ISBN 978-3-417-22708-6 (E-Book)
ISBN 978-3-417-28627-4 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

© 2014 SCM Kläxbox im SCM-Verlag GmbH & Co. KG
Bodenborn 43 • 58452 Witten

Illustration: Tanja Husmann | Satz: Ole Husmann | Freiburg

Inhalt

Von Miras Prinzessinnen kannst du auch in der Bibel lesen. In den Klammern steht, wo du sie findest.

Mira

Ester   (Ester 2–9)

Achsa   (Josua 15,16-19)

Lea   (1. Mose 29,1-26)

Pharaos Tochter   (2. Mose 2,1-10)

Noa   (4. Mose 27,1-7)

Rut   (Rut 1–4)

Michal   (1. Samuel 18,1-20 und 19,11-18)

Abigajil   (1. Samuel 25,2-35)

Hanna   (1. Samuel 1)

Die Königin von Saba   (1. Könige 10,1-13)

Hulda   (2. Könige 22)

Maria   (Lukas 10,38-42)

Die geheilte Frau   (Markus 5,24-34)

Die Frau aus Sychar   (Johannes 4,1-30 und 39-42)

Lydia   (Apostelgeschichte 16,12-15)

Rhode   (Apostelgeschichte, 12,5-18)

„Mira Becker, geht uns auf den Wecker!“, brüllten die Jungen der Klasse 3 c hinter ihr her. Mira ging schneller. Sie wählte den Weg am Fluss entlang. Hier würde sie hoffentlich keinem der neuen Mitschüler begegnen. Immer hatten die dumme Sprüche auf Lager. Ein seltsames Geräusch drang an Miras Ohren. Sie zögerte. Verfolgten die Kerle sie etwa? Mira lauschte. Da waren Schritte: keine raschen, schnell aufeinanderfolgenden; sondern heimliche, langsame, die irgendwie gruselig wirkten. Automatisch rannten ihre Beine los. Erst hinter einer Biegung des Weges hielt Mira keuchend an. Sie blickte vorsichtig zurück. Nichts, die Straße war leer.

Missmutig strich Mira die widerspenstigen, drahtigen Locken aus ihrem Gesicht. Die hässlichen Dinger hüpften wie Sprungfedern um ihren Kopf. Sie wippten bei jedem Schritt albern hin und her, auf und ab. Dunkelblonde Haare, ein blasses Gesicht und viel zu dünne Beine. Spiralnudel-Haare und Spargelbeine, blöde Kombination, fand Mira. Sie streckte ihrem Spiegelbild im Fenster eines parkenden Autos die Zunge heraus.

Eine Hupe ließ sie erschrocken zusammenzucken. Ein Fahrzeug rollte näher und eine winkende Hand erschien über dem Dach. „Mira!“, rief jemand. Der Wagen hielt an und Opa kletterte langsam heraus. Er legte seinen Arm um Mira. „Du bist ganz allein unterwegs! Was ist passiert? Du siehst abgehetzt aus.“

Mira würde nicht zugeben, dass sie Angst vor ihren neuen Klassenkameraden hatte. Seit sie mit ihren Eltern in diese Stadt gezogen war, fühlte sie sich oft einsam und hilflos. Darüber wollte sie jetzt nicht reden. „Hallo, Opa!“, sagte Mira stattdessen mit einem schiefen Lächeln.

Das Summen ihres Handys lenkte Mira ab. Im Display stand die Nummer ihrer Mutter, die sofort hektisch zu reden begann: „Mira, wo bist du?“

Die verdrehte die Augen. „Mama!“, wisperte sie ihrem Opa verschwörerisch zu. Miras Mutter machte sich ständig Sorgen.

„Wir haben an der Schule auf dich gewartet. Du bist mit gesenktem Kopf einfach weitergerannt, obwohl wir laut gerufen haben.“

Mira wurde plötzlich heiß. Ihre Mutter hatte gewiss die spöttischen Kommentare der anderen gehört. „Warum holst du mich ab?“, murrte Mira verdrossen. „Das ist peinlich.“

Opa schaltete sich ein. „Es sollte eine Überraschung sein. Oma wollte wissen, wo du jetzt zur Schule gehst“, erklärte er mit seiner tiefen Stimme.

Bevor sie zum Treffpunkt fuhren, wo Mama und Oma warten würden, hielt Opa an der Eisdiele. Er kaufte vier große, majestätische Eisportionen. Mira naschte vorwitzig mit dem Finger an dem Berg aus Sahne.

„Eis vor dem Mittagessen, keine gute Idee!“, schimpfte Frau Becker unfreundlich zur Begrüßung.

„Ach, was so gut schmeckt, kann nicht völlig schlecht sein!“, lachte Opa und zwinkerte seiner Enkelin zu. „Wir wollen uns heute wie Könige fühlen und so richtig schlemmen.“

Der fröhliche Nachmittag mit dem Besuch der Großeltern ging viel zu schnell zu Ende. Und morgen wartete wieder ein verhasster, grauer Schultag auf Mira.

Bunt war dagegen der Umschlag, der an einem Nachmittag plötzlich auf ihrem Schreibtisch lag. „Mira Becker, Uferweg 8“, las das Mädchen. Die Schrift kannte Mira nicht. Große Buchstaben mit Schnörkeln gingen in eine gemalte Ranke über, die an der Seite des Papiers emporwuchs. Ein Absender stand nicht auf dem edlen Papier. Ob die Briefmarke mit der bunten Krone echt war?

Mira nahm die Schere aus ihrem Mäppchen und öffnete vorsichtig den Umschlag. Ein zusammengefalteter Bogen aus dem gleichen marmorierten Papier fiel heraus. Neben einer Ranke mit sternenförmigen Blüten stand die Anrede:

Briefbeginn

Liebe Mira,

ich bin eine Königin, und ich werde dir von meinem Leben erzählen. Die Leute sagen, ich sei eine ziemlich ungewöhnliche Königin. Meine Geschichte begann vor langer Zeit so:

„Verbeugt euch vor mir! Ich bin der mächtige und kluge Haman. Unser König Xerxes persönlich hat mich als ersten Minister eingesetzt!“, rief Haman und blickte grimmig um sich. Vor ihm knieten die starken Männer der Palastwache. Aber nicht alle: Mordechai, mein Pflegevater, blieb stehen. Er schüttelte den Kopf. Freundlich erklärte er: „Ich bete zu Gott, dem Allmächtigen. Ihn verehre ich allein!“

Haman ging beleidigt und zornig fort. Gemeinsam mit einigen Freunden heckte er einen furchtbaren Plan aus, um sich an Mordechai zu rächen. Er richtete sich gegen alle Menschen aus dem Volk Israel, die jetzt wie Mordechai hier in Persien lebten. Sie sollten an einem bestimmten Tag umgebracht und ausgeraubt werden. Haman überredete den persischen König Xerxes und drückte das königliche Siegel unter den Erlass. Der Befehl wurde im ganzen Land bekannt gemacht.

Die Menschen gerieten in Aufregung. Mein Pflegevater Mordechai zerriss vor lauter Trauer seine Kleidung. Ich traf ihn im Garten des Palastes. Er stöhnte und sagte: „Wir müssen etwas tun! Du, Ester, musst etwas tun. Gott muss etwas tun!“

Ich hatte Angst. Ich war mit König Xerxes verheiratet. Vor ihm hütete ich ein Geheimnis: Ich diente dem Gott meiner Vorfahren, genau wie Mordechai. Xerxes wusste nicht, dass wir zum Volk Israel gehörten. Ich begann zu zittern. „Ich kann nichts machen, Mordechai, um den Befehl zu ändern.“

„Du musst zum König gehen!“, verlangte Mordechai.

Ich schlief nicht und aß keinen Bissen. Drei Tage später stand ich ohne Erlaubnis im Hof des Palastes. Das war gefährlich: Niemand durfte unaufgefordert beim König erscheinen. Dafür konnte man getötet werden! Ich sah König Xerxes auf seinem Thron. Er hielt sein goldenes Zepter in der Hand. Seine Berater umringten ihn. Haman war ebenfalls dabei. Ein Sonnenstrahl verfing sich in den Edelsteinen meiner Halskette. Das bunte Licht funkelte wie ein Regenbogen. Plötzlich zeigte die Spitze des goldenen Zepters in meine Richtung. Der König hatte mich bemerkt. Sollte das die Rettung bedeuten? Oder führte es ins Verderben?

„Ester, meine Königin!“

Ich hielt den Atem an.

„Ich freue mich, dich zu sehen. Ich möchte dir ein Geschenk machen!“, sagte der König.

Ich lächelte vorsichtig. Dann begann ich, den ersten Teil meines Planes in die Tat umzusetzen. Leise lud ich den Gebieter zu einem Festessen ein. Den ersten Minister Haman bat ich ebenfalls zu mir. Mein eigentliches Anliegen wollte ich später vorbringen.

Ich fieberte dem Sonnenuntergang entgegen. In goldenen Bechern reichte ich beiden Männern Wein. Die Anzahl der köstlichen Speisen auf den Platten ließ sich schwer zählen. Der König war glücklich. Ich plante auch für den nächsten Tag ein Festmahl. Xerxes und Haman sagten zu.

Auch am zweiten Abend nahmen meine Gäste auf den Polstern unter dem Baldachin Platz. Sie begannen zu essen. Die Vögel im Garten veranstalteten mit ihren Liedern klangvolle Konzerte. Xerxes sagte schließlich: „Ester, Königin von Persien, du hast deinen Wunsch noch nicht genannt. Ich werde ihn dir erfüllen, und wenn es mich mein halbes Königreich kosten sollte.“

„Ach!“, seufzte ich. „Ich bin traurig. Mein Herz klopft vor Sorge so schnell, wie der Vogel dort im Baum sein Lied trällert. Ich würde es nicht wagen, etwas von dir zu erbitten und dich mit meinen Wünschen zu belästigen.“ Ich versuchte, die Lage einzuschätzen. Xerxes hörte mir zu. Ich wagte es, weiterzureden: „Meine Tage an deiner Seite sind gezählt. Denn ich und mein ganzes Volk, wir sollen vernichtet werden.“ Ich strich die zarten Perlenketten, die in meine Frisur eingeflochten waren, zaghaft aus dem Gesicht.

„Wer hat sich so etwas Scheußliches ausgedacht?!“, polterte Xerxes erbost. Ich wies auf Haman. Blitzschnell durchschaute der die Lage. Er warf sich verzweifelt vor mir nieder und bettelte um Hilfe. Damit erreichte er das Gegenteil. Xerxes war empört. „Du finsterer Schurke! Niemand tritt in meinem Palast der Königin zu nahe und bedroht sie!“

Haman wurde von Soldaten abgeführt. König Xerxes’ Wut ließ sich kaum besänftigen. Dennoch musste ich weiter in ihn dringen. Die Gefahr war nicht vorbei. „Bitte nimm diesen schrecklichen Erlass, der Leid über mein Volk und das ganze Land bringen wird, zurück“, wagte ich zu flüstern.

Die Wachen hielten vor Schreck die Luft an. Der König lehnte meine Bitte ab!

Mich verließ alle Kraft. Vorbei, die ganze Mühe, das Schmieden der Pläne, die schlaflosen Nächte und die Gebete, alles war umsonst.

„Was mit dem königlichen Siegel versehen ist, kann niemals geändert werden!“, donnerte er. Ich schluchzte in die Ärmel meines neuen Gewandes. Fast hätte ich verpasst, was Xerxes nun verkündete: „Dein Pflegevater Mordechai soll an Hamans Stelle erster Minister werden. Der zuverlässige Mordechai erhält das königliche Siegel. Er soll einen neuen Befehl ausgeben. Ihm wird gewiss einfallen, wie er das große Unrecht an seinem Volk verhindern kann.“

Ich schrie laut vor Erleichterung und Glück. Ich freute mich für Mordechai. Und für uns alle. Gottes Macht sind keine Grenzen gesetzt. Er änderte die Geschichte und Lebensgeschichten.

Ich bin Königin Ester. Und du bist Prinzessin Mira, Kind des größten Königs im Universum. Du darfst jederzeit zu ihm kommen und mit ihm reden. Du musst nicht auf das goldene Zepter und einen günstigen Moment warten. Der majestätische Gott schenkt seinen Kindern zu jeder Zeit seine ganze Aufmerksamkeit.

Viele liebe Grüße,
deine Ester

 

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