch auf Weinhändler Salvatore war Verlass. Er würde zur Vorspeise und Zwischengang den passenden Wein finden, für den Hauptgang hatte sie sich etwas Besonderes einfallen lassen.

Am nächsten Morgen stand sie früh auf, um frische Zutaten auf dem Wochenmarkt einzukaufen. Sie fühlte die knackige Frische des Chicorées, roch den zartbitteren Geschmack des Radicchios, erfreute sich am Farbenspiel der orangenen Karotten und der dunkelgrünen Zucchini. Den Thymian zerrieb sie zwischen den Fingern und erlebte einen kurzen Moment den Geruch der Toskana. Flüchtige Erinnerungsbilder an diesen Urlaub mit Sascha kamen ihr in den Sinn. Pures Glück - und an dem Abend vor acht Wochen wollte sie ein weiteres Glücksgefühl mit Sascha teilen. Vergeblich. Wie konnte ein kleiner Disput in einem so heftigen Streit enden? Pünktlich um 19 Uhr klingelte es an der Tür.

Sein Gesicht versteckte er hinter einem Blumenstrauß. Zögernd trat er ein. Sabine schloss die Augen und steckte kurz ihre Nase in die Blüten.

„Danke für die Einladung. Ich bin so glücklich, dass du mir verzeihen konntest“, stammelte er. Sie ließ den Begrüßungskuss zu, stellte die Blumen in die Vase und bat: „Nimm doch schon am Tisch Platz.“

„Sabine, wie schön der Tisch aussieht! Wie du.“ Bewundernd musterte er sie. „Kann ich dir vielleicht noch helfen?“

„Ja, wenn du möchtest, öffne den Wein für die Vorspeise. Ich brauch’ noch zehn Minuten!“

Während Sascha die Stanniolkappe entfernte, den Korkenzieher vorsichtig ansetzte, hantierte Sabine in der Küche. Sie richtete das Gericht auf ihren besten Porzellantellern an.

„Wow, Sabine, ein Gedicht“, seine Stimme klang verzückt. Er hob sein Weinglas zur Nase, weitete die Nasenlöcher, nahm den Geruch auf. Er befeuchtete seine Lippen, prostete ihr zu, nahm einen kleinen Schluck. Anerkennend neigte er seinen Kopf zur Seite.

„Aus dir wird ja noch eine richtige Weinkennerin. Er passt vorzüglich.“

„Salvatore war ein guter Helfer“, antwortete Sabine süffisant. Sie brachte kaum einen Bissen herunter und beobachtete, wie er genießerisch die Vorspeise verzehrte. Er legte sein Besteck zur Seite und schaute ihr tief in die Augen. „Ich habe deine Kochkünste vermisst.“

Sie blieb stumm.

„Und dich“, fuhr er fort und fuhr sich der Zunge über seine Lippen. War das Lüsternheit, dieses Funkeln in seinen Augen? Sabine neigte sich noch ein Stück vor und erwiderte seinen Blick. Bis jetzt verlief alles nach Plan. Lächelnd erhob sie sich. Ihr langes Haar streifte beim Abräumen der Teller wie zufällig sein Gesicht.

In der Küche richtete sie den Zwischengang her. Sascha atmete schwer. „Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, Sabine. Darf ich helfen?“

„Auf dem Sideboard steht der Montrachet, öffne ihn doch bitte.“

„Sehr gute Wahl von Salvatore. Ich bin beeindruckt. Aber ich glaube kaum, dass ich nach diesem Essen noch Autofahren kann.“ Seine Stimme klang einschmeichelnd, erwartungsvoll.

„Das glaub ich auch nicht“, rief sie seinen Tonfall nachahmend aus der Küche.

Sascha pfiff eine Melodie, als er den Weißwein öffnete. Er schenkte ein. Als Sabine die angewärmten Teller mit den dampfenden Zutaten servierte, strich sie mit einer Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht und mit der anderen öffnete sie einen weiteren Knopf ihrer Bluse. „Es ist heiß in der Küche.“ Ein tiefer Blick. Sascha lockerte seine Krawatte, rutschte auf seinem Stuhl hin und her, verschlang sie mit seinen Blicken. Mechanisch führte Sabine die Gabel zum Mund. Sie schmeckte nicht, was sie aß.

An besagtem Abend vor acht Wochen war es beim Zwischengericht zu diesem alberner Streit über Wein gekommen. Durfte man wirklich nur Weißwein zu Fisch und Rotwein zu Fleisch reichen? Sabine hatte die Meinung vertreten, dass es auf das Gericht ankam. Zu einem leichten Geflügelgericht war ein Weißwein durchaus vertretbar, genauso wie ein junger Rotwein zu Fisch. Doch Sascha hatte unbeirrt und stur auf seinem Standpunkt verharrt: Rotwein zu Fleisch, Weißwein zu Fisch.

„Phänomenal, Sabine, fantastisch. Ich frage mich, wo das heute Abend noch hinführen soll?“ Ein fragender, hoffnungsvoller Blick. Sie warf ihren Kopf in den Nacken, antwortete nicht auf die Frage. Stattdessen fächerte sie sich mit einer Handfläche Luft zu und berührte mit der anderen Hand ihr Dekoletté. Stand auf, raunte: „Mach es dir bequem. Schenk dir doch noch eine Glas Wein ein, fühl dich wohl.“ Sie ging in die Küche, um den Hauptgang zuzubereiten. Ihr Blick fiel auf den Dekanter, in dem der Rotwein atmete. Ihr Lieblingswein: Brunello di Montalcino, Jahrgang 2000. Das Jahr, in dem sie ihren ersten gemeinsamen Urlaub in der Toskana verbracht hatten, von einer Zukunft mit Häuschen, Hund und Kindern träumten.

Sie stellte die Karaffe auf den Tisch, bat ihn einzuschenken. Danach platzierte sie den Teller mit Poularde an Gemüse vor ihn und beugte sich weit nach vorne – auf einen BH hatte sie verzichtet. Sie nahm Platz, schob ihren Rock etwas höher, schlug die Beine übereinander und hauchte: „Guten Appetit.“ Sascha schluckte. „Dir auch“, flüsterte er und verschlang sie mit den Augen.

Sie lächelte nur. Seine rechte Augenbraue wanderte nach oben, und um seinen Mund erschien für einen kurzen Moment ein verkniffener Zug, als er den Wein entdeckte. „Ein Rotwein zur Poularde?“

Sie nickte, lächelte süffisant.

Er suchte nach Worten. „Ein guter Wein“, presste er hervor. Dabei schwenkte er das Glas. Sein Fuß berührte unter dem Tisch ihre Wade, während er die Augen schloss und den ersten Bissen zum Mund führte. Sie nippte nur am Glas. Vor ihrem inneren Auge lief wieder der Abend vor acht Wochen ab.

Ein Wort hatte das andere ergeben. Sie war wütend geworden, fühlte sich unverstanden, nicht ernst genommen und ihre Hand war auf seiner Wange gelandet. Der Ring hatte eine blutende Wunde hinterlassen. Erschrocken hielt sie inne, als sie von seiner Faust mit solcher Wucht getroffen wurde, dass sie ihr Gleichgewicht verlor und gestürzt war. Sie schloss für einen Moment die Augen und hauchte:

„Sollen wir zum Ende kommen? Nachtisch?“

„Sabine, soll ich mir ein Taxi bestellen, oder darf ich bleiben? Ich …“

Sie neigte sich nach vorne, berührte mit ihrer Hand seinen Arm. „Du kannst bleiben, gern für immer.“ Ein verführerischer Augenaufschlag, ein leicht geöffneter Mund. „Zum Abschluss gibt es dein Lieblingsdessert.“

Verzückt rollte Sascha mit seinen Augen. „Eine Mousse au Chocolat aus Bitterschokolade mit Walnüssen? Und Süßwein?“

„Er steht hinter dir, du kannst ihn gerne öffnen. Ich bleibe beim Rotwein.“

In der Küche bestäubte sie die Teller mit Puderzucker, formte eine Nocke aus der schaumigen, luftigen Masse. Einen kurzen Moment hielt sie inne, als ihre Gedanken zu dem Arzt wanderten, den sie vor acht Wochen rufen musste, als die Blutungen kamen. Als sie ihr Kind verlor.

Kein einziges Mal hatte er sich in dieser Zeit bei ihr gemeldet und sich erkundigt, wie es ihr ging. Als wäre dieser Abend nie geschehen.

In ihrer Trauer und Wut keimte ein Gedanke, der sich nicht wegschieben ließ. Je mehr sie versuchte, ihn zu verdrängen, umso so intensiver kehrte er zurück. Seine Allergie bot so viele Möglichkeiten. Eine winzige Haselnuss würde reichen.

Hingebungsvoll streute sie die Walnüsse und eine ganz klein gehackte Haselnuss über die Schokonocken. Servierte den Teller, setzte sich ihm gegenüber. Sie hoben die Gläser, stießen auf den gelungen Abend an, blickten sich tief in die Augen. Er setzte den Löffel an, nahm die luftige Mousse mit vielen Nüssen auf und führte ihn langsam in den Mund. Ohne seinen Blick von ihr zu lösen.

Sabine ließ sich auf das Augenspiel ein, verzog keine Miene. Bis Sascha mit einem Mal angstvoll an seinen Hals griff und nach Luft schnappte. Sie lehnte sich triumphierend lächelnd zurück, schlürfte den Rotwein und genoss seinen entsetzten Gesichtsausdruck, als er endlich begriff.

Helmut Stauder
Eine gute Ausrede

Die weiße Maus stellt sich tot. Die Korallenschlange fixiert sie, züngelt fein. Dann schlägt sie zu. Giftzähne bohren sich in den kleinen Körper, ein schrilles Quieken, ein paar Zuckungen, dann liegt die Beute still.

Der hellrotschwarz gestreifte Leib der Schlange windet sich um das Opfer, das Maul öffnet sich weit, packt die Maus am Kopf. Langsam und bedächtig beginnt sie, ihre Mahlzeit zu verschlingen.

Bettina erhebt sich, geht in die Küche und schenkt sich ein Glas Prosecco ein. Sie zittert leicht, denn die Macht des Giftes und die schlanke Kraft des Schlangenkörpers erregen sie heftig.

Wenn er doch schon da wäre!

Sie wäre bereit für ihn.

Ihre vollen Brüste drücken sich weich an seinen Hinterkopf, ihre Hände streicheln seine Wangen, wandern am Hals entlang tiefer, gleiten über seine Brust, nähern sich seinem Gürtel.

„Bist Du sicher, dass Du heute ganz pünktlich das Büro verlassen musst?“

„Versteh’ doch, sie wartet. Will mit mir feiern. Ich habe es versprochen.“

„Und wenn du dir eine gute Ausrede einfallen lassen könntest? Ich würde dich auch verwöhnen.“

Sie schnurrt in sein Ohr, beißt in seinen Hals, ihre Hände werden fordernder, dringen ein.

Zwei Stunden später rast Michael in seinem silberfarbenen Rover über die Landstraße nach Hause. Alleebäume huschen vorbei wie Schemen.

Was soll er ihr nur sagen? Überstunden, weil noch etwas Wichtiges zu erledigen gewesen sei? Wird sie nicht glauben.

Sie ist ziemlich misstrauisch in letzter Zeit.

Weil es zu häufig vorkommt.

Neben der Straße grast eine große Schafherde, bestimmt zweihundert Stück. Schäferhunde umschwärmen sie und treiben die Tiere auf ein Gatter zu.

Das ist eine glänzende Idee.

Das wird sie glauben.

Sie mag Schafe.

Die Reifen quietschen, als er vor dem Haus hält. Sie steht in der Türe, die Arme vor der Brust verschränkt, strafender Blick.

„Liebling, du wirst es nicht glauben, aber ich stand auf der Landstraße über eine Stunde lang eingekeilt in eine Schafherde und konnte einfach nicht weiterfahren. Der Schäfer hat nur mit den Schultern gezuckt. Waren bestimmt zweihundert Tiere. Haben mich durch das Autofenster angestarrt und geblökt. Ein Höllenlärm, das kann ich dir sagen. Man meint, man wird taub davon. Aber nun bin ich ja bei dir.“

Sein verführerisches Lächeln, der Rosenstrauß, ein zarter Kuss. Und sie wird weich, öffnet die Blockade ihrer Arme, zieht ihn an sich, bereit zu vergeben.

Da stutzt sie. Ist da nicht der Hauch eines fremden Parfüms? Ein feiner Moschusduft? Aber seine Hände, die ihren Rücken und Hals streicheln, lenken sie ab. Begehrend drückt sie sich an ihn.

Sie hat den Tisch gedeckt. Mehrere kleine Vorspeisen, Tapas, dazu ein Syrah Frizzante, eine Rarität aus dem Südosten Australiens.

Blutrot, mit einem erregenden Bouquet.

Ein passender Aperitif für das Folgende.

Sie setzen sich. Dabei fällt ihr Blick auf seine Hose. Was ist das für ein Fleck im Schritt? Weißlich. Sieht frisch aus. Ekelerregend! Völlig eindeutig.

Sie versteift sich erneut. Also doch! Sie hat es ja gewusst. Sie entschuldigt sich, steht auf, geht hinaus, begibt sich in den Flur, zur Garderobe, durchsucht sein Sakko.

Und wird fündig.

Ein schwarzer Slip. Tanga.

Wie kann er nur so dumm sein! Oder hat ihn diese Schlampe vielleicht heimlich in seine Tasche geschmuggelt? Damit sie, die Ehefrau, ihn findet? Und ihn hinauswirft? Damit sie ihn dann endlich ganz für sich alleine haben kann? Nein, keine andere soll diesen Mann haben!

„Liebling, ich bin gleich wieder bei dir. Ich möchte nur schnell das Geschenk für dich holen. Fang doch schon mal an!“

Sie eilt in ihr Zimmer, in dem das Terrarium steht, greift die Schlange vorsichtig hinter dem Kopf, sieht ihr in die Augen.

„Du musst eine Kleinigkeit für mich tun, meine Beste.“

Die Korallenschlange züngelt.

Bettina schiebt sie vorsichtig in die Sakkotasche, in der das Höschen ist, und zieht schnell ihre Hand zurück.

Er sieht von seinem Vorspeisenteller auf, in freudiger Erwartung.

Sie stellt sich hinter ihn.

Ihre vollen Brüste drücken sich weich an seinen Hinterkopf, ihre Hände streicheln seine Wangen, wandern am Hals entlang tiefer, gleiten über seine Brust, nähern sich seinem Gürtel.

Ja, der Fleck ist absolut eindeutig.

„Liebling, ich habe dein Geschenk versteckt. Du musst es suchen gehen. Kleiner Tipp: Du hast ein sehr schönes Sakko.“

Er steht auf, küsst sie flüchtig, geht zur Garderobe. Kurz ist es still, dann sein Schrei.

Leichenblass steht er vor ihr. Hält die Hand vorwurfsvoll empor. An seinem Daumen zwei Blutstropfen. Rot. Wie der Syrah Frizzante.

„Du willst mich umbringen!“

„Weil du es verdienst. Du hast mich betrogen. Und ich habe dir geschworen, dass ich dich dafür töten werde. Hast du das vergessen?“

Wortlos dreht er sich um, rennt aus dem Haus, springt in seinen silberfarbenen Rover, fährt mit quietschenden Reifen los. Im Krankenhaus in der Stadt werden sie Serum haben.

Alleebäume huschen vorbei wie Schemen.

Doch da muss er scharf bremsen.

Die Landstraße ist blockiert.

Der Schäfer treibt seine Herde in aller Ruhe vor sich her.