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Nr. 2905

 

Das verlorene Volk

 

Perry Rhodan trifft den Gondu – und lernt dessen Geheimnis kennen

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Taqond: Stadt Khodnerez

2. Taqond: Stadt Khodnerez

3. Milchstraße: Topsid

4. Milchstraße: OOTHANT

5. Milchstraße: Bleibe

6. Milchstraße: Bleibe

7. Milchstraße: Ausca

8. Ausca

Leserkontaktseite

Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Wir schreiben das Jahr 1551 NGZ, gut dreitausend Jahre vom 21. Jahrhundert alter Zeitrechnung entfernt. Nach großen Umwälzungen in der Milchstraße haben sich die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Sternenreichen beruhigt; im Großen und Ganzen herrscht Frieden.

Vor allem die von Menschen bewohnten Planeten und Monde streben eine positive Zukunft an. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Trotz aller Spannungen, die nach wie vor bestehen: Perry Rhodans Vision, die Galaxis in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, scheint sich langsam zu verwirklichen. Man knüpft sogar vermehrt Kontakte zu anderen Galaxien.

In dieser Situation bietet das Goldene Reich der Thoogondu Perry Rhodan ein Bündnis an. Der Herrscher dieses Imperiums, der Gondu, lädt den unsterblichen Terraner zu einer Audienz ein. Perry Rhodan erfährt die Geschichte der Thoogondu und weiß nun: Sie sind DAS VERLORENE VOLK ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche begibt sich liegend auf eine Reise.

Narashim – Der Gondu entführt seinen Gast, ohne sich fortzubewegen.

Tothoolar – Der designierte Thronfolger des Goldenen Reiches wird zu Rhodans Führer.

Der Wanderer hat seine Mächtigkeitsballung aufgegeben. Ihre Sternenvölker sind wieder frei. Des Wanderers Flucht aber wird Begehrlichkeiten anderer, dunkler und zerstörerischer Mächte wecken.

Wir, das Vertriebene Volk, bieten unseren Schutz an.

Wir laden den Erben des Wanderers ein, sich mit uns zu verbünden.

Folge dem Leuchtfeuer ins Goldene Reich.

Wenn die Milchstraße leben will, braucht sie das Bündnis zwischen dir, der Menschheit und dem Gondunat.

Wir zählen auf dich, Perry Rhodan.

 

 

1.

Taqond: Stadt Khodnerez

Xeno-Spezialklinik

 

Alles im Raum war fremd: die unterschiedlich temperierten Wände aus quarzartigem Kunststoff, der glänzende Boden mit den winzigen Einlegearbeiten; die schwebende Röhre mit den ovalen Enden, in der Nebel zu treiben schien; selbst der Blick aus dem bogenförmigen Fenster, hinaus auf eine gediegene Parklandschaft voller Brücken.

Im Zentrum des Parks stand ein Gebilde, das an ein Pentasphärenraumschiff im Kleinstformat erinnerte. Fünf goldene Kugeln saßen dicht beieinander. Was es war – Springbrunnen, Technikanlage, Kunstwerk, Wartungsschuppen –, Perry Rhodan wusste es nicht.

Aber er war neugierig darauf. Er wollte wissen, was das war, warum in der Röhre scheinbar Nebel trieb, wieso die Thoogondu vor ihm immer wieder die vertikalen, von der Nasenwurzel ausgehenden Augenlider zuklappte, wenn sie in seine Richtung schaute, als wäre sie nervös. Die sechseckigen Knochenplatten auf dem Kopf rahmten ihr Gesicht wie eine Haube. Auf jeder zweiten saß ein winziger silberner Zierstein bis hinauf zur Schädelmitte.

In den hellgelben Kleidern schwebte die fragile Thoogondu wie eine Sonne durch den Raum, berührte da einen Sensor, las dort einen Wert ab. Sie ging völlig in der Aufgabe auf, sich um Penelope Assid zu kümmern, die in der Röhre im Heilschlaf lag. Dabei war sie Rhodan so fremd wie das Krankenzimmer und das Pentasphärengebilde im Park.

»Die Wärme kommt wieder«, sagte die Thoogondu. Sie war eine der medizinischen Fachkräfte der Spezialklinik.

»Du meinst, es wird alles gut?« Penelope Assid war beim Anschlag auf den Gondu ins Kreuzfeuer geraten. Zum Glück war sie dabei nicht lebensgefährlich verletzt worden.

»Ja. Die Wärme kehrt zurück. Sie wird bald aufwachen.«

Rhodan hörte aufmerksam zu, er wollte das Wesen der Thoogondu ergründen. Er wollte sie so verstehen wie Penelope Assid, wenn sie auf ihre ganz besondere Weise zuhörte. »Störe ich dich bei der Arbeit?«

»Nein. Je mehr wir sind, desto besser. Dein Besuch ist willkommen.«

»Du wirkst nervös.«

»Weil du dich verstörend verhältst.«

»Tatsächlich?« Das überraschte Rhodan. Er stand seit mehreren Minuten nahezu bewegungslos in der Nähe der Röhre , um der Thoogondu Raum zu lassen. »Inwiefern?«

»Du stehst zu weit weg. So verletzlich, wie die Patientin daliegt, weckt es den Wunsch, sie mit dem Knochenpanzer zu schützen.«

Rhodan trat näher an die Schlafende heran. Die optische Nebeltäuschung löste sich auf. Er schaute auf Penelope Assid, eine junge Frau mit violetten Haaren in einem schlichten, violetten Anzug.

Die Thoogondu atmete ruhiger. Ihre Bewegungen waren entspannt, als wäre eine Last von ihr genommen, der Körper richtete sich auf. Dabei behielt sie die Krümmung der Wirbelsäule bei, die für die Thoogondu typisch war. Sie war nun so groß wie er. Hielte sie sich gerade, würde sie ihn überragen.

»Wie heißt du eigentlich?«, fragte Rhodan.

»Khauschaar.«

»Danke, dass du dich um Penelope kümmerst.«

»Das ist selbstverständlich.« Die Art, wie Khauschaar ihn anschaute, erschien Rhodan gönnerhaft. Es war der Blick einer Mutter, die von einem Kleinkind kein Verständnis für ihr Handeln erwartete.

»Darf ich dich etwas fragen?«

»Nur zu!«

Rhodan schaute zum Park. »Was ist das für ein Gebilde in der Mitte?«

»Eine Sphärenskulptur. Ich mag die ganronischen Linien im Einzelmuster. Auf die Entfernung sind sie schwierig zu erkennen, nicht?«

»Nun, schlecht zu sagen.«

Sie hob die Hände. Die vier Daumen zeigten nach oben. »Entschuldige. Das war dumm von mir. Immerhin bin ich Xeno-Expertin. Du kannst sie natürlich nicht erkennen. Die siehst die langen Wellen nicht.«

»Dann sind Wärmebilder auf den Kugeln?«

»Bilder, Muster, Schriftzeichen. Je nachdem, was dem Künstler des jeweiligen Abschnitts lieber ist. Die Sphäre im Park zeigt einen Reigen, der auf die meisten Thoogondu beruhigend wirkt. Passend zu einer Klinik eben.«

»Ich verstehe.« Rhodan fragte sich, ob er Khauschaar Dinge fragen konnte, die über ihr Aufgabengebiet hinausgingen. Über die Politik zum Beispiel.

Wie sah sie das Gondunat? Wie stand sie zum Ruf des Gondus und der Anwesenheit der Terraner im Goldenen Reich? Was hielt sie vom Gondu selbst? Je freier sie antwortete, desto mehr verriete dies Rhodan über das Gondunat. Selbst wenn sie auswich oder ihr das Thema unangenehm war, konnte er lernen. In einer Diktatur herrschte Redeverbot. Obwohl er bislang nicht den Eindruck gewonnen hatte, dass der Gondu sich als Diktator sah, gab es einiges, das im Goldenen Reich bedenklich war.

»Was hältst du vom Gondu?«

Khauschaar legte eine Hand auf die Röhre. »Er ist ein gerechter Herrscher. Einer wie wir, aus unserer Mitte, und doch geht er allein.«

»Was unterscheidet ihn von euch?«

»Neben seinen Geheimnissen? Er ruht auf den Säulen des Goldenen Reiches. Dank ihm hat das Gondunat Bestand.«

»Welche Geheimnisse meinst du?«

Sie zog den Kopf ein wenig zurück. »Nun, würde ich sie kennen, wären sie nicht geheim, oder? Fest steht nur, dass es einige gibt. Über manche wird öffentlich spekuliert, über andere nur hinter dem Knochenpanzer geflüstert.«

»Was ...« Rhodan verstummte, da das Türfeld sich öffnete. Er wusste, dass die Tür wie ein zweites Augenlid der Thoogondu in die Seite der Mauer glitt, doch optisch wirkte es, als würde sich die Wand in Luft auflösen.

Auf der Schwelle stand ein Wesen, das deutlich größer war als Khauschaar. Es war in einen Kampfanzug aus Pedgondit gehüllt und hielt eine Hightechwaffe in der Hand, die an einen Kampfstab erinnerte. An der breit ausgestellten Hüfte waren zwei Strahler befestigt. Das Gesicht lag verborgen. Im Helm saß ein schwarzes Visier. Ein Gäone.

Rhodan hatte die Beschützer des Gondus bereits kennengelernt. Ob es sich um Thoogondu handelte, konnte er nicht mit Sicherheit sagen, weil er keinen Gäonen ohne Rüstung gesehen hatte, aber fest stand, dass sie zumindest in der anatomischen Grundanlage humanoid waren.

Der Gäone schlug das Ende der Hightechwaffe drei Mal hintereinander auf den Boden. »Perry Rhodan, ich bin Tomasdh. Ein Bote des Gondus, ausgestattet mit Zeichen und Befugnissen. Ich soll dich an Bord der POTOOLEM führen. Der Gondu will dich sehen.«

»Wann?«

»Sofort.«

»Was ist mit meinem Team?«

Der Gäone hob abwehrend die Hand. »Du allein.«

»Warum?«

»Befehl.«

Auskunftsfreude schien nicht Tomasdhs Stärke zu sein. Rhodan schaute zu Khauschaar. Sie verrichtete weiter ihre Arbeit, als wären er und der Gäone gar nicht im Raum. Einer ihrer Daumen tastete über eine Vertiefung in der Röhrenhülle, prüfte haptisch einen Wert.

»Ich muss mich mit meinem Team besprechen«, sagte Rhodan.

»Ich warte.« Der Gäone trat rückwärts aus dem Raum.

Rhodan ging ans Fenster. Er schaute auf das Pentasphärengebilde und versuchte sich das Bild vorzustellen, das er nicht sehen konnte. So, wie dieses Bild, verbarg sich im Goldenen Reich vieles vor seinen Blicken, womöglich genau vor seiner Nase. Welche Geheimnisse hatte der Gondu?

Schnell stellte er eine Verbindung zu Dean Tunbridge her. »Wo seid ihr?«

»In der Unterkunft. Ist etwas passiert?«

»Ein Gäone namens Tomasdh will mich zum Gondu führen. Allein.«

»Das gefällt mir nicht.«

»Wenn die Thoogondu uns schaden wollten, hätten sie es längst tun können. Wir wissen viel zu wenig. Ich werde mit Tomasdh gehen und euch auf dem Laufenden halten.« Vielleicht würde Rhodan mehr über das Bündnis erfahren, das der Gondu zwischen den Terranern und den Thoogondu anstrebte. Oder darüber, was genau dieses Volk mit ES verband.

Bisher wusste er nur, dass die Superintelligenz ES einst freundlich auf die Thoogondu geschaut hatte und sie wie die Terraner in der Milchstraße gelebt hatten. Trotzdem betrachteten viele Thoogondu ES – von ihnen als der Wanderer bezeichnet – als Feind. Sie rechneten es Rhodan hoch an, dass er ES angeblich aus der Milchstraße vertrieben hatte. Dabei war Rhodan kaum dafür verantwortlich. ES vermochte sich lediglich nicht länger in der Milchstraße zu halten.

Was genau sich dahinter verbarg, war eins der vielen ungelösten Rätsel, die Perry Rhodans Gegenwart und Zukunft bestimmten. Mit dem Gondunat war ein weiteres hinzugekommen.

Rhodan war dem Herrscher des Goldenen Reiches bisher nicht körperlich begegnet. Bei ihrem ersten Beinahe-Zusammentreffen war lediglich ein Double vor Ort gewesen. Während des Prozesses, zu dem der Gondu Rhodan eingeladen hatte, war er selbst lediglich als Holo präsent gewesen. Nur von Puoshoor, dem Thronerben des Reiches, hatte sich Rhodan ein Bild machen können, aber das war vielschichtig und unklar – Lebemann, Geck, Prahlhans, Bonvivant, Intrigant oder Politiker? Er vermochte nichts davon mit Sicherheit auszuschließen.

Perry Rhodan wäre wohler gewesen, wenn er gewusst hätte, ob es der RAS TSCHUBAI gelungen war, ihnen bis zum Planeten zu folgen. Er hoffte es. So leicht ließ sich Kommandant Holonder nicht abhängen.

Tunbridge mahlte mit den Kiefern. Vermutlich zerkaute er eine Nuss oder Mandel, eine Marotte, die ihm den Spitznamen »Cashew« eingebracht hatte. »Uns bleibt keine andere Wahl, wenn wir Missstimmungen vermeiden wollen. Trotz der Widrigkeiten sind uns die Thoogondu meist freundlich begegnet. Jedenfalls nicht offen feindselig. Hoffen wir, dass es so bleibt.«

Rhodan nickte knapp und beendete die Verbindung. Er wusste, dass sich Tunbridge und Danhuser um Penelope Assid kümmern würden, solange er weg war. Es gab keinen Grund, Tomasdh länger warten zu lassen.

 

*

 

Tomasdh führte Rhodan aus der Klinik zu einem Nebengebäude. Auf dem obersten Stockwerk stand auf einem Parkdeck ein Barkassen-Gleiter. Rhodan schätzte das Fluggerät auf gut acht Meter. Flimmernde Lichtpunkte huschten über die Oberfläche der beiden miteinander verbundenen Kugelsegmente. Sie bewegten sich umso schneller, je näher Rhodan und Tomasdh kamen.

Zwei weitere Gäonen traten hinter dem Gleiter hervor. Auch sie trugen stabförmige Hightechwaffen. Mit den Kampfanzügen schufen sie eine angespannte Atmosphäre.

Rhodan lächelte. »Gleich drei Begleiter zum Gondu? Seid ihr nervös wegen des Anschlags?«

»Nein«, sagte Tomasdh eine Spur zu schnell. Er hob den Kopf, dass sich das schwarze Visier dem wolkenlosen Himmel zuwandte – eine ungewöhnliche Bewegung für einen Thoogondu. Entweder war er besonders mutig oder misstrauisch – oder bei den Gäonen handelte es sich tatsächlich um ein anderes Volk, nicht nur um eine Amtsbezeichnung.

Tomasdh wies auf den Gleiter. Ein Stück der Wandung schien sich aufzulösen. Sie gab den Blick in einen hellgrünen Innenraum frei. Dabei war ein großer Teil der Kugeln auf transparent geschaltet, sodass Rhodan den Park und die Klinik sehen konnte. Dahinter erstreckten sich weitere Gebäude.

»Geh.« Höflichkeit war nicht Tomasdhs Stärke, selbst gemessen an dem, was Perry Rhodan über die Floskeln der Thoogondu wusste. Oder lag es an ihm? Mochte Tomasdh Rhodan nicht? War er ihm aus irgendeinem Grund ein Dorn im Auge?

Rhodan bückte sich beim Einsteigen. Er nahm ungefragt auf einem der leicht nach vorne gekippten Sessel Platz.

Tomasdh stieg ein. Die anderen Gäonen verschwanden aus Rhodans Sicht.

Die Tür erschien, als wäre sie gerade materialisiert, die Barkasse hob ab. Es war kaum zu spüren. Nur ein leises, fernes Summen erinnerte an die Technik, die sie in die Luft trug.

Rhodan betrachtete ein Symbol im Gleiterinnenraum. Es prangte sowohl an der Wand als auch an der Decke: eine stilisierte Blüte, deren Blätter wie tiefrote Lippen aussahen.

»Was bedeutet das Zeichen?«

Tomasdh senkte den Kopf. »Die Blume der Konzentration. Ein seltenes Symbol. Es zeigt die Bereitschaft, zu schweigen und sich während des Flugs mental auf die Audienz mit dem Gondu vorzubereiten.«

Rhodan runzelte die Stirn. »Aber wir unterhalten uns doch. Wie passt das zusammen?«

Der Gäone zog den Oberkörper ein Stück zurück. War es eine Geste der Belustigung? »Gar nicht, Terraner. Das ist Historie. Tradition. Irgendwann einmal mag es so gewesen sein.«

Ein Schnörkel also, der aus der Vergangenheit des Reiches geblieben war. Rhodan nickte. Das passte zu dem, was er bisher erlebt hatte.

Er schaute hinaus auf die Häuser, die durch unzählige Brücken miteinander verbunden waren.

Khodnerez war ein blühender Park, ein großer Garten, der mit immer neuen, überraschenden Perspektiven aufwartete. Oft genug hing eines der Gebäude losgelöst über allem in der Luft, wie ein kreisender Vogel. An manchen Stellen öffneten sich Schlünde im Boden, kraterartige Tiefenanlagen, dominiert von zahlreichen Verbindungsgängen.

Ganz in der Nähe schwebte eine zehn Meter lange Plattform voller Blumen und Vögel. Ein kastenförmiger Roboter warf körnerartige, braune Brocken in die Luft, nach denen die Vögel schnappten. In zahlreichen, miteinander verbundenen Nestern streckten Jungtiere rote Schnäbel in die Luft.

Der Gleiter flog höher, hielt Abstand zu Häusern und Brücken. Die Stadt breitete sich wie ein Spielzeugland vor ihnen aus. Sie folgten einer Trasse. Die Architektur wies auf einen bestimmten Punkt in der Ferne, der das Zentrum der Stadt war. Jedes Gebäude war darauf ausgerichtet. Verschwenderische Balkone und Terrassen öffneten sich dem Ziel wie Blüten dem Sonnenlicht. Rhodan konnte sich denken, was an seinem Ende lag: die POTOOLEM, das Flaggschiff des Gondus.

»Was kannst du mir über den Gondu sagen?«, fragte Rhodan.

»Ich will nicht über ihn reden.«

»Dann kannst du mir nicht sagen, wer er ist?«

»Er ist der Gondu.«

»Was bedeutet das?«

»Er ist der eine, der alles umfängt.«

Rhodan fragte sich, wie viele umständliche Umschreibungen der Thoogondu ebenso wie das Brückensymbol auf Tomasdhs Brust aus tiefster Vergangenheit kamen und reine Schnörkel waren. »Dennoch ist er einer. Ein Herrscher für alle Thoogondu.«

»Er ist mehr als das. Der Garant.« Tomasdh verschränkte die Arme vor der Brust und wandte den Oberkörper ab. Deutlicher konnte er kaum zeigen, wie wenig er an diesem Gespräch interessiert war.

»Ihr versteht es, mich neugierig zu machen.« Rhodan wandte sich ebenfalls ab und blickte durch die transparente Sphäre.

In der Ferne zeichnete sich die POTOOLEM ab. Der zweitausend Meter hohe Riese überragte die Gebäude in unmittelbarer Nähe wie eine Bergkette. Durch die Länge von über sieben Kilometern erschien er wie ein eigener Stadtteil, der sich aus einer Laune heraus verdichtet hatte. Der Paladin, ein fünfhundert Meter langer Würfel und nun planetare Residenz des Garanten, war ebenfalls Teil des Schiffes gewesen und ruhte in einer speziellen Vorrichtung auf dem Planeten.

Der Gleiter senkte sich dem Schiff entgegen. Je näher sie kamen, desto deutlicher wurden die zahlreichen goldenen Muster und Bilder auf dem weißen Pedgondit des Rumpfs. Sonnen, Monde und Planeten waren dort abgebildet, als wollte der Raumer während des Taqond-Aufenthalts von seinen großen Missionen träumen.

Tomasdh hielt einen Würfel zwischen den Händen, in den er etwas einzugeben schien.

»Was tust du?«, fragte Rhodan.

»Uns ankündigen. Ohne Kennübermittlung können wir uns ebenso gut in eine Nichtige Kabine stellen.«

War das nun Tomasdhs Sinn für Humor, oder desintegrierte die POTOOLEM tatsächlich ohne weitere Rückfrage jeden unangekündigten Gleiter? Rhodan verzichtete darauf, nachzufragen.

Sie setzten zur Landung an. Die Neurotronik brachte sie sicher in eine Parkmulde. Als sie ausstiegen, kam ihnen eine schwebende Brücke entgegen. Sie war knapp zwei Meter lang. Links und rechts erhob sich ein filigranes, goldenes Geländer. Die Brücke setzte sich in eine Lücke zwischen der Mulde und dem Rest des offenen Hangarraums und rastete mit einem satten Klacken ein.

Tomasdh bedeutete Rhodan, ihm zu folgen. Sobald sie auf der Brücke standen, schoben sich rechts und links Geländer in die Höhe. Rhodan stützte sich auf einem davon ab.

Rote und gelbe Strahlen glitten aus einer Linse im Boden, tasteten über den SERUN-SR, das Gesicht und die Hände. Sie blieben länger an Stellen, in denen Mikroprojektoren saßen. Offensichtlich ließen sie sich vom Aussehen des Slender-SERUNS keine Sekunde täuschen. Sie erfassten trotz der Tarnfunktion dieses speziellen Kampfanzugs, dass er keine gewöhnliche Ausgehkleidung war.

»Ein Sicherheitsscan?«, fragte Rhodan.

»Ja.«

Sie flogen in einen hell erleuchteten Hauptschacht, der für den Flugverkehr angelegt worden war. Zwei Brücken schwebten vor ihnen, mehrere kamen ihnen entgegen. Sie reihten sich wie auf einer Schnur hintereinander auf.

Die Brücke beschleunigte. Kalter Wind zischte in Rhodans Gesicht. Er trug einen irritierenden Geruch mit sich, den Rhodan nicht einordnen konnte. Entfernt erinnerte er an ferronische Gewürze, doch er ließ sich nicht fassen, war blumig, scharf und fremd zugleich.

Im Innern der POTOOLEM herrschten Gold und Weiß vor. Pedgondit umgab sie. Während auf der Außenseite Planeten und Sonnen zu sehen waren, zeigte das Innere vor allem den Gondu und seine Verwandten oder Begleiter. Dabei war der Gondu größer dargestellt als die anderen Figuren, oft saß er sogar auf einer Art Thron.

Die verschwenderische Weite des Schachts überraschte Rhodan. Er fühlte sich mehr wie im Innern einer Raumstation als auf einem Schiff.

Die Brücke verließ den Hauptschacht und flog in einen engeren Tunnel ein. Sie erreichte einen vertikalen Zugang, der exakt bemessen war, und sank in ihm nach unten. Wände rasten vorbei, weitere Lichter tasteten über Rhodan und Tomasdh.

»Der ganze Schacht ist eine Sicherheitsanlage?«, hakte Rhodan nach.

»Ja.«

Tomasdh war ganz offenkundig kein Alleinunterhalter. Trotzdem gab Rhodan nicht auf. »Bringst du mich direkt zum Gondu?«

»Ja.«

»Wird es der echte Gondu sein oder ein Double?«

Dieses Mal zögerte Tomasdh mit der Antwort. »Es ist Narashim selbst. Im Herzen der POTOOLEM fühlt er sich sicher. Sie ist sein fliegendes Heim.«

Die Antwort war ja direkt ein Redeschwall.

Die Brücke stoppte, die filigranen Geländer an den Enden sanken in sich zusammen.

Rhodan folgte Tomasdh in einen weiten, verschwenderisch gestalteten Gang. Die Goldfärbungen an den Wänden variierten, stachen teils dreidimensional hervor. An manchen Stellen bewegten sich die Bilder, zeigten kurze Momente wie winzige Filmausschnitte. Dort rannte ein Thoogondu, da drehte sich einer mit wehenden Gewändern im Kreis. Die Szenarien wurden immer ausgefallener und aufwendiger. Vermutlich näherten sie sich Narashims persönlichem Bereich.

Vor ihnen versperrten zwei baugleiche Roboter den Weg. Sie erinnerten grob an besonders kleine Thoogondu.

»Sicherheitskontrolle!«, schnarrte einer.

»Wer hätte es gedacht ...«, sagte Rhodan, der mit entsprechenden Kontrollen gerechnet hatte.

Eine der Maschinen richtete ein kastenförmiges Gerät auf ihn. »Ich messe eine viereckige Verdichtung unter deinem linken Schlüsselbein an. Sie ist etwa anderthalb mal zwei Zentimeter groß und von ungewöhnlicher Aktivität.«

Der Zellaktivator! Instinktiv griff sich Rhodan an die Stelle dicht an der Schulter. Dort saß das Gerät, das ihm relative Unsterblichkeit verlieh – ein Segen und eine Bürde zugleich. Als er danach griff, sendete es belebende Impulse aus. Ein sachtes Prickeln breitete sich aus, durchzog seine Brust wie ein schwacher, elektrischer Strom.

»Das ist ein sehr spezielles, medizinisches Gerät. Ich bin sicher, der Gondu weiß, dass ich es habe.«