ÜBER DIE AUTOREN




Timothy Gallwey wurde 1938 in San Francisco geboren. Sein internationaler Bestseller Inner Game of Tennis (Erstausgabe 1974) stellte ganz neue Prinzipien und Methoden des Lernens und Coachens vor. Sie werden seither in Wirtschaft, Gesundheitswesen, Ausbildung und Sport eingesetzt. Tim Gallwey ist in vielerlei Hinsicht ein Pate der heutigen Coaching-Bewegung. Als Pionier der Sportpsychologie und Verfasser etlicher Bücher zu diesem Thema hat er es geschafft, den Inner Game-Ansatz auch in der Wirtschaft zu etablieren. In vielen Unternehmen spielt Inner Game eine wichtige Rolle bei Veränderungsprozessen.
Die Erkenntnisse aus seiner Arbeit mit Unternehmen hat Gallwey in seinem Buch Inner Game Coaching Warum Erfahrungen der beste Lehrmeister sind (allesimfluss-Verlag, 2010, Original: Inner Game of Work, Random House, 1999) niedergelegt. Kontakt: www.theinnergame.com

Der U.S. News and World Report nannte Dr. Robert Kriegel eine der führenden Autoritäten des Landes in Sachen „Change" und „Human Performance". Er ist Bestseller-Autor und arbeitet für die New York Times.
Als ehemaliger Vorzeigeathlet ist Kriegel ein Pionier auf dem Gebiet der Sportpsychologie und hat sowohl Olympiateilnehmer als auch Profisportler betreut. Dr. Kriegel hat im Executive Management Programm der Universität Stanford gelehrt und war Mitglied des California Governor's Council. Zu seinen Büchern gehören: „If It Ain't Broke … Break It!" (1992) und „Das letzte Muh der heiligen Kuh" (Sacred Cows Make the Best Burgers (1997)).

cover



W. TIMOTHY GALLWEY ROBERT KRIEGEL


INNER GAME SKI


Skigenuss durch natürliches Lernen




© für die deutsche Ausgabe 2011:

allesimfluss-Verlag und Shop AG, Am Rebberg 11, D – 79219 Staufen Telefon +49 –7633–933480 / Fax +49 –7633–9334811 www.allesimfluss-verlag.de / kontakt@allesimfluss-verlag.de

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Einwilligung des Verlags.

1. Auflage November 2011, der 1997 überarbeiteten Fassung.

Autoren: W. Timothy Gallwey und Robert Kriegel
Projektleitung: Frank Pyko
Übersetzung: Roswitha Menke
Umschlaggestaltung: Meike Herzog
Layout und Satz: Satzbüro B. Herrmann
Korrektur: TextBüro Meßmer
Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe GmbH


Printed in Germany


Veröffentlicht in den USA 1977 von Random House Inc., New York unter dem Originaltitel „Inner Skiing". Eine Überarbeitung erfolgte 1997.

© 1977, 1997 by W. Timothy Gallwey


ISBN 978-3-9809167-5-2



VORWORT VON W. TIMOTHY GALLWEY: ZWISCHEN GEFÜHL UND TECHNIK




Seit der Veröffentlichung von Inner Game of Tennis im Jahr
1974 wird auch Skifahren grundlegend anders unterrichtet. Zu meiner Überraschung setzten sich viele Skilehrer intensiv mit den Ideen des Buches auseinander, sogar intensiver als die meisten Tennislehrer. Und noch bevor ich beschloss, gemeinsam mit Bob Kriegel Inner Game Ski zu verfassen, nutzten Skitrainer in Vail und Aspen die Prinzipien und Techniken des Inner Game für ihre Arbeit.
Damals wusste ich noch nicht, dass dieses Interesse vor allem von der pädagogischen Arbeit von Horst Abraham herrührte. Abraham, ein gebürtiger Österreicher, war Direktor für Ausbildung und Entwicklung an der Skischule in Vail. In gleicher Funktion arbeitete er dreizehn Jahre lang für den Nationalen Verband der Skilehrer in den USA (PSIA). Er stammte aus Wien und besaß sämtliche Trainerlizenzen in Österreich, Frankreich und Deutschland. Allerdings hatte er schon früh in seiner Karriere die Wirksamkeit des autoritären Stils im österreichischen Skitraining offen hinterfragt. Er verließ daraufhin seine Heimat unter dem Druck der österreichischen Ski-Granden, die sich seinen Wünschen nach Innovation widersetzten. In den USA wurden er und seine Ideen erfreut begrüßt, zunächst in Aspen, später auch in Vail. Er verband sein umfassendes Wissen über die Technik des Skifahrens mit Ideen von Psychologen wie Carl Rogers, Abraham Maslow und anderen aufgeklärten Denkern. Nach und nach erlebte die Skiwelt eine erfrischende Veränderung, weg vom rigiden Einheitsbrei der technikorientierten Skipädagogik, hin zu Lehr- und Lernmethoden, mit denen man natürliche Lernprozesse entdecken und ermöglichen konnte. Eines Tages bat mich Abraham, den Skilehrern von Vail Montain Inner Game zu präsentieren – einer Gruppe von mehr als zweihundert Personen. Ich versuchte zunächst zu erklären, wie Skilehrer das Prinzip der nicht-wertenden Aufmerksamkeit bei ihrer Arbeit nutzen könnten. Nach einigen Minuten bemerkte ich, dass die Skilehrer zwar zuhörten, doch ihre Körperhaltung drückte Abwehr aus. Ich ahnte den Grund und änderte sofort die Richtung. Ohne jeden Bezug zum Skifahren sprach ich nun darüber, was ich über das natürliche Lernen herausgefunden hatte, als ich Tennis lehrte. Sofort verschwand die Ablehnung. Meine Zuhörer lehnten sich in ihren Stühlen nach vorn und hingen an meinen Lippen. Sie begannen zu lachen und stellten die Verbindung zu ihren eigenen Erfahrungen her. Am Ende bekam ich stehende Ovationen.
Danach kam einer nach dem anderen auf mich zu und suchte das Gespräch. Ich hörte im Grunde immer dasselbe: „Weißt du, Tim, beim Skifahren ist es ganz genau so!" – „Tatsächlich?", antwortete ich und tat überrascht. „Inwiefern denn?" Jetzt, da wir keine Konkurrenten in Sachen Skitraining mehr waren, konnten die Skilehrer offen mit mir über ihre Beobachtungen diskutieren: Wie effizient ist es tatsächlich, Kanten, Skier, Kurven und sogar Schwerkraft zu beobachten? Sie erzählten sogar Anekdoten, wie sich diese selbstkritische, überkontrollierende Stimme, die ich Selbst 1 nenne, auf der Piste als ebenso hinderlich erweist wie auf dem Tennisplatz. Es ist im Tennis wie beim Skifahren: Ein Sportler ist dann am besten, wenn der Geist ruhig und fokussiert ist. Dann erleben auch Skifahrer diese plötzliche Höchstleistung, die in allen Sportarten ein Charakteristikum von Selbst 2 ist. Es wurde klar, dass sowohl Trainer als auch Sportler lernen müssen, ihr wertendes, überanalytisches Selbst 1 ruhig zu stellen, um auf die angeborenen und geradezu magischen Fähigkeiten ihres Selbst 2 zugreifen zu können.
Man könnte glauben, dass diese Ideen zu jener Zeit ziemlich abgehoben klangen. Doch Abraham hatte ihnen längst den Weg geebnet. Zum Glück waren er und seine Kollegen im Ausbildungsgremium offen genug, um mit Spezialisten aus Biomechanik, Erziehung, Kinesiologie und Psychologie zusammenzuarbeiten. In diesem Umfeld war es fast unmöglich, neues Denken und Handeln einfach zu ignorieren. Die Skilehrer experimentierten mit Ansätzen, die die Lernenden und ihre Art zu lernen ins Zentrum stellten. Viele fanden heraus, dass die Lernenden damit Frustration und Unsicherheit vermeiden konnten – Dinge, von denen man bisher geglaubt hatte, sie gehörten zwangsläufig zum Lernprozess beim Skifahren. Anstelle der Forderung, sich „richtig" zu bewegen, wurden die Skischüler eingeladen, ihre eigenen Möglichkeiten zu entdecken. So kamen sie stärker mit ihrem Körper in Kontakt und ihre natürlichen Fähigkeiten zu lernen konnten sich besser entfalten.
Schon bald diskutierte die Skiwelt über fundamentale Prinzipien und Techniken, um die Kunst des Skifahrens zu lehren. Da Skilehrer untereinander engen Kontakt halten, konnten sie sich früher als Trainer anderer Sportarten mit dem Prozess des Lernens befassen und ihn verstehen. Im Gegensatz zu professionellen Golf- und Tennislehrern gehören Skilehrer meist zu Skischulen mit oft mehreren hundert Lehrern, die sich treffen, auf denselben Pisten unterrichten und täglich Gelegenheit haben, sich über ihre Ideen und Erfahrungen auszutauschen. Darüber hinaus kann die Lehrmethode einer Skischule zu ihrem Ruf beitragen und damit die Profitabilität des Skigebiets beeinflussen. An den Umsätzen zeigt sich, wie viele Anfänger eine Skischule anzieht und wie gut sie Kunden binden kann. Deshalb möchte jede Skischule im Ruf stehen, nach den fortschrittlichsten und effizientesten Lehrmethoden zu arbeiten.
Dennoch waren intellektuelle Führer und herausragende Lehrer wie Horst Abraham nötig, um die Ideen nachhaltig umzusetzen. Unter Abrahams Leitung entstand ein neuer Ansatz für die Skiausbildung, die „American Teaching Method", kurz ATM. ATM kombinierte das Wissen über effektive Fahrtechnik mit Erkenntnissen über den menschlichen Lernprozess. Dieser Ansatz unterschied sich klar von dem alten österreichischen Skitechnikdogma. Er bot der internationalen Skiwelt eine Alternative zu der bislang dominierenden europäischen Art, Skifahren zu vermitteln. Und er rückte den Menschen, der das Skifahren erlernt, stärker ins Zentrum.
Etwa zur selben Zeit erschien die erste Auflage unseres Buches Inner Game Ski und eroberte einen Platz auf der Sachbuch-Bestsellerliste des New York Times Book Review. Das Buch zeigte, wie man Skifahren aus der eigenen unmittelbaren Erfahrung lernen konnte, und vermittelte zwei Schlüssel zum Erfahrungslernen. Zum ersten Schlüssel gehört im Wesentlichen eine gesteigerte, nicht wertende Aufmerksamkeit in jedem Augenblick des Skifahrens. Diese Aufmerksamkeit erreichen Sie, indem Sie immer stärker darauf achten, was an jeder Stelle Ihres Körpers passiert, während Sie gleichzeitig beobachten, was der Ski auf der Piste genau „tut". Der zweite Schlüssel ist nicht mehr als das Vertrauen in diese eigenen Fähigkeiten, die man unmittelbar aus der Erfahrung gewinnt. Skifahrer, die gelernt haben, sich selbst zu vertrauen, können ihre Fahrfähigkeit verbessern, ohne auf eine lange Liste von Anweisungen und Verboten ihrer Skilehrer zurückzugreifen. Ein Lehrer achtet in der Regel vor allem darauf, dass der Körper des Schülers sich so bewegt, wie es aus Sicht des Lehrers sein sollte. Um dieses Maß an Aufmerksamkeit und Vertrauen zu erreichen, muss der Skischüler die kritischen, überkontrollierenden Stimmen im eigenen Kopf ruhig stellen.
Es überrascht nicht sonderlich, dass die Skilehrer ganz unterschiedlich auf diese neuen Prinzipien reagierten. Es entwickelte sich eine lebhafte Debatte über Themen wie nicht wertende Aufmerksamkeit für Körper und Ski, spielerisches Lernen, innere Bilder, Erfahrungslernen, Entdeckung, Begeisterung für die rhythmischen Bewegungen, Umgang mit Angst, Lernen ermöglichen, anstatt zu lehren, die eigenen Fähigkeiten entdecken, statt sture Technik zu vermitteln. Diejenigen, die das Phänomen des natürlichen Lernens kannten, begriffen auch die Gültigkeit der Prinzipien des Inner Game Ski. Sie entwickelten Lehrmethoden, die sowohl Skileh rer als auch Skischüler von hohem Druck befreiten. Skifahrer und Skilehrer fühlten sich weniger eingeschränkt und konnten auf einmal erforschen, wie sich ihr eigener Körper und ihre Persönlichkeit im Skifahren und im Lehren ausdrückten. Auf diese Weise machte es nicht nur mehr Freude, Skifahren zu lernen, nein, Inner Game wurde auch zu einer Metapher für Freiheit und Autonomie, die man auch sonst in seinem Leben verwirklichen konnte.
Gleichzeitig gab es ablehnende und kritische Stimmen aus dem Lager jener Skilehrer, die nicht bereit waren, die standardisierten Lehrmethoden aufzugeben. Ihre Position wurde durch die Tatsache gestützt, dass es durchaus wertvoll ist, sich während des Lernprozesses auch mit der Technik des Skifahrens zu befassen. Die Debatte führte zu zwei entgegengesetzten Auffassungen: zum einen ATM, die Technik als Hintergrundwissen betrachteten und die Einfachheit des Ansatzes von Inner Game Ski favorisierten, zum anderen die Gruppe, die Skifahren ausschließlich über Technik vermitteln wollte. Für diese Gruppe gab es nur das Lehren nach Lehrplan, sie drängte auf Formalismen und lehrerzentriertes Unterrichten. Selbstverständlich gab es auch Skischüler, die sich Lehrer wünschten, die ihnen Anweisungen und Verbote zubrüllten. Schließlich haben die meisten von uns gelernt, dass man so lehrt, und genau dafür bezahlen wir viel Geld. Für viele Skilehrer war es schwierig, die Balance zu finden zwischen einem Ansatz, der vor allem die Bedürfnisse des Menschen in den Mittelpunkt stellt, und der harten Vermittlung technischer Disziplin.
Das Original von Inner Game Ski stand eindeutig auf der Seite der Befürworter des natürlichen Lernens. Auch jetzt finde ich nur wenig, was ich im Originaltext verändern möchte. Die Prinzipien und Techniken gelten heute ebenso wie zur Zeit der Erstausgabe. Heute jedoch sind Themen wie Körperbewusstsein, Vertrauen in den eigenen Instinkt, Lernen durch Aufmerksamkeit und die simple Freude am Skifahren für kaum jemanden neu. Und jeder kennt den gravierenden Unterschied, ob er etwas mit dem Kopf oder mit dem Körper weiß. Doch noch immer kommen zu viele Anweisungen der Skilehrer und die zu starke Kontrolle der Skier den spontanen Höchstleistungen auf der Piste in die Quere.
Einer der Lehrermythen, die sich beim Skifahren genauso hartnäckig halten wie im Golf oder im Tennis, ist der Glaube, Sportler können und sollen die Profis imitieren. Also: Wenn Sie eine Kurve korrekt ausführen wollen, dann beobachten Sie, wie es ein Rennläufer an seinem besten Tag macht, und machen es nach. Videokameras mit Zeitlupenfunktion erleichtern die Beobachtung der Besten. Auch schnelle Bewegungen lassen sich so im Detail analysieren und beschreiben. Mithilfe derselben Technik können Skischüler und Lehrer auch ihre eigene Technik analysieren und den Unterschied zu den Besten herausfinden. Dann gehen sie zurück auf die Piste und passen die Bewegungen des Schülers entsprechend an. Der Denkfehler liegt natürlich darin, dass das, was für den Leistungssportler richtig ist, nicht unbedingt für den Freizeitläufer stimmen muss. Selbst wenn eine Eichel das Potenzial hat, eine Eiche zu werden, heißt das noch lange nicht, dass sie dieses Potenzial verwirklichen kann, indem sie einen ausgewachsenen Baum nachahmt. So sieht man beispielsweise bei Rennläufern Bewegungen, die jeden langsameren Fahrer garantiert zu Fall bringen.
Horst Abraham und sein Team erkannten, dass diese neue Lehrphilosophie die meisten Skifahrer und viele Skilehrer eher verwirrte als förderte. Sie begannen daher, das System zu strukturieren, indem sie allgemeine Grundfähigkeiten wie dynamische Balance, Druckkontrolle, Kanteneinsatz und Drehbewegungen definierten. Diese Grundfähigkeiten sollen quasi die Spielwiese sein, wo Skischüler und -lehrer gemeinsam entdecken und erforschen können, wie der Schüler sein fahrerisches Können verbessert. Mit diesem Ansatz vereinfachten und inspirierten sie den Lernprozess. Der Lernansatz erwachte förmlich zu neuem Leben und erwarb sich innerhalb weniger Jahre auch international Respekt.
Einige Jahre nach dieser flächendeckenden Akzeptanz ging der ursprüngliche Entdeckergeist mehr und mehr verloren. Die Ski lehrer konzentrierten sich auf die neuen Strukturelemente, als seien sie das Maß aller Dinge, und sie wurden so rigide und unflexibel wie früher. Milton Beens, Ausbildungsleiter des PSIA (Professional Ski Instructors of America), erklärte mir einmal, was hier vor sich ging: Sobald sich eine Lehrmethode durchsetzt und Lehrer und Trainer nach dieser Methode arbeiten müssen, um zertifiziert zu werden, lösen mechanisches Lernen und rigide Vorschriften die Kräfte ab, die ursprünglich zum Erfolg geführt haben. Unsere ergebnisorientierte Kultur lädt Teilzeitskilehrer geradezu ein, Dinge so zu lehren, wie die Lehrbücher es ihnen vorschreiben, anstatt selbst zu denken und die Dynamik des Lernens wirklich zu verstehen.
Und so schwingt das Pendel in kleineren und größeren Ausschlägen hin und her – vom Feuer des spontanen, lebendigen Lernens zur Form irgendwelcher Dogmen und Behauptungen. Da ich selbst nie „Skitechnik" gelernt habe, haben mich Diskussionen darüber, welche dieser „Techniken" aus welchem Grund besser sei, nie interessiert. Bei Inner Game Ski geht es darum, wie Sie am besten diejenige Technik erlernen, die Sie selbst erlernen möchten. In Kapitel 7, „Skitechnik entdecken", zeigen wir einen einfachen Weg, um die Lücke zwischen natürlichem Lernen und Skitechnik zu schließen – unabhängig von der Technikschule. Es geht darum, zu lernen und sich selbst nicht im Weg zu stehen. Dieses Kapitel zeigt Ihnen, wie Sie Hinweise und (Selbst-)Beobachtungsaufgaben einsetzen können, um Ihre Fahrtechnik zu optimieren. Doch nicht nur das Wissen über Lehren und Lernen ist gewachsen, auch die Skiausrüstung hat sich weiterentwickelt. Das hat erhebliche Auswirkungen auf den Lernprozess; auch die Fahrtechnik hat sich verändert. Änderungen beim Material oder bei Form und Größe des Sportgeräts führen dazu, dass Profis und Freizeitsportler bereit sein müssen, ständig Neues zu lernen und sich den Veränderungen anzupassen. Das gilt für Golf und Tennis ebenso wie für Skifahren. Ich persönlich heiße solche Entwicklungen sehr willkommen. Alles, was uns zwingt, uns anzupassen, uns zu verändern, weiterzulernen, hilft uns, die sehr menschliche Tendenz zum Stillstand zu überwinden, und bereitet uns auf das lebenslange Lernen vor, ohne das wir in der heutigen Welt nicht bestehen können.
Es ist doch faszinierend und geradezu amüsant: Gerade als das Pendel der Lehrmethoden wieder zurückschlug zur rigiden, starren Seite, da landeten die Snowboarder auf den Pisten. Ungezwungen und unüberhörbar war ihr Ruf: „Hier sind wir! Und uns interessiert keine einzige Lehrmeinung. Wir erfinden eine völlig neue Art, uns im Schnee und in der Luft über dem Schnee zu bewegen." Natürlich hörten wir dies zuerst von den Jungen, den Unerschrockenen, den Ruhelosen, von denjenigen, die die Grenzen ihrer persönlichen Freiheit austesten wollten – oft um den Preis ihrer Sicherheit. Es gab anfangs keine Snowboardlehrer. Alle, die aus dem vorgegebenen Rahmen ausbrechen wollten, trugen dazu bei, Sport auf den Pisten neu zu „erfinden". Jeden Tag entstanden neue Bewegungen, neue Sprünge, aufregende Tricks und eine ganz neue Sprache, um all das zu beschreiben und zu bejubeln. Gleichzeitig wurden Stiefel, Bindungen und Bretter von denjenigen optimiert, die sie benutzten. Snowboarder konnten nichts anderes tun, als aus Erfahrung zu lernen. Der Geist dieser neuen Sportart hat sich als ansteckend erwiesen und die Innovationsgeschwindigkeit war, vorsichtig ausgedrückt, stürmisch. Snowboard hilft uns, das Pendel, das schon eine ganze Weile auf der „Formalismus"-Seite stecken geblieben war, wieder in Richtung Freiheit zu bewegen.
Doch auch Snowboarden ist erwachsen geworden. Menschen jenseits der dreißig, jenseits der vierzig ziehen ihre Schwünge über die Pisten, auf Boards von etablierten, erfahrenen Herstellern. Hochglanzmagazine preisen Snowboardausrüstungen an, Lehrbücher erscheinen, und in jedem Skigebiet findet man auch Snowboardlehrer. Natürlich gibt es inzwischen auch nationale und internationale Verbände, die zwar regulieren und lenken, aber hoffentlich auch den innovativen Geist bewahren, der diesen noch immer schnell wachsenden Sport ins Leben gerufen hat.
Kapitel 9, „Snowboarden", zeigt, dass jeder einfach und sicher lernen kann, Snowboard zu fahren, und dass sich die Mühe lohnt. Genau das, was das Snowboardfahren so schwierig macht, bringt uns auch abseits der Skipisten weiter. Pat McNamara war schon 53, als er anfing, Skifahrern den Spaß am Snowboarden zu vermitteln. Ich habe ihn einmal gefragt, was für Skifahrer beim Umstieg auf das Board das Schwierigste sei. Er erklärte mir, dass es mit dem Snowboard viel einfacher sei, Kurven zu fahren, doch dass erfahrene Skifahrer sich schwer damit täten, plötzlich wieder Anfänger zu sein. „Man braucht eine bestimmte Art von Demut, um bereit zu sein, wieder auf dem Idiotenhügel zu üben, wenn man schon schwierige schwarze Pisten locker im Griff hatte." Ein guter Snowboardschüler kann nur derjenige sein, der bereit ist, wieder zum Anfänger zu werden – egal, wie viel Erfahrung er hat. Die Bereitschaft, nichts zu wissen und sich mit diesem Nichtwissen wohlzufühlen, ermöglicht Kindern und Erwachsenen entspanntes Lernen ohne Angst. Damit das möglich ist, muss ich die Vorstellung, kompetent zu sein, loslassen und bereit sein, ganz von vorn zu beginnen. Übrigens erleben viele Skifahrer ähnliche Übergänge auch an ihrem Arbeitsplatz, wenn neue Technologien und Reorganisationen ihnen plötzlich völlig neue Fähigkeiten abverlangen. Das moderne Leben ist nicht sehr freundlich zu Menschen, die sich zu sehr in eingefahrenen Gleisen bewegen. Es verlangt von uns, alte Handlungsweisen zu entlernen und sich Veränderungen anzupassen, ohne die innere Balance zu verlieren. Wir sind gefordert, unser angeborenes Talent zum Lernen wiederzuentdecken – auch wenn dazu Demut nötig ist. Daher geht es im Kapitel „Snowboarden" weniger um das Snowboardfahren als ums Lernen. Es geht darum, wie und warum jemand auf die Idee kommen könnte, Snowboardfahren zu erlernen. Es geht darum, wie wertvoll es ist, nicht in eingefahrenen Gleisen stecken zu bleiben, sondern offen für Neues zu sein. Und es geht darum, so zu lernen, dass die eigene Sicherheit und die der anderen gewahrt ist. Ob Sie als Leser schon ein begeisterter Snowboarder sind oder ob Sie sich entschieden haben, Ihr Lebtag nicht zwei Füße seitwärts auf ein einzelnes Brett zu schnallen – dieses Kapitel lädt Sie ein, Ihre Balance zu finden zwischen dem Feuer des Neuen und Spontanen und der Form, die aus dem Alten das Beste herauszufiltern versucht.
Für mich war Skifahren immer ein Ausdruck meiner Freiheit und erweiterter Bewegungsmöglichkeiten. Ob auf einem oder zwei Brettern, es ist immer aufregend, einen Abhang viel schneller hinunterzugleiten, als die Füße es je erlauben würden. Dies auch noch mit Grazie, Eleganz und Mut zu tun, ist und bleibt attraktiv. In keinem anderen Sport, den ich kenne, sind zu viele Vorschriften so schädlich wie beim Skifahren. Das ist kein Sport, den man praktizieren kann, indem man sich Grenzen und Vorschriften anpasst. Es ist ein Sport, bei dem jeder seine eigene Freiheit und das Vertrauen in die eigene innere Balance erfahren kann. Nur das kann die äußere Balance sicherstellen, die nötig ist, um sich mit hoher Geschwindigkeit zu bewegen.
Skifahren ist darüber hinaus eine Sportart mit hoher Verletzungsgefahr für sich und andere. Mit neuem, schnellerem, glatterem und schärferem Material sind Geschwindigkeiten möglich, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegen können. Auf den gut präparierten breiten Pisten in den modernen Skigebieten nimmt man die eigene Geschwindigkeit gar nicht mehr wahr, bis man auf einmal anhalten muss, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Jeder Fahrer braucht erhöhte Aufmerksamkeit für die anderen auf der Piste und für die Grenzen seiner eigenen Fähigkeiten. In diesem Sinne ist der Skisport eine fantastische Metapher für das moderne Leben, in dem wir dauernd aufgerufen sind, uns sicher auf sich stets veränderndem, unerwartetem Gelände zu bewegen, während wir gleichzeitig aufmerksam genug bleiben müssen, um unsere eigene Sicherheit und die der anderen nicht zu gefährden.
Ich hoffe, dass diese neue Ausgabe von Inner Game Ski Ihre Freude an diesem wunderbaren Sport steigert und Ihr Wachsen und Lernen gleichzeitig leichter und effizienter macht – auf und überall neben der Skipiste.


ANMERKUNGEN




Hinweise der Autoren

Wer ein Buch liest, das von zwei Autoren verfasst wurde, hat Anspruch auf eine kurze Erklärung. Wie haben die Autoren tatsächlich zusammengearbeitet? Ich selbst hatte zwar verstanden, dass die Prinzipien des Inner Game einen praktischen Beitrag im Skisport leisten können, jedoch war mein Wissen über diesen Sport sehr begrenzt. Bob Kriegel brachte nicht nur die nötige Erfahrung im Skifahren und in Psychologie mit, sondern auch ein ganz praxisnahes Verständnis für Inner Game. So ist Inner Game Ski eine echte Gemeinschaftsarbeit; jeder von uns war sowohl an der Konzeption als auch am Schreiben beteiligt. Meist haben wir unsere langen Diskussionen über Inhalt und Aufbau jedes Kapitels aufgezeichnet, und Bob hat daraus einen ersten Entwurf gemacht. Aus diesem Grund ist mit dem „ich" in diesem Buch meist Bob gemeint. Ich habe daraus eine zweite Fassung entwickelt, und diese haben wir dann gemeinsam „poliert".
Die Änderungen in dieser überarbeiteten Version, das Vorwort und die Kapitel „Skitechnik entdecken" und „Snowboarden" stammen von mir.
W. Timothy Gallwey

Hinweise des Verlegers

Inner Game of Ski ist mit mehr als 250.000 verkauften Exemplaren ein Weltbestseller der Skiliteratur geworden. Das ist umso erstaunlicher, weil dieses letztmals 1997 überarbeitete Werk kein Lehrbuch ist. Es zeigt eben nicht, welche Skitechnik man aktuell anwenden muss, um den größten Erfolg zu erzielen. Genau darum ist es auch heute noch so aktuell. Denn das Skimaterial und die damit verbundenen Fahrtechniken unterliegen einem ständigen Wandel. Als dieses Buch geschrieben wurde, war der Parallelschwung mit Brettern von 2,20 Meter Länge das Nonplusultra – mit einer sehr engen Skiführung und starker Belastung des Außenskis. Aktuell dominieren die Carvingskier. Diese wendigen Skier ermöglichen ein viel leichteres „Kurven". Der Körperschwerpunkt liegt eher mittig und die Skiführung ist insgesamt breiter geworden. Aktuell erfreut sich das Tourenfahren wachsender Beliebtheit. Doch mit Freerider- und Twintip-Ski stehen die nächsten Innovationen im alpinen Bereich bereit, die vielleicht sogar dem Snowboard-Boom etwas entgegensetzen werden. Und wer weiß, was in einigen Jahren hinsichtlich Material und Skitechnik das Maß der Dinge ist. Dieses Buch wird es dann immer noch geben. Denn keinem Wandel unterliegt der Wunsch, die Freude an diesem Sport ausleben zu können. Freude ist jedoch keine Frage von Material und Technik. Freude entsteht durch den Umgang mit den Herausforderungen des Sports und mit dem Spaß am Lernen ohne Anstrengung. Genau hier liegt der besondere Wert des Buches. Denn den Autoren ist es gelungen aufzuzeigen, wie jeder seinen Skigenuss nachhaltig steigern kann. Jederzeit. Dass die Idee von Inner Game noch weit über das reine Skifahren hinausreicht, macht dieses Werk zu einem Klassiker im besten Sinne.

Frank Pyko




1

SKIFAHREN IST MEHR ALS EIN SKISCHWUNG



INNER GAME SKI 

Wenn alles läuft, wie es soll, entsteht beim Skifahren eine Magie, die alles übersteigt, was ich je in anderen Sportarten erlebt habe. Ich segle förmlich den Berg hinunter, mein Körper findet seine Balance gleichsam automatisch Schwung um Schwung, mein Geist ist so klar wie die kalte Bergluft auf meinem Gesicht, mein Herz fühlt sich warm an wie die Sonne, und ich mache eine Erfahrung, die mich wieder und wieder auf den Hang zurückruft. Doch viel zu oft wird die Magie zum heulenden Elend. Sorgen volle Gedanken stellen sich ein. Ich verliere meinen natürlichen Rhythmus, mache uralte Fehler und stürze ohne Not. Ich rappele mich wieder auf, kalt, nass, mutlos, und frage mich, ob Skifahren all diese Mühen wert ist. Werde ich dieses anscheinend endlose Lernplateau in meiner Skikarriere jemals verlassen können und so Ski fahren, wie ich es gerne möchte? Werde ich je wieder den Berg „so hinunterfliegen"? Eine innere Stimme sagt: „Vermutlich nicht." Und eine andere drängt mich, es wieder und wieder zu versuchen.
Inner Game Ski will die Freude am Skifahren für Sie steigern und das heulende Elend verringern. Sie lernen, die Frustrationen zu umgehen, die Ihre Freude und Ihre Freiheit behindern. Und Sie lernen, wie Sie einen Geisteszustand erreichen, in dem Sie den Sport nicht nur genießen, sondern auch persönliche Bestleistungen erzielen. Eine Voraussetzung dafür ist die Erkenntnis, dass es weder die äußeren Bedingungen
noch der Mangel an technischen Fertigkeiten ist, der uns daran hindert, Skifahren in bester Form zu erleben. Es sind vielmehr Zweifel, Ängste und Gedanken im eigenen Kopf. 
Wer Inner Game Ski praktiziert, erkennt, dass seine größte Herausforderung und damit auch seine größten Chancen darin liegen, die selbst gesetzten mentalen Grenzen zu überwinden, die den vollen Ausdruck seines körperlichen Potenzials ermöglichen.
Ängste und Zweifel im Kopf werden automatisch als Verspannung, Steifheit und Ungeschicklichkeit in den Körper übertragen. Das hindert uns nicht nur daran, uns flüssig zu bewegen, sondern auch daran, das Gelände deutlich zu erkennen. Inner Game Ski zielt darauf ab, die nötigen Fähigkeiten zu entwickeln, um solche inneren Hindernisse zu erkennen und zu überwinden. Mit diesem Ansatz lernt der Skifahrer die Kunst der entspannten Konzentration und dem Lern- und Leistungspotenzial des eigenen Körpers zu vertrauen. Er entdeckt, dass das Erfolgsgeheimnis beim Skifahren darin liegt, etwas nicht angestrengt zu probieren, und dass seine Erfahrung der beste Lehrmeister ist. Er entwickelt eine innere Gelassenheit, sodass er Stürze und Fehler als Lernchance und nicht als Grund für Ärger und Frust begreift. Der Inner Game-Ansatz ist nicht neu. Er ähnelt dem Weg, den wir als Kinder gegangen sind, als wir gelernt haben zu laufen, zu sprechen oder einen Ball zu werfen. Er nutzt eher das Unterbewusste als das beabsichtigte Bewusste. Wir müssen diesen Prozess nicht erlernen, denn wir kennen ihn schon. Wir müssen bloß die Angewohnheiten und Konzepte entlernen, die unsere natürliche Lernfähigkeit stören, und wir müssen der angeborenen Intelligenz unseres Körpers trauen.
Die Lern- und Leistungsprinzipien von Inner Game sind grundsätzlich in den meisten Sportarten und anderen Aktivitäten gleich. Allerdings hat jede Sportart ihre eigenen inneren und äußeren Herausforderungen. Tennis verlangt zum Beispiel nach ausdauernder visueller Aufmerksamkeit während langer Perioden körperlicher Anspannung. Langstreckenlauf bietet die Chance, mentale wie körperliche Ausdauer aufzubauen. Golf benötigt eine subtile Art der mentalen Konzentration und feinste Bewegungskontrolle. Mannschaftssport lehrt uns Zusammenarbeit und wie wir unser Ego im Sinne des Teams aufgeben können. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels geht es um häufig vernachlässigte Gelegenheiten, beim Skifahren etwas Umfassenderes zu lernen als bloß einen Skischwung. Eine gute Kurve ist nicht schwierig, wenn wir erst einmal wiederentdeckt haben, wie man lernt.


VERGESSEN SIE ALLES, WAS SIE ZU WISSEN GLAUBEN

Erinnern Sie sich an das komische Gefühl, zum ersten Mal in die steifen Skischuhe zu schlüpfen und diese langen Bretter an die Füße zu schnallen? Erinnern Sie sich an Ihre Angst und Unbeholfenheit bei Ihren ersten Bewegungen auf den Skiern? Die meisten Sportarten haben eines gemeinsam: Ob Basketball oder Volleyball, Tennis, Golf, Wandern, Klettern oder Boxen … wir bewegen uns auf der Erde, indem wir gehen oder rennen. Selbst wenn wir keinen Schimmer von den Regeln oder der Technik des Sports haben, wissen wir doch immerhin, wie wir uns bewegen müssen. Aber beim Skifahren gilt es zu gleiten, statt zu laufen, und der Untergrund verhält sich unseren Füßen gegenüber völlig anders als sonst. Wenn wir zum ersten Mal auf Skiern stehen, verlieren wir das Gefühl von sicherem Halt auf festem Boden. Wir brauchen das Gewicht nur minimal zu verlagern, und schon geraten wir aus dem Gleichgewicht und stürzen.
Deshalb müssen wir uns beim Skifahren einer Grundherausforderung stellen: der Angst, das zu verlieren, was uns vertraut ist.
Dieses Gefühl der Unsicherheit ähnelt dem, das uns befiel, als wir zum ersten Mal die Füße auf die Pedale eines Fahrrads setzten, als wir uns zum ersten Mal von der Bande der Schlittschuhbahn abstießen, als wir versuchten, uns im Wasser treiben zu lassen. Genau wie damals müssen wir auch als Skineulinge bereit sein, unsere bekannten Steuerungsmechanismen aufzugeben, um neue zu erlernen. Wer das versucht, gerät womöglich erst einmal in Panik. Als wir schwimmen lernten, paddelten wir wie wild mit Armen und Beinen, um uns über Wasser zu halten. Beim Skifahren halten wir unseren Körper ganz steif in der Hoffnung, nicht umzufallen.

Doch dieser Kampf, in einer neuen Umgebung die Kontrolle zu behalten, stört mehr, als dass er uns hilft. Gegen ein neues Element zu kämpfen, verhindert, dass wir lernen, damit umzugehen.
Ein Skianfänger befindet sich in einer ähnlichen Situation wie jemand in einem Raum, in dem plötzlich das Licht ausgeht. In nachtschwarzer Dunkelheit sind unsere Augen nutzlos, dabei sind gerade die Augen besonders wichtig, um Informationen über unsere Welt aufzunehmen. Wer jetzt in Panik gerät und blindlings nach dem Lichtschalter tappt, wird garantiert irgendwo anstoßen, etwas herunterwerfen oder sich gar verletzen. Wenn wir jedoch abwarten und unseren Augen erlauben, sich an das Dunkel zu gewöhnen, erkennen wir wieder Formen und fühlen uns wieder sicher. Ähnlich ist es beim Skifahren: Wenn wir ruhig bleiben und uns nicht gegen die Erfahrung des Gleitens wehren, gewöhnt sich unser Körper schnell an diese neue Form der Fortbewegung, und wir fassen wieder Vertrauen.
Ein Anfänger ist sämtlicher Bezugspunkte für die Bewegung des eigenen Körpers beraubt, und die meisten Menschen halten in dieser Situation umso stärker an den Bewegungsmustern fest, die sie gewohnt sind. So lehnen sie sich zum Bremsen oder Anhalten instinktiv nach hinten und versuchen, die Fersen in den Boden zu stemmen – so, wie man es eben vom Laufen kennt. Um nicht zu stürzen, lehnen sie sich ebenso automatisch zum Berg. Doch Skifahren gehorcht anderen Bewegungsgesetzen: Wer sich zurücklehnt, fährt schneller, wer sich zum Berg lehnt, spürt, wie die Skier talwärts wegrutschen. Diese Reaktion der „Bretter" ist für den Skianfänger so überraschend, als würde sein Auto beschleunigen, wenn er auf die Bremse tritt. Er gerät noch mehr in Panik, lehnt sich noch stärker zurück, um endlich stehen bleiben zu können, die Skier werden noch schneller, er verliert das Gleichgewicht, stürzt und so weiter.
Ich werde mein erstes Mal auf Skiern nie vergessen. Ich fuhr mit dem Übungslift einen kleinen Hügel hinauf, brachte meine Skier in Schneepflugstellung, so wie ich es bei anderen Anfängern gesehen hatte, und stieß mich ab. Sobald ich unterwegs war, wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich bremsen oder anhalten sollte. Ich fuhr weit nach vorn gebeugt, und mein Körper versteifte sich vor lauter Angst in dieser Haltung. Ich hatte das Gefühl, ich würde sofort zu Boden stürzen, wenn ich nur einen einzigen Muskel entspannte. Kurz: Ich war eine fahrende Statue. Sobald ich das Gefühl hatte, zu schnell zu sein, oder das Ende der kurzen Piste erreichte, hielt ich an, indem ich mich nach hinten fallen ließ. Anders ging es nicht. Nach einigen Abfahrten wurde ich schneller, die Stürze wurden spektakulärer. Auf der Suche nach einer weniger schmerzhaften Bremstechnik versuchte ich vergeblich, die Skistöcke vor mir in den Boden zu rammen. Der Frust darüber verstärkte meine Bemühungen, ich biss die Zähne zusammen, bis der Kiefer schmerzte. Doch je mehr ich ausprobierte, desto verkrampfter wurde ich. Ich stürzte immer öfter.
Schließlich sagte ich mir: „Zur Hölle mit der Bremserei. Ich höre jetzt auf, mit dem Hügel zu kämpfen, und werde einfach Ski fahren. Es kann ja nicht schlimmer werden, als es jetzt ist." Mit dieser Aufmunterung konnte ich mich ein kleines bisschen entspannen und obwohl ich es noch immer sehr beängstigend fand, einfach den Hügel hinunterzurutschen, stürzte ich nicht mehr so häufig. Einige Abfahrten später begann ich, meine Skier wahrzunehmen. Ich bemerkte, was sich veränderte, wenn ich mich nach links oder rechts, nach vorn oder hinten lehnte. Als ich mich dieser Gleitbewegung anvertraute, gewann ich nach und nach etwas mehr Kontrolle. Obwohl ich wusste, dass meine Kurven keineswegs lehrbuchmäßig aussahen, war ich bald schon in der Lage, in die Richtung zu fahren, in die ich wollte, und ich konnte anhalten, ohne hinzufallen. Mit anderen Worten: Ich lernte Skifahren.
Wie fast alles, so lernt man auch Skifahren vor allem durch die eigene Erfahrung. Wenn wir erst einmal unsere vorgefassten Erfahrungen über Bewegung vergessen, fühlen wir, wie es ist, auf dem Schnee zu gleiten. Ohne Anstrengung lernt unser Körper aus den neuen Erfahrungen, genauso wie er gelernt hat zu schwimmen oder Rad zu fahren. Wenn wir uns dieser Erfahrung nicht widersetzen, während wir eine Piste bewältigen, lernen wir viel mehr als nur eine neue Form der Bewegung. Wir lernen, mit dem Unerwarteten umzugehen, wann immer es sich zeigt. Wir entdecken, dass wir uns nur dann an merkwürdige und unbekannte Erfahrungen anpassen können, wenn wir bereit sind, unsere Abhängigkeit von alten Konzepten aufzugeben.


ÄNGSTE ÜBERWINDEN

Sobald ein Skifahrer besser wird, möchte er schneller fahren, schwierigere Abfahrten ausprobieren, die bekannten Pisten hinter sich lassen und Neues versuchen. Aber so aufregend die Fahrt mit dem Sessellift zum höchsten Punkt des Skigebiets auch ist – es ist auch beängstigend.