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Für das SG KOA.

Danke!

Denise Bormann-Ervens

Tod eines Walk-on-Girls

Ein Dartkrimi

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© 2016 Denise Bormann-Ervens

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-7345-9343-7

ISBN Hardcover: 978-3-7345-9344-4

ISBN e-Book: 978-3-7345-9345-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Kapitel

Niklas saß an seinem Schreibtisch. Immer wieder wanderte sein Blick zur Wanduhr. Er versuchte sich auf die Berichte zu konzentrieren, die er noch fertig stellen wollte, bevor er sich in den wohlverdienten Feierabend verabschiedete. Aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Zu groß war die Vorfreude auf sein dienstfreies Wochenende, das er nutzen wollte, um seiner absoluten Leidenschaft zu frönen: Darts.

Niklas spielte auch selber, aber an diesem Wochenende würde er Zuschauer sein. Es war wieder so weit. Er und seine Kumpel fuhren zum Dart-Event nach Bonn. Ein ganzes Wochenende mit packenden Duellen der Topspieler Europas, einer super Stimmung und dem ein oder anderen Bier stand auf dem Programm. Und natürlich duften auch die Verkleidungen nicht fehlen. Fast alle Zuschauer in der Halle würden kostümiert sein. Seit einigen Jahren wurde zudem in jeder Session, also jedem Turnierabschnitt, die beste bzw. originellste Kostümierung prämiert. Eigentlich mochte Niklas es nicht sich zu verkleiden, ganz im Gegenteil. Karneval war für ihn nicht nur die fünfte sondern auch die schlimmste Jahreszeit. Seit Jahren übernahm er in der Zeit von Altweiber bis Aschermittwoch freiwillig Dienste um den närrischen Kolleginnen und Kollegen unbeschwerte Karnevalstage zu ermöglichen. Im Gegenzug ermöglichten diese ihm jedes Jahr aufs Neue sein geliebtes Dartwochenende und die ein oder andere Reise zu weiteren Turnieren.

Niklas konnte es kaum noch erwarten. Obwohl er und seine Kumpel im Außenbereich von Bonn bzw. in unmittelbarer Nähe zu Bonn wohnten, übernachteten sie dieses Wochenende im Hotel. Im ersten Jahr waren sie ja noch jeden Abend mit dem Taxi nach Hause gefahren, aber sie hatten sehr schnell gemerkt, dass es viel entspannter und auch viel spannender war, im Hotel zu bleiben, in dem auch das Turnier ausgetragen wird. Häufig hatten sie nach der Abendsession, also dem zweiten Turnierabschnitt des Tages, schon den ein oder anderen Spieler oder Mitglieder des Veranstalters getroffen und vergnügliche Nächte verbracht.

Niklas lächelte gedankenverloren als er an die zurückliegenden Jahre dachte. Mit einem Spieler verband ihn mittlerweile sogar eine enge Freundschaft. Nach einer knappen Niederlage hatte Niklas ihn im Hotelfoyer getroffen und man hatte bei einem guten Glas Rotwein das Spiel analysiert. Dabei blieb es jedoch nicht. Schnell waren Gemeinsamkeiten gefunden, und als es draußen schon wieder hell wurde, verabschiedete man sich um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Die Handynummern waren zu diesem Zeitpunkt bereits ausgetauscht und man war sich darüber einig, dass man in Kontakt bleiben wollte. Mittlerweile verging kaum ein Tag, an dem die Beiden nicht miteinander texten oder sprachen. Meistens telefonierten sie oder schickten sich Nachrichten, aber wenn Turniere in Deutschland stattfanden oder Niklas einmal Gelegenheit fand, zur Weltmeisterschaft oder einem anderen Turnier ins benachbarte Ausland zu fahren, wurde der persönliche Kontakt intensiv gepflegt. Die Freundschaft war ihnen sehr wichtig und sie genossen die gemeinsame Zeit und taten alles, um so viel wie möglich davon zu haben.

Niklas Vorfreude bezog sich normalerweise also nicht nur auf die spannenden Spiele und die elektrisierende Stimmung in der Halle, sondern ganz besonders auf seinen guten Freund. Vor jedem persönlichen Treffen konnte er immer richtig merken, wie mit jeder Minute, die verstrich, die Vorfreude immer weiter in ihm aufstieg.

Sein Freund hört auf den Namen John „Night Fever“ Collins und ist ein äußert talentierter Dartspieler aus England. Seine Walk-on-Musik, also Einlaufmusik, ist Stayin` Alive von den Bee Gees. Da John fast genauso gut tanzen wie Dartspielen kann hat er sich den Travolta-Tanzstil angeeignet und nutzt seinen Walk-On, also seinen Gang zur und die ersten Momente auf der Bühne dazu, dass Publikum zu begeistern und mitzureißen. Mit seiner guten Leistung, seiner sympathischen Art und dem Gesamtpaket hatte er sich bereits eine treue Fangemeinschaft aufgebaut und war auch bei den anderen Spielern auf der Tour sehr beliebt.

Anfangs hatte Niklas Bedenken gehabt ob der Popularität seines Freundes. Er befürchtete, dass sein Leben in den Fokus rücken könnte, was er nicht nur aufgrund seines Jobs um jeden Preis hätte verhindern wollen. Doch er hatte schnell gemerkt, dass es im Dartsport um einiges unaufgeregter ablief als in vielen anderen Sportarten. Irgendwie waren alle wie eine große Familie. Man respektierte sich und pflegte einen kollegialen bis freundschaftlichen Umgang. Und die Fans konnten ganz nah ran an ihre Idole, freuten sich über Fotos und Autogramme, wurden jedoch nie wirklich aufdringlich oder lästig. Und so hatte Niklas seine Bedenken schnell abgelegt und die Freundschaft zu John intensivierte sich.

Leider konnte John in diesem Jahr nicht an dem Turnier in Bonn teilnehmen. Er hatte sich gegen das dotierte Turnier entschieden um an einer Wohltätigkeitsveranstaltung teilzunehmen. Seit einigen Jahren engagierte er sich zugunsten einer Organisation die sich für Menschen mit Essstörungen einsetzt. Seit seine Schwester an Magersucht erkrankt und ein nicht enden wollender Kampf gegen die Krankheit begonnen hatte. Niklas konnte die Entscheidung von John nachvollziehen, bedauerte jedoch, seinen Freund nicht wie gewohnt treffen zu können. Doch dieses Treffen würden sie nachholen. Vielleicht noch in diesem Jahr. Das stand für beide unumstößlich fest.

Niklas Blick wanderte zur Uhr und er stellte fest, dass seine Schicht beendet war. Eigentlich hätte er noch eine Stunde bleiben müssen. Beim Schichtwechsel waren normalerweise immer beide Schichten für eine Stunde anwesend, aber seine Kollegen kannten seine Leidenschaft und darum musste er an diesem Freitag nicht bleiben. Und dafür war er ihnen von Herzen dankbar.

Niklas speicherte seinen Bericht ab, fuhr den PC herunter und verabschiedete sich von seinen Kolleginnen und Kollegen. Schnellen Schrittes verließ er die Dienststelle, stieg in sein Auto und machte sich auf den Weg zum Schweizer Hof. Die gepackte Tasche lag bereits im Kofferraum.

Niklas Reuter, 34 Jahre, ledig, Polizeioberkommissar bei der Kriminalpolizei Bonn. Wohnhaft in einer kleinen 2-Zimmer-Wohnung in Königswinter, wo er regelmäßig am Rheinufer joggte um sich fit zu halten. Ca. 1,85 m groß, von schlanker aber durchtrainierter Figur. Hellbraune kurze Haare. Typisches Outfit: Jeans und T-Shirt. Sympathisch aber eher zurückhaltend. Zumindest so lange, bis er jemanden besser kennengelernt hatte. Ein guter und loyaler Freund, auf den man sich immer verlassen kann. So oder so ähnlich würden seine Kumpel, Ben, Uwe und Michael ihn wohl beschreiben, wenn man sie fragen würde.

Und eben diese machten sich nun ebenfalls auf den Weg zum Schweizer Hof, um sich dort mit Niklas im Foyer zu treffen.

Mit Ben verband Niklas bereits seit der Grundschule eine enge Freundschaft. Ben hatte mittlerweile geheiratet und zwei Töchter im Alter von zwei und vier Jahren. Mit seiner Familie bewohnte er ein kleines Einfamilienhaus im Grünen. Als Familienvater konnte er nicht mehr so oft mit Niklas um die Häuser ziehen wie dies früher der Fall war. Aber regelmäßig nutzten sie die Gelegenheit, einen gepflegten Männerabend oder – wie jetzt – ein gepflegtes Männerwochenende miteinander zu verbringen.

Uwe war der Schwager von Ben. Anfangs hatten die beiden Schwestern ihre Ehemänner dazu verdonnert sich besser kennenzulernen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Mittlerweile hatte es sich allerdings eher ins Gegenteil verkehrt und die Frauen ließen immer wieder durchblicken, dass die Männer zu viel gemeinsame Zeit verbrachten. Aber daran störten sie sich nicht.

Michael war seit dem Umzug in das Einfamilienhäuschen der Nachbar von Ben. Als Niklas und Ben einmal gemütlich im Garten grillten hatten sie Michael spontan angeboten, etwas mitzuessen und ein Bierchen zu trinken. Michaels Frau besuchte damals zusammen mit dem jetzt vierzehnjährigen Sohn die Großeltern und Michael nahm das Angebot erfreut an, ersparte es ihm doch das Kochen, das eh nicht so sein Ding war. Und da sich nicht nur die Männer sondern auch deren Ehefrauen sehr gut verstanden, wurden die Treffen immer häufiger und es entwickelte sich eine enge Freundschaft die sich auch auf Uwe und Niklas erstreckte.

2. Kapitel

Als Niklas im Foyer des Schweizer Hof ankam warteten Ben, Uwe und Michael bereits auf ihn. Die drei waren zusammen gefahren und deutlich vor Niklas im Hotel eingetroffen – wie jedes Jahr. Niklas machte sich gar nicht erst die Mühe sich zu entschuldigen. Wer Ben kannte, der wusste, dass er immer zu früh war. Bereits als Jugendlicher tauchte er immer bei der Party auf wenn der Gastgeber noch damit beschäftigt war den Partyraum zu dekorieren und das Bier kalt zu stellen. Schließlich rechnete ja keiner damit, dass tatsächlich jemand um 20.00 Uhr kommen würde wenn die Party dann starten sollte. Das hatte zur Folge, dass Ben irgendwann einfach eine andere Uhrzeit genannt wurde. Er war dann häufig immer noch der Erste, aber wenigstens waren die Partyvorbereitungen dann abgeschlossen und die Gastgeber, soweit sie weiblich waren, hatte sich sexy gekleidet, aufgestylt und das Make-up aufgelegt. Also keine bösen Überraschungen mehr.

Leider hatten diese kleinen Tricks aus der Jugendzeit zur Folge, dass Ben mittlerweile immer zu früh da war. Sprach man die Einladung für 18.00 Uhr aus musste man bereits um 17.30 Uhr mit seinem Eintreffen rechnen.

Und beim Dart konnten sie ihn nicht austricksen. Da wäre jeder Versuch aussichtslos gewesen. Ben wusste, dass die erste Session am Freitag um 18.00 Uhr begann, was bedeutete, dass um 17.00 Uhr Einlass war. Treffen war somit um 16.00 Uhr. Und Ben war um 15.30 Uhr da. Basta. Sicher ist schließlich sicher!

An der Hotelrezeption bekamen die Jungs ihre Zimmerschlüssel. Koffer auspacken, schnell unter die Dusche und ab in die Klamotten. Für Ben, Uwe und Michael bedeutete das, dass die Karnevalskostüme zum Einsatz kamen. „Karneval im Sommer“ nannten sie ihr Dartwochenende. Ben, Uwe und Michael verfügten als begeisterte Karnevalisten, die bereits bei vielen Rosenmontagsumzügen in Fußgruppen mitgelaufen waren, über einen schier nicht enden wollenden Vorrat an Kostümen und waren immer einheitlich gekleidet.

Niklas weigerte sich seit Jahren standhaft bei der Kostümierung mitzumachen. Ihm gefielen die Kostüme, aber verkleiden war nun mal einfach nicht sein Ding. Er fühlte sich dann unwohl. Dafür verfügte er über einige Funshirts und die trug er immer, wenn er Dartevents besuchte. Das war das Äußerste, zu dem er sich durchringen konnte. Für diese Session hatte Niklas sich für ein Shirt entschieden, dessen Aufdruck einen Anzug mit Hemd und Krawatte imitierte.

Seine Kumpel hatten beschlossen sich als Bierflaschen zu verkleiden. Ein ebenso einfaches wie beeindruckendes Kostüm. Der Kronkorken war aus einem Weihnachtsplätzchenteller nachgebildet, der mit silberner Sprühfarbe lackiert war und mit einem Gummiband auf dem Kopf gehalten wurde. Dazu gehörte ein bodenlanger Überwurf aus Sackleinen. Auf der Vorderseite und der Rückseite waren die Flaschenetiketten des jeweiligen Lieblingsbieres der drei Freunde angebracht. Bei Ben war dies Diebels Alt, während Uwe sich für Gambrinus und Michael für Erdinger entschieden hatte. Die drei sahen super aus, und wenn die Kamera sie während der Session einfangen würde, würde der Jubel bestimmt wieder ziemlich lautstark ausfallen. Wie schon so oft in den vergangenen Jahren. Obwohl... je höher der Alkoholpegel umso lautstärker der Jubel, auch bei weitaus weniger gelungenen Kostümen.

Dann war es auch schon Zeit. Niklas und seine Freunde hatten VIP-Tickets. Kein Schlangestehen sondern schneller Zugang zur Halle durch einen separaten Eingang. Sie suchten sich Plätze mit einem guten Blick zum Board und zu den aufgestellten Leinwänden. Ben ging Bier holen und Niklas nutzte die Zeit um sich mit dem Steward zu unterhalten, der in ihrer Nähe Position bezogen hatte und den Niklas von den letzten Veranstaltungen schon gut kannte.

Die Stewards der ISDA, der International Steeldart Associaton, waren zusammen mit der Security für die Ordnung in der Halle zuständig. Während die Security dafür sorgte, dass Streitigkeiten gar nicht erst aufkamen und sich keiner daneben benahm, sorgten die Steward dafür, dass keiner versehentlich oder mit Absicht die Notausgänge nutzte, um die Halle zu verlassen. Zudem regelten sie die Zugänge zu den unterschiedlichen Bereichen der Halle und waren Ansprechpartner bei auftretenden Fragen.

In die Halle zu kommen war für Niklas ein bisschen wie die Ankunft bei einer Familienfeier. Und er genoss jede Minute. Bereits mit dem ersten Schritt in die Halle hatte er vollkommen auf Freizeit umgeschaltet und den immer stressigen und nervenaufreibenden Polizeialltag vergessen.

Auch in seinen Gesprächen mit den Stewards war der Job für Niklas ein absolutes Tabu. Das lag nicht daran, dass er seinen Job nicht mochte oder das er nicht bereit gewesen wäre, seine Erfahrungen zu teilen. Niklas hatte sich bewusst dafür entschieden in den Polizeidienst zu gehen und diesen Schritt seit dem Beginn der Ausbildung keinen Tag bereut. Allerdings war der Polizeidienst nicht nur körperlich, sondern auch psychisch, sehr belastend, und Niklas wusste, dass es deshalb sehr wichtig war, auch mal loszulassen und komplett abzuschalten. Und während viele seiner Kolleginnen und Kollegen diese Entspannung bei Strandurlauben oder in der Einsamkeit der Berge fanden, fand Niklas sie bei den Dartevents. Und darum war sein Job tabu. Unter allen Umständen. Die Stewards wussten das, genauso wie die vielen weiteren guten Bekannten und Freunde, die Niklas immer wieder traf. Sie alle respektierten diesen Wunsch. Schließlich hatten sie auch so mehr als genug Gesprächsthemen.

Umso irritierter war Niklas, als ein Mitarbeiter der Security ihn nach der Begrüßung des Publikums durch einen Mitarbeiter der ISDA zu sich winkte, noch bevor der Master of Ceremony die Bühne betrat, und ihm mitteilte, dass er gebraucht würde. Als Polizist.

Der Master of Ceremony ist der Moderator, der durch die Veranstaltung führt. Er übernimmt nach der Begrüßung und Verkündung der „Benimmregeln“ der Veranstaltung durch einen Mitarbeiter der ISDA. Seine Aufgabe ist es die Animation des Publikums fortzusetzen und vor jeder Partie die Spieler anzukündigen. Zudem nimmt er diese auf der Bühne in Empfang.

Bei dem Turnier in Bonn nahm diese Aufgabe nun bereits seit mehreren Jahren Jürgen Paeßens wahr, ein ehemaliger E-Dart-Spieler, der die Entwicklung des Dartsports in Europa seit vielen Jahren begleitete und neben seiner Tätigkeit als Master of Ceremony bei anderen Turnieren auch als Caller agierte.

Caller ist die Bezeichnung für den Schiedsrichter beim Dartsport. Er ruft die mit drei Darts erzielte Punktzahl aus. Befindet sich ein Spieler im sogenannten Finish-Bereich, hat also die Möglichkeit, das Leg (Spiel) mit drei oder weniger Darts für sich zu entscheiden, so nennt er zusätzlich die Restpunktzahl. Um ein Leg zu gewinnen, muss der Spieler die Punktzahl von 501 exakt auf null bringen. Der letzte Dart, mit dem die Punktzahl auf null gebracht wird, muss dabei zudem in ein Doppelfeld geworfen werden. Zumindest in Bonn, wo der Modus „Double out“ gespielt wird.

Die Doppelfelder sind der äußere schmale Ring. Die Trippelfelder (dreifacher Wert) sind der innere Ring. Das rote Feld in der Mitte ist das Bull (Punktewert: 50) und der grüne Ring um das Bull ist das Half Bull mit einem Punktwert von 25.

All dies war Niklas in den vergangenen Jahren in Fleisch und Blut übergegangen. Mittlerweile konnte er fast so schnell rechnen wie die Mitarbeiter, die neben dem Dartboard die Punkte mitschrieben. Aber es gab immer wieder Personen, die den Dartsport neu für sich entdeckten, und sich mit den Regeln und Begrifflichkeiten erst vertraut machen mussten.

3. Kapitel

Als Niklas in das Gesicht des Mitarbeiters der Security blickte, der ihn zu sich gewunken hatte, sah er, dass er ungewöhnlich ernst dreinblickte. Es war nicht der übliche strenge Gesichtsausdruck, den die Mitarbeiter der Security aufsetzten, um klar zu machen, dass sie sich auf keine Diskussionen einlassen und bereit sind, hart durchzugreifen, wenn es die Situation erfordert – was Gott sei Dank nur extrem selten vorkam. Vielmehr wirkte er schockiert, nervös und ein wenig fahrig, sowie extrem angespannt.

Niklas begleitete den Mitarbeiter der Security, der sich ihm als Marcell Böhmer vorstellte, die Treppe, die den Dartspielern normalerweise als Walk-On diente, von der Bühne hinauf in die nächste Etage.

Unter einem Walk-On versteht man den Einzug der Dartspieler zur Bühne zu einem von ihnen gewünschten Musiktitel (Walk-on-Musik). Einige Spieler haben sogar richtige Choreographien, die sie auf der Bühne zur Musik aufführen. Auf ihrem Weg zur Bühne werden die Spieler von einer oder zwei jungen und attraktiven Frauen begleitet (den sogenannten Walk-on-Girls).

Als Niklas zurückblickte stellte er fest, dass der Master of Ceremony die Bühne betrat. Er spürte ein tiefes Bedauern, als ihm bewusst wurde, dass er wohl einige Legs oder sogar noch mehr verpassen würde. Doch dann vernahm er, dass der Master of Ceremony mitteilte, dass es aufgrund von technischen Problemen zu einer Verzögerung käme. Dann wurde Musik gespielt, damit keine Unruhe aufkam sondern entspannt weiter gefeiert wurde. Niklas spürte so etwas wie Erleichterung, doch als er oben an der Treppe ankam, und in die Gesichter der Anwesenden blickte, war ihm sofort klar, dass dies nicht angebracht war. Ein verpasstes Leg oder auch mehrere wären seine kleinste Sorge bzw. sein kleinstes Problem.

Niklas stand mit Marcell Böhmer vor einer großen Flügeltür. Wortlos öffnete dieser die Flügeltür einen Spalt und ließ Niklas durchschlüpfen. Rasch folgte er ihm und schloss die Tür wieder hinter sich. Niklas wurde bewusst, dass der vor der Tür stehende Kameramann die Kamera abgesenkt hatte und nicht filmte. Er hatte genau wie der Reporter etwas abseits gestanden, abgeschirmt von zwei Mitarbeitern der Security, damit sie keinen Einblick in die hinter der Tür befindlichen Räumlichkeiten hatten. Niklas merkte daran, dass er begonnen hatte, seine Umgebung intensiv zu beobachten und zu analysieren, dass er von Urlaub und Entspannung in den Polizeimodus umgeschaltet hatte. Er seufzte leise und unmerklich für die anderen. Dann streckte er den Rücken durch und blickte den neben sich stehenden Marcell Böhmer an. „Was ist passiert?“, fragte er, obwohl er sich nicht sicher war, ob er die Antwort hören wollte. Aber er wusste, dass es darauf nicht ankam. Es war etwas passiert und seine Hilfe und sein Wissen wurden benötigt. Eine Verantwortung, der er nachkommen musste.

Niklas und Marcell Böhmer standen in dem Raum, in dem vor den Spielen der Wurf aufs Bullseye ausgetragen wird. Durch diesen Wurf wird bestimmt, welcher Spieler das erste Leg beginnen darf. Die beiden Spieler, die das erste Spiel bestreiten sollten, waren ebenfalls anwesend, dazu ein Mitarbeiter der ISDA, zwei Walk-on-Girls sowie drei weitere Mitarbeiter des Securitydienstes. Es war gespenstisch still. Keiner sprach. Die Stille wurde nur von einem gelegentlichen Schluchzen eines Walk-on-Girls und dem Geräusch, wenn die Spieler aus den vor ihnen auf einem Stehtisch stehenden Wassergläsern tranken, unterbrochen.

„Wir haben eine Leiche in dem angrenzenden Vorratsraum gefunden“, beantwortete Marcell Böhmer die Frage. „Die Polizei ist bereits verständigt. Wir wurden gebeten sie hinzuzuziehen. Aufgrund ihres Wissens um die Dartszene. Ihre Kollegen müssten in Kürze hier eintreffen. Wenn ich irgendwas für sie tun kann...“

Niklas bat Marcell Böhmer um einen Block, den dieser ihm rasch beschaffte. Niklas begann sofort damit eine grobe Skizze des Raumes zu zeichnen. Er ließ sich auch die angrenzenden Räume zeigen und erweiterte seine Skizze um diese Räumlichkeiten. Zum Abschluss betrachtete er den Raum, in dem man die Leiche gefunden hatte, von dem Durchgang aus. Er blickte auf seine Skizze und kennzeichnete den Fundort der Leiche mit einem „X“. Niklas musste kurz Schmunzeln, als ihm das Klischee bewusst wurde, dann konzentrierte er sich wieder auf den Mord und das Szenario, dass sich ihm bot.

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Bereits kurze Zeit später trafen Niklas Kollegen am Tatort ein. Mit ihnen zusammen kamen die Kolleginnen und Kollegen von der Spurensicherung. Bislang hatte Niklas die Leiche nur erahnen können, da der Großteil des Körpers von Getränkekisten verdeckt war. Da ihm kein Schutzanzug zur Verfügung stand, hatte er den Raum noch nicht betreten, sondern nur von dem Durchgang aus in Augenschein genommen. Nun, da er in einen Schutzanzug gekleidet war, um keine Spuren an den Tatort tragen zu können, war ein genauerer Blick auf die Leiche möglich und Niklas musste augenblicklich schlucken. Er kannte die Frau. Eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und blutroten Lippen, die ihn immer ein bisschen an Schneewittchen erinnert hatte. Auch wenn ihre sehr üppige Oberweite nicht in das Bild der Märchengestalt passte. Sofort informierte er seine Kolleginnen und Kollegen.

„Bei der Toten handelt es sich um Stacy. Sie ist seit einigen Jahren bei Turnieren der ISDA als Walk-on-Girl tätig.“ Als er die verständnislosen Gesichter der Kollegen sah, erläuterte er kurz die Aufgaben eines Walk-on-Girls, nämlich die Spieler auf dem Weg zur Bühne zu begleiten und möglichst gut auszusehen, und fuhr dann fort. „Sie studierte Law and Economics an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn. Sie nahm am Bachelorstudiengang teil, der sechs Semester dauert und wollte danach das Masterstudium absolvieren. Vor dem Studium hat sie eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten bei einem Wirtschaftsjuristen gemacht, wo ihr Interesse für das Studium geweckt wurde. Als die Universität den Studiengang im Wintersemester 2012/2013 erstmalig anbot schrieb sie sich sofort ein.“

„Der Job erklärt ihr Outfit“, meinte Bernd Nowak, ein Kollege von Niklas. Die Tote war mit einer schwarzen Shorts, einem weißen T-Shirt mit dem aufgedruckten Hotellogo und knallroten Pumps bekleidet, die geschätzt eine Absatzhöhe von mindestens 10 cm hatten. Das T-Shirt spannte über den straffen Brüsten. Gut, dass Gott mich mit so viel Oberweite ausgestattet hat, hatte Stacy zu Niklas gesagt. So bekommt man bessere Promotionjobs und Ähnliches.

„Weißt du ihren Nachnamen“, wandte sich Bernd an Niklas. Dieser schüttelte verneinend den Kopf. „Aber der Veranstalter kann ihn uns bestimmt nennen“, sagte er. „Ihr Name ist Hausmann“, meldete sich eines der anwesenden Walk-on-Girls leise zu Wort. „Sie wohnte im Studentenwohnheim der Universität“. Dann wandte sie sich schluchzend wieder ab.

Als Bernd und Niklas einen Moment ungestört waren wandte sich Bernd an Niklas. „Woher weißt du eigentlich so viel über das Opfer“, fragte er. „Hattet ihr....“ Niklas schüttelte verneinend den Kopf. „Wir haben vor zwei Jahren an einem Morgen einige Zeit zusammengesessen und sind dann noch eine Rund spaziert. Ein bisschen frische Luft und einen Kaffee. Sie war sehr sympathisch und wir haben uns sehr nett unterhalten. Aber mehr war da nicht.“

Und mehr würde da auch nie sein, denn Niklas fühlte sich nicht zu Frauen hingezogen. Aber das wussten seine Kollegen nicht. Denn auch wenn Niklas sie nun schon viele Jahre kannte und ihnen vertraute, hatte er sich noch nicht überwinden können, es ihnen zu sagen.

4. Kapitel

Der Lagerraum, in dem die Leiche von Stacy gefunden worden war, war nur mit einem Vorhang abgetrennt und diente der Aufbewahrung von Getränkekisten. Im Barbereich sowie im hinteren Bereich des Practicerooms gab es für die Spieler die Möglichkeit, Getränke zu sich zu nehmen. Die Kühlschränke standen den Spielern zur Selbstbedienung zur Verfügung und wurden regelmäßig durch Servicepersonal des Hotels befüllt. Gleiches galt für den Aufenthaltsraum der Walk-on-Girls, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Lagerraums befand, und mit einem gemütlichen Sofa, drei Spinden und Umkleidekabinen sowie einem Kühlschrank ausgestattet war. Die bereits geleerten Flaschen standen ebenso in dem Lagerraum wie der Nachschub zum Auffüllen der Kühlschränke.

Von Marcell Böhmer erfuhren Niklas und Bernd, dass sich der Kreis der Personen, die Zugang zu den Räumlichkeiten hatten, einschränken ließ. Der Barbereich und der Practiceroom waren von neun Spielern genutzt worden, darunter die Spieler, die die erste Partie des Tages hätten bestreiten sollen. Niklas gab Bernd zu jedem Spieler einige kurze Informationen:

Anthony „The Bear“ Brown Anthony Brown verdankt seinen Spitznamen seiner Größe von fast 2 Metern, seinem breiten Kreuz und seinem dichten, langen, braunen Haar. Wenn er beim Jubel die Arme hochreißt, dann wird die Ähnlichkeit mit einem Bär deutlich.

Anthony Brown ist der Aufsteiger der letzten Jahre. Viele Experten sprechen davon, dass es ihm gelungen ist, den Dominator der letzten Jahre abzulösen, mit dem er sich in den vergangenen Jahren viele packende Duelle geliefert hat.

Anthony Brown stammt aus England und ist dort auch wohnhaft.

Er spielt mit 24g Darts. Auf dem Flight ist ein Braunbär abgebildet.

Die Bühne betritt er zur Musik von Michael Jackson (Beat it).

Mason „The Foreman“ Pouwels

Mason Pouwels stammt ebenfalls aus England und hat die ISDA in den vergangenen Jahren dominiert. Er ist ein eingefleischter Junggeselle Anfang vierzig und hat mehrere Weltmeistertitel und viele weitere Titel gewinnen können. Zu Beginn seiner Karriere konnte er noch nicht von dem Sport leben, weil die Preisgelder noch nicht so hoch waren. Der Boom kam erst in den letzten 10 Jahren und Mason war schon mit Anfang zwanzig als Dartspieler aktiv. Darum hat er anfangs noch als Schreiner gearbeitet und sogar eine Meisterprüfung abgelegt. Dadurch hat er seinen Spitznamen erhalten.

Mason Pouwels spielt mit 24g Darts auf deren Flights eine Säge und die englische Flagge abgebildet sind.

Die Bühne betritt Mason Pouwels zur Musik von Deep Purple (Smoke on the water).

David „The Dragon“ Maddock

David Maddock gilt als großes Talent des Dartsports. Er ist der Junior und noch nicht lange als Profi unterwegs. Seinen Spitznamen hat er, da er stolz auf seine walisische Herkunft ist. Der walisische Drachen ziert die Flights seiner 22g Darts (roter Drache auf grünem Grund).

Wenn er die Bühne betritt läuft ein Lied von Gabriela Soukalova, einer Biathletin mit einer faszinierenden Stimme. David Maddock hatte das Lied auf YouTube gesehen und war sofort begeistert, da es die Ruhe und die Einsamkeit der Natur einfängt, die er an Wales so sehr liebt.

Salvatore „Cannolo“ DiMarco

Salvatore DiMarco ist der südeuropäische Topspieler. Während der Dartsport im Norden Europas schon sehr populär ist und von dort schon einige Topspieler kommen, etabliert sich der Dartsport im Süden Europas etwas langsamer. Die Erfolge von Salvatore DiMarco haben dazu beigetragen, dass der Dartsport dort einen immer größeren Zuspruch erfährt und sogar ein Turnier in Italien ausgetragen wird.

Seinen Spitznamen verdankt er der Tatsache, dass er zur Beruhigung vor jedem Auftritt einen Cannolo isst, seine absolute Leibspeise.

Er spielt mit 23g Darts mit rot-weiß-grünen Flights.

Die Bühne betritt er zur Musik von Gianna Nannini (Latin Lover).

Kody „Swagger“ Dawson

Kody Dawson ist der Bad Boy des Dartsports. Er polarisiert. Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn. Neutral steht ihm kaum jemand gegenüber. Seiner großtuerischen und prahlerischen Art auf der Bühne verdankt er seinen Spitznamen.

Privat ist er jedoch das krasse Gegenteil. Er ist sympathisch und sehr für wohltätige Zwecke engagiert. In seiner Heimat Schottland hat er eine eigene Stiftung, die sich für benachteiligte Kinder und Jugendliche einsetzt. Er ermöglicht den Kindern Sport zu treiben, unterstützt sie in der Schule, sorgt für regelmäßiges und gesundes Essen und finanziert sogar Urlaube. Dies ist jedoch nur wenigen, eingefleischten Dartfans bekannt, die bereit sind, hinter die Fassade zu blicken.

Kody Swagger spielt mit 26g Darts mit schwarz-goldenen Flights. Die Bühne betritt er zur Musik von Queen (I want it all).

Michael „The Bavarian“ Müller

Michael Müller – von seinen Freunden Michi gerufen - ist der beste deutsche Spieler der ISDA. Allerdings fehlt ihm noch die Konstanz. Zwar konnte er bereits einige gute Ergebnisse erzielen, im Topfeld ist er aber noch nicht etabliert. Auf der Bühne trägt er immer ein Shirt, dass einem Trachtenhemd nachempfunden ist. Daher auch sein Spitzname.

Michael Müller hat blonde Haare, die er immer zu einer Elvistolle frisiert hat. Aufgrund seiner Verehrung für den King und der Liebe zu seiner Heimat Bayern hat er Wooden Heart als Walk-on-Musik gewählt.

Michael Müller spielt mit 20g Darts deren Flights blau-weiß kariert sind.

Kyle „The Panther“ Black

Kyle Black stammt aus Australien und spielt mit 22g Darts. Die Flights zeigen einen schwarzen Panther auf weißem Grund.

Kyle Black hat seinen Spitznamen erhalten, da er einen sehr eleganten und sanften Wurfstil hat, mit dem er seine Gegner jedoch gnadenlos zur Strecke bringt. Er spielt leise, unauffällig und elegant, ist dabei aber extrem effektiv.

Die Bühne betritt er zu Musik von den Rolling Stones (Paint it, Black).

Finn „The Mill“ de Boer

Finn de Boer ist ein ehemaliger Top 5-Spieler, der in den vergangenen zwei bis drei Jahren allerdings massiv abgerutscht ist. Jetzt ist er langsam wieder auf dem Vormarsch und konnte sich mittlerweile zurück in die Top 30 der ISDA spielen. Er ist 37 Jahre alt und stammt aus den Niederlanden.

Er spielt mit 21g Darts. Auf den roten Flights sind weiße Mühlenflügel abgebildet.

Als es mit seiner Karriere wieder anfing bergauf zu gehen hat er seine Walk-on-Musik geändert. Er hat sich für seinen Neuanfang den Song „Gonna Fly Now“ aus dem Soundtrack von Rocky Balboa ausgesucht.

Ruben „The Rubin“ Molenaar

Seinen Spitznamen verdankt Ruben Molenaar einer Ableitung seines Vornamens. Er hat dies aufgegriffen und tritt immer in einem rubinroten Dartshirt an. Er ist ein junger Spieler aus den Niederlanden, 27 Jahre alt, der in den vergangenen Jahren stetig seinen Weg gegangen ist und mit guten Resultaten überzeugte. Dadurch ist es ihm gelungen, sich in den TOP 10 der ISDA zu etablieren.

Ruben Molenaar spielt mit 22g Darts. Die Flights sind goldfarben mit einem aufgedruckten Rubin.

Er betritt die Bühne zur Musik von Anouk (Modern World).

Als Niklas seine kurze Vorstellung der Dartspieler, die den Practiceroom und den Barbereich genutzt hatten, beendete sah Bernd ihn halb verblüfft, halb beeindruckt an. „Sind Flights die Dinger hinten an den Dartpfeilen“, fragte er. Niklas nickte. Bernd zeigte mit dem Kopf auf einen Kollegen von der Spurensicherung, der einen Beweismittelbeutel in der Hand hielt.

Niklas grüßte ihn mit einem Kopfnicken. Es war Detlef Schira, seines Zeichens langjähriges Mitglied der Kriminaltechnik und ein enger Vertrauter von Niklas. Dieser kannte ihn bereits seit Beginn seiner Tätigkeit bei der Kriminalpolizei und schätzte ihn nicht nur als Kollegen, sondern auch als Mensch. Detlef war von Natur aus sehr ordentlich, gewissenhaft, aber auch neugierig und vielseitig interessiert, was ihm bei seiner Tätigkeit sehr entgegenkam und ihn zu einem wertvollen Mitglied der Spurensicherung machte. Vor seinem geistigen Auge sah Niklas ihn immer zu Hause die Teppichfransen kämmen. Und Detlef war ein toller Gesprächspartner und guter Zuhörer.

Dadurch, dass er seinen Job schon so viele Jahre machte, verfügte er über umfangreiches Wissen und Erfahrungswerte. Damit hatte er den Ermittlern schon häufig hilfreich zur Seite gestanden, wenn sie in einer Sackgasse steckten und einfach nicht mehr weiter wussten.

Detlef war der einzige Mensch im Polizeidienst der von Niklas Homosexualität wusste. Detlef hatte zufällig mitbekommen, dass Niklas sich zu Männern hingezogen fühlte, als er unabsichtlich eine private Unterhaltung mitgehört hatte. Er hatte sich sofort bei Niklas entschuldigt und natürlich war ihm nicht entgangen, wie unangenehm Niklas das Thema war. Er hatte Niklas zum Ausgleich ein Geheimnis von sich anvertraut und ihm versprochen, keiner Menschenseele gegenüber ein Wort über Niklas Geheimnis zu verlieren. Dieses Versprechen hatte Detlef all die Jahre eingehalten, ebenso wie Niklas, der nie über das gesprochen hatte, was Detlef ihm anvertraut hatte.

„Vielleicht entspricht der Charakter von Kody Dawson doch eher seinem Bühnenprofil. Wenn ich mich richtig erinnere spielt er mit schwarz-goldenen Flights. Und ein Pfeil mit einem solchen Flight wurde bei der Leiche gefunden“, meinte Detlef und reichte Niklas den Beweismittelbeutel. Niklas bestätigte, dass Kody Dawson mit einem solchen Flight spielt. Dann gab er den Beweismittelbeutel zurück und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

Niklas und Bernd entschieden sich in Absprache mit ihrem Vorgesetzten dazu, alle Spieler, die an diesem Tag von den Trainingsmöglichkeiten Gebrauch gemacht hatten und daher Zugang zu dem Lagerraum hatten, in dem Stacy ermordet wurde, für den kommenden Morgen auf das Polizeirevier zu bestellen, um ihre Aussagen aufzunehmen. Da in einigen Fällen die Anwesenheit von Dolmetschern erforderlich sein würde, kümmerte sich eine Kollegin aus der Dienststelle darum, dass diese am kommenden Tag zur Verfügung standen.

Auch das Gespräch mit Kody Dawson sollte am kommenden Tag stattfinden. Sowohl das Hotel als auch die Spieler erklärten sich freiwillig damit einverstanden, dass auf der Etage, auf der die Spieler untergebracht waren, Polizeibeamte postiert wurden, die ein Verlassen der Zimmer verhindern sollten. Zudem wurde das Hotelpersonal gebeten, den Spielern das Frühstück auf dem Zimmer zu servieren. Die ISDA kümmerte sich darüber hinaus um Taxis, die die Spieler am kommenden Tag zur Dienststelle bringen sollten.

Nachdem dies geklärt war baten Niklas und Bernd die beiden anderen Walk-on-Girls, Nina und Doro, am kommenden Tag ebenfalls auf der Dienststelle zu erscheinen, um ihre Aussagen aufnehmen zu können.

Mit den beiden Mitarbeitern des Hotels, Sebastian van Well und Marvin Groterhorst, sprachen die Beamten unmittelbar vor Ort. Sebastian van Well hatte die Kühlschränke am Morgen befüllt, bevor die Räumlichkeiten für die Spieler freigegeben wurden. Er hatte erst zusammen mit einigen Kollegen das Frühstück vorbereitet und die Frühstücksgäste bewirtet. Als die meisten Gäste sich im Speisesaal eingefunden hatten und die Richos nachgefüllt waren, verließ er den Frühstückssaal und befüllte die Kühlschränke, da die Trainings- und Aufenthaltsräume den Spielern ab 12.00 Uhr zur Verfügung stehen sollten. Er brauchte rund eine halbe Stunde. Dann kehrte er zum Frühstücksservice zurück um den Speisesaal für die Mittagsgäste vorzubereiten. Die Dauer seiner Abwesenheit wurde von den Kollegen bestätigt. Auch der eigens vor der Zugangstür positionierte Securitymitarbeiter bestätigte die Angaben des Hotelangestellten.

Marvin Groterhorst war für das Auffüllen der Kühlschränke zuständig, was er gegen 15.00 Uhr erledigt hatte. Zu diesem Zeitpunkt herrschte ein reges Treiben in den Räumlichkeiten. Er gab an, dass er um diese Zeit keines der drei Walk-on-Girls gesehen habe. Zwar habe er kein Licht in dem Lagerraum gemacht. Da er den Vorhang aber offen ließ um die Flaschen wegzuräumen und Nachschub zu holen, fiel genug Licht in den Lagerraum als das er mit Sicherheit sagen konnte, dass sich zu diesem Zeitpunkt niemand in dem Raum befand. Weder tot noch lebendig.

Bernd notierte die Angaben der Hotelangestellten während Niklas die Zeit nutzte, um die beiden Hotelmitarbeiter bei der Leitstelle abzufragen. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, dass Marvin Groterhorst merklich nervös wurde und Anstalten machte, den Raum zu verlassen.

Mit einigen schnelle Schritten war Niklas bei ihm, packte ihn am Oberarm und führte ihn zu Bernd und Sebastian van Well zurück. Er übergab ihn Bernd um die Rückmeldung der Leitstelle etwas abseits der Menschengruppen abzuwarten. Er kriegte mit wie Bernd eine klare Ansage an Marvin Groterhorst aussprach, dass jedes weitere Verhalten, dass als Fluchtversuch oder Angriff gewertet werden kann, ihm die Acht einbringt. Also Handschellen. Marvin Groterhorst wandte sich in Bernds Griff, doch ernsthaft zu entkommen versuchte er nicht. Auf Bernds Frage, warum er sich aus dem Staub machen wollte, schwieg er beharrlich.

Nach wenigen Minuten kannte Niklas die Antwort. Die Leitstelle hatte sich gemeldet. Zu Sebastian van Well lagen keine Erkenntnisse vor. Bei Marvin Groterhorst sah das allerdings ganz anders aus. Dieser war bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten. Und die Delikte waren alles andere als unerheblich. Das Marvin Groterhorst unter diesen Umständen eine Anstellung im Hotelgewerbe bekommen hatte, war für Niklas absolut unverständlich.

5. Kapitel

Niklas bat einen uniformierten Kollegen Herrn Groterhorst in einen Streifenwagen zu verbringen und zur Dienststelle zu fahren, damit sie ihn dort weiter vernehmen könnten.

„Ich habe über die Leitstelle erfahren, dass Herr Groterhorst bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten ist“, klärte Niklas Bernd auf. „Er ist wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestraft. Zudem wurde wegen Nachstellens, sexueller Nötigung und Körperverletzung gegen ihn ermittelt. Es wurde Schuldunfähigkeit wegen einer psychischen Erkrankung festgestellt und die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet. Die Entlassung aus der Klinik ist erst wenige Monate her.“

„Wissen wir was genau damals passiert ist?“, fragte Bernd. Niklas schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Aber die Unterlagen sind schon angefordert.“

„Wir sollten uns die Personalakte von Herrn Groterhorst besorgen“, meinte Bernd. Als er Niklas zustimmend nicken sah, machte er sich auf den Weg, während Niklas zur Spurensicherung ging, um erste Erkenntnisse abzufragen.

„Habt ihr schon was für mich?“, frage Niklas an Detlef gewandt. Dieser sah nur flüchtig auf und beendete in Ruhe seine Arbeit, bevor er sich erhob und zu Niklas kam. „Nicht viel“, beantwortete er die Frage. „Du weißt, die meisten Spuren können wir erst im Labor auswerten. Und wie dir nicht entgangen sein wird, sind wir alle noch hier.“ Mit einer ausladenden Handbewegung deutete er auf seine Mitarbeiter, die noch fleißig mit der Sicherung und Dokumentation von Spuren beschäftigt waren.

Als er Niklas ungeduldigen und leicht gereizten Blick sah, beeilte er sich fortzufahren. „Das wir einen Dartpfeil sichergestellt haben, hast du ja schon mitbekommen. Wir konnten an der Leiche zudem einen goldenen Knopf sicherstellen.“ Mit einer Handbewegung winkte Detlef einen weiteren Mitarbeiter der Spurensicherung heran und bat ihn, den Beweismittelbeutel mit dem Knopf zu holen.