Wyatt Earp 136 – Texanisches Meisterstück

Wyatt Earp –136–

Texanisches Meisterstück

Roman von William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-557-5

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Es war Mitternacht, als der Reiter die letzten Lichter der Stadt vor sich auftauchen sah.

Er hatte einen anstrengenden Ritt hinter sich und ließ sein Pferd aus dem Galopp in Trab fallen. Trotz der Strapazen, die er hinter sich hatte, saß er aufrecht und mit der Leichtigkeit eines sehr jungen Menschen im Sattel.

Vor ihm lag Sasabe, die alte Grenzstadt, deren nördliche Hälfte amerikanisch, und deren südliche Hälfte mexikanisch war.

Durch ein Loch in der Wolkendecke fiel jetzt das Mondlicht und warf einen fahlen Schein auf den Reiter. Aber man hätte das Gesicht des Mannes nicht sehen können. Er hatte sich gerade ein großes graues Tuch bis unter die Augen gebunden und hinten unterm Hut verknotet. Die Krempe hatte er tief in die Stirn gezogen, so daß ein harter Schatten über seine Augen fiel.

Gewohnheitsmäßig griff er in das Revolverhalfter, zog die Waffe hervor, ließ die Trommeln rotieren und prüfte, ob die Kammern auch alle geladen waren. Dann griff die Rechte in den Scabbard und zog das kurzläufige Remington-Gewehr hervor, um auch dessen Ladung zu prüfen.

Der Mann, der da auf die nächtliche Stadt Sasabe zuritt, war ein Verbrecher. Er war der Galgenmann Cesare »Jim« Valetta, nächst dem Großen Chief das meistgefürchtete Mitglied des Geheimbundes der Maskenmänner. Er sollte in dieser Nacht namenloses Elend über drei Familien der kleinen Grenzstadt bringen.

Hinter Miguel Rondos General-store, auf der amerikanischen Seite der Stadt, stand in einem kleinen, sauber gepflegten Vorgarten das Häuschen des Lehrers Joe Carter. Der Lehrer war ein Mann von dreiundvierzig Jahren, mit schütterem dunklem Haar, frischem Gesicht und kräftiger Gestalt. Wenn er auch verschlossen wirkte, so war er doch einer der freundlichsten und fleißigsten Männer von Sasabe.

Früh am Morgen, ehe er sich auf den Weg in die Schule machte, saß er schon zwei Stunden daheim über Schreibarbeiten, die er für den Mayor erledigte. Um zwölf, wenn er von der Schule nach Hause kam, beschäftigte er sich mit den Briefschaften, die die Leute ihm brachten. Nicht, daß die Menschen in Sasabe nicht Schreiben gelernt hätten – aber für viele von ihnen lag die Schule schon so lange zurück, daß sie sich kaum noch daran erinnern konnten. Und es gab doch immer irgend etwas zu schreiben. Der Lehrer verrichtete all diese Arbeiten, weil er für eine große Familie sorgen mußte.

Sieben Kinder lebten unter seinem Dach. Und nur zwei davon waren seine eigenen, die fünf anderen waren von seinem Bruder, der in Nogales gelebt hatte und zusammen mit seiner Frau bei einem Bandenüberfall ums Leben gekommen sein sollte. Wie sich die Tragödie der Familie Carter in Nogales wirklich zugetragen und welche Hintergründe sie hatte, erfuhr man in Sasabe niemals. Zuweilen wurde geraunt, daß Jeff Carter, der Vater dieser Kinder, kein allzu gutes Leben geführt hätte.

Bis halb zwölf hatte der Lehrer über Schreibarbeiten gesessen, als ihm vor Müdigkeit schließlich der Kopf auf die Brust sank. Er schloß das Tintenfaß, legte die beschriebenen Bogen in die Schublade seines Schreibtisches, der tagsüber nichts anderes als der Küchentisch war, erhob sich, ging hinaus in den Hof, wusch sich und trat müde ins Haus zurück.

Am Ende des langen Flurs waren die beiden Schlafzimmer der Kinder, winzige Kämmerchen, in denen aber jedes Kind ein kleines Bett hatte, dafür hatte Joe Carter gesorgt. Und seine Frau, die vor einer Stunde in die schrägwandige Schlafkammer hinaufgegangen war, hielt die Kinder sauber und ordentlich.

Mary Carter wußte nichts von den Sorgen, die ihren Mann seit einiger Zeit bedrückten. Er bekam so wenig Geld als Lehrer, daß auch die Nebenarbeiten das Loch nicht mehr ausfüllen konnten, das die Krankheit mehrerer Kinder im vergangenen Winter gerissen hatte. Carter hatte sich deshalb Geld leihen müssen. Da er ein angesehener Mann in der Stadt war, hatte man nicht gezögert, ihm ein paar Dollars zu geben. Der Mann, der das getan hatte, war der deutschstämmige Barbier Cramer unten in der Mainstreet gewesen.

Aber die Frist für die Rückgabe des Geldes war nun abgelaufen. Carter mußte innerhalb von drei Tagen fünfundsiebzig Dollar zurückgeben.

Fünfundsiebzig Dollar! Welch ein Stück Geld! Woher sollte er jetzt so viel nehmen? Damals im Winter, als er es von Cramer holte, war er sicher, es bis zum Mai spätestens herbeischaffen zu können. Sechs Monate waren noch eine lange Zeit, und da mußte sich doch etwas tun!

Die Zeit war sehr kurz gewesen. Nun war sie verstrichen, und getan hatte sich nichts. Alles war im gleichen Trott weitergegangen. So sehr sich Carter auch bemüht hatte, er hatte keinen Weg gefunden, die fünfundsiebzig Dollar anzusparen.

Und was hatte er nicht alles versucht! Er war mit dem kleinen Buggy seines Nachbarn auf die große Marquart Ranch hinausgefahren und hatte den wohlhabenden Viehzüchter gefragt, ob er Schreibarbeiten für ihn erledigen könnte. Aber der hatte nur den Kopf geschüttelt. Man war sparsam auf der Marquart Ranch, einer der drei Söhne des Ranchers erledigte diese Arbeiten selbst.

Carter hatte mehrere solcher Wege gemacht, und dann war er eines Tages nach Nogales gefahren. Was sich an diesem Tag ereignete, hatte Mary Carter nie erfahren, sie hatte aber ihren Mann spät in der Nacht mit bleichem Gesicht und sehr verstört zurückkehren sehen.

Immer näher und näher rückte der Termin, an dem das Geld zurückgegeben werden mußte. Cramer würde ihm den Schuldschein präsentieren. Nicht, daß der Barber ein brutaler Bursche gewesen wäre, aber schließlich brauchte er sein Geld auch.

Carter schloß die Hoftür hinter sich, drehte den Schlüssel um, ging mit hölzernen Schritten den Korridor hinunter, blickte noch einmal in die Küche, in der der sparsame Mann die kleine Kerosinlampe gelöscht hatte, als er vorhin hinausgegangen war und blieb am Fuß der Treppe stehen.

Eine tiefe Schwermut überkam ihn. Er hatte die Rechte aufs Geländer gestützt und den linken Fuß auf die erste Stufe gesetzt. Dennoch ging er nicht weiter. Tief war ihm der Kopf auf die Brust gesunken.

Nein, er konnte jetzt nicht hinaufgehen, um sich hinzulegen, er hätte doch keinen Schlaf gefunden.

Er wandte sich langsam um, ging in die Küche zurück und starrte durch das Fensterviereck in den Hof hinaus, der jetzt von einem bleichen, fahlen Mondstrahl beleuchtet wurde.

Es war jener Mondstrahl, der in der gleichen Sekunde weit draußen vor der Stadt den Banditen Valetta traf.

Carter dachte an die Mappe, die er sich bei Doktor Lopez geholt hatte.

Es war eine Riesenarbeit, die der Arzt, der im mexikanischen Teil der Stadt wohnte, ihm gegeben hatte. Doktor Lopez schrieb alles in einem wüsten Durcheinander nieder, und es war sehr schwer, seine Schrift zu lesen. Da standen Namen, Jahreszahlen, Krankheitsbezeichnungen und Medizinen im wirren Kunterbunt durcheinander. Er würde viele Tage brauchen, ehe er Ordnung in die Akten des Arztes gebracht hatte. Das Entgelt, das er dafür erhielt, entsprach der Arbeit in keiner Weise, aber der Doktor Lopez war nicht in der Lage, besser zu zahlen. Und Joe Carter war ein Mann, der jede Arbeit annahm. Er hatte sich noch nicht dranmachen können, da er bis jetzt noch keine Zeit dazu gefunden hatte.

Er zog mit dem Fuß den Hocker heran, ließ sich nieder, holte die dicke Mappe, die mit einer Schnur zusammengebunden war, aus der Schublade und legte sie vor sich hin.

Dann erst zündete er die Lampe an. Aber er drehte den Docht so klein wie möglich.

Als er nach einer Weile einen Blick zu der alten Uhr warf, die drüben auf einer Kommode stand, wäre er sicher von kaltem Entsetzen geschüttelt worden, wenn ihm jetzt jemand gesagt hätte, was sich noch in dieser Stunde ereignen sollte.

Joe Carter hätte es sicher nicht für möglich gehalten, daß sich sein übles Geschick noch verschlechtern könnte!

Die Stille im Raum wurde nur hin und wieder von dem harten Geräusch der Feder im Tintenfaß und von ihrem Kratzen auf dem Papier unterbrochen.

Cesare Valetta hatte die Stadt erreicht. Er ritt an dem kleinen Haus des Fellgerbers Leonhardt vorbei und blickte schon über die niedrige Hofmauer des Lehrerhauses. Von dort aus konnte er den kleinen Lichtschein sehen, der aus dem Küchenfenster fiel.

Valetta glitt aus dem Sattel, ließ die Zügelleinen seines schwarzen Wallachs zu Boden gleiten und bewegte sich mit lautlosen Schritten an der Hofmauer entlang zu einer Stelle, an der er sich hinüberschwingen konnte.

Lauschend stand er in dem nächtlichen Hof.

Das Licht, das aus der Küche fiel, streifte trotz seiner Schwäche die Gestalt des Desperados.

Der Galgenmann bewegte sich weiter auf die Hofmitte zu, von wo aus er den Mann im Küchenraum sehen konnte. Valetta beobachtete ihn einen Augenblick, stahl sich dann davon, schlich an der Längsseite des Hauses entlang und prüfte die Fenster.

Auf dieser Seite waren sie alle geschlossen. Deshalb mußte er in den Hof zurück und zur anderen Front hinüber. Dort gab eines der Fenster dem anhebenden Messer nach. Der Bandit zog sich auf die Bank hoch, schwang sich hinüber und zwängte sich durch den schmalen Fensterspalt in einen kleinen Raum.

Tief geduckt am Boden verharrte er und lauschte auf das Atemgeräusch mehrerer Menschen.

Einige Sekunden später war er an der Tür, öffnete sie vorsichtig, hob sie in den Angeln an, damit sie nicht quietschte. Dann stand er auf dem Gang, an dessen linkem Ende der Lichtschein unter der Tür zu sehen war.

Valetta stand jetzt aufrecht da und ging ohne jede Vorsicht vorwärts.

Joe Carter blickte auf, als er den harten Schritt hörte.

Dann wurde die Tür aufgestoßen.

Carter starrte den Mann, der an ihrem Rahmen stand, ganz entgeistert an.

Es war ein hochgewachsener Mensch mit einem dunklen Hut, einer schwarzen Jacke und einer schwarzen Hose, dessen Gesicht von einem grauen Tuch fast völlig verdeckt war.

In der linken Faust hielt er einen großen fünfundvierziger Revolver, dessen Mündung genau auf die Brust des Lehrers zielte.

Carter saß wie gelähmt auf dem Hocker.

Da trat der Bandit ein und zog die Tür hinter sich zu.

»Steh auf, Carter.«

Der Lehrer brauchte alle Willenskraft dazu, die Lähmung zu überwinden, in die ihn der Schreck versetzt hatte. Er erhob sich, stützte sich aber mit der Linken auf die Tischkante und hatte in der Rechten noch den Federhalter.

»Laß den Kiel fallen!« herrschte ihn der Tramp an.

Carters Hand öffnete sich, und die Feder glitt aus seiner Hand.

Niemand hat je erfahren, wie es dem Banditen damals gelungen war, dem Gefangenen-Transport von Deming nach Phoenix zu entkommen. Höchstwahrscheinlich waren dabei Dinge im Spiel, die mit der Angst der Bevölkerung vor dem Grauen Clan zusammenhingen. Jedenfalls war der prominente Galgenmann auf freiem Fuß und bewegte sich kaltblütig in einem Land, in dem er steckbrieflich gesucht wurde.

Carter hatte sich jetzt halbwegs gefaßt.

»Was wollen Sie?« kam es heiser aus seiner Kehle.

»Ich will es kurz machen«, entgegnete der Galgenmann, ohne sich Mühe zu geben, seine Stimme zu verstellen. »Ihr Bruder gehörte zu uns.«

»Jeff?« brach es aus Joe Carter hervor.

»Ja, Ihr Bruder Jeff.«

Da fiel es dem Lehrer wie Schuppen von den Augen: Jeff war ein Galgenmann gewesen!

Fühllos fiel die Stimme des Gangsters in den kleinen Raum:

»Ja, er gehörte zu uns, bis zu jenem Tag, an dem er meinte, daß er sich lossagen könnte. Es war sein Todestag.«

Da flog Carters Kopf hoch:

»Ihr habt ihn umgebracht!«

»Sie drücken es falsch aus, Carter«, belehrte ihn der Desperado. »Er hat seinen Lohn gekriegt. Das war alles.«

»Und seine Frau?«

»Der Clan bestraft gründlich und nachhaltig.«

Der Lehrer hätte losschreien mögen: Mörder! Elendes Mörderpack! Aber es kam kein Laut über seine Lippen. Kraftlos stand er da und sank auf seinen Hocker nieder.

Die Galgenmänner waren es also, die den Bruder Jeff und seine Frau hingemetzelt hatten! Die höllische Gilde vom tödlichen Triangel, die überall ihre brennenden Galgen ins Land setzte! Es galt ihnen nichts, daß da fünf elternlose Kinder zurückgeblieben waren, denen es elend ergangen wäre, wenn er, Joe Carter, sich nicht um sie gekümmert hätte.

Die Stimme des Banditen riß ihn in die Gegenwart zurück.

»Wie ich gehört habe, Carter, haben Sie die Brut des Verräters zu sich genommen.«

Der Lehrer hob den Kopf und brachte mühsam beherrscht hervor: »Es waren fünf unmündige Kinder, die ohne mich verhungert wären!«

»Ja, natürlich, Sie haben sein Erbe angetreten – in jeder Hinsicht. Sie gehören also zum Geheimbund. Und damit Sie es nicht vergessen, werde ich Ihnen ein Brandzeichen einsetzen.«

Blitzschnell zog er eine langschwänzige Bullpeitsche unter der Jacke hervor, riß sie hoch und zog sie dem Überrumpelten quer durchs Gesicht.

Der blutrote Striemen platzte sofort auf und verursachte dem Getroffenen mörderischen Schmerz.

»Du gehörst jetzt zu uns, Joe Carter«, drang durch den Schmerz und die ihn anspringende Ohnmacht die Stimme des Verbrechers. »Vergiß es nicht! Du gehst jetzt sofort hinaus, holst dein Pferd und wartest draußen vor der Stadt an der dreiarmigen Turmkaktee auf mich.«

Blutübergossen stand Carter da und starrte aus brennenden Augen auf den Mann mit der Maske.

»Ich habe kein Pferd«, brach es endlich aus ihm hervor.

Da zog der Bandit mit der Rechten wieder die Peitsche hoch.

Carter wich unwillkürlich zwei Schritte zurück.

Aber Valetta hatte die Hand nur spielerisch erhoben, und jetzt fiel eine blecherne Lache unter seiner Larve hervor.

»Kein Pferd? So etwas will ich in Zukunft nicht mehr von dir hören. Für einen Mann des Geheimbundes ist das kein Hindernis. Hier in der Stadt gibt es fünf Dutzend Pferde. Und wenn du unfähig bist, dir eins zu beschaffen, bist du auch unfähig, zu leben.«

Valetta wandte sich um, und gleich darauf fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

Carter verharrte auf der Stelle und starrte zur Tür, wo der Bandit gerade noch gestanden hatte.

War das ein Spuk gewesen? Hatten sich die letzten drei Minuten wirklich so abgespielt, wie er sie erlebt hatte?

Das konnte doch nicht wahr sein!

Aber der brennende Schmerz im Gesicht überzeugte ihn sehr schnell davon, daß es kein Spuk gewesen war.

Da war eben ein Galgenmann bei ihm im Haus gewesen und hatte ihn nicht nur blutig geschlagen, sondern ihm auch erklärt, daß er selbst ein Galgenmann sei – wie sein Bruder Jeff!

Er dachte nichts, weil er gar nicht fähig war, einen klaren Gedanken zu fassen.

Da waren plötzlich wieder Schritte im Korridor zu hören, und die Tür flog noch einmal auf. Durch den Spalt schob der Bandit seinen Schädel und zischte:

»Solltest du auf den Gedanken kommen, abzuspringen, so bedeutet das dein sofortiges Ende. Und was mit deiner Frau und deinen Kindern geschieht, kannst du dir unschwer ausrechnen.«